Montag, 22. September 2008

Dossier (Neo-)Liberalismus: Das Waterloo des (Neo-)Liberalismus

Plötzlich ist Geld zur Genüge vorhanden

Von Karl Weiss

Wenn es noch jemanden gab, der den Glaubenssätzen des (Neo-)Liberalismus Vertrauen entgegenbrachte, der kann dies nun getrost zu den Akten legen. Wenn die Bibel der Neoliberalen nicht sowieso schon widerlegt war, so tut dies spätestens die momentane Situation der weltweiten Finanzkrise und des langsamen Eintauchens in die Welt-Wirtschaftskrise.

Reichstag - Bundestag

Wenn Napoleon bei Waterloo der endgültigen Niederlage ins Auge sehen musste, so sind diese Tage der Milliarden und Billionen Dollar (und Euro) Unterstützungen von Banken und anderen Kreditinstituten mindestens genauso endgültig das Waterloo des (Neo-)Liberalismus. Wer so vollständig alles „vergisst“, was er je gepredigt hat und genau das Gegenteil tut, das, was er bisher als „Sozialismus“ und Bolschewismus“ verteufelt hat, der hat jeden Rest von Glaubwürdigkeit verloren.

Nun bestehen allerdings kaum Aussichten, dass die (neo-)liberalen Politiker und die „Fachleute“, die Volkswirtschaftler und Börsengurus, die Bankiers, Bank-Vorstandvorsitzenden und Herren der Monopole, aufhören werden, ihr (neo-)liberales Einmaleins und ihre unverrückbaren Grundsätze verlauten zu lassen, ganz zu schweigen von unserem Lieblingspolitiker Westerwelle. Nur werden sie jetzt leicht durchschaubar sein.

Fragt man nach bei all diesen bürgerlichen „Fachleuten“, wieso dass, was gerade eben noch eine Todsünde war, nun von allerhöchster Stelle (Notenbanken und Regierungen) munter praktiziert wird, so kommt so manche dümmliche Ausrede, es wird vom Thema abgelenkt oder abgestritten, dass dies überhaupt unter jene Regeln falle – kurz, man weiss nicht mehr ein noch aus und muss frei erfinden.

Bundestag - Reichstag

Natürlich haben sie getönt, der Staat dürfe nie in die Abläufe des Marktes eingreifen, der Markt reguliere sich immer selbst und täte dies immer zum besten der Allgemeinheit. Natürlich ist das Hinauswerfen von Geld des Steuerzahlers für Leute, die sich verzockt haben, nicht mit (neo-)liberalen Grundsätzen vereinbar. Als es um ein halbwegs annehmembares Niveau einer Arbeitslosenhilfe ging, da haben sie gezetert, das käme nicht in Frage, das sei gegen alle Regeln der Marktwirtschaft (sprich Kapitalismus), auch wenn das bedeutete, Hunderttausende in die Armut, Zehntausende von Kindern in die Hoffnungslosigkeit zu stürzen. Nun aber, da es um ausgewachsene Banker und Bankiers geht, da laufen die Tränen des Mitleids in Strömen und das Füllhorn, von dem man gerade noch behauptet hatte, es sei leer, ist plötzlich bestens gefüllt.

Die angeblichen Regeln des Kapitalismus werden plötzlich recht dehnbar, wenn es ums Retten von Banken geht. Und selbst da gibts keine festen Regeln. Während Bear Stearns gerettet wurde, liess man die in jeder Beziehung vergleichbare Lehmann Brothers absaufen – erst später fand sich ein Käufer für den Rest mit Barclays.

Was da inzwischen bereits an Werten verbraten wurde, ist bemerkenswert. Allein die Garantien für die grössten Hypothekenbanken der Welt, Fannie Mae und Freddy Mac, die im Kern auf eine ‚weisse‘ Verstaatlichung hinauslaufen, werden zwischen 500 Milliarden Dollar (auf englisch: 500 Billion dollars) und 4 Billionen Dollar (auf englisch: 4 trillion dollars) geschätzt. Auch Merril Lynch musste mit Staatsgarantien in Milliardenhöhe versehen werden, damit sich mit der Banc of America ein Käufer fand.

Northern Rock Pleite

Die Northern Rock (verstaatlicht) ist schon fast vergessen, und in Deutschland hat man sich mal wieder als besonders absurd erwiesen. Die IKB, die keinerlei Bedeutung am Markt hatte, wurde mit Milliarden Euros gestützt, obwohl nicht der geringste Anlass bestand. Wie zu erwarten, stellte sich inzwischen heraus, die hatten gelogen, das reicht bei weitem nicht aus und nun wird man dem Schwachsinns-Geld noch viele weitere Milliarden Steuerzahlergeld hinterherwerfen.

