Soviel Stasi wegen des Terrors?

Oder geht es gegen das eigene Volk?


Von Karl Weiss


Telephone abhören, Videoüberwachung an öffentlichen Orten, Abhören und Videoüberwachung in den Wohnungen, Überprüfen der Bewegungen auf den Bankkonten, Überprüfen der „Bedürftigkeit” durch Ausforschen der Wohnungen, Abhören und Speichern aller Handy-Gespräche, Orten von Personen und Erstellen von Bewegungs-Profilen durch Handy-Peilung.

Dazu Speichern aller E-Mails und Zugriff für Polizei und Geheimdienste, Speichern und Überwachen durch Sicherheitsdienste des gesamten Chat-Verkehrs im Internet, Überwachung und Registrierung von Einträgen in Foren und Blogs im Internet, Austausch von Daten und Informationen zwischen Polizei und Geheimdiensten, Filmen und Photographieren von Menschen, die protestieren und demonstrieren, all das ist heute hier in Deutschland bereits Realität, gang und gäbe und bereits fast in allen Fällen vollständig legal.


Das häufigste Argument gegen den Protest dagegen ist: “Wer nichts Böses tut, hat nichts zu befürchten”. Und wenn man in "böser" Opposition zu der unsäglichen Politikerkaste steht?

Waren noch vor kurzer Zeit für die meisten dieser Überwachungsmaßnahmen richterliche Anordnungen notwendig, so daß in der Regel nur der überwacht wurde, gegen den konkrete Verdachtsmomente vorlagen, sind heute fast alle diese Stasi-Maßnahmen bereits in das freie Belieben der Staatsdiener gestellt, die damit beauftragt sind. Die Terror-Hysterie, ausgelöst durch die Anschläge des 11. September 2001, hat es möglich gemacht. Der gewaltige Aufwand, der getrieben wurde, um diese Anschläge vorzubereiten und durchzuführen und sie dann den "Dudes" einer islamistischen Terrororganisation in die Schuhe zu schieben, hat sich gelohnt.

Man brauchte nur von Zeit zu Zeit erneut einige Anschläge durchführen zu lassen, um die angebliche Gefahr der Übernahme der Welt durch Terrororganisatioen mit einem Hauch von Glaubwürdigkeit zu versehen, schon brachte man fast alle Gesetze durch die Parlamente, die jegliche wesentlichen Rechte auf einem persönlichen, einen Privat-Bereich, in den staatliche Stellen nicht ohne richterliche Erlaubnis eindringen dürfen, nach und nach aufgehoben haben.

Fragt man einen aus der Politiker-Kaste, warum die Sondergesetze, die 2002 in Deutschland mit fester Befristung bis Ende 2006 eingeführt wurden, verlängert wurden und sogar noch verschärft, bekommt man Antworten wie: „Auch in Deutschland kann jederseit ein Terroranschlag mit Hunderten von Toten durchgeführt werden. Niemand ist vor dem internationalen Terror sicher.“

Rein zufällig fanden sich denn auch im zeitlichen Zusammenhang mit der parlamentarischen Beschlußfassung in zwei Zügen amateurhaft gefertigte Schein-Sprengsätze ohne jede Möglichkeit zu explodieren, die dann von der Politiker-Kaste und den mit ihnen in Symbiose lebenden Massenmedien als „Kofferbomben“ hochgejubelt werden.

Einige einfache Überlegungen öffnen aber schon alle Zweifel an dieser Argumentation.

Es kann auch jederzeit in Deutschland ein Flugzeugabsturz mit Hunderten von Toten passieren. Hat man je davon gehört, daß diese Politiker-Kaste deshalb die Grundrechte der ganzen Bevölkerung in wesentlichen Teilen aufgehoben hätte?

