Mittwoch, 10. Dezember 2008

Deutschland wird Hauptleidtragender der Krise

Ein Tsunami rollt heran – und in Berlin spielt man „business as usual“

Von Karl Weiss

In einem Artikel des Berichterstatters vom 1.Dezember 2006 titelte er “Die Wirtschaftskrise in Deutschland wird fürchterlich“. Er ist heute unter den 25 meist gelesensten im Blog ‚Karl Weiss – Journalismus‘. Es wurde dargelegt, die Bundesregierung fährt die Binnenachfrage mit allen Mitteln nach unten und vertraut allein auf den Export. Doch der wird schwere Einbrüche erleben, wenn der Dollar erst einmal ins Bodenlose fällt. Das war also für jemanden mit etwas Sachverstand bereits vor zwei Jahren vorhersehbar. Trotzdem blieb die Bundesregierung stur, hielt verbissen an ihrem Kurs fest mit Mehrwertsteuererhöhung exakt zum schlechtest möglichen Zeitpunkt und weiterer Niedrig-Lohnpolitik.

Bundestag - Reichstag

Jetzt, exakt zwei Jahre später, schreibt ein Fachmann, J. Jahnke, der ehemalige Vize-Präsident der „Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung“ in London iun seinem "Informationsportal Globalisierung" : „... macht Deutschland nun haargenau zum Hauptleidtragenden einer globalen Währungskrise. Sieht denn niemand in Berlin die Lawine heran rollen?“

Weiter erklärt er: „Die Deutschen gehen auf die Sparbremse und würgen die Binnenkonjunktur weiter ab, während gleichzeitig die Exporte einbrechen. Das ist auch Folge der jahrelangen realen Auszehrung der Arbeitseinkommen und Sozialleistungen und des öffentlich geförderten Aufwuchses von Niedrigstlohnjobs ohne flächendeckenden Mindestlohn. Deutschland wird deshalb tiefer in die Krise stürzen als die meisten anderen Länder.“

Deutschland: Statistik von 2000 bis 2007 über BIP, Lohn, Konsum und Vermögenseinnahmen
Hier die entlarvende Statistik über die Vorgeschichte der Krise in Deutschland: Die Nettolöhne je Arbeitnehmer (und der Konsum) bleiben vom 4. Quartal 2000 bis zum 4.Quartal 2004 praktisch unverändert, während die Produktiviät seit etwa dem 2.Quartal 2002 beständig steigt und die Unternehmens- und Vermögensgewinne zuerst zusammen mit der Produktivität, dann ab dem 3. Quartal 2003 explosionsartig ansteigen. Die Nettolöhne je Arbeitnehmer beginnen haargenau ab dem 1. Quartal 2005 mit ihrer Talfahrt, das war der Zeitpunkt der Einführung von Hartz IV.


Nein, die Berliner Politiker klammern sich verzweifelt an ihre neo-liberalen Wahrheiten, auch wenn ihnen wahrscheinlich schon dämmert, genau diese sind dafür verantwortlich, dass Deutschland stärker von der Krise betroffen ist als andere Länder.

Sie waren es, die die großen Unternehmen praktisch steuerfrei stellten und dafür den arbeitenden Menschen das Annehmen jedes noch so niedrig bezahlten Jobs auferlegten. Sie gaben die Leiharbeit frei, die generell als Lohndumping daherkommt, sie erlaubten die Ausbeutung von „Praktikanten“ ohne Bezahlung. Sie beschlossen die Ein-Euro-Jobs, aber dafür keinen Mindestlohn, wie er in fast allen zivilisierten Staaten besteht. Sie predigten den Lohnverzicht und versprachen dafür massenhaft Arbeitsplätze, auf die man noch heute wartet.

Ja, der Realitätsverlust der Politiker von den Desaster-Parteien CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP geht so weit, dass sie schlicht und einfach negieren, die Bundesrepublik sei schwerer betroffen als andere. Dabei bräuchte man sich bloß einmal die Kurve des Einzelhandelsumsatzes in der Bundesrepublik (preisbereinigt) anzusehen. Die letzten Zahlen vom Oktober zeigen, in jenem Monat wurde bereits die Linie des Einzelhandelsumsatzes des Jahres 2000 unterschritten. Das sind die typischen Anzeichen, wenn es steil abwärts geht. Die Zahlen von vielen Jahren vorher (in diesem Fall 8 Jahre) werden unterschritten.

Deutschland: Einzelhandelsumsatz 2006 - 2008 mit Trendlinie
Einzelhandelsumsatz in Deutschland 2006 bis 2008 mit Trendlinie
Auch der Einzelhandelsumsatz in Deutschland spiegelt die verschlechterten Lebensbedingngen des durchschnittlichen Deutschen in der letzten Zeit wieder. Mit Schwankungen sinkt er unaufhaltsam seit 2006 und kommt jetzt bei den 100 von Jahr 2000 an. Wer soll all die produzierten Güter kaufen, wenn die Leute schon am Nötigsten sparen müssen?

