Montag, 15. Juni 2009

'Das schreit förmlich nach einer Revolution'

Das augenblickliche Modell hat definitiv ausgedient

Von Karl Weiss

Nanu, das Kapitalisten-Blatt Financial Times, in diesem Fall die deutsche Version www.ftd ruft nach der Revolution? Da steht tatsächlich: “Das schreit förmlich nach einer Revolution” im Kommentar der Redaktion mit dem Titel: "Zeit für eine richtige Krise“.

Nun, es wird nicht alles so heiß gegessen wie es gekocht wird. Gleich nach dem oben zitierten Satz hat man eingeschoben: „- in Bildung, Kunst und Kultur“. Nur war im ganzen Kommentar nicht von Bildung, Kunst und Kultur die Rede, sondern ganz eindeutig von Politik und Ökonomie.

Es wird – und wie recht man hat! – klar gestellt, dass die jetzige Krise, da sie offensichtlich zu keinerlei Änderungen in der Politik führt, einen noch weit stärkeren Rückfall nach sich ziehen wird – so ähnlich wie wenn man eine Grippe nicht auskuriert.

Da heißt es u.a. – und jeder weiß, das ist die ganze Wahrheit: „Seien es aber auch die Regulatoren und Regierungen, die mithilfe von Staatsgeldern, Bad Banks und aufgeweichten Bilanzregeln dafür sorgen, dass die Banken auf dem Papier schon wieder Gewinne schreiben können, nachdem man vielen von ihnen erlaubt hat, ihre Marktanteile im Zuge der Krise weiter auszubauen. Sei es, wie schon oft beklagt, dass die schmerzlichen Folgen von quasi freiwilligem kreditfinanzierten Überkonsum nun per gesetzlich verordnetem kredit- und steuerfinanzierten Überkonsum kuriert werden sollen.“

Mit anderen Worten: Ignorieren wir die Krise einfach, sitzen wir sie aus, dann wird wieder alles gut.

Und es wird – wie selten ist das im bürgerlichen Journalismus – über den Tellerrand der üblichen Ökonomie und Politik hinausgeblickt: „Dass eine Mäßigung alleine im Sinne der Ressourcenschonung erforderlich ist, zeigen die Dimensionen: So wie wir hier in Deutschland leben rund eine Milliarde Menschen auf der Erde, vornehmlich in Westeuropa, Nordamerika, Japan und Australien. Laut Uno wird jedoch allein die Bevölkerung Asiens bis 2050 um 1,1 Milliarden zunehmen - auf 5,3 Milliarden Menschen. Insgesamt soll die Weltbevölkerung bis 2050 von 6,8 auf 9,2 Milliarden steigen. Wenn etwa Indien so haushalten würde wie Amerika, verbrauchte dieses Land aber jetzt schon das 22-Fache an Energie.“

Es wird deutlich gemacht: China, Indien und Brasilien haben für 3,6 Milliarden Menschen einen Ölverbrauch von etwa der Hälfte der USA für 0,3 Milliarden Menschen.

Nun, selbst ein einfaches Gemüt wie zum Beispiel Frau Merkel oder Herr Westerwelle könnten eigentlich begreifen: Wenn in wenigen Jahrzehnten das 22-fache der jetzigen Erdölförderung notwendig wäre, um unser jetziges Entwicklungs- und Gesellschaftsmodell weiterzuführen, so wird dies nicht möglich sein. Irgendetwas wird grundsätzlich geändert werden müssen.

Oder aber irgendetwas wird mit voller Wucht gegen die Wand gefahren. So beklagt denn der Kommentar auch: „Vielen ist die Steigerung der Produktivität der wichtigste Lebensinhalt geworden, auf dass morgen noch mehr Güter gekauft werden können, die kein Mensch braucht.“

Ja, wie recht der Kommentar hat - und kommt dann auch zum Schluss: „Das schreit förmlich nach einer Revolution“!

Nun, lasst uns die Revolution angehen, die Krise ist genau der richtige Ansatzpunkt, denn die Menschen beginnen mehr und mehr zu begreifen, – wie nicht zuletzt die Europawahlen gezeigt haben – dass das kapitalistische Modell ausgedient hat – und nicht erst seit September.


Veröffentlicht am 15. Juni 2009 in der Berliner Umschau

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