Deutschland - Schöne neue Schäuble-Welt
Von Karl Weiss
Einen bemerkenswerten Vortrag hat die Justizministerin der Kohl-Regierung Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) am 7. Mai 2007 auf einem Datenschutzkongress in Berlin gehalten. Sie warf der Bundesregierung nicht mehr und nicht weniger vor, als „den verfassungspolitischen Aufstand zu proben“. Sie bezog sich dabei auf den „Schäuble-Katalog“ und die anderen Schritte zum Überwachungsstaat.
Sie erklärte klar, ein autoritärer Staat werde versucht einzuführen und das Grundrecht aller Bundesbürger auf informationelle Selbstbestimmung werde versucht auszuhebeln, also das Recht, nicht ohne konkreten Verdacht Eingriffe in seine persönlichen Daten und sein Leben hinnehmen zu müssen. Der vom Bundesverfassungsgericht (BVG) ausdrücklich geschützte „Kernbereich privater Lebensgestaltung“, der nur bei konkreten Verdachtsmomenten angetastet werden dürfe, sei der Ausforschung aufgrund völlig undefinierter eventuell anstehender „zukünftiger Gefahren“ ausgesetzt.
Damit sagt sie, auch wenn sie es nicht so ausgedrückt hat, die schwarz-rote Koalition sei dabei, einen Staatstreich durchzuführen und das Grundgesetz zu einem Haufen unnützen Papier zu machen. Oder mit anderen Worten: Der Verfassungsfeind ist Schäuble, der Chef des „Verfassungsschutzes“.
Schäuble, hier bei der Ehrung des Faschisten Filbinger
Die, wie sie es nennt, „freiheitliche Gesellschaftsordnung“ sei auf den Ideen der Aufklärung (John Lockes, Charles de Montesquieus) basiert, was im Grundgesetz an vielen Stellen zum Ausdruck komme. Stattdessen sei eine „leviathanische Ordnung“ angestrebt, das wäre etwa mit dem deutschen Kaiserreich 1871 bis 1918 zu charakterisieren.
In ihrem Vortrag „Grenzen der Freiheit und das Unbehagen an der Überwachung“ auf der vom Handelsblatt und Euroforum veranstalteten Tagung nannte die Ex-Ministerin mit dem unaussprechlichen Namen diese Bestrebungen ein „verfassungspolitisches Desaster“ und bezog sich auf folgende neue Gesetze, Verordnungen und Praktiken:
- Der große Lauschangriff (Abhören von Wohnungen Verdächtiger)
- Die neuen Befugnisse des Zollkriminalamtes (Heimliche Überwachung des Brief-, Internet- und Telefonverkehrs)
- Das niedersächsische Polizeiaufgabengesetz (Telefon- und Internetüberwachung, Personenortung, Verbindungsdatenerfassung, Überwachen von Begleit- und Kontaktpersonen, „vorsorgende Strafverfolgung“)
- Die Rasterfahndung (Fahndungserfassung von Hunderttausenden oder Millionen von Bundesbürgern ohne Anfangsverdacht)
- Das Luftsicherheitsgesetz (Abschießen von Verkehrsflugzeugen)
- Die Novelle der Telekommunikationsüberwachung (Speichern aller Telefon-, Handy- und Internet-Kommunikationen der gesamten Bevölkerung)
- Neuregelung der akustischen Wohnraumüberwachung (das läuft auf etwas extrem vergleichbares mit dem ‚Großen Lauschangriff’ hinaus)
- „Präventive“ Rasterfahndung durch das Bundeskriminalamt
- On Line-Durchsuchungen (Bundestrojaner)
- Neufassung des Zollfahndungsgesetzes (Heimliche Überwachung von Brief-Telefon- und Internet-Verkehr ohne konkreten Tatverdacht; ist dies für die Zollfahnder erst einmal durchgesetzt, sind die gleichen Rechte für die Polizei nur noch ein Katzensprung)
- Änderungen des Pass- und Mautgesetzes (elektronischer Fingerabdruck und andere biometrische Merkmale im Pass mit genereller Lagerung der Daten aller Bundesbürger, Verwendung der Mautdaten zur Verfolgung und Ortsbestimmung von Personen ohne konkreten Anfangsverdacht)
- „Anti-Terror-Datei“ (Zusammenschalten der personenbezogenen Datensammlungen von Polizei und Geheimdiensten, Aufhebung der Trennung von Geheimdiensten und Polizei)
Als charakteristisch nennt die Ex-FDP-Ministerin die bei der Neufassung des Zollfahndungsgesetzes installierte Formulierung, die Gewinnung von Erkenntnissen aus dem Privatbereich abgehörter Personen sei nur noch dann unzulässig, wenn sie ALLEIN erfasst würden, oder mit anderen Worten, ist bei einem abgehörten Telefongespräch auch nur eine Aussage vorhanden, die eventuell auf die Vorbereitung einer möglichen Straftat hindeuten könnte, ist das gesamte Gespräch mit allen persönlichen Details legal verwendbar. Dabei ist besonders kennzeichnend, dass nur noch allgemein von „Straftaten“ gesprochen wird. Da könnte also zum Beispiel das Vorbereiten einer Graffiti-Sprüherei zum Vorwand dienen, das gesamte Privatleben von Personen auszuforschen.
Was die Ex-Ministerin nicht gesagt hat, allerdings beim Lesen der entsprechenden Verweise zu Artikeln über diese Fälle auffällt: Es geht bei der ganzen Sache überhaupt nicht gegen den Terrorismus, also Anschläge auf unbeteiligte Zivilpersonen (woher auch, solche Anschläge werden ja gar nicht durchgeführt in Deutschland, außer von Faschisten – und die sind nicht gemeint), es geht um etwas ganz anderes: Man hat Angst vor der wirklichen Opposition, die der Bevölkerung, die nicht im Parlament vertreten ist.
Montagsdemo in Stuttgart; im Hintergrund zwei Polizeiwagen, aus denen ununterbrochen gefilmt und fotographiert wurde
Das wurde zum Beispiel bei den konkreten Fällen des niedersächsischen Polizeiaufgabengesetzes deutlich: Einer der Fälle, in denen das gesamte Privatleben ausgeforscht wurde, war ein Student, der im Verdacht stand, an Kundgebungen gegen die Atom-Castor-Transporte teilgenommen zu haben.
Der damalige Kläger gegen das Gesetz hatte in der Begründung für seine Betroffenheit vorgebracht, er gehe regelmäßig in eine Kneipe, in der eine Lenin-Büste aufgestellt ist und spreche dort mit den Leuten, daher falle er möglicherweise unter die Definition der betroffenen Personen (die eventuell in der Zukunft eine Gefahr für das eventuelle Verüben von Straftaten darstellen könnten).
Daher weht der Wind. Den „Sozialstaat“, den es in Wirklichkeit sowieso nie gab, haben wir abgeschafft, jetzt müssen wir mit dem Widerstand des Volkes rechnen und dagegen müssen wir eine umfassende Stasi-Praxis einführen.
Schöne neue Schäuble-Welt!
Artikel veröffentlicht in Journalismus-Nachrichten von heute am 15. Mai 2007
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