Droge Macht
Von Karl Weiss
Psychologen erklären uns immer wieder, wie Macht, also Macht über andere, als Droge wirken kann, wenn die entsprechende Person keinen starken Charakter hat, wie Menschen zu Macht-Junkies werden, in eine Art von Größenwahn verfallen und teilweise das Verhältnis zur Realität verlieren. Immer wieder werden wir mit solchen Fällen konfrontiert, in denen sich Mächtige nur mit Speichelleckern umgeben - und da es Macht u.a. in der Politik gibt, sind dort auch viele der bekannt gewordenen Fälle angesiedelt.
Hier ein Faksimile aus der "La Repubblica" vom Samstag mit einem Bild von einer der Zeuginnen gegen Berlusconi, Bárbara Monterreale
Dabei ist es nicht unbedingt notwendig, wirklich große Macht zu haben, wie etwa der Ministerpräsident eines der G-8-Staaten, Berlusconi. Er allerdings ist eines der schreiendsten Beispiele für Machtbesessenheit, Größenwahn und Realitätsverlust.
Berlusconis Partei ist so etwas wie die Vereinigung der früheren Christdemokraten mit den früheren Faschisten. Er wird als der Erbe der Christdemokraten angesehen und hat darum in einem christlichen Land wie Italien viele Millionen Wählerstimmen schon aus diesem Grunde sicher. Allerdings müsste er eigentlich dann auch gewisse Mindestanforderungen erfüllen, die an einen "christlichen" Politiker gestellt werden, will er nicht riskieren, dass auch in Italien die Zahl der Wähler auf Talfahrt geht, wie es die deutschen "christlichen" Parteien erleben.
Eigentlich kann es nicht sein, dass ein "christlicher" Politiker bekannt wird dafür, Liebesaffären außerhalb der Ehe zu haben, dass er in Bordelle geht oder sich Prostituierte zuführen lässt, oder dafür, in einer seiner Villen Nacktparties am Pool abzuhalten, bei denen die jungen Frauen für ihre Teilnahme Geld bekommen und dazu auch noch ausländische Ministerpräsidenten einlädt. Wenn es denn doch so ist, müsste ein solcher Politiker eine Geheimhaltung in extremster Form betreiben. Aber auch dies ließe immer eine Anzahl von Mitwissern. Einer von denen könnte auf die Idee kommen, den Ministerpräsidenten mit diesem Wissen zu erpressen.
Ein Ministerpräsident, der über geheimste Informationen verfügt, speziell einer der großen NATO-Staaten, der Zugang zu bedeutenden NATO-Geheimnissen inklusive solcher nuklearer Natur hat, darf aber auf keinen Fall erpressbar sein. Ein solcher Ministerpräsident, der von den Aussagen einer 18-jährigen Prostituierten abhängt, ist der absolute Albtraum jedes Sicherheitsexperten.
Genau das aber ist der Fall. Hier ein Ausschnitt eines Artikels darüber vom 18.6.09: "Als Zeugin tritt unter anderem eine Patrizia D. auf, die behauptet, ihr seien 2000 Euro versprochen worden, wenn sie zu einem Fest mit Berlusconi im Palazzo Grazioli komme. Sie sei in ein Flugzeug gesetzt und in einem Hotel in Rom untergebracht worden, bevor sie eine Limousine mit verdunkelten Fenstern zu Berlusconi gebracht habe. Da sie an jenem Abend nicht im Palazzo Grazioli übernachtet habe, sei ihre Bezahlung halbiert worden. Bei einem zweiten Besuch Anfang diesen Jahres "bin ich geblieben und habe den Palazzo Grazioli erst am folgenden Morgen verlassen". Die Staatsanwaltschaft hat bereits fünf junge Damen in der Prostituierten-Affäre verhört und will weitere vernehmen."
Das - zusammen mit den Fotos von Männlein und Weiblein nackt am Pool in einer der Villen Berlusconis - hätte zwingend zu seinem Rücktritt führen müssen, wenn der Premier noch einen Hauch von Scham, von Verantwortungsbewusstsein, Anstand und Ehrgefühl hätte. Aber er ist ja nicht der einzige, der beweist, diese Tugenden sind nicht exakt das, was den kapitalistischen Politiker ausmacht. Nun musste sogar die katholische Kirche eingreifen und Berlusconi daran erinnern, er als Person des öffentlichen Lebens müsse (...) "mit Fakten, nicht nur mit Worten" Klarheit gegenüber seinen Wählern schaffen, wie ein hoher Geistlicher dem Corriere della Sera sagte. Andernfalls könne Berlusconi sein Amt nicht wirksam ausüben.