Sie könnten, wenn sie dieser Zahl nicht glauben, sich auch einmal die des Auftragseingangs der Industrie ansehen. Die von August und September 2008 lagen in Deutschland bereits bei minus 9,6%, während andere große EU-Länder weit geringere Rückgänge aufwiesen oder sogar noch einen geringen Anstieg: Italien -3,6%, Spanien – 0,4%, Frankreich +0,7% und der Durchschnitt der 15 Kern-EU-Länder –3,9%.

Nun liegen auch die Oktober-Zahlen für Deutschland über den Auftragseingang der Industrie vor, veröffentlicht am 5. Dezember. Sie sind ein Desaster. Jahnke schreibt: „Die deutschen Industrieaufträge sind im Oktober 2008 tiefer eingebrochen als jemals seit der Wiedervereinigung. Seit dem Gipfel im Juni letzten Jahres vor Ausbruch der Krise verloren die Aufträge saisonbereinigt bereits 20 %, davon aus dem Ausland sogar 26 % und aus dem Inland mehr als 11 % (...). Das ergibt im Vorjahresvergleich einen Rückgang von 17 %. Der Auftragsrückgang aus dem Aus- und Inland, entspricht, wenn er anhalten und voll auf die Industrieproduktion durchschlagen sollte, einem Betrag von über 269 Mrd. Euro oder mehr als 10 % des deutschen Bruttoinlandsprodukts.“

Deutschland: Auftragseingang der Industrie 2006 bis 10.08

Warum, wenn der Export einbricht, in Deutschland kein Halten mehr ist, liegt für jeden, der nicht Politiker der Desaster-Parteien ist, auf der Hand: Die Entwicklung der Löhne, der Renten, der Arbeitslosenunterstützung ist preisbereinigt auf steilem Abwärtsweg und damit haben die Deutschen kein Geld dafür, die produzierten Güter zu kaufen! So einfach ist das.

Bürgerliche Ökonomen erfanden nun dafür das absurde Wort vom „Käufer-Streik“. Das ist so ähnlich, wie Kaiserin Marie Antoinette kurz vor der französischen Revolution, die verwundert fragte, wenn das Volk kein Brot zum Essen habe, warum es dann keinen Kuchen äße. Ein hochbezahlter bürgerlicher Ökonom ist so weit vom Volk entfernt, dass er sich einfach nicht vorstellen kann, die Leute hätten kein Geld zum Kaufen. Also erfindet er die These vom „Käufer-Streik“. Das ist für ihn die einzige Erklärung, warum der Einzelhandelsumsatz Monat für Monat in den Keller rauscht, im Moment mit der Geschwindigkeit von etwa 16% pro Jahr, aber das wird dabei nicht stehen bleiben.

Woher nimmt nun Ex-Bankdirektor Jahnke seine Vorhersage der auf Deutschland zu rollenden Lawine? Nun, er sieht klar voraus: Vor allem die USA und Großbritannien geben riesige Mengen Geld zur Verringerung der Auswirkung der Krise aus und das wird ohne Zweifel auf die Dauer zu einer deutlichen Abwertung ihrer Währungen führen, damit werden die Exporte in diese Länder und die Räume, die diese Währungen nutzen, unwiderruflich auf Restmengen zusammenschnurzeln. Aber Deutschland hat bisher nichts zur Verbesserung der Massenkaufkraft getan und auch nichts angekündigt. Die Desaster-Parteien haben sich in ihre überholten Theorien verkrallt und können nicht davon lassen.

Man sehe sich nur den Vergleich der Statistik des Arbeitnehmerentgelts in Kaufkrafteinheiten an: Nimmt man das Jahr 2000 in Hundert, so stieg dieser Index in Irland bis 2007 um 76%, in der Schweiz um 35%, in den USA um 30%, in der ‚EU der 15‘ im Schnitt um 27%, in Japan um 21% und als niedrigstem Index von allen Ländern in Deutschland um 9%. Das sind wohl gemerkt nur jene, die Arbeit haben! Wenn zusätzlich die Arbeitslosigkeit auf etwa 8 Millionen stieg (wirkliche Zahl, nicht die geschönte der Bundesregierung), woher soll das Volk Geld haben, die Güter zu kaufen?

Welt: Vergleich - Arbeitnehmerentgelt in Kaufkrafteinheiten

Und das war die Entwicklung bis 2007. Jetzt in der Krise wird das alles noch einmal schlechter. Die von den Desaster-Partei-Politikern geäußerte Hoffnung, 2010 werde es schon wieder aufwärtsgehen, ist angesichts der Tatsachen absurd. 2010 wird noch nicht einmal der Abwärts-Rutsch beendet sein, zumal man ja nicht das geringste tut, um in Zukunft statt der völligen Exportabhängigkeit einen gesunden Inlandskonsum zu schaffen, der als Basis der Wirtschaft dienen kann. Länder, die sich nun über alle Massen hinaus verschulden, um die Krise zu verringern, wie die USA und England, werden mit Sicherheit zu verhindern wissen, dass Teile dieser Gelder nach Deutschland abfließen. Die Hoffnung, der Export würde schon bald wieder anziehen, ist also nichts als Ahnungslosigkeit.

„Sieht denn niemand in Berlin die Lawine heran rollen?“


Veröffentlicht am 10. Dezember 2008 in der Berliner Umschau

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