Langzeitarbeitslose in der Pflege von Demenzkranken
Von Karl Weiss
Die Bundesagentur für Arbeit, bekannt für ihre Statistikmanipulationen, die Millionen von Arbeitslosen scheinbar spurlos verschwinden lassen, hat einen neuen Coup vorbereitet: Man will „schwer vermittelbare“ Arbeitslose als Pfleger für Demenzkranke einsetzen. Vertreter der Pflege lehnen dies strikt ab: „Der Aktionismus der Behörden ist zynisch!“
In der Pflege von Demenzkranken, das sind vor allem von Alzheimer Betroffene, werden die höchsten Ansprüche in den Pflegeberufen gestellt: In der Regel ist eine Ausbildung als Sozialarbeiter, Krankenpfleger oder ähnliches gefordert. Vor allem aber müssen die möglichen Kandidaten in einem Kurs von mehreren Monaten auf die schwierigen Aufgaben dieses Pflegeberufs vorbereitet werden.
Wegen ihrer Orientierungslosigkeit werden Alzheimer-Patienten schon einmal gewalttätig. Dann muss der Pfleger oder die Pflegerin mit Härte vorgehen, aber ohne selbst gewalttätig zu werden. Dabei sein psychisches Gleichgewicht zu behalten und nicht der Versuchung zu unterliegen, die Kranken als Vieh zu behandeln, verlangt über die Ausbildung hinaus extrem gefestigte Persönlichkeiten.
Alzheimer-Kranke in mittlerem und fortgeschrittenem Stadium sind nicht mehr in der Lage, die Pfleger wiederzuerkennen – ganz zu schweigen von den eigenen Familienangehörigen. Sie sehen sich deshalb in einer Welt nur von Fremden umgeben, allein gelassen und unwürdig behandelt und reagieren entsprechend.
In der Endphase der Krankheit verlieren die Patienten praktisch vollständig die Erinnerung an die einfachsten Handlungen des täglichen Lebens. Sie können nicht mehr essen oder trinken, sie können sich nicht anziehen, sich waschen oder duschen, sie wissen nicht mehr auf die Toilette zu gehen, sind aber gleichzeitig bewusst und haben einen eigenen Willen. Dabei fühlen sie sich allein und ausgesetzt, denn sie erkennen niemanden mehr wieder und sind daher völlig verzweifelt. Da kann jeder verstehen, dies führt zu Verzweiflungstaten.
Diese Patienten zu betreuen ist daher eine der schwierigsten Aufgaben in der ganzen Pflege. Gefestigte Charaktere mit guter Ausbildung verstehen es aber, den Patienten Anhaltspunkte zu geben und sie so zu beruhigen. Das bedeutet, völlig Verzweifelten noch einen kleinen Rest von Lebensqualität zu ermöglichen.
Ausgerechnet in dieser Aufgabe will nun die Bundesagentur Personen unterbringen, die selbst schon Probleme genug haben. Sie müssen seit geraumer Zeit mit Hartz IV auskommen und werden in vielen Fällen von den Behörden erniedrigt, drangsaliert und mit dem Hungertod (Streichen der Leistungen) bedroht. Erfahrungsgemäss stärkt das nicht die Persönlichkeiten, sondern macht sie selbst zu Opfern.
Die Vorstellung, wie diese Arbeitslosen mit einem Schnellkurs von nicht einmal einem Monat zu verantwortlichen Pflegern für solche Patienten werden können, ist abenteuerlich. Es werden ausdrücklich keine Erfahrungen in der Pflege verlangt. So empört sich denn auch Helmut Wallrafen-Dreisow, Mitglied des Kuratoriums Deutsche Altenhilfe: „Demenz gleichzusetzen mit basteln, vorlesen und Spazierengehen, ist eine Unverschämtheit".
Es gibt etwa 30 000 arbeitslose Altenpfleger und Altenpflegehelfer, berichtet die „Tagesschau“ und eine grosse Zahl von Lehrstellen in diesem Bereich sind nicht besetzt. Stattdessen will man dort nun Langzeitarbeitslose einsetzen.
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hat den geplanten Einsatz von Langzeitarbeitslosen in der Pflege verteidigt. Die neue Betreuung von Demenzkranken in Pflegeheimen sei ... "ein großer Schritt voran". Nur befähigte Arbeitslose würden dazu vorgesehen. Aber das ist die gleiche Beruhigungspille, die man damals bei den Ein-Euro-Jobs verteilte. Nur zusätzliche Arbeitsplätze würden besetzt, keine normalen Arbeitsplätze umgewandelt. Jeder weiss, was wirklich geschah.
Es ist charakteristisch für unsere Politikerkaste und die ihnen unterstehenden Behörden, solche Ideen in die Welt zu setzen. Am Anfang meinen viele, so wie es bei Hartz IV geschah, das sei wohl nicht ernst gemeint und werde gar nicht verwirklicht. Doch dann wurde es - und jeder vernünftige Mensch beobachtet es mit offenem Mund, wie es so etwas in einem Land geben kann, das doch gerade noch als zivilisiert angesehen wurde.
Das gleiche geschah ja mit den Ein-Euro-Jobs. Als sie am Anfang vorgeschlagen wurden, gab es viele Stimmen, die sagten, das werde nicht greifen, denn das sei ja Zwangsarbeit, es gebe sowieso nur wenige Stellen, wo dies nicht reguläre Arbeitsplätze ersetzen würde usw. Doch die Politikerkaste meint, was sie sagt. Nur die Beruhigungspillen sind Lügen. Man ersetzte Zehn-, ja Hunderttausende von regulären Arbeitsplätzen durch Ein-Euro-Jobs, ohne mit der Wimper zu zucken.
Insofern müssen wir auch anfangen ernst zu nehmen, was Frau Merkel schon vor Jahren sagte: „Denn wir haben wahrlich keinen Rechtsanspruch auf Demokratie und soziale Marktwirtschaft auf alle Ewigkeit.“ (Siehe hier).
Auch das wird man konsequent umsetzen wollen. Der angebliche Sozialstaat ist sowieso schon den Bach hinunter gegangen, jetzt kommt die angebliche Demokratie dran, d.h. der völlige Abbau aller bürgerlichen Rechte.
Dieses System muss weg!
Veröffentlicht am 18. August 2008 in der Berliner Umschau
Originalveröffentlichung
Zusatz zum Artikel
Was im Artikel noch fehlte war, wie schon vermutet, die lächerlich geringe Bezahlung für die Arbeitslosen in der Demenzkranken-Pflege. Hier gibt es dazu eine Ausage:
http://www.rf-news.de/rfnews/schlagzeilen#News_Item.2008-08-22.0941
21.08.08 - Merkel zu geplanten Billigpflegern: "Große Leistung"
Bundeskanzlerin Merkel lobte in der gestrigen Kabinettssitzung den geplanten Einsatz von Langzeitarbeitslosen als Pfleger von Demenzkranken in Altenheimen als eine "großartige Leistung". Die Regierung rechnet mit 10.000 Stellen, die nach dem neuen Pflegerreformgesetz mit Billigpflegern für wenige Euro die Stunde und einer "Ausbildung" von ganzen 160 Stunden besetzt werden sollen.