Chávez und Lula

Wenn Hugo Chávez Öl, Gas und Banken faktisch verstaatlicht, dann ist dies das Böse in Person, wenn die US-Fed Fannie und Freddy faktisch verstaatlicht, dann ist das weise.

Evo Morales

Wenn Evo Morales bolivianisches Gas und Wasser verstaatlicht, dann ist das angeblich „linksextrem“, wenn die deutschen Landesbanken wie die Norddeutsche Landesbank, die Westdeutsche Landesbank, die Sächsische Landesbank, die Bayerische Landesbank, die Kreditgesellschaft für Wiederaubau - KfW und was da noch alles kommt, mit Beträgen gestützt werden, die zusammen in die Hunderte von Milliarden Euro gehen, dann haben die christlichen Politiker (rein zufällig alle unter christlicher Fuchtel) ihrer Christenpflicht Genüge getan.

Otto Wiesheu

Und – wir wissen – das war nur der Beginn. Die grössten Probleme noch im Kommen. Bisher ist noch fast kein Hedge Fond betroffen – und davon gibt es weit mehr als Banken. Auch die Auswirkungen auf die Versicherungen beginnen erst jetzt langsam am Horizont aufzutauchen. Die genaue Höhe der Hilfe für US-Versicherer American International Group, den weltweit grössten Versicherer, wurde nicht bekanntgegeben. Auch eine Sparkasse, Washington Mutual, ist Kandidat. Von den fünf grossen US-Investment-Banken haben bis jetzt nur Goldmann-Sachs und Morgan Stanley überlebt. Promt gehen deren Kurse auf Talfahrt. Auch bereits im Blickpunkt: Die britische Halifax Bank of Scotland.

Sehen wir uns nun die Glaubensätze des (Neo-)Liberalismus im Einzelnen an:



Glaubenssatz Nr. 1: Der Markt richtet alles!


Eigentlich war dieser Glaubenssatz längst widerlegt, spätestens seit jener Zeit Mitte des letzten Jahrhunderts, als Ford und GM das Bahnsystem in Los Angeles kauften und schlossen. Sie brachen damit Bahn (im wahrsten Sinne des Wortes) zu einer Entwicklung von Los Angeles zu einer reinen Straßenstadt (einer der hässlichsten und ungemütlichsten der Welt) und zum heutigen Verkehrschaos in der zweitgrößten Stadt der USA. Wer heute an einem Tag zwei Kunden an zwei Enden in Los Angeles besuchen will, schafft es oft nicht, weil er in stundenlangen Staus steht – und das, obwohl die Stadt so mit Straßen zugepflastert ist (wiederum im wahrsten Sinne des Wortes), dass sie als Stadt nicht mehr erkennbar ist. Man wohnt praktisch auf dem Autobahnkreuz.

Auch die Logik sagt einem schon: In einer Situation,in der die Gemeinschaft ein Interesse hat und der jeweilige Kapital-Herrscher nur das seines Profits, wird es unweigerlich zu Interessen-Konflikten kommen, die im Kapitalismus zugunsten des Kapitals und zuungunsten der Gemeinschaft ausgehen. Das heißt nicht, es könne auch Fälle geben, in denen beide Interessen zusammenlaufen, aber das ist eben selten und wird in der aktuellen Situation noch seltener bis praktisch unmöglich.

Jene Firma, die z.B. ein gut funktionierendes Hybrid-Auto Wasserstoff/Elektro mit Sonnen-Zellen auf dem Dach entwickelt hat, hat sicherlich Profitinteressen - und gleichzeitig hat die Menschheit ein tiefgehendes Interesse, dass diese Firma gedeiht und solche Autos massenweise auf den Markt bringen und vervollkommnen kann.

Was ist aber die Wirklichkeit? Die absolute Monopol-Situation der verbliebenen Automobil-Konzerne verhindert jegliche Möglichkeit, ein anderes Auto als jene des Automobil-Kartells könnte je zum Verkaufsschlager werden. Da die Konzerne aber keinerlei Interesse haben, in neue Technologien ernsthaft einzusteigen, denn es könnten ihre Monopol-Profite gefährdet sein, so radieren sie buchstäblich jede Chance eines Aussenseiters aus.

Gleichzeitig versichern sie ununterbrochen ‚glaubhaft’ seit Jahrzehnten, alle alternativen Konzepte wären noch nicht ausgereift. Da stimmen sie, welch Zufall, dann auch mit den Energie-Konzernen und denen des Öls überein. So kam es zu der Lachplatte, die hier in Brasilien die Runde machte: Ein hoher Vertreter eines der grossen Öl-Konzerne verkündete mit ernster Miene auf einem Symposium, die Verwendung von Alkohol als Benzin-Ersatz sei noch nicht ausgereift – und dies, nachdem die Alkohol-Autos in Brasilien bereits seit den siebziger Jahren fahren! Autos von Volkswagen, GM und Ford!



