Montag, 26. März 2007

Strafe vor Verfahren vollstreckt

Polizei, Staatsanwalt und Faschisten Hand in Hand?

Von Karl Weiss


Ein Berliner Anti-Faschist wird seit 12. Dezember in Untersuchungshaft gehalten, obwohl keinerlei reale Anhaltspunkte für seine Tat vorliegen. Dabei stelle die Staatsanwaltschaft den Neo-Faschisten persönliche Unterlagen des Verdächtigten (als Nebenkläger) zur Verfügung, die bei der Hausdurchsuchung des Antifaschisten Mathias Z. Sichergestellt haben.

Das einzige, was feststeht an der ganzen Sache, ist: Im November 2006 gab es in Berlin-Lichtenberg eine handgreifliche Auseinandersetzung zwischen einer Schläger-Bande von stadtbekannten Neo-Faschisten und einer Anzahl von unbekannten Anti-Faschisten. Dabei wurden zwei Neo-Faschisten leicht verletzt.

Sie wurden von der herbeigeeilten Polizei in ein Krankenhaus gebracht, wo eine der Personen sofort nach ambulanter Behandlung wieder gehen konnte und die andere Person lediglich zur Beobachtung eine Nacht blieb. Jeder kann also nachvollziehen: Selbst wenn es ein „Überfall“ der Antifaschisten auf die armen geplagten Neo-Faschisten gewesen wäre, hatte er keinen Erfolg. Keiner von ihnen wurde irgendwie merklich verletzt.

Die leicht angeschlagenen Neo-Faschisten hatten bereits im Krankenhaus und danach noch einmal bei der Polizei angegeben, die Antifaschisten nicht gekannt oder erkannt zu haben.

Doch plötzlich, wenige Tage danach, wollten sie Matthias Z. als einen der Angreifer erkannt haben.

Was nun kam, zeigt, wie faschistische Schlägerbanden, Staatsanwälte und Polizei objektiv zusammenarbeiten. Kaum lag die Aussage der beiden Neofaschisten vor (die natürlich in Wirklichkeit keinerlei sachlichen Wert hatte), wurde ein Haftbefehl wegen „Versuchtem Totschlag“ (!) und "Schwerer Körperverletzung“ (!) gegen Mathias Z. erlassen. Jeder Mensch mit gesundem Menschenverstand weiß natürlich, hierfür hätten erhebliche Verletzungen vorliegen müssen, die ja gar nicht gegeben waren.

Es gab keinerlei andere Hinweise als die Aussagen der beiden bereits mehrfach aufgefallenen Faschisten, aber die Polizei, im Kampf gegen kriminelle Mafia-Banden untätig, wurde nun geschäftig. Es wurde eine Hausdurchsuchung durchgeführt, immer nach dem Motto: „Irgendwas inkriminierendes lässt sich immer finden.“

Und tatsächlich, man fand einen Teleskop-Schlagstock und einen Totschläger. Dass der Besitz dieser Werkzeuge nicht verboten ist, hatte man allerdings vergessen. Sie wurden diensteifrig als Beweis für die ‚Schwere Körperverletzung’ (die es ja gar nicht gab) und den ‚Totschlagversuch’ gewertet. Dumm nur, es ließen sich gar keine Spuren von Gebrauch gegen Menschen an den beiden Werkzeugen finden. Wenn man nun glauben sollte, der falsch Verdächtigte wäre freigelassen worden und man hätte seine Untersuchungen nun gegen die beiden faschistischen Täter gerichtet, so irrt man sich.

Schuld sind immer die Linken und Krähen hacken sich gegenseitig kein Auge aus.

Eine über dreimonatige Untersuchungshaft ohne die geringsten Tat-Anhaltspunkte, das ist allerdings selbst bei der skandalträchtigen Berliner Polizei, Staatsanwaltschaft und Justiz ein neuer Rekord.

Allerdings gibt es jetzt Gegenwind. Der Fall wurde zuerst in Berlin, jetzt auch über Berlin hinaus bekannt und es baut sich eine Unterstützungsfront für Mathias Z. auf. Auf der Website www.freiheitfuermatti.com kann man die anwachsende Gemeinde sehen, die gegen die widerrechtliche Freiheitsberaubung ficht und Solidarität mit „Matti“ bekundet.

Da kann man zum Beispiel die Unterstützung der Jungsozialisten (SPD-Jugendorganisation; der Chef und weisungsberechtigt gegenüber dem Staatsanwalt ist der SPD-Bürgermeister; komisch, die haben anscheinend kein Problem damit) nachlesen, aber auch die von Grünen und von der Linkspartei, ebenso von Ver.di, die Gewerkschaft, in der Mathias Z. Ist.

Doch das ist noch nicht alles. Es gibt auch noch einen unmittelbaren Zusammenhang eines der Neo-Faschisten mit Mathias Z. Der soll nämlich als Belastungszeuge gegen den Neo-Faschisten aussagen bei einer der Klagen, die der gegen sich laufen hat. Da ist es natürlich praktisch, wenn der Belastungszeuge mit der „Grünen Minna“ vorgefahren wird. Wer wollte einem schwer beschuldigten Untersuchungshäftling schon glauben?

Dazu kommt jetzt, in der Phase der unmittelbaren Vorbereitung auf den Prozess gegen Mathias Z., der im Mai beginnen soll, ein weiterer schwerwiegender Fakt: Die beiden Faschos sollen als Nebenkläger zugelassen werden. Damit bekommt ihr Anwalt Zugriff auf die gesamten Prozessakten, darunter auch fein säuberlich alles, was in der Wohnung des falsch Verdächtigten vorgefunden wurde.