Berlusconi erklärt unterdessen alles zu einer Schmutzkampagne gegen ihn. Er krallt sich an seinem Amt fest - und damit an seiner Macht -, er kann offenbar die Wirklichkeit nicht mehr richtig einschätzen, er glaubt offenbar, über den Gesetzen und den allgemeinen Moralvorstellungen zu stehen (eine Form de Größenwahn). Das mag ihn zwar in einem Kreis von Bruto-Machisten auszeichnen, mit denen er sich offenbar umgibt, aber klar denkende Menschen können bestenfalls noch ein Gefühl von Mitleid ihm gegenüber aufbringen. Er schadet dem Ansehen Italiens und der Italiener auf der Welt. Auch wird er offensichtlich von der NATO von gewissen Informationen ferngehalten werden.
Doch Berlusconi darf weitermachen: Die Carabinieri, die jene Mädchen vernehmen, stellten bereits klar: Nicht Berlusconi wir da angeklagt, wenn sich das alles als richtig herausstellt, nein, jene "diskreten Mitarbeiter", die jene Prostituierten anheuern und einsetzen, werden nach einem italienischen Gesetz gegen Förderung der Prostitution angeklagt. Berlusconi sei lediglich "Endverbraucher" und das sei nicht strafbar. Also alles in Butter, Berlusconi kann weitermachen.
Aber wir alle haben noch im Gedächtnis, wie ein anderer Macht-Lüstling, Schröder seines Zeichens, im Jahr 2005 nach den Bundestagswahlen seine völlige Abgehobenheit von der Realität bewies. Er erklärte in seiner Rede am Wahlabend, wo er wie der Gewinner der Wahlen auftrat, er werde auf keinen Fall unter einer Kanzlerin Merkel in eine Koalition eintreten, er lehnte gleichzeitig eine Koalition mit der "Linken" ab und erklärte, die SPD werde eine Regierung mit ihm als Kanzler bilden. Völlig berauscht davon, dass seine Partei nicht so viel verloren hatte, wie die Demoskopen vorhergesagt hatten, war er offenbar nicht mehr in der Lage, zu sehen, dass die CDU mehr Sitze hatte und deshalb eine Regierungsbildung der SPD mit ihm als Kanzler nicht möglich war. Wenige Wochen später musste er dies eingestehen und Frau Merkel bildete die Regierung - mit einer desavouierten SPD und ohne Schröder. Auch dies ein klarer Beweis von Realitätsverlust aufgrund von Machtbesessenheit.
Ein anderer, den selbst wenig Macht bereits zu einem selbsternannten Supermann gemacht hat, ist der SPD-Abgeordnete Tauss, der durch eine völlig berechtigte Kritik am Internet-Zensur-Entwurf von Zensursel Frau von der Leyen aufgefallen war. Er war lediglich Bundestagsabgeordneter, Geschäftsführer der Südwest-SPD und Bundestagsausschuss-Vorsitzender, aber das reichte schon, um ihn zu Allmachtsgefühlen zu treiben. Nach seinen eigenen Aussagen hat er auf eigene Faust Ermittlungen gegen Kinderporno-Hersteller und -Vertreiber geführt, ohne sich mit den Ermittlungsbehörden abzustimmen. Er, gerade auf diesem Gebiet als Fachmann angesehen, hat sich Kinderporno-Kassetten über die Post gekauft und sagt, das sei aus Ermittlungsgründen geschehen. Er müsste genau wissen, dies ist ein mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraftes Vergehen. Und doch - wenn man ihm nicht unterstellen will, das seien nur Ausreden eines Kinderporno-Konsumenten - glaubte er über den Gesetzen zu stehen und phantasierte, auf ihn seien die nicht anzuwenden. Ebenso: Machtgefühle, eigenmächtiges Brechen von Regeln und Realitätsverlust. Und dann wunderte er sich noch, unter Anklage zu geraten. Die Gegner der Internetzensur, die unter dem Vorwand Kinderporno fungiert, sind nun speziell auf ihn sauer, weil er ihrem Anliegen einen denkbar schlechten Dienst erwiesen hat.
Der Bürger-Journalist kann auch eigene Erfahrungen zu diesem Thema aufweisen, denn er wohnte in den 80er-Jahren in einer Stadt in Deutschland direkt neben einem Veranstaltungssaal, in dem damals ein CDU-Parteitag stattfand. Als er abends sein Auto holte, um noch einen Freund in einem anderen Stadtteil zu besuchen, geriet er plötzlich in einen Pulk schwarzer Mercedes-Limousinen, teilweise mit Chauffeur. Der Parteitag hatte seine Beratungen für diesen Tag abgeschlossen und die Delegierten strebten - ja, wohin denn? Der Weg des Bürger-Journalisten führte nämlich in ein nicht besonders gut beleumdetes Viertel der Stadt und überraschenderweise begleiteten ihn dorthin ein Teil der Limousinen. Als sie schließlich anhielten, nicht weit von der Straße entfernt, wo der Freund wohnte, wusste man auch, warum. Dort war der Eingang in die Straße der Prostituierten und der Ort, wo eine Anzahl von Lokalen der Sorte "Bumms mich" angesiedelt waren. Diese CDU-Delegierten, die gerade eben ein neues Parteiprogramm beschlossen hatten, in dem besonders die Werte der Familie, der ehelichen Treue usw. betont wurden, hatten keinerlei Problem damit, mit ihren doch auffälligen Karossen dort gesehen zu werden. Ein Reporter hätte sie dorthin begleiten und Einzelne identifizieren können. Es hätte auch jemand die Presse benachrichtigen können und auf die Ansammlung dort geparkter Luxus-Limousinen hinweisen, die ohne CDU-Parteitag dort nie gesehen werden. Auch diese Delegierten eines Parteitags hatten also alle Scham und allen Anstand "vergessen" und riskiert, dort beim Prostituiertenbesuch gesehen zu werden. Sie hätten das dann wohl auch als "Schmutzkampagne" gegen sie charakterisiert. Größenwahn, Realitätsverlust, wie gehabt.