Wenn die GM jetzt ausschert und wirklich ein Elektro-Auto auf den Markt bringt, zeigt das nur den Grad der Verzweiflung der Manager dort angesichts eines kollabierenden Auto-Marktes.

In Wirklichkeit richtet „der Markt“ eigentlich immer nur eins: Die Profite des Mächtigsten und Rücksichtslosesten – und die regelmässgen Krisen.

Immobilienkrise USA

Denn „der Markt“ kann nicht erkennen, wann eine Überproduktionskrise droht, so eine wie jene, die im Moment weltweit eine Ökonomie nach der anderen packt. Der Kapitalist kann nämlich nicht „logisch“ handeln, denn dann müsste er die Löhne seiner Arbeiter Jahr für Jahr deutlich anheben, zumindest um die Inflation plus Produktivitätssteigerung, um damit genügend Kaufkraft zu erzeugen, damit seine Produkte einer ständig wachsenden Produktion gekauft werden können und müsste auch noch darauf vertrauen, dass die anderen Kapitalisten es genauso machen. Nun, wir wissen, Lohnerhöhungen in dieser Grössenordnung hat es zuletzt in den 70er-Jahren gegeben – und auch damals nur in Ausnahmefällen.

Der Kapitalist muss versuchen – bei Strafe, von den Konkurrenten abgehängt zu werden – seinen Profit pro Kapitaleinsatz (Profitrate) immer mehr zu erhöhen, doch er stösst damit unweigerlich auf die Probleme, die eine wesentlich erhöhte Produktion (die seine Profitrate garantieren soll) mit dem Absatz hat.

In einer chaotischen Marktwirtschaft, genannt Kapitalismus, hängt dieser Absatz davon ab, ob er irgendwie Vorteile gegenüber seinen Konkurrenten erreichen kann, was diese dann wiederum in eine Situation der massiven Nicht-Auslastung bringt.

Da sie aber auch die Produktionskapazitäten ausgeweitet haben, entsteht die Situation der Überproduktion. Die Produkte finden zu grossem Teil keinen Absatz mehr, denn die Löhne der Arbeiter wurden ja nicht, bzw. nicht nennenswert erhöht (Real-Netto-Löhne), so dass Kaufkraft fehlt. Die Wirtschaftskrise beginnt. Sie wird zum Schliessen von Firmen führen, zu Massenentlassungen, Neueinstellungen werden praktisch nicht mehr getätigt, die Löhne noch weiter versucht zu senken. Erst wenn genügend Kapital vernichtet ist, kann sich das jeweilige Land wieder langsam aus der Krise herausarbeiten und auf niedrigerem Niveau neu beginnen.

So ist das Bild geschlossener Fabriken – ganzer Komplexe von leeren Werkshallen, durch die der Wind pfeift, überall im Kapitalismus häufig und gibt Zeugnis über die unglaubliche Verschwendung von Resourcen, die mit der Chaos-Gesellschaft Kapitalismus einhergeht.

Dies ist der Ausdruck der Anarchie, die durch die Konkurrenzwirtschaft bedingt ist. Die Chefs der grossen Konzerne können sich ja nicht zusammensetzen und eine Aufteilung des Marktes beraten, die allen Luft zum Atmen lässt und allen gute Gewinne garantiert, denn damit würden ja die Regeln des Kapitalismus verletzt. Wenn sie dies wirklich einmal tun, so bilden sie vielmehr Kartelle, was die anderen Konkurrenten oft detoniert.

Karl Marx

Erst im Sozialismus wird die Gesellschaft statt der Anarchie die sinnvoll geplante Produktion einführen, in der genau das und genau so viel hergestellt wird, was und wie man bracht. Dann kann man die Umwelt schützen, ohne durch die Konkurrenz gezwungen zu sein, Umweltregeln zu verletzen, dann kann man die Energiegewinnung so gestalten, wie es am sinnvollsten ist statt so, wie bestimmte Konzerne am meisten Profit haben. Dann kann man sich überlegen, wie man sinnvoll den Transport von Menschen und Gütern im Kurzbereich, im mittleren Bereich, im Fernbereich sowie im Interkontinentalbereich organisiert und dann entsprechend danach handeln.


Glaubenssatz Nr.2: Öffentliche und Staatliche Unternehmen müssen immer privatisiert werden, nur dann sind sie „effektiv“

Auch dies längst widerlegt. Was privatisierte Unternehmen an „Effektivität“ gewinnen, ist ein Profit für die Neu-Aktionäre – und auch das ist nicht sicher, siehe der Fall Telekom. Dass die Dienste der Firma für die Gemeinschaft effektiver werden, ist dagegen durch nichts garantiert, oft geschieht sogar genau das Gegenteil.