Es kann in Deutschland jederzeit ein folgenschwerer Unfall mit Kernschmelze in einem Atomkraftwerk passieren, wie der jüngste Zwischenfall im schwedischen Kraftwerk beweist, das mit gleicher Technologie wie jene der deutschen ausgestattet ist. Da wäre von weit mehr als Hunderten von Toten die Rede. Hat man gehört, daß die Politiker-Kaste darauf mit drastischen Maßnahmen reagiert hätte? Im Gegenteil, es wird weiterhin sogar vom Rückgängigmachen des völlig unzureichenden „Atomausstiegs“ geredet.

Man kann also definitiv ausschließen, daß diese Politiker um ein paar Hundert Tote bei einem Terroranschlag besorgt sind. Die tausende von Ziviltoten im Libanon im Juli-Krieg letzten Jahres konnten sie nicht einmal veranlassen, ihre absolute Solidarität mit der Invasion von USA und Israel im Libanon zu revidieren.

Täglich sterben Hunderte von Kindern an den Folgen der Armut in Entwicklungsländern (und auch in den USA), ohne daß dies zu durchgreifenden Maßnahmen dieser Politiker geführt hätte.

Ziviltote sind dieser Politiker-Kaste schnurz.

Hat denn wenigstens das Aufheben der bürgerlich-demokratischen Rechte dazu geführt, daß die Gefahr von Terroranschlägen in Deutschland vermindert wurde? Nicht die Bohne. Es gibt nicht einen einzigen Terrorbuben, geschweige denn eine ganze Gruppe, die auf Grund dieser erweiterten Rechte der Stasi-Behörden ausgehoben und von Gerichten abgeurteilt wurden.

Dies gilt übrigens nicht nur für Deutschland. Auf der ganzen Welt gibt es keinen solchen Prozeß mit einer Verurteilung von Personen oder Gruppen, die in Vorbereitungen zu Terroranschlägen verwickelt waren, jedenfalls keine, die rechtsstaatlichen Maßstäben genügen.

Wenn tatsächlich die Welt voller Terroristen wäre, wenn überall die Terroranschläge gegen die Zivilbevölkerung an der Tagesordnung wären, wenn der internationale Terrorismus, wie uns suggeriert wird, kurz vor der Übernahme der Weltherrschaft steht, warum konnten dann mit den erweiterten Rechten der Ermittlungsbehörden keine Gruppe bei der Vorbereitung solcher Anschläge erwischt und verknackt werden?

Damit steht also fest, daß der Abbau dieser Rechte nichts mit irgendwelchen fanatisch religiösen Terroristen zu tun hat - wenn man einmal von den fanatisch religiösen Christen absieht, die den Terror der Bush-Regierung mit verursacht haben.

Es muß also andere Gründe für den Einbruch in unsere Privatsphäre geben.

Einer davon ist sicherlich, daß die Politker ihre Machenschaften besser geheimhalten können, wenn sie so rechtzeitig gewahr werden, wer eventuell eine Fährte aufgenommen hat. Ebenso können sie mit intensiver Überwachung unerwünschte Veröffentlichungen noch vor der Drucklegung verhindern bzw. vor dem Einstellen ins Internet.

Das Teuflische an den Einbruchsrechten in die Privatsphäre eines Jeden ohne richterliche Erlaubnis ist nämlich, daß alle damit beauftragten Dienste diesen unsäglichen Politkern unterstehen. Die können dort Anweisungen geben und die dort Beschäftigten dazu veranlassen, ihren Privatinteressen gemäß Journalisten und andere zu verfolgen, die eventuell ihre schmutzige Wäsche entdecken könnten.

Unter diesem Aspekt waren die Aufdeckungen besonders interessant, daß der Bundesnachrichtendienst BND, der eigentlich ein Spionageorganisation im Ausland sein sollte, Journalisten in Deutschland ausspähte und sogar Journalisten als Mitarbeiter gewann, um deren Kollegen besser im Griff haben zu können.

In diesem Zusammenhang sind auch die unzähligen ungeklärten Fälle von Interesse, in denen Einzelne aus der Politiker-Klasse für offensichtlich irreguläre Privatisierungen zuständig waren und dann verhindern konnten, daß darüber Informationen an die breite Öffentlichkeit kamen.

