Die Folgen großer Ölkatastrophen währen Jahrzehnte
Von Karl Weiss
Der BP-Oil-Spill im Golf von Mexiko ist keineswegs gestoppt, wie die BP erklärt hatte. Inzwischen weiß man bereits, es tritt weiter Öl aus. Zur gleichen Zeit werden auch Informationen über die Langzeitauswirkungen bekannt: Die „New York Times“ veröffentlichte einen längeren Artikel darüber.
Die Russen, scheinbar größere Spezialisten in Tiefsee-Bohrungen als die US-Amerikaner, hatten es aufgrund von Auswertungen der Bilder von den ferngesteuerten U-Booten bereits angekündigt: Das Öl im Golf von Mexiko tritt nicht nur am explodierten Bohrloch aus, sondern auch aus anderen Lecks in der Nähe.
Wenn in solchen Tiefen gebohrt wird (mehr als 1500 Meter unter dem Meeresspiegel), wo unglaublich hohe Drücke herrschen, kann ein Bohrloch im Deckgebirge über dem Ölfeld Risse und Spalten entstehen lassen, durch die das Öl von unten, wo noch höhere Drücke herrschen, noch oben herausdrücken kann.
Eventuelle hat auch die große Explosion, als die Kappe auf dem Bohrloch abgesprengt wurde, diese Risse und Spalten entstehen lassen.
Man muss also weiterhin auf die Entlastungsbohrungen hoffen, die allerdings nicht vor Mitte August fertig sein können.
Währenddessen berichtet die „New York Times“ über Langzeitschäden, die frühere Öl-Katastrophen verursacht haben.
Da wird zum Beispiel davon berichtet, wie Wissenschaftler 12 Jahre nach der „Exxon-Valdez“-Katastrophe vor der Küste von Alaska an den Ufern und Stränden Löcher gruben und schnell auf völlig unzersetztes Öl stießen – im Gegensatz zur von den Ölkonzernen vertretenen Ansicht, innerhalb weniger Jahre würde alles Öl durch natürliche Prozesse abgebaut.
Es heißt da: „Alle Öl-Verunreinigungen sind verschieden, aber die Gefahr, die sie alle vereint, ist die steigende wissenschaftliche Erkenntnis der bleibenden Schäden, die solche Verunreinigung en verursachen können – und wie lange Öl in der Umwelt verbleibt, verborgen an schwer zugänglichen Stellen.“
An einer anderen Stelle der Golfküste, in Mexiko, wo es vor längerer Zeit eine schwere Verunreinigung mit Erdöl gegeben hatte, entdeckte ein US-Wissenschaftler weiterhin bestehende Schäden 30 Jahre nach der Öl-Katastrophe in den Mangrovenwäldern an der Küste.
In der französischen Bretagne, die auch bereits von einer Öl-Verunreinigung betroffen war, fanden Wissenschaftler über 10 Jahre danach noch Veränderungen in der Nahrungs-Kette.
Zwar erklärte einer der Forscher: „Irgendwann ist das Öl weg. Es bleibt nicht auf ewig.“ Es bleibt aber offen, wann dieses „Irgendwann“ ist. Wenn man von Jahrzehnten spricht, dürfte man nicht weit daneben liegen. Und dies alles bezieht sich auf Erfahrungen mit weit geringeren Mengen von Erdöl, als sie jetzt bereits aufgrund der Explosion der „Deepwater Horizon“ der BP in den Golf von Mexiko geströmt sind, der größten Ölkatastrophe aller Zeiten.
Dazu kommt: Die BP begann bereits kurz nach der Katastrophe ein Dispergiermittel in den aufsteigenden Ölstrom einzubringen. Ein giftiges Dispergiermittel (rein zufällig von der zur BP-Gruppe gehörenden Nalco), das Öl und Wasser zu einem Brei vermischt, der fast so schwer wie Wasser ist. Das verhinderte für große Teile des Öls das Auftauchen zur Wasseroberfläche. Nur nützt in Wirklichkeit niemand diese Methode: „Aus den Augen, aus dem Sinn.“ – mit Ausnahme natürlich des Konzerns, zu dem Nalco gehört Die Menge des Öls oder seine giftigen und krebserregenden Eigenschaften werden dadurch nicht im mindesten vermindert.
Dafür werden aber die Auswirkungen der Ölkatastrophe verlängert, denn man kann nur Öl entfernen, das zur Oberfläche kommt. Dazu kommen die Auswirkungen der Giftigkeit des Dispergiermittels.
Auch haben wir eine gute Chance, die BP wird uns am Ende das Dispergiermittel nicht als Einnahme, sondern als „Ausgabe“ vorrechnen.
Umweltschützer versuchten die Anwendung des Dispergiermittels zu verhindern, aber sie wurden von Polizisten daran gehindert, überhaupt in die Nähe der Schiffe zu gelangen, die jenes Mittel ausbrachten. Es ist ein bisher kaum gesehenes Phänomen, dass einem Großkonzern aus einem anderen Land Polizisten eines souveränen Landes erlaubt wurde, Anweisungen zu geben und Proteste fernzuhalten.
Wer bisher vielleicht noch an das Märchen der „westlichen Demokratien“ geglaubt hatte, bekam hier Anschauungsunterricht: Nicht die Regierungen haben die Macht, sondern die Groß-Konzerne und –Banken, sogar die eines anderen Landes. Sie verstehen dies nur meistens hinter einem Vorhang von „demokratischen Wahlen“ und sonstigem Brimborium zu verstecken.
Nur wenns mal hart auf hart geht, dann kommt auch schon mal die Wahrheit ans Tageslicht.
So hat die BP-Katastrophe doch auch ihr Gutes: Sie öffnet uns die Augen.
Veröffentlicht am 28. Juli 2010 in der Berliner Umschau