Man sehe sich nur an, was die Privatisierung der Bahn in England für Verschlechterungen gebracht hat. Selbst die „Süddeutsche“, sonst fast immer „His Masters Voice“, schreibt in einem Kommentar am 29.4.08: „...gab es, zumal in Frankreich und Großbritannien, Privatisierungskatastrophen: das Waterleau von Grenoble oder die Auflösung der British Rail. (...) Deutschland ist von solchen ganz großen Desastern verschont geblieben.“

Bis jetzt wurde die Bahn ja auch noch nicht privatisiert.

Argentina - Trainmaps

Die Privatisierung der Bahn in Argentinien kann man direkt an diesem Schaubild beurteilen: Fast alle Linien wurden eingestellt.

Speziell im Fall von Unternehmen, die einen unersetzlichen Dienst an der Gemeinschaft leisten, ist die Privatisierung fast immer zu einem Desaster für diese Dienste geworden. Das gilt besonders für Dienstleistungen wie Öffentlicher Transport (Bahn, Nahverkehr), Krankenhäuser, Kindergärten, -krippen und Horte, Sozialwohnungen, Schwimmbäder, Wasserwerke, Elektrizitätswerke, Schulen, Universitäten, Post-Dienste, Telefon-Dienste usw.

Die Erfahrungen sind fast durchweg schlecht. So hatte man das System der Elektrizität in Deutschland privatisiert und grossmäulig versprochen, nun werden die notwendigen Investitionen gemacht und durch die Vielzahl der privatisierten Firmen würde ein funktionierender Wettbewerb (Markt) entstehen, der die Strompreise drücken würde.

Das Ergebnis kann man nun besichtigen, nur eine Anzahl von Jahren nach den Privatisierungen. Die Strompreise sind immens angestiegen, von Konkurrenz kann keine Rede sein, denn im Kapitalismus gibt es generell die Tendenz zur Konzentration: Es sind praktisch nur drei grosse und ein paar mehr oder weniger bedeutende Stromunternehmen übriggeblieben. Auch ein massives Investieren in neue, alternative und umweltfreundliche Techniken hat nicht stattgefunden. Statt dessen versucht man, die längst abgeschriebenen Atomkraftwerke, die jetzt reine Goldgruben sind, weiterlaufen zu lassen, obwohl man schon lange nichts mehr dort investiert hat und sie längst Schrott sind.

Atomkraftwerke Deutschland

Gut für die Profite, schlecht für unsere Sicherheit.

Ausserdem werden massiv Kohlekraftwerke gebaut und die Braunkohlewirtschaft ausgebaut anstatt eingeschränkt.

Kraftwerk

Gur für die Profite, schlecht für die Umwelt und das Klima.

Energieverbrauch Deutscland

Dies Schaubild des Bundesministeriums für Wirtschaft zeigt: Es ist überhaupt keine Einschränkung des Verbrennens fossiler Energiequellen vorgesehen. Die alternativen Energien sollen bis 2030 Alibi bleiben.

In Deutschland würde sich das massive Investieren in die Gewinnung von Biogas aus Pflanzen, aus tierischen und pflanzlichen Abfallstoffen sowie Abfall-Holz und das Verbrennen dieses Biogases in Wohnnähe mit Elektrizitäts–Wärme-Verbund anbieten, weil damit die deutsche Landschaftsstruktur am besten ausgenutzt wird, die fast ausschliesslich aus bebauten bzw. versiegelten Flächen und landwirtschaftlich nutzbaren Flächen (inklusive zur Holzgewinnung genutzter Flächen) besteht.

Vor allem würde dadurch der mit Milliardensummen subventionierten Landwirtschaft ein neues und sinnvolles Betätigungsfeld eröffnet, ohne dass sie am Tropf der Subventionen hangen bleiben würde. Gleichzeitig würde die massive Abhängigkeit Deutschlands von importierten Energieträgern verringert und es würden dafür Milliardenbeträge eingespart ebenso wie jene, die heute für das EU-Landwirtschafts-Desaster ausgegeben werden. Man sehe sich das Beispiel des Bio-Energie-Dorfes Jühnde in Niedersachsen an (siehe hier ). Mit den eingesparten Milliarden der Subventionen könnte ein wesentlicher Teil des Programms finanziert werden. Eine win-win-win-Situation für den Staat, die Bürger und die Unternehmen. Doch nichts davon geschieht.

Stattdessen investieren e-on, Vattenfall und RWE in neue riesige CO2-Schleudern wie Kohlekraftwerke und intensivieren den Abbau von Braunkohle, der schmutzigsten Energie der Welt.

