Donnerstag, 9. September 2010

Sarrazin und die Welt rechts aussen

Integration wird bewusst verhindert!

Von Karl Weiss

Nun ist also Sarrazins Buch draussen, einige haben es schon gelesen und einige Rezensionen liegen vor. Nur hat offenbar kaum einer begriffen, was eigentlich vor sich geht. Es geht darum, dem Linkstrend in der Bevölkerung zu stoppen und möglichst umzukehren. Die Herrschenden sind aufs Extremste alarmiert, denn der Fortgang des Linkstrends in der bisherigen Geschwindigkeit würde auf das Ende des Kapitalismus in der Frist von Jahren, höchstens Jahrzehnten, hinauslaufen. Tatsache ist, in der Bundesrepublik verhindert die Politik mit allen Mitteln die Integration von Islamis, um eine Sarrazin-Debatte anstossen zu können, so wie jetzt.

Sarrazin

Das herrschende Monopolkapital und seine Politiker hoffen offenbar, wenn man die Gefahr des Überrollt-Werdens von "Islamisten" nur gross genug an die Wand malt, würden die Bundesbürger davon ablassen, immer weiter nach links zu rücken (man sehe nur eine der letzten Umfragen: „Neun von zehn Deutschen fordern neue Wirtschaftsordnung“.

So liess man denn Sarrazin (bzw. einen oder mehrere Schreiberlinge) eine Szenerie entwickeln, die in etwa auf folgenden massenhaften Fehlschlüssen beruht:

1. Die Deutschen würden weiterhin sinkende Geburtenraten in den nächsten hundert Jahren haben, während die islamischen Einwanderer ihre Geburtenraten ständig steigern würden, was dann in hundert Jahren auf eine „Übernahme Deutschlands“ durch den Islam hinausliefe.

Geburtenraten (oder andere Dinge) in einem Land über 100 Jahre vorauszusagen, ist genauso lach- und fehlerhaft wie alle Voraussagen über das Jahr 2000 in den Sechziger- und Siebziger Jahren.

Machen Sie sich den Spass und lesen sie, was man damals alles voraussagte – und das waren nur 30 oder 40 Jahre – Sarrazin aber weiss die Dinge 100 Jahre voraus! (z.B. hier einiges: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-16098361.html , wenn Sie ein wenig googeln, finden Sie noch viel, viel, mehr).

In Wirklichkeit werden sich die Geburtsraten im gleichen Masse angleichen, wie beide Bevölkerungsteile sich integrieren. Unmöglich genau vorauszusagen, wie lange das dauert. Längere Zeiträume kommen immer nur dann vor, wenn sich, wie in Berlin, ausgesprochene Ghettos bilden, in denen nur Ausländer aus einem Kulturbereich leben. Eine vernünftige Wohnungsbaupolitik mit staatlich geförderten Wohnungen kann dem leicht abhelfen – allerdings will man das offensichtlich in der Politik nicht.

2. Islamische Einwanderer seien immer und genetisch bedingt dümmer als Deutsche. Dadurch würde die Intelligenz generell abnehmen in Deutschland und die nötige Weiterentwicklng der deutschen Wirtschaft sei gefährdet.

Das ist hanebüchen, ja fast eine Lachplatte. Zunächst: Wer über Intelligenz spricht, ohne sie überhaupt definiert zu haben, ist ein Gaukler und Bauernfänger.

An verschiedenen Stellen wird sich auf Intelligenz nach Intelligenztest bezogen (Intelligenz-Quotient = IQ).

Die kann aber nicht genetisch bedingt sein, denn jeder halbwegs intelligente gebildete Erwachsene, der 3 Monate auf Intelligenztests büffelt, kann sein Ergebnis um 10 bis 20 Punkte steigern. Was erlernbar ist, kann nicht genetisch bedingt sein.

An anderer Stelle im Buch wird Intelligenz ganz anders definiert. Da wird nämlich der intelligente Teil der deutschen Frauen erwähnt, das seien die mit Hochschulabschluss (die ja zu wenig Kinder bekommen). Nun ist es unter allen Wissenschaftlern, die über dies Theama arbeiten, einstimmig, dass die Fähigkeiten, um einen Hochschulabschluss zu erlangen, praktisch vollständig erlernt sind und bestenfalls eine Art von Grundintelligenz vorhanden sein muss, die sowieso alle Menschen ausser Geistesgestörten oder Gehirnkranken bzw. solchen mit genetischen Störungen haben.

An der Stelle mit den Akademikerinnen, die keine Kinder bekommen, lässt Sarrazin auch einen seiner typischen Zahlenspielertricks los. Er behauptet, 40% der Akademikerinnen in Deutschland hätten keine Kinder und weist auf eine Quelle hin, nur in dieser Quelle steht: 24%! Und da sind noch die drin, die noch jünger sind und ihren Kinderwunsch auf später verschoben haben.

