Wie sind die deutschen Konjunkturaussichten?
Von Karl Weiss
Die Finanzmärkte jubilieren: Deutschland könne Konjunkturlokomotive der Weltwirtschaft sein. Allerdings sieht selbst die „Financial Times Deutschland“, die Veröffentlichung auf Deutsch, die den Finanzmärkten am nächsten steht, da jetzt schon Einschränkungen. Eine Finanzlokomotive, die nur auf Export setzt, aber keinen Binnenmarkt hat, ist so wie eine Lokomotive, welcher der Brennstoff ausgegangen ist: Sie mag noch eine Zeit den Schwung mitnehmen, aber das Beschleunigen geht nicht.
Diese Graphik ist schon etwas veraltet. Sie enthält nicht den Anstieg der Exporte im ersten Halbjahr 2010. Sie zeigt aber die Tiefe der Krise.
Tatsächlich gibt es einen deutlich höheren deutschen Export als im letzten Jahr, das allerdings das Krisenjahr war. Der Vorkrisenstand ist noch keineswegs erreicht. Dazu kommt, in den letzten zwei Monaten stieg der Export schon nicht mehr an, sondern fiel sogar etwas.
Die Exportquote liegt im Moment bei 46 % des deutschen Brutto-Inlandsproduktes (BIP). Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: 46%. Der nächste Exporteur danach hat weniger als 20% des BIP.
Die absolute Einseitigkeit der deutschen Wirtschaftsleistung ist schlicht und einfach unglaublich. Wenn dies als Vorteil gepriesen wird, dann ist es auch ein Vorteil, nur ein Bein zu haben.
Jede gesunde prosperierende Volkswirtschaft beruht auf den beiden Beinen Export UND Binnennachfrage. Doch Binnennachfrage ist nicht.
Die Löhne werden immer kümmerlicher. Teilzeitjobs sind die Regel, Leiharbeit mit bis zu 3 Euro pro Stunde, 1-Euro-Jobs, dazu kommen die „Praktikanten“, die gar nichts erhalten, die Kurzarbeiter, die vom Staat unterstützt werden statt von dem, der den Vorteil hat, nachher nicht neue Arbeitnehmer suchen zu müssen, dem Unternehmer.
Zwar erhalten jene wenigen, die noch einen Vollzeitjob, bezahlt nach Tarif haben, manchmal kleine Lohnerhöhungen, aber das betrifft bald nur noch ein Viertel der Beschäftigten. Alle anderen sind in „Sonder-Dienst-Verhältnissen“, für die es keine Tarife und keine Gewerkschaften gibt.
Der tatsächlich bezahlte Lohn in Deutschland schnurzelt so zusammen wie ein Hamburger in der Pfanne, wenn alles Wasser verdampft. Woher soll also Binnennachfrage kommen? Die Reichen werden ihren Konsum nicht erhöhen. Mit viel mehr als drei Ferraris in den Garagenhallen und mehr als zwei Jachten im Mittelmeer kann man eben kaum etwas anfangen. Zusätzlich eingehende Profite werden zum Zocken benutzt. Wo sollen auch die riesigen verzockten Summen herkommen?
Das Ergebnis: Die Bundesrepublik ist heute bei weitem – bei weitem - das Land mit der höchsten Konkurrenzfähigkeit unter allen ins Gewicht fallenden Ländern.
Das scheint auf den ersten Blick gut. Aber wenn man sieht, es gibt keine Binnennachfrage, will sagen, sie nimmt immer weiter ab, dann wird klar: Auf einem Bein kan man nicht laufen, die extreme Einseitigkeit der deutschen Ausrichtung wird niemandem nützen, auch den Deutschen nicht, aber allen schaden.
Denn nun tritt eine Situation ein, in der die Vorteile schwinden, die Deutschland – wenn auch auf niedrigem Niveau – hatte: Der Hauptempfänger deutscher Exporte, die EU, mit 71% der deutschen Ausfuhren, geht mehr und mehr am Stock. Den Ländern mit hoher Verschuldung und/oder großem Außenhandels-Defizit und/oder ohne Wirtschaftswachstum hat man sowieso bereits Sparkuren verordnet (nach den 'guten alten' Prinzipien des Neoliberalismus, von denen wir inzwischen wissen, dass sie immer in Wirtschaftskrisen münden) und siehe da, sie treten in Wirtschaftskrisen ein – welche Überraschung!
Griechenland ist in tiefer Depression, Spanien kaum kaum noch atmen vor Arbeitslosen, Irland und Belgien sind über alle Massen verschuldet und Italien ist überhaupt das Musterland des Zusammenkommens aller negativen Wirtschaftzahlen, doch das Hauptaugenmerk liegt auf Portugal, denn da sind höchsten Kosten für neue Schulden fällig, weil die Rating-Agenturen ausgerechnet jenes Land herausgesucht haben, das weder die höchsten Schulden hat noch das höchste Außenhandels-Defizit noch das niedrigste Wirtschaftswachstum.
Die Rating-Agenturen dürfen völlig ungestraft mehr Schaden anrichten als alle Terror-Organisationen zusammen, auch wenn sie extrem ähnliche Motive wie jene haben.
Nun, wohin kann man denn noch exportieren, wenn die EU weitgehend ausfällt? Natürlich, das sind weitere 22,4 % der deutschen Exporte, die nach außerhalb der EU gehen. Doch davon sind 15,4 % Asien (einschließlich Japan), d.h. vor allem China.
Nur ist das Exportieren nach Asien eben nicht leicht und so hat Deutschland mit Asien ein gewaltiges Handelsbilanzdefizit, das inzwischen bereits auf 19,2 Mrd Euro im Monat gestiegen ist.
Lokomotive? Wo?
Und nun kommt auch noch der stetig steigende Euro dazu, der natürlich auch nicht hilft beim Exportieren. Unser 'großer Bruder' von der anderen Seite des Atlantiks kennt keinerlei Skrupel und will seinen Export verdoppeln. Da die USA soviel „Quantitive Easing“, sprich Geld-Drucken, machen können wie sie wollen, bleibt nicht viel, was man tun kann.
Die Aussichten sind also eher schwach und haben auch noch große Risiken in Sichtweite. Aber eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass Deutschland Binnennachfrage schafft.
Veröffentlicht am 20. Oktober 2010 in der Berliner Umschau