Auch die angebliche Notwendigkeit von Privatisierungen, um die Haushalte der jeweiligen Staaten (oder Länder oder Städte) auszugleichen, erweist sich als ein Schuss, der nach hinten losgeht. Die an die jeweiligen Staatshaushalte gehenden Verkaufserlöse stellen fast immer nicht einmal einen Bruchteil des Werts der Unternehmen dar, die da privatisiert werden, während der Abgang an Staatsvermögen dann weit höher ist und auf die Dauer auch praktisch zählen wird, denn die Kreditwürdigkeit eines Staates (oder eines Bundeslandes oder einer Gemeinde) hängt natürlich eng mit seiner Vermögenssituation zusammen und damit auch die Zinssätze, die man auf dem Markt zahlen muss.

Ein besonders beeindruckendes Beispiel hierfür war die Privatisierung des zweitgrößten Welt-Unternehmens im Bergbau, der Compania Vale do Rio Doce, einem brasilianischen Staatsunternehmen, des Ende der Neunziger-Jahre privatisiert wurde. Ungefähr ein Jahr vor der Privatisiereng fiel dies traditionell extrem gewinnträchtige Unternehmen (im wahrsten Sinne des Wortes eine Goldgrube, denn man besitzt einige der grössten Goldminen der Welt) plötzlich in rote Zahlen. Was da genau manipuliert wurde, kam nie ans Licht der Öffentlichkeit.

Der Preis, der für die ganze Firma erzielt wurde, entspricht etwa dem Wert von zwei heutigen Monatsgewinnen der Firma, war also absurd niedrig. Laut Angaben des brasilianischen Gewerkschaftsdachverbandes CUT wurde bei der Festsetzung des Mindestpreises, zu dem dann auch verkauft wurde, nur ein Bruchteil der Liegenschaften, des Vermögens und der Schürflizenzen überhaupt gezählt. Die Gewerkschaft hat daher die Forderung nach der Rückgängigmachung des Verkaufs aufgestellt, weil nachweisbar geschwindelt wurde.

Bereits ein Jahr nach der Privatisierung hatte die Vale, wie sie jetzt heißt, ihre alte Profitabilität wieder erreicht und ist heute der lateinamerikanische Konzern mit dem höchsten Profit.

Das Ganze stank kilometerweit nach Korruption. Der damalige brasilianische Präsident Cardoso von der konservativen PSDB hatte sich persönlich besonders intensiv für diese Privatisierung eingesetzt. Ob er persönlich Bestechungsgelder erhalten hatte, war nie durch eine unabhängige Untersuchung geklärt worden. Tatsache ist, er lebt seit seiner Abwahl im wesentlichen in den Vereinigten Staaten - um keinen Zweifel zu lassen, für welchen Imperialisten er Brasilien geführt hatte - und diniert nach Aussagen
seines politischen Verbündeten Lembo abends in einem New Yorker Restaurant, in dem ein Gläschen Cognac umgerechnet 300 Euro kostet.

Dieser Fall weist darauf hin: Privatisierungen und Korruption sind Zwillinge.

Auch in Deutschland haben wir ausführlich Erfahrungen mit der unmittelbaren Verbindung von Privatisierung und Korruption. Da war nicht nur die Kölner Müllverbrennung, da war speziell auch der Fall Baganz, über den hier berichtet wurde:

„Bürgermeister Baganz von Mülheim legte sich nämlich eine Geliebte zu, eine gewisse Ute Jasper, Rechtsanwältin ihres Zeichens und lebte dann auch mit ihr zusammen. Genau dieser Frau gab er einen millionenschweren (1,4 Mio. Euro) Beratervertrag mit der Stadt Mülheim, als Bürgermeister!

Sie war als ‚Beraterin’ dafür verantwortlich, daß beim Verkauf der städtischen Werte die RWE und nicht die Gelsenwasser die Wasserwerke bekommen hat, obwohl jene 80 Millionen mehr geboten hatte. Ähnlich verhielt es sich beim Verkauf der Mülheimer Entsorgungsbetriebs-Anteile. Den Zuschlag bekam - ohne Ausschreibung - die vor allem in Köln inzwischen gerichtsnotorische Trienekens.

Es wurde nie eindeutig bewiesen, ob und wieviel die Rechtanwältin und/oder ihr ‚Lover’ für diese Liebesdienste von RWE und Trienekens erhielten, aber der gesunde Menschenverstand ...“

Ein anderer besonders Aufsehen erregender Fall einer Privatisierung war die Privatisierung der Wasserwerke von La Paz in Bolivien. Der französische Suez–Konzern hatte sich diese unter den Nagel gerissen und sofort die Wasserpreise immens erhöht. Die arme Bevölkerung konnte die Wasserrechnungen nicht mehr bezahlen und hätte verdursten müssen. Suez blieb davon völlig ungerührt. Als die Bevölkerung begann, Regenwasser in Zisternen aufzufangen, um nicht zu verdursten, stellte Suez auch Rechnungen für das Regenwasser aus.