Damit bricht aber ein entscheidender Pfeiler seiner Theorie zusammen und das ganze Gebäude stürzt ein.

Wo soll da etwas genetisch bedingt sein?

Es gibt allerdings auch andere Definitionen von Intelligenz, die davon ausgehen, dass die Kapazitäten, Tendenzen und Vorlieben von Menschen sehr wohl auch genetisch angelegt sein dürften, nur ist das bestenfalls eine Tendenz, die dann während des Lebens ausgefüllt werden muss – und damit ist schon wieder nichts mehr wirklich genetisch bedingt.

Ausserdem bezieht sich diese Anschauung auf die unterschiedlichen Typen der Intelligenz, also soziale Intelligenz, mathematische Intelligenz, Sprach-Intelligenz, Musik-Intelligenz usw.

Kurz, bereits das Herangehen ans Thema ist ohne Sinn und Verstand (oder sollte man vielleicht sagen „ohne Intelligenz“?) – somit kann auch keine der Schlussfolgerungen einen Sinn ergeben.

3. Islamische Einwanderer hätten bereits bewiesen, sie seien nicht integrationsfähig. Alle anderen Gruppen von Einwanderern hätten sich in maximal 2 Generationen angepasst, nur die Mohammedaner könnten nicht integriert werden. Das sei durch die Religion bedingt.

Sämtliche Aussagen dieses Teils stimmen nicht. Vor allem hat Sarrazin (oder haben seine Schreiberlinge) „vergessen“ zu erwähnen, warum eigentlich eine erkleckliche Anzahl von islamischen Menschen nach Deutschland kam. In den 50er und 60er Jahren bis in die 70er hinein waren nämlich Werberkolonnen aus der Bundesrepublik in verschiedenen Ländern und dort besonders unter der ärmeren, ländlichen Bevölkerung unterwegs gewesen, in Griechenland, in Italien, in Spanien und eben in der Türkei wie auch in geringerem Masse in anderen Ländern.

Deutschland brauchte dringend Hilfsarbeiter, denn das deutsche Wirtschaftswunder war noch auf Handarbeit aufgebaut und die Deutschen waren zu wenige, als dass daraus ein Wunder hätte werden können.

So kamen eben auch aus der Türkei – und dort vor allem aus dem armen Landesinneren, aus Anatolien, wo der Islam noch kräftig praktiziert wurde, zunächst nur die Männer, die in Ausländerwohnheimen untergebracht wurden. Doch niemand ist gern lange allein. Schon in den 70er Jahren hatten viele das ihnen zustehende Recht wahrgenommen, ihre Frau nachgeholt und dann auch die Kinder. Diese Kinder haben oft heute schon wieder Kinder. Diese Kinder der dritten Generation sprechen oft schon kein akzentfreies türkisch mehr. Unter normalen Umständen hätten sie längst die deutsche Staatsbürgerschaft haben müssen, wenn nicht aus einer teuflischen Zusammenarbeit von CDU, SPD und türkischer Regierung alles getan würde um dies zu verhindern.

Das ist der bei weitem grösste Teil der „islamischen Einwanderer“. Der Anteil von Arabern dagegen, der von Iranern, von Irakern, von Afghanen, Palästinensern und Bosniern dagegen ist gering, allerhöchstens 20 %, alle zusammen genommen. Dazu kommt, hier werden auch kaufkräftige, hochgebildete Araber mitgezählt, die perfekt in Deutschland integriert sind, so wie ein Jordanier, den der Bürgerjournalist in Deutschland kannte. Es gibt Saudis mit Hochschulabschluss, Algerier, die Künstler sind, Tunesier als Facharbeiter, und so weiter und so weiter.

Sicherlich sind Personen mit einem niedrigen Bildungsniveau schwerer zu integrieren als hochgebildete, aber die wurden eben damals gesucht und sie haben dies hochindustrialisierte Deutschland mit aufgebaut. Weder moralisch noch nach internationalem Recht darf auch nur einer von ihnen in die Türkei zurückgeschickt werden, die viele der zweiten und dritten Generation ja auch nur von Besuchen kennen. Das Zurückschicken bzw. alternativ Verhungern-lassen ist ja die Konsequenz, die Sarazin unausgesprochen empfiehlt.

Das haarsträubendste ist aber vor allem die Behauptung, alle Nicht-Muslims würden sich perfekt und in kürzester Zeit integrieren. Wenn man jeweils exakt Menschen mit gleichen Bildungsstand vergleicht, so wird man feststellen, das ist gelogen.

Der Bürgerjournalist war in den 80er-Jahren mit einem italienischen Arbeiter befreundet, der ihn oft zu italienischen Festen einlud. Da konnte man dann die Menschen aus dem armen Süden Italiens sehen, viele der Frauen ohne Deutschkenntnisse, ihre alten Traditionen hochhaltend, die Kinder mit Problemen in der Schule, ohne gute Deutschkenntnisse – kurz, ein Ebenbild der türkischen Gemeinden - und all das ohne den Islam, alles ganz katholisch.