Eines der Beispiele ist die Privatisierung der Wasserwerke von Mülheim/Ruhr, die an die RWE gingen, obwohl die Gelsenwasser 80 Millionen mehr geboten hatte. Verantwortlicher: Der jetzige Staatssekretär im Wirtschaftministerium von Nordrhein-Westfalen und damalige Bürgermeister von Mülheim, Dr. Baganz (CDU).

Aber dies ist nur die Spitze des Eisbergs. Praktisch alle Privatisierungen und PPP-Kontrakte ("public-private-partnership") gehen unter den merkwürdigsten Umständen vor sich und fast jedesmal läßt der gesunde Menschenverstand vermuten, daß hohe Bestechungssummen im Spiel waren. Besonders sollte man immer die Verkaufspreise bei den Privatisierungen beachten. Sie erreichen praktisch nie auch nur die Hälfte des Wertes der Firmen.

Eines der eklatantesten Beispiele (in diesem Fall einmal nicht aus Deutschland)war der Verkauf einer der größten Minengeselschaften der Welt in Brasilien, der Compania Vale do Rio Doce (CVRD), Inhaber von unschätzbaren Geländen mit Bodenschätzen und der Ausbeutungsrechte dafür, darunter einer Anzahl der größten Eisenerzminen der Welt und einige der gewaltigsten Goldminen der Welt.

Sie wurde vom brasilianischen Staat unter Präsident Cardoso zu einem Preis privatisiert, der bestenfalls einem Hundertstel des Wertes der bereits nachgewiesenen Bodenschätze auf ihren Besitzungen und Konzessionsgebieten entspricht. Nach einer Veröffentlichung der brasilianischen Gewerkschaft CUT entsprach der Verkaufspreis fast genau dem Gewinn der Gesellschaft in EINEM Monat (!), ein Jahr vor dem Verkauf.

Der damalige Präsident Cardoso hält sich seitdem nach Aussagen seines politischen Alliierten Lembo, zur Zeit dieser Aussage Gouverneur von São Paulo, viel in New York auf und diniert dort in Restaurants, in denen ein Gläschen Cognac 200 Dollar kostet.

Aber die Sauereien der Politiker sind nicht der einzige Grund, warum die demokratischen Rechte und die Rechte auf Privatspäre pulverisiert werden.

Wenn man nur die Überwachung von Demonstrationen und Kundgebungen gegen die Regierung mit Photos und Videos ansieht, dann kann man sich schon vorstellen, was dieser andere Grund ist.

Elmar auf Stuttgarter Modemo Jan 06, Polizeifahrzeuge

Hier ein Photo von Elmar Getto, der im Januar 2006 einen Redebeitrag auf der Stuttgarter Montagsdemo hielt. Im Hintergrund kann man die Polizeiwagen erkennen, aus denen fast ununterbrochen fotografiert und gefilmt wurde.

Die unsäglichen Politiker wissen natürlich, daß sie mehr und mehr die Wut des Volkes auf sich ziehen. Sie müssen damit rechnen, daß die Zeit nahe ist, wenn die Keule des Antikommunismus nicht mehr funktioniert und die Arbeiter und das Volk sich gegen sie und ihre Auftraggeber auflehnen werden.

Polizeieinsatz gegen friedliche Demonstranten

Dann hätten sie natürlich gerne vollständige Listen aller Oppositionellen, um sie aus dem Verkehr zu ziehen. So ist es nicht verwunderlich, daß sie beginnen, Informationen über jede noch so winzige oppositionelle Aktivität zu sammeln.

Nur müssen sie aufpassen, daß es ihnen nicht so geht wie der Stasi, der besten Informationssammelmaschine über potentiell Oppositionelle, die je erfunden wurde.

Als es hart auf hart kam, mußten sie, statt die Oppositionellen zusammenzutreiben , bedacht sein, ihre Unterlagen zu verbrennen. Denn erstens kommt es anders, zweitens als man denkt.



Artikel der "Berliner Umschau" vom 10.8.06, hier geringfügig aktualisiert und redigiert.

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