Die beiden Faschisten sind aktiv in der sogenannten Anti-Antifa-Arbeit, das will sagen, sie sammeln Material, Fotos, Adressen, Internetadressen, Verwandtschaftsbeziehungen usw. gegen aktive Antifaschisten. Solche Schnüffelei hat schon mehrmals zu tödlichen Übergriffen gegen solche Antifaschisten oder zu schweren Verletzungen bei überfallenen Antifaschisten geführt. Beleg für diese ihre Aktivitäten ist: Die beiden haben der Polizei ein Foto zur Verfügung gestellt, das sie bereits von Mathias Z. gemacht hatten. Die Polizei fand nichts dabei, dies Foto zu benutzen.

Über Anti-Antifa-Arbeit scheint sie nichts zu wissen. Kein Wunder, denn wenn Antifaschisten im Krankenhaus oder im Leichenschauhaus liegen, dann sah man noch nie hektische Geschäftigkeit bei der Berliner Polizei.

Hierzu Auszüge aus einem Artikel der Süddeutschen Zeitung, der aus gegebenem Anlass mit der Überschrift: „Nur Mord, sonst alles in Ordnung“ erschien:

„Da wird in Quedlinburg ein Junge von einer rechten Horde zusammengeschlagen und im Polizeibericht steht dann, einem "Streithahn" sei der Kiefer gebrochen worden.

Da schlägt ein Rechtsradikaler in der Stadt Zerbst einem 16-Jährigen mit dem Bierglas ein Auge aus, nur weil der ein T-Shirt mit der Aufschrift "Gegen Nazis" trägt. Die Stadt aber lobt, wie friedlich das Fest verlaufen sei und spricht von einer "Rangelei unter Jugendlichen".

Einer Hoteliersfrau, die ein dunkelhäutiges Kind hat, malen Täter an die Wand: "Ich hatte einen Traum, ein Neger hing am Baum! Ich hatte viele Träume, nur zu wenig Bäume." Die Polizei erklärt, zu den Motiven dieser Tat könne nichts gesagt werden."

„Von deutschen Behörden und Polizisten wird der Hitlergruß als Lappalie behandelt und ironisch als „nicht mehr zeitgemäß" bezeichnet. Die faschistischen Schläger werden da zu „Streithähnen". Polizei und Gemeinden sehen „lange geübt" weg, das Ganze grenzt schon an Dienstpflichtverletzung.“

Gewaltsame Übergriffe gegen Ausländer und Antifaschisten durch faschistische Schlägerbanden sind in Deutschland an der Tagesordnung. Es gibt in Deutschland etwa 10.000 gewaltbereite „Rechtsextreme", die meisten in der Shinhead-Szene.

Im Jahr 2004 gab es 12.051 Straftaten aus dieser Tätergruppe, davon 776 gewaltsame Übergriffe mit „rechtsextremem" Hintergrund auf Bürger. In allen letzten Jahren lag diese Zahl über 700. 2005 waren es 10.271 Straftaten, also eine steigende Tendenz. Die Zahlen der Gewalttaten von 2006 sind noch höher.

Doch die verstärkten AktiviTäten der Staatsorgane gehen gegen Antifaschisten.

Hier zwei Auszüge aus der Stellungnahme von zwei Linkspartei-Abgeordneten zum Fall:

„... verschärfen Polizei und Justiz in verschiedenen Bundesländern seit einiger Zeit ihr Vorgehen gegenüber einer offensichtlich unliebsamen außerparlamentarischen Linken im Allgemeinen und Antifa-Aktivistinnen und Antifa-Aktivisten im Besonderen. Offensichtlich werden nicht mehr nur Trägerinnen und Träger antifaschistischer Symbole in der BRD kriminalisiert, sondern die Repression gezielt auch gegen antifaschistische Geschäfte ausgeweitet. Teil der Repression sind vor allem die von der Öffentlichkeit unbemerkten Hausbesuche von Staatsschützern bei politischen Aktivistinnen und Aktivisten oder deren Eltern und Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, Überwachungsmaßnahmen, Hausdurchsuchungen, verdachtsunabhängige Personenkontrollen, Meldeauflagen und eine Reihe weiterer Maßnahmen …”

“Nicht hinnehmbar ist darüber hinaus, dass die eigentliche Strafe sicherheitshalber noch vor einem Strafverfahren mittels einer dünn begründeten Untersuchungshaft, vollstreckt wird.”

Hier, unter aller Augen findet fast täglich Terror statt, doch Polizei und Staatsanwaltschaften sehen sich nicht genötigt, aktiv zu werden. Ein theoretisch möglicher islamistischer Terror dagegen wird von allen Teilen der Politiker-Kaste ständig an die Wand gemalt.

Diese Politiker und die ihnen unterstellten Staatsanwälte und Polizisten sind höchst besorgt. Wann kommt denn nun endlich Al Quaida-Terror nach Deutschland?

Der reale, wirkliche Terror aber , den scheint es für sie nicht zu geben. Wer sich gegen den zusammenschliesst, der läuft dagegen Gefahr, für Monate in Untersuchungshaft zu verschwinden.

Verkehrte Welt!



Veröffentlicht am 23. März 2007 in der "Berliner Umschau", hier mit einer Ergänzung

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