Nur durch einen praktischen Volksaufstand konnte diese Privatisierung rückgängig gemacht werden, was in unmitelbarem Zusammenhang mit den angesetzten Neuwahlen stand, aus denen der jetzige Präsident Evo Morales als Sieger hervorging.

Also? Privatisierung? Offenbar wird nichts gehalten, was man davon versprochen hat. Dagegen sind die negativen Auswirkungen für die Bevölkerung Legion.

Es gibt auch die positiven Gegenbeispiele von Firmen, die nicht privatisiert wurden und ein wichtiges Mittel sozialer Politik in den Händen der Regierung geblieben sind. Typische dafür ist die staatliche frühere Monopolgruppe Petrobras in Brasilien.

Logo Petrobras

Man löste zwar das Monopol auf und erlaubte anderen Ölkonzernen, in Brasilien tätig zu werden, man gab zwar Aktien aus für etwas weniger als die Hälfte des Kapitals der Gruppe, aber das Sagen behielt der Staat in der Petrobras (das brasilianische Aktienrecht gibt Minderheitsaktionären keine weitgehenden Rechte).

Erdöl 1

Das hat sich angesichts des steigenden Erdölpreises als segensreich erwiesen. Während in fast allen anderen Ländern die Erdölpreise auf die Benzinpreise durchschlugen und nur durch drastische Statistik-Manipulationen verhindert werden konnte, dass die Inflation in zweistellige Raten hineinwuchs, ist in Brasilien der Benzinpreis (so wie die an ihn gekoppelten Preise für Alkohol und - mit Eimschränkungen - Diesel) seit September 2005 an der Raffinerie gleichgeblieben, zu einem Zeitpunkt, als der Preis für Rohöl bei 60 Dollar pro Barrel lag. An biligeren Tankstellen in der Nähe von Raffinerien ergaben sich daraus Endverbraucherpreise für den Liter Benzin (Gasolina) von zwischen 2,20 und 2,30 Reais (etwa 83 bis 87 Euro-Cent) – die ganze Zeit bis heute, unverändert seit 2005.

Treibstoffpreise Brasilien
Benzinpreis (gasolina) in Brasilien Juli 2007

Treibstoffpreise Brasilien Juli 08
Benzinpreis Brasilien Juli 2008

Das wurde schlicht von der Regierung Lula beschlossen und die Petrobras hatte danach zu handeln. So konnte die ganze Zeit die Inflation in Brasilien am deutlichen Steigen gehindert werden und dies wirklich und nicht durch Statistik-Manipulationen. Auch in diesem Moment, in dem in vielen Ländern die Inflationsraten in die Höhe schiessen und nur noch durch dreistete Fälschungen in niedrigen Zahlen gehalten werden können, bleibt die Inflation in Brasilien unter 5%.

Natürlich musste die Petrobras dafür auf Profit verzichten, aber das war leicht zu verkraften, denn sie ist als ständig wachsender Rohölförderer zu einem der profitstärksten Unternehmen in ganz Lateinamerika geworden (im Moment an zweiter Stelle in Lateinamerika nach der schon erwähnten Vale). Näheres dazu in diesem Artikel: „Brasilien – die Insel der Glückseligen?“.



3. Glaubenssatz: Der Staat muss sich vollständig aus den Märkten heraushalten, sie regeln sich selbst

Nach diesem Glaubenssatz wird jede Überwachung oder gar Regulierung, ganz zu schweigen von einem direkten Eingreifen des Staates oder öffentlicher Stellen auf den Markt oder irgendeine auf dem Markt gehandelte Ware oder die Fabriken der Kapitalisten oder über die „freien Entscheidungen der freien Agenten des Marktes“, ganz zu schweigen von den Finanz-Dienstleistern abgelehnt, ja meistens sogar als „bolschwewistisch“ oder schlimmer gebrandmarkt.

Nun geschah aber etwas sehr „bolschewistisches“ in Berlin: Die Bankgesellschaft Berlin hatte spekuliert und war in Schieflage geraten. Die CDU Berlin war intensiv verwickelt, auch einige SPD-Politiker. Nun liess man aber die Bank nicht Pleite gehen und die Zocker die Folgen tragen, nein, der Berliner Steuerzahler wurde herangezogen, um die Fehlbeträge auszugleichen, die in die Milliarden Euro (mindestens 9,8 Milliarden Euro nach einer Zeitungsmeldung) gingen und um den armen Zockern unter die Arme zu greifen.

