Mittwoch, 14. März 2007

Interviews mit Guantánamo-Insassen

"Hier spricht Guantánamo". Roger Willemsen interviewt Ex-Häftlinge. Mitarbeit Nina Tesenfitz. 238 Seiten. Paperback. Zweitausendundeins. 12,90 EUR

Buchbesprechung von Karl Weiss

Roger Willemsen hat die Interviews durchgeführt, die schon Hunderte von Reportern hätten führen müssen, aber es aus Untertänigkeit gegenüber der US-Regierung nicht getan haben: Interviews mit entlassenen Guantánamo-Insassen. Er beschämt damit sämtliche Zeitungen und Fernsehstationen der Welt. Es war offensichtlich, daß die neue Form von US-Konzentrationslagern, wie sie als bekanntestes Beispiel Guantánamo darstellt, von höchstem internationalem Interesse ist. Trotzdem haben sich alle großen Medien geweigert, Interviews zu machen, als die ersten Opfer Guntánamos entlassen wurden.

In Guantánamo, wie auch in einer unbekannten Anzahl anderer Konzentrationslagern innerhalb von US-Stützpunkten, aber auch in Staaten, die unbesehen alles akzeptieren, was die US-Regierung anordnet, werden mehrere hundert, eventuell auch Tausende von illegalen Gefangenen zusammengepfercht, unter im wesentlichen sub-humanen Umständen.

Die Kennzeichen, die diese Lager zu Konzentrationslagern machen, sind die absolute Willkürlichkeit der Auswahl der Gefangenen, die völlige Isolierung der Gefangenen von der Außenwelt, die Nicht-Bestätigung der Haft durch einen Richter, die Nicht-Benachrichtigung von Verwandten über den Aufenthaltsort, das völlige Fehlen konkreter Anklagen, die absolute unbefristete Gefangenschaft, die Tatsache, daß die Gefangenen offiziell Gefangene eines großen Staates sind, die Anwendung verschiedenster Demütigungs- und Foltermethoden wie auch die von psychischen Zerstörungsmethoden, die Verweigerung von normalem Kontakt mit ihren Anwälten, die Weigerung, ihnen den Status von Kriegsgefangenen oder kriminellen Untersuchungshäftlingen zuzuordnen, die Weigerung, Abgeordneten des Roten Kreuzes freien Zugang zu allen Gefangenen und zu Gesprächen mit von ihnen ausgesuchten Gefangenen zu geben, die jahrelange Weigerung, auch nur Namenslisten an die Öffentlichkeit zu geben (die außer für Gunatánamo fortbesteht), das völlige Geheimhalten der Orte der Lager (mit Ausnahme von Gunatánamo) und schließlich die Verpflichtung der Entlassenen, nicht über die Vorgänge und Zustände im Lager verlauten zu lassen, bei Androhung von ungenannten Übeln.

Detainees Guantánamo

Vergleiche wurden versucht mit den schlimmsten Kriegsgefangenenlagern, wie z.B. einige der West-Allierten nach dem 2. Weltkrieg im Rheinland auf freiem Feld, die der physischen Vernichtung, sprich Ermordung, der Gefangenen dienten. Allerdings waren diese Lager Kurzzeitlager, die in keiner Weise mit den jetzigen US-Konzentrationslagern verglichen werden können. Auch Vergleiche mit Gefängnissen im Mittelalter und in einigen absolutistischen früheren Ländern sind nicht hilfreich, weil dort zwar äußerst prekäre Bedingungen herrschten, aber in der Regel keine systematische Folterung aller Insassen.

Im Prinzip gibt es Ähnlichkeiten mit den Geiselhaft-Lagern von kriminellen Organisationen, die im großen Stil Geiseln nehmen, aber selbst in Kolumbien gab es bisher noch keinen Fall von mehr als vier Jahren Geiselhaft.

Es ist tatsächlich unmöglich, irgendeinen zutreffenden Namen für diese Lager zu finden, wenn nicht Konzentrationslager.

US-Fahne auf Halbmast

Die US-Regierung rechtfertigt die Aufhebung aller Rechte für die Gefangenen mit den Anschlägen des 11. September 2001. Angeblich hätten die Insassen irgendetwas damit oder mit der Vorbereitung ähnlicher Anschläge zu tun. Dieses Argument ist nicht zu halten. Alle, über die man bisher Kenntnisse gewonnen hat, hatten weder etwas mit den Anschlägen des 11. September zu tun, noch gibt es irgendwelche Beweise für Vorbereitung ähnlicher Anschläge auch nur durch einen dieser Häftlinge.