Später gingen sehr viele dieser Arbeiterfamilien, die sich noch nicht integriert hatten, freiwillig wieder in ihr Heimatland zurück (wie auch der Freund des Bürgerjournalisten), das ja schon in der EG und später EU war. Das war für die Türken aus offensichtlichen Gründen nicht so leicht, und so werden sie sicher mehr Zeit brauchen, sich anzupassen. Aber nichts lässt vermuten, sie würden, soweit sie in Deutschland bleiben, dies nicht tun oder gar mit allen Kräften vermeiden.

Sieht man zum Beispiel die erhebliche polnische Einwanderung im 19. Jahrhundert ins Ruhrgebiet, wo damals die Kohle-Zechen und die aufblühende Stahlindustrie Arbeitskräfte brauchte, so sind die Auseinandersetzungen dieser „nicht integrierwilligen“ Einwanderer mit den Alteingesessenen Legende. Bis tief ins 20. Jahrhundert zog sich die Assimilation hin, während wir es heute völlig normal finden, wenn wir mit einem Deutschen mit Namen Sawitzki, Podolski oder Szymaniak zu tun haben. Im Ruhrgebiet findet man bis heute fast kein Mietshaus, wo man nicht polnische Namen an den Klingeln findet.

Auch die USA, welche Sarrazin (oder seine Schreiberlinge) immer wieder als Vorbild heranziehen, sind ein schlechtes Beispiel für die verwegene Behauptung, alle anderen würden sich in maximal 2 Generationen integrieren. In einigen US-Städten gibt es bis heute Italiener-Viertel, wo die 6. oder 7. (oder mehr) Einwanderergeneration streng abgeschieden vom Rest der Einwohner ihre Traditionen pflegen (die Mafia in diesen Vierteln ist bereits mehrfach verfilmt) – ganz zu schweigen von den typischen Chinesen-Vierteln in einigen grossen US-Städten, wo man sich wirklich wie in China vorkommt.

Auch hier in Brasilien, ebenfalls ein Einwandererland, gibt es solche Beispiele. Die Japaner zum Beispiel, die in São Paulo schon viele Generationen im Stadtteil Liberdade weitgehend abgeschieden vom Rest der Stadt leben, haben sich viele ihrer Traditionen bewahrt. Der Bürgerjournalist ist, als er in São Paulo lebte, gerne hingefahren und hat sich einen Topf voll Jaksoba zu niedrigen Preisen geholt. Die ältere Frau, die da kochte, sprach kein Wort Portugiesisch, nur Japanisch.

Zusammengefasst: Integration von Ausländern in Deutschland funktioniert, soweit sie nicht politisch verhindert wird. Sie funktioniert nicht, wenn man verhindert, dass die in Deutschland Geborenen ihr Recht auf einen deutschen Pass bekommen und wenn man die Ghettoisierung zulässt bzw. sogar fördert, so wie speziell in Berlin (es gibt in keiner anderen deutschen Stadt auch nur halbwegs vergleichbare Zustände wie in Berlin).

Schwierigkeiten mit der Assimilation gibt es keineswegs nur mit Mohammedanern. Eine vernünftige Staatsbürgerschafts- und Wohnungsbaupolitik mit stattlich geförderten Wohnungen in gemischten Viertel würde diese Schwierigkeiten schnell ausräumen. Wer sich nicht anpassen kann, wird sowieso zurückgehen. Und integrierte Ausländer werden schnell dieselben Geburtenraten haben wie die Deutschen.

Nun wäre in Wirklichkeit ein sachliche Widerlegung von Sarrazins Thesen gar nicht nötig gewesen. Im Grunde weiss jeder, es gibt den Popanz nicht, den er da aufbaut.

Es ist genauso wie mit Hitler, der die bereits bestehenden Tendenzen des Antisemitismus ausnutzte, um die Juden zum Gespensterbild des Untergang Deutschlands zu machen. Heute versucht Sarrazin - und mit ihm auch einige seiner Unterstützer – ganz zu schweigen von der NPD und „Pro Deutschland“ – bereits bestehende Vorurteile gegen scheinbare Islamisten auszunutzen, um wiederum den Untergang Deutschlands an die Wand zu malen.

Auch wenn er damit zeitweise ein wenig Eindruck macht, es wird ihm genauso gehen wie Schill und anderen Populisten. Das Ziel von Populisten ist es immer, von den wirklichen Tätern, den Herren in den Vorstandsetagen von Banken und Konzernen abzulenken und andere Schuldige für die „schlechten Zeiten“ zu finden. Lassen wir uns nicht für dumm verkaufen!

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