Freitag, 13. November 2009

Neues Beispiel für die Schlag- und Schießwut deutscher Polizisten

Tennessee Eisenberg mit 12 Kugeln hingerichtet

Von Karl Weiss

Nur Aufklärung wolle er, beteuert der Bruder. Der Bruder von Tennessee Eisenberg, der mit zwölf Polizeikugeln im Körper hingerichtet wurde. Es geschah am 30. April 2009 in Regensburg, Bayern. Die Polizei wurde zu einem Haus gerufen, wo ein Mann sagte, er werde von einem anderen bedroht.

Tennessee Eisenberg

Als die Polizei dort ankam, hatte sich der andere Mann, der mit Tennessee Eisenberg in einer Wohngemeinschaft lebte, in ein naheliegendes Sonnenstudio geflüchtet. Tennessee wurde im Treppenhaus mit einem Küchenmesser in der Hand angetroffen. Statt ihn sachgemäß zu entwaffnen und zur Klärung der Umstände mitzunehmen (Entwaffnung von „Mann mit Messer“ gehört zu jeder Polizisten-Grundausbildung), beginnen die Polizisten auf ihn zu schießen. Insgesamt 17 Schüsse wurden abgegeben, 12 trafen nach einem vorläufigen Obduktionsbericht den 24-jährigen, davon ein Teil von hinten(!).

Der Bruder, der auf Erklärungen der Polizei wartet, bekommt keinerlei Antworten auf seine Fragen. Die Polizei mauert. Der zuständige Staatsanwalt hat bereits entschieden, es habe sich um „Notwehr“ gehandelt. In einer, wie von allen unabhängigen Beobachter bemerkt wurde, extrem schnellen Entscheidung hat die Staatsanwaltschaft jegliche Schuld von Polizisten geleugnet und alle beteiligen Polizisten wieder zum Dienst freigegeben.

Die Familie Eisenberg hat nun ein Anwaltsbüro in Regensburg beauftragt, zu klären, was wirklich vor sich ging und ob man von „Notwehr“ sprechen könne. Der Anwalt erklärt, es waren insgesamt sieben oder acht bewaffnete Beamte am Tatort und sie hatten es mit einem offenbar in einer Lebenskrise stehenden jungen Mann zu tun, der als „körperlich schwach“ beschrieben wird. Da kommt Notwehr nicht in Frage.

Die Polizei mauert bis hinauf zum obersten bayerischen Polizisten. Gutachten, u.a. ein ballistisches und eines auf Drogen im Blut sind bestellt, werden aber aus unerklärlichen Gründen nicht fertig.

17.Juni, Fragestunde im Landtag. Diese Fragestunde und ihre Vorgeschichte schildert die „Süddeutsche“ in einem Artikel vom 17.9. so:

"Die Opposition im Landtag erweckte den Eindruck, als handele es sich hier um ein lokales Ereignis, um einen kleinen Ausrutscher, der die große Politik nicht beschäftigen müsse. Erst drei Wochen nach dem Einsatz stellte die SPD einen Antrag, die Staatsregierung möge "sobald als möglich" über die Vorgänge in Regensburg berichten. Eine Woche später baten die Grünen um eine Stellungnahme der Regierung. Von der Regierungspartei FDP, die sich sonst so viel auf die Verteidigung der Bürgerrechte zugute hält, gab es nicht einmal eine Presseerklärung.

Am 17. Juni informierte der Innenminister dann den Innenausschuss des Landtags über die Ausschreitungen von Hooligans, und am Rande ging es dann auch noch ein wenig um Tennessee Eisenberg. Der Minister sagte - so gut wie nichts: "Die Art und Weise, in der der Polizeieinsatz eskalierte, ist auch für mich immer noch nicht begreifbar." Dieser Satz Herrmanns umreißt recht genau, was bis heute an Erkenntnisgewinn aus dem Ministerium drang.

Nicht begreifbar aber ist vor allem, dass für die Opposition damit alles gut war. Sie gab sich mit den Erklärungen zufrieden, dass man den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht vorgreifen könne.“

Diese Konzentration der Kritik auf die Opposition ist allerdings etwas verwunderlich, ist es doch die Regierung, die Amtsvorgesetze dieser Staatsanwaltschaft ist und die auf die unerklärlich schnelle Freisprecherei der Polizisten hätte reagieren müssen.

Es wird auf Zeit gespielt, bis das Interesse der Öffentlichkeit abgeflaut ist.

Inzwischen liegt schon der offizielle Obduktionsbericht vor. Die Polizisten hatten behauptet, sie hätten mit Schlagstoff-Einsatz und Pfefferspray versucht, Tennessee zu überwältigen, das sei aber nicht gelungen. Der Obduktionsbefund: Keine Spuren von Schlagstock-Einsatz oder Pfefferspray. Die Polizisten haben gelogen. Der Bruder fragt, warum sie nicht dazu stehen können, was sie getan haben.

Die Rechtsanwälte sind teuer. Die Familie hat ein Spendenkonto eingerichtet und eine Website unter www.tennessee-eisenberg.de/.

Der von den Polizeikugeln durchsiebte Mann kann bis heute nicht beerdigt werden, weil die Leiche noch nicht freigegeben ist. Die Familie kann zu keinem Grab gehen. Da alles offen ist, kann man nicht trauern. Die Nicht-Freigabe einer Leiche über 4 Monate ist einsamer Rekord.