So berichtet die Presseankündigung des Buchs „Hier spricht Guantánamo" denn auch davon, daß die Freigelassenen (nach mehr als drei Jahren Haft und mehr) berichten, es handele sich im wesentlichen um Bauern, Landarbeiter, Arbeiter, Angehörige von Hilfsorganisationen und andere Personen, die in Afghanistan willkürlich aufgegriffen oder von den Taliban oder Warlords der Nordkoalition an die Amerikaner verkauft wurden. Unter den Gefangenen und jetzt Freigelassenen befindet sich auch der ehemalige Botschafter Afghanistans in Pakistan.

Kaum einer der Insassen sei je militanter Islamist gewesen. Was die Entlassenen besonders anprangern, ist, daß ihnen keine Rehabilitierung ermöglicht wird. Dadurch, daß praktisch alle Medien der Welt über sie schweigen und sie nicht zu Wort kommen lassen, können sie nicht in ein normales Leben zurückkommen. Nach jahrlanger Haft können sie keinen Freispruch vorweisen, ja nicht einmal eine abgebüßte Gefängnisstrafe. Sie bleiben „Terroristen".

Die ‚Zeit’ schreibt über das Buch: „Aus dem rechtlichen Niemandsland", eine Züricher Zeitung: „Skandalon der US-Demokratie".

Bleibt die Frage : Wo ist Demokratie?


Link zum Nachdruck der Buchbesprechung bei "Journalismus - Nachrichten von heute" hier


Hier eine Anzahl Links zu anderen Artikeln im Blog zur Folter:


- Bush und Rumsfeld foltern!

- Die USA am Scheideweg – Innerhalb oder ausserhalb der zivilisierten Welt?

- Profimässig foltern – wie ist das?

- Kann man durch Folter Wahrheit erfahren?

- Folter – CIA-Folterflüge und europäische Regierungen

- Wenn bürgerliche Rechte abgeschafft werden... - USA-Land der Freiheit?

- Beine zu Brei geschlagen – Folter in Afghanistan

- Warum wird gefoltert?

- US-Generalmajor Taguba zwangspensioniert

- Fürchterlich schrille Schreie von gefolterten Jungen

- Folter, Folter ohne Ende


Hier sind Links zu anderen Artikeln in diesem Blog zum Abbau von bürgerlichen Rechten in den USA:

- Kann man mit Telephon-Überwachung Terrorzellen ausheben?

- USA: Faschisierung des Staatsapparates, Teil 1: Es geht gegen das eigene Volk

- USA: Faschisierung des Staatsapparates, Teil 2: 432 Millionen Dollar für ‚Internierungslager’

- Statistischer Beweis: Wahlfälschung bei den US-Präsidentschaftswahlen

- Wenn Regierungen Geiseln nehmen – Benattas, noch ein Fall von Geiselhaft

- USA: Wer Menschenrechte verteidigt, fliegt raus – CIA-Agentin entlassen

- Anti-Terrorgesetze früher und heute – Das ‚Detainee Treatment’-Gesetz in den USA

- USA: Absurditäten des religiösen Extremismus

- USA: Erst schiessen, dann fragen – Warlord Country

Neuer Justizskandal in Deutschland

Landessozialgericht bestätigt Sperrzeit gegen Krankenhausangestellte

Kommentar von Karl Weiss

Die skandalreiche Geschichte bundesrepublikanischer Justiz, belastet durch faschistische Richter und Nichtanklagen und Freisprüche von faschistischen Verbrechern, hat ein neues Skandal-Kapitel erhalten: Das Landessozialgericht Mainz bestätigte das Verhängen einer Sperrzeit („eigenes Verschulden“) gegen eine Angestellte eines katholischen Krankenhauses, die wegen Kirchenaustritt entlassen worden war.

Ein Gang zum Bundessozialgericht zwecks Überprüfung dieser Entscheidung wurde ihr verwehrt. Ein weiterer Fall, in dem die deutsche Unrechtsjustiz in enger Umarmung mit den Religionen Skandalentscheidungen trifft.

Dies ist gleich eine Ansammlung mehrerer Skandale.

1. Skandal:

Krankenhäusern darf nicht gestattet werden, Angestellte zu entlassen, weil sie nicht (mehr) die Meinungen der Trägerorgnisation teilen, in diesem Fall der Caritas. Genausowenig wie es einem industriellen Unternehmen gestattet ist, einen Beschäftigten wegen Gewerkschaftsmitgliedschaft zu entlassen, weil die Gewerkschaft ein „feindliche“ Organisation sei, genausowenig darf die Trägerorganisation eines Krankenhauses die ideologische Übereinstimmung mit denen der Organisation (Kirchenmitgliedschaft) zur Bedingung der Beschäftigung machen.