Bei Prostituierten fällt einem natürlich auch immer der Name Hartz ein, nach dem dankenswerterweise eines der katastrophalsten Gesetze der Bundesrepublik benannt wurde. Er war ja VW-Personalchef und als solcher hatte er in der nahe von Wolfsburg gelegenen Stadt Braunschweig (aber eben doch nicht zu nahe) ein Appartement anmieten lassen, ein sogenanntes Loft mit zwei Stockwerken, das zu dem Zweck diente, dort Persönlichkeiten, die dies verdienten, mit Sex-Partys, Nackt-Spielchen oder simpler Zweisamkeit mit käuflicher Weiblichkeit zu versorgen. Eine der Personen, die das verdienten, war offenbar Hartz selbst, aber andere wichtige Macht-Haber waren auch darunter, so wie der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von VW. Wir haben die Zeugenaussage des für dieses Loft verantwortlichen Mitarbeiters der Personalabteilung von VW, der u.a. berichtete: Er hatte die Telefonnummern von einschlägigen Damen für Normalfälle (manchmal ganze Gruppen für die Partys), ebenso die von Escort-Agenturen, wenn Luxusprostituierte gefragt waren, aber er hatte auch die Aufgabe, eine Dame aus Brasilien einfliegen zu lassen, wenn es dem Gesamtbetriebsratsvorsitzenden beliebte. Der war ja auch für die VW-Arbeitnehmer in Brasilien verantwortlich und besuchte deshalb regelmäßig Brasilien. Dort hatte er offenbar eine Dame des einschlägigen Gewerbes kennengelernt, die nun regelmäßig eingeflogen werden musste. Wie man hörte, wurden dort auch öfters Partys für Geschäftkontakte von VW abgehalten. Und das sind Leute, die Autos herstellen und verkaufen. Was geht wohl bei den anderen vor?
Auch hier: Bei Hartz, wie auch beim Betriebsrat keinerlei Verwunderung über diese Dinge. Das ist doch normal. Wir Männer haben eben bestimmte Bedürfnisse....Es braucht nicht erwähnt zu werden, dass es sich sowohl bei Herrn Hartz wie auch bei dem Betriebsrat wie auch bei anderen Party-Gästen um verheiratetet Personen handelte, die natürlich irgendwie ihre Frauen anlügen mussten...
Und da war dann auch immer die Anzahl von Leuten, die Mitwisser waren. Die von den Escort-Agenturen, die Damen selbst, andere Mitarbeiter, die für die Privatjet-Flüge verantwortlich waren, Hilfskräfte für die Partys usw. usf. Und da hat dann auch irgendjemand nicht mehr dicht gehalten. Ob derjenige vorher einen Erpressungsversuch gemacht hat, wissen wir nicht. Was meinen Sie, wie viele der 100 größten deutschen Konzerne haben solche Appartements mit solchen Diensten? Einige? Viele ?Alle?
Und alle jene sind erpressbar oder wenn sie nicht auf Erpressungen reagieren, werden wir die nächsten Zeugenaussagen von Zuständigen in den Personalabteilungen haben, die Telefonnummern von...... usw. usf.
Das ist Kapitalismus in Echtzeit und live. Man ist auf dem Niveau von Dreckschweinerei, Hurerei und Gruppensex angelangt. Nur noch Abschaum, Drogen und käuflicher Sex. Und hier ist nicht von den Damen die Rede, wenn das Wort Abschaum verwendet wird. Glauben Sie wirklich, dies System hat Zukunft? Mit Nacktpartys? Und wenn es hätte, würden Sie gerne Teil davon sein?
Also der Bürger-Journalist würde gerne (wieder) ein Verhältnis von Mann und Frau ohne geschäftlich-pekuniäre Interessen haben, das auf Kameradschaft, Freundschaft, gegenseitigem Respekt (das Wort Liebe wagt man schon nicht mehr zu erwähnen) und natürlich auch auf wildem Sex beruht - aber dafür werden wir dies System zum Teufel jagen müssen!
Veröffentlicht am 22. Juni 2009 in der Berliner Umschau