Am 17.9.2009 gab es Neuigkeiten. Ein von der Familie des Opfers in Auftrag gegebenes Gutachten wurde veröffentlicht. Der Gutachter belastet einen der Schiess-Polizisten schwer: Die letzten vier Schüsse, von denen einer der tödliche war, wurden in einer Situation angegeben, als der Student bereits von vielen Kugeln getroffen war und keinerlei (auch nur theoretische) Gefahr mehr darstellen konnte. Auf die grundlegende Frage, dass ein geistig verwirrter, schwacher Mann mit einem Messer sowieso keine Gefahr für sieben oder acht bewaffnete Polizisten darstellt und daher von Notwehr keine Rede sein kann, geht auch dieses Gutachten nicht ein.

Die „Süddeutsche“, die immerhin drei Artikel über den Fall veröffentlichte, hat nichts weiter geschrieben. Einer der Artikel war überschrieben: „Tod nach Polizeiaktion“. Nein, nein, er ist nicht unter dem Kugelhagel von Polizisten zusammengebrochen, er ist nach einer nicht näher genannten Polizeiaktion gestorben. Nun, sterben müssen wir ja alle, nicht?

Nun lasst uns alle Tennessee Eisenberg vergessen. Im Grunde nicht wichtig, wenn unsere Polizei mordet, oder?


Veröffentlicht am 13. November 2009 in der Berliner Umschau


Zusatz zum Artikel

Gerade rechtzeitig zu diesem Artikel kam ein Offener Brief von Regensburger Bürgern an die Bayerische Justizministerin (Fachvorgesetzte aller Staatsanwälte in Bayern):

Offener Brief an Justizministerin Beate Merk

Sehr geehrte Frau Merk,

wir als Regensburger Bürger fordern, dass endlich ein Richter mit dem Fall Tennessee Eisenbergs betraut wird, um den Einsatz neutral, wahrheitsgetreu und nach rechtsstaatlichen Prinzipien aufzuklären.

Eine solche Aufklärung des Polizeieinsatzes durch ein unabhängiges Gericht liegt nicht nur im Interesse der Angehörigen. Sie liegt nicht nur im Interesse der beteiligten Polizisten. Sie liegt im Interesse einer aufgeklärten Öffentlichkeit, die weiter auf die Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaat und ihrer Organe vertrauen können will. Die bisherige Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft trägt eher dazu bei, dieses Vertrauen zu untergraben.

Unmittelbar nach dem Einsatz spricht der Leitende Oberstaatsanwalt Günther Ruckdäschel von Notwehr. Diese Bewertung gibt er ab, obwohl ihm noch keinerlei Details bekannt sind. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann schließt sich dieser Auffassung wenig später an.

Der von den Ermittlungsbehörden eingeschaltete Gutachter untersucht den Leichnam weder auf Schlagstockeinsatz noch auf Pfefferspray, er skizziert keine Schusskanäle und erstellt keine Gewebepräparationen. Blutspritzer an der Wand werden ausdrücklich nicht berücksichtigt. Die beteiligten Polizisten werden tagelang nicht vernommen. Es vergehen fast drei Monate, bis die Ermittlungsakten vorliegen. Die Rechtsanwälte der Familie erhalten erst nach mehrmaligem Nachhaken Einsicht.

Auf eigene Kosten gibt Tennessees Familie ein Privatgutachten in Auftrag, das belegt: Es gibt keine Spuren von Pfefferspray im Gesicht oder in den Augen von Tennessee, es gibt keine Spuren eines Schlagstockeinsatzes. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die vier Schüsse, die Tennesssee schließlich getötet haben, erst abgegeben wurden, nachdem sich kein Polizeibeamter mehr in Gefahr befunden hat. Der Schütze stand demnach an der Eingangstür, etwa eineinhalb Meter von Tennessee entfernt, der zu diesem Zeitpunkt bereits von acht Kugeln getroffen war. Die Position des Schützen hat der Gutachter anhand der Blutspritzer und der Zeugenaussagen der Polizisten rekonstruiert, die das LKA zuvor bewusst ignoriert hatte.

Das ist der momentane Stand der Dinge. Nach wie vor ist nicht absehbar, wann, geschweige denn, ob die Staatsanwaltschaft Anklage erheben wird, und damit ein Gerichtsverfahren einleitet. Dabei gibt es ausreichend Gründe, um anzunehmen, dass staatliche Gewalt unverhältnismäßig und überzogen angewendet wurde. Es gibt erhebliche Zweifel daran, dass die Aufklärung des Einsatzes ausgewogen und mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt wurde. Von Transparenz kann ohnehin keine Rede sein. Im Gegenteil: Es drängt sich der Eindruck auf, dass die ermittelnden Behörden alles getan haben, um die viel zu frühe Bewertung „Notwehr“ durch ihre Untersuchungen zu untermauern. Erst ein privat finanziertes Gutachten brachte neue Fakten und Gesichtspunkte zutage, nicht die Staatsanwaltschaft Regensburg, nicht die Kripo Amberg und nicht das Landeskriminalamt. Das untergräbt das Vertrauen in unseren Rechtsstaat.

Die weitere Bewertung der Fakten und Beweise kann nicht länger Polizei und Staatsanwaltschaft vorbehalten bleiben. Das ist – nach sechs Monaten Ermittlungsdauer – nun Aufgabe eines unabhängigen Richters. Daran müssen alle, denen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie am Herzen liegen, ein Interesse haben. Und das Wichtigste: Darauf haben alle, die auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie vertrauen sollen, ein Anrecht.

Dieses Recht fordern wir ein und wenden uns dabei ausdrücklich auch an Sie, Frau Beate Merk, als weisungsbefugte Justizministerin: Es ist Zeit, der Wahrheit auf den Grund zu gehen!
Geben Sie das Verfahren in neutrale Hände!

Mit freundlichen Grüßen,

Die Regensburger Bürger

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