Dagegen wird argumentiert, wer in „Tendenzbetrieben“ beschäftigt sei, von dem könne verlangt werden, mit der Tendenz übereinzustimmen. Das gilt zum Beispiel für Redakteure (aber nicht Putzfrauen) einer konservativen Zeitung wie auch für die mit Politik beschäftigten Angestellten einer politischen Partei. Ebenfalls wird dies für Kirchenangestellte konstatiert.

Nun ist aber ein Krankenhaus keine Kirche und damit kein Tendenzbetreib – im Gegensatz zu der kirchlichen Organisation selbst. Es gibt keine katholische oder protestantische, atheistische oder jüdische Medizin.

2. Skandal:

Kirchliche Krankenhäuser werden fast ausschliesslich von den Steuerzahlern finanziert und von den Krankenkassenleistungen der Versicherten unterhalten. Sie gehören der Gemeinschaft der Steuerzahler und der Gemeinschaft der Krankenkassen-Kunden – kurz: Dem ganzen Volk. Damit ist unvereinbar, die Kirchenmitgliedschaft zwangsweise zur Beschäftigungsvoraussetzung zu machen.

3. Skandal:

Die Meinungsfreiheit und die Religionsfreiheit sind grundgesetztlich geschützte Güter. Die Religionsfreiheit beinhaltet auch das Recht, sich nicht religiös betätigen zu wollen oder jedenfalls nicht im Rahmen einer offiziellen Religion. Sie stehen eindeutig über dem Interesse einer Religion, in ihren Einrichtungen (auch solchen, die nicht oder nur marginal von ihr finanziert werden) nur Mitglieder beschäftigen zu wollen. Die Entlassung kann daher nicht akzeptiert werden.

4. Skandal:

Im Kern ging es hier ja gar nicht mehr um die Entlassung, sondern um die Annahme der Arbeits“agentur“, eine solche Entlassung sei selbstverschuldet, denn die Angestellte kannte ja die Politik der Caritas. Das aber nimmt faktisch allen die Religionsfreiheit, sobald sie in einer kirchlichen Einrichtung beschäftigt sind, auch wenn diese nicht die eigentliche kirchliche Organisation ist. Das würde also auch für kirchliche Kindergärten, kirchliche Schulen oder Schwesternheime gelten. Die Religionsfreiheit ist aber ein übergeordnetes Gut. Das gilt umso mehr, wenn es sich nicht um die Frage der Einstellung, sondern um eine Entlassung geht.

5. Skandal:

Die staatliche Arbeitsverwaltung darf sich nicht die Interessen einer privaten Organisation zu eigen machen, indem sie deren Ansprüche an die Beschäftigen zum Maßstab nimmt, ob eine Entlassung vom Beschäftigten selbstverschuldet ist (Religion ist Privatsache, Kirchen sind private Organisationen, keine halbstaatlichen).

Sie muss eindeutige Verstösse gegen allgemeingültige Arbeitsbestimmungen zur Grundlage einer solchen Entscheidung machen, nicht vom Arbeitgeber willkürlich festgelegte Regeln – vor allem, wenn eine solche Regel grundgesetzlich garantierte Rechte ausser Kraft setzt. Insofern muss die Arbeitsverwaltung die Rechte der Beschäftigten schützen, selbst dann, wenn man annähme, die Entlassung sei gerechtfertigt.

Ein Betrieb darf z.B. nicht die Verwendung der eigenen Produkte von den Beschäftigten verlangen. So hat z.B. auch die deutsche Justiz konsequent die Regel der Wal-Mart–Organisation für unzulässig erklärt, Angestellte dürften kein Verhältnis miteinander haben. Immerhin – nicht alle gerichtlichen Entscheidungen in der Bundesrepublik sind ein Skandal.

6. Skandal:

Die Nichtzulassung der Beschwerde beim Bundesgericht ist offensichtlich missbräuchlich. Es kann kein Zweifel bestehen, dieser Fall betrifft grundlegende Fragen. In einer sich schnell ändernden Gesellschaft wie der heutigen muss den Bundesgerichten Gelegenheit gegeben werden, in wesentlichen Fragen die frühere Rechtssprechung zu ändern. Während noch vor fünfzig Jahren über 80% der Bundesbürger einer der christlichen Kirchen angehörten, ist es heute eine Mehrheit, die sich zu keiner dieser Religionen mehr zugehörig fühlt. Dem muss auch die Rechtsprechung angepasst werden. Es muss davon ausgegangen werden, diese Nichtzulasung wurde aus eben dem Grund verfügt, weil man sich dieser Entscheidung (aus guten Gründen) nicht sicher war.

Die persönlichen religiösen Ansichten von Richtern dürfen nicht mehr Ausgangspunkt von Entscheidungen sein.


Veröffentlicht am 14. März 2007 in der "Berliner Umschau"

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