Das war ein direktes Eingreifen des Staates in das Geschehen des freien Marktes. Es war der Beweis, im Grunde ist der liberale Glaubenssatz nicht wirklich ernst gemeint. Man will eigentlich nur, dass der Staat nicht die Sauereien aufdeckt, die man macht und einfach alles als gottgegeben hinnimmt, was „die Wirtschaft“ (sprich: das Kapital) entscheidet.

In Wirklichkeit legt man sehr viel Wert auf das Eingreifen des Staates, wenn es gegen die Arbeiter und kleinen Leute geht und wenn dadurch die Kapitalrendite garantiert wird. Dann ist plötzlich der Staat sehr wichtig als Regulierer und ganz speziell natürlich als Steuereintreiber beim kleinen Mann, um das Geld in den Vorstandsetagen und Banken abzuliefern.

Housing Slump

Hatte man den Fall der Bankgesellschaft Berlin noch unter Ausnahmen von der Regel ablegen wollen, es war ja wirklich nur ein Fall in Jahren, so sind wir nun, am Beginn der internationalen Wirtschaftskrise und mit der Finanzkrise, die vor allem durch unseriöse Kreditvergabe auf der Basis von weit überhöhten Wertschätzungen von Immobilien, vor allem in den USA, ausgelöst wurde, in einen praktisch wöchentlichen Rhythmus von Eingreifen verschiedener Staaten in die Bankenwelt eingetreten, was den Glaubenssatz nun wirklich in der Luft zerrissen hat.

USA: Foreclosure Zwangsversteigerung

Deutschland war einer der ersten Staaten, der in diesem Fall eine Privatbank mit Namen IKB aus der Bredouille half mit Milliarden von Steuergeldern.

Und die Landesbanken, das war gleich die nächste Reihe von Fällen, in denen man Milliardenbeträge zur Unterstützung aus Steuergeldern plötzlich zur Verfügung hatte. Nun war plötzlich Geld da!

Das zauberten die gleichen Politiker aus dem Nichts, die uns immer und immer wieder mit einem Kuhblick in den Augen versichern, es sei kein Geld da, man könne wirklich beim besten Willen nicht einen Heller auftreiben für eine menschenwürdige Arbeitslosenunterstützung, für die benötigten Kinderkrippen, Kindergärten und Horte, für den öffentlichen Personennahverkehr, für ein Sozialticket auf diesem, für das Offenhalten von Schwimmbädern, für die Finanzausstattung von Universitäten, damit keine Studiengebühren gefordert werden, für die Einstellung von Lehrern, um die hohen Stundenausfälle auszugleichen und die Klassengrössen zu verkleinern, nein, für all dies, so hörten wir wieder und wieder, war kein Geld da. Es war kein böser Wille, wirklich nicht, nur man kann einem nackten Mann eben nicht in die Tasche greifen.

Doch nun, aus Quellen, die man uns vorsichtshalber vorenthält, sind Milliarden und Abermilliarden da, für die Landesbanken, für die KfW und was da noch alles kommt.

Aber da ist nicht nur in Deutschland plötzlich ausreichend Geld für so manches Geldinstitut da, auch in den USA wird mit 200 Milliarden Dollar aus Steuergeldern die Investmentbank Bear Stearns zum Verkauf fit gemacht. In Grossbritannien wird Northern Rock schlicht und einfach vom Staat übernommen und die gesamten Verluste aus dem Staatssäckel bezahlt.

Doch was nun in den Vereinigten Staaten der Krise endgültig den Garaus machen soll und sofort auf begeisterte Zustimmung der Anleger gestossen ist, geht noch weit darüber hinaus. Es soll eine Auffanggesellschaft gegründet werden, die den Banken, den Hedge Fonds, den Versicherern, schlicht jedem Finanzdienstleister, zu festgelegten Kursen alle faulen Papiere abnimmt, obwohl diese nicht einmal mehr das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben sind.

Das ist der absolute Freibrief. Jeder kann so viel gezockt haben wie er will, kann soviel verloren haben wie er will, die Lasten werden alle dem Steuerzahler auferlegt, während die Zocker und Verlierer heil davon kommen und sogar noch belohnt werden. Doch dies gilt nur für Finanzdienstleister. Für alle anderen bleiben die Regeln die vorherigen. Wer eine Firma hat und zahlungsunfähig wird, geht weiterhin den Bach hinunter wie ehedem. Warum sind nun alle Banken und sonstigen Finanzdienstleister von jeglichem Risiko in ihren Geschäften befreit? Warum lässt man Banken und Versicherungen wie auch Hedge Fonds nicht einfach Pleite gehen? Es könnten ja danach neue gegründet werden von jenen, die Kapital dafür haben.

