Dossier Totale Kreislaufwirtschaft, Teil 2
Den Widerstand gegen den Kapitalismus organisieren!
Von Karl Weiss
Wenn die Menschheit nicht schnellstens aufhört, in völlig unverantwortlicher Weise die vorhandenen Ressourcen im Raubbau-Verfahren zu gebrauchen und zu vernichten, wird nichts für die kommenden Generationen der Menschheit mehr übrig sein, das ihnen noch ein Leben auf dem uns heute geläufigen Niveau gewährleisten könnte.
Würde in der nicht weit entfernten Zukunft ein Geschichtsbuch geschrieben, so würde im Kapitel „Warum wir solche Probleme mit Rohstoffen haben“ zweifellos in etwa folgender Text über unsere Zeit stehen:
„Am Ende des zwanzigsten und am Anfang des 21. Jahrhunderts wurden die auf der Erde vorhandenen wichtigen Rohstoffe in unverantwortlicher Weise verbraucht und vernichtet, obwohl es zu diesem Zeitpunkt bereits die Technologien gab, die einen solchen Raubbau völlig unnötig machten.
Die Gesellschaften damals wurden vollständig dominiert von den Besitzern und Managern von Grosskonzernen und –banken und deren Beauftragten in der Politik. Sie kümmerten sich nicht im mindesten um einen vernünftigen Gebrauch der vorhandenen Ressourcen, sondern wollten ausschliesslich die Profite erhöhen. Dadurch wurde verhindert, dass die damals schon bekannten Techniken eingesetzt wurden, um wertvolle Rohstoffe zu erhalten und für zukünftige Generationen zu bewahren.
Der schreiendste Missbrauch wurde mit dem Erdöl, dem Erdgas und der Kohle betrieben, die wir heute unter grössten Schwierigkeiten aus zähen Schlämmen und aus entlegenen Tiefen heraufholen müssen. Die riesigen vorhandenen Vorkommen wurden im wesentlichen verbrannt, um Energie zu gewinnen für Elektrizität, Heizung und Transport. Zu diesem Zeitpunkt waren aber längst alle Techniken für erneuerbare Energien bekannt und anwendungsreif, wie Solar, Erdwärme, Windkraft, Bio-Energieträger, Wellenkraft, Gezeitenkraft usw. Statt die vorhandenen Mittel zum Ersatz der fossilen Energieträger zu verwenden, wurden langjährige Kriege geführt, um sich die vorhandenen Quellen von Erdöl und Erdgas zu sichern. Diese Kriege kamen zusammen weit teurer als die vollständige Umstellung gekostet hätte.
Der bei weitem grösste Teil der gewonnenen und hergestellten Güter wurde nur einmal gebraucht und dann vernichtet. Obwohl die wichtigsten Recycling-Techniken, die wir heute verwenden, bereits bekannt und anwendungsreif waren, wurden diese Techniken nicht benutzt oder nur in geringem Masse, nämlich dann, wenn wiederum Konzerne Profit daraus schlagen konnten.
Als Beispiel sei genannt die Verwertung von Kunststoff-Abfällen in der damaligen „Europäischen Union“, Zahlen von 2007: 65% wurden verbrannt oder deponiert, nur 35 Prozent wurden verwertet, wurde angegeben. Wenn man genauer nachforscht, stellt sich heraus, die Zahlen waren noch viel schlechter: 20% der Gesamtmenge, angeblich „verwertet“, wurden ebenfalls verbrannt, denn man definierte einfach die Verbrennung zur Energiegewinnung als „Verwertung“, hierunter fällt u.a. die Verwendung von Kunststoff-Abfällen in Hochöfen zur Reduktion als Kohle-Ersatz. In Wirklichkeit wurden also nur 15% wirklich als Kunststoffe verwertet, so wie wir das heute mit fast allen Kunststoffen tun.
Die Tatsache, dass zum Beispiel solche Kunststoffe unter hohem Aufwand polymerisiert worden waren und die aus seiner Verbrennung gewonnene Energie dann (u.a.) dafür eingesetzt werden muss, um wieder einen solchen Kunststoff herzustellen, wurde ignoriert. Also schlichter Wahnsinn. Da diese erneute Herstellung des Kunststoffs aber wieder einem Konzern Profit brachte, wurde dies als vorteilhaft angesehen.
Aber der Wahnsinn war sogar noch unglaublicher: Diese Kunststoffe (damals wurde noch PVC verwendet, das nun schon lange verboten ist) erzeugten beim Verbrennen Dioxine, die der menschlichen Gesundheit damals schwer abträglich und für Tausende Fälle von Krebs, Allergien, Erbgutveränderungen und Sterilität verantwortlich waren. Trotzdem wurde weiter verbrannt, statt mit der ‚Totalen Kreislaufwirtschaft’ anzufangen.
Aber auch viele andere Wertstoffe wurden nicht oder nur in untergeordnetem Masse in einem Kreislaufverfahren der Wiederverwertung zugeführt, wie wir das heute mit 98, 99, oder manchmal 99,9% aller schon verwendeten Stoffe tun.
So kam es, dass Rohstoffe fast völlig verschwanden, z.B. Coltan, Cassiterit, Kobalt und Niob und bestimmte elektronische Geräte und Wekzeuge nicht mehr hergestellt werden konnten. Aber jener unglaubliche Raubbau war auch für die extremen Verknappungen von Kupfer und Uran, Zink und Chrom, Zinn und Aluminium, Tantal und Germanium, Lanthan und Beryllium, Silicium und Wolfram, Niob und Molybdän sowie vielen anderen verantwortlich.
Damals war es völlig üblich und wurde als normal angesehen, dass defekte Geräte nicht repariert, sondern vernichtet wurden. Wenn man alle Rohstoffe nicht nach ihrer Zugänglichkeit und ihrem Wert für die ganze Menschheit, auch die künftige, einschätzt, sondern nur nach den reinen Kosten des Raubbaus, dann kommen solche Irrwitz-Dinge heraus.
Soweit die als „Abfall“ falsch bezeichneten einmal verwendeten Güter nicht verbrannt, sondern auf Abfallhalden geworfen wurden, haben wir heute wenigstens die Möglichkeit, diese Halden systematisch aufzuarbeiten und daraus die benötigten Rohstoffe zu gewinnen. Demgegenüber war die Verbrennung dieses angeblichen „Abfalls“ eine in ihrer Grausamkeit uns gegenüber kaum zu beschreibende Brutalität, denn sie stahl der Menschheit unwiderbringlich einen wesentlichen Teil der Grundstoffe, die diese Erde ihr zur Verfügung gestellt hatte. Es war, als wollte man uns verdammen.“
Soweit also ein Zitat aus einem zukünftigen Geschichtsbuch. Nun ist dies ja kein Geheimnis, dies alles wurde zig mal gesagt und geschrieben, nur kümmert sich die Politik einen feuchten Kehricht darum.
Hier ein Zitat von einem Mahner aus einem Artikel der „Süddeutschen“ vom 8. Januar 2008. Er ist von Joseph Weizenbaum, einem der grossen Pioniere der künstlichen Intelligenz, ehemals Professor am MIT (Massachusetts Institut of Technology), heute 85 Jahre alt und in jener Phase des Lebens angelangt, in der man die Wahrheit sagen kann:
„Diese Wahl [der zu bearbeitenden Themen von Naturwissenschaftlern] ist vom Zeitgeist der Kultur, in der sie getroffen wird, stark geprägt, fast determiniert. Es folgt, dass die Naturwissenschaft sowie die von ihr abgeleiteten Technologien nicht wertfrei sind.
Sie erben ihre Werte von den Werten der Gesellschaften, in die sie eingebettet sind. In einer hoch militarisierten Gesellschaft sind Wissenschaft und Technologie von den Werten des Militärs geprägt.
In einer Gesellschaft, deren Werte hauptsächlich vom Streben nach Reichtum und Macht abgeleitet sind, sind sie entsprechend gestaltet. Die Werte der Wissenschaft, eingebettet in eine vernünftige Gesellschaft, würden vernünftig, also human sein. Dann würden die von ihr abgeleiteten Technologien nicht mehr dem Tod dienen, sondern dem Leben. (...)
Der Glaube, dass Wissenschaft und Technologie die Erde vor den Folgen des Klimawandels bewahren wird, ist irreführend. Nichts wird unsere Kinder und Kindeskinder vor einer irdischen Hölle retten.
Es sei denn: Wir organisieren den Widerstand gegen die Gier des globalen Kapitalismus.
Das Bewusstsein, dass alle Menschen Geschwister sind, muss den Zeitgeist ersetzen. Kooperation statt Konjunktur, Bescheidenheit statt unbegrenzter Konsum, Ehrfurcht vor dem Leben statt Roboter: Diese Ziele müssen unsere heutigen Werte ersetzen.
Würde die weltweite Gesellschaft nur vernünftig sein, könnte das bis heute erreichte Wissen der Menschheit aus dieser Erde ein Paradies machen. In der Tat ist sie kein Paradies, sondern ein Irrenhaus - doch nicht, weil wir etwa nicht genug wissen.“
Zusammengefasst:
Dieses Irrenhaus könnte ein Paradies sein. Wir müssen dazu den Widerstand gegen die Gier des globalen Kapitalismus organisieren!
Veröffentlicht am 14. Januar 2008 in der Berliner Umschau
Originalartikel
Hier geht es zu Teil 1, zu Teil 3, zu Teil 4 und zu Teil 5 des Dossiers 'Totale Kreislaufwirtschaft'.