Nun, die Antwort ist klar: Weil sie die Herrscher sind! Sie, das sind die grossen Banken und Versicherer, die Produktionsmonopole in ihrer Gesamtheit. Sie sind die Sonnenkönige, die absolutistischen Alleinherrscher. Die gesamte Gesellschaft ist nur dazu da, ihnen zu diesen. Sie sagen den Regierungen, was zu tun ist. Und jetzt ist Zahltag.

Ob sie mit der Rettung jedes einzelnen Finanzdienstleisters allerdings ihr System, den Kapitalismus, retten können, bleibt dahingestellt. Was allein der US-Steuerzahler dafür wird aufbringen müssen, wurde vorsichtig mit 800 Milliarden Dollar (auf englisch: 800 Billion dollars) veranschlagt, aber manche warnen schon, es könne bis zu 9 Billionen Dollar (auf englisch: 9 Trillion dollars) ausmachen. Das wäre das Ende des Dollars und damit das der USA als Supermacht.

Auch andere Länder mit grossen Brutto-Inlands-Produkten, wie Grossbrittanien , Frankreich und die Bundesrepublik wurden schon aufgefordert, eine ähnliche Auffanggesellschaft zu gründen.

Es ist Geld da!

Man sollte sich nun langsam daran gewöhnen, keinem Politker mehr zu glauben, der behauptet, es sei kein Geld da. Das Gegenteil ist bewiesen.

Von unseren Medien der Hofberichterstattung zu erwarten, dass sie bei ihren Freunden, den Politikern, doch bitte mal nachfragen, wo sie das Geld denn die ganze Zeit versteckt hatten, ist natürlich zuviel verlangt. Majestätsbeleidigung ist strafbar! Sie Wicht!

Der (Neo-)Liberalismus hat nun wirklich die Hosen herunter gelassen und jeder kann jetzt sehen, was an den Argumenten dran war: Sie waren nichts als der Versuch, die nackte unmenschliche kapitalistische Wirklichkeit hinter Scheinargumenten zu verstecken.


Teile dieses Dossiers waren schon in einem Artikel am 6.Mai 2008 veröffentlicht worden, aber hier wird nun der gesamte Überblick über das endgültige Ende des (Neo-)Liberalismus in Form eines Dossiers gegeben.

Veröffentlicht am 22. September 2008 in der Berliner Umschau

Originalveröffentlichung

Karl Weiss - Journalismus

Bürger-Journalist - Nachrichten-, Politik-, Brasilien- und Bilder-Blog

Willkommen / Impressum

Willkommen im Weblog Karl Weiss - Journalismus.
Der Weblog Karl Weiss - Journalismus ist umgezogen. neue Adresse: www.karl-weiss-journalismus.de
IMPRESSUM
Ich bin zu erreichen über weiss.karl@ rocketmail.com
Ich wünsche also allen (und mir) viel Spaß (und Ernst) mit diesem Blog.
Karl Weiss, Belo Horizonte, Brasilien

Artikel und Dossier der Woche

Artikel der Woche "CDU: Kein Anspruch mehr auf Demokratie und soziale Marktwirtschaft" Da wurde es von Frau Merkel vorhergesagt

Dossier der Woche "Dossier Klimakatastrophe" 10 Fragen und Antworten zur Klimakatastrophe

Suche

 

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Israel und der Konflikt...
ICH FRAGE MICH WARUM DIE JUDEN SO BRUTAL GEGEN DIE...
mik4777 - 30. Jan, 20:32
Abscheulich!!!
Wie man überhaupt im Ansatz auf den Gedanken kommen...
david3371 - 3. Okt, 19:02
Der Vatikan schützt die...
Sehr geehrter Herr Weiss, der Vatikan k a n n die...
MoMa - 6. Jan, 10:28
Fünf Jahre ist das jetzt...
Fünf Jahre ist das jetzt her!!! Die eine Immobilienkrise...
girico - 6. Mär, 13:34
Ich teile nicht diese...
Ein führender Landespolitiker oder ein wichtiger Geschäftsmann...
Nonkonformer - 21. Sep, 23:42

Status

Online seit 6504 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:09

Credits

Archiv

September 2008
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 3 
 6 
11
12
16
17
18
20
23
24
25
30
 
 
 
 
 
 

Alle Links in Popups öffnen

alle Links auf der aktuellen Seite in einem neuen Fenster öffnen 

Zufallsbild

Carnaval 11 - 71

kostenloser Counter

Blogverzeichnis - Blog Verzeichnis bloggerei.de

AbbauRechte
AlternativPolitik
Brasilien
Deutschland
Fussball
Imperialismus
InternetundMeinungsfreiheit
Lateinamerika
Medien
NaherOsten
Oekonomie
Sozialabbau
Umwelt
Willkommen
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren