Warum war das 3.Quartal 2008 bereits Krise...
Von Karl Weiss
Angeblich, so erzählen uns Herr Unsinn, Frau Merkel und andere Schlauberger - so wie die Nachplapperer in den Redaktionen bürgerlicher Medien -, hat die globale Finanzkrise, die Mitte September mit der Pleite der Lehmann Brothers Bank begann, anschließend den Wirtschaftseinbruch ausgelöst, der jetzt auch von den bürgerlichen Ökonomen schon offen "Krise" genannt wird.
Aber: Die Zahlen des zweiten und dritten Quartals 08 zeigen bereits in den USA, Großbritannien, Deutschland, Japan und anderen Ländern deutliche Einbrüche der Wirtschaftstätigkeit. Die wesentlichen Länder sind bereits seit dem dritten Quartal in der Krise - hatten also im Oktober schon zwei Quartale sinkender Wirtschaftsaktivität hinter sich. Mitte September ist aber am Ende des dritten Quartals. Die Finanzkrise kann also die Wirtschaftskrise nicht ausgelöst haben.
Nun haben dies auch bürgerliche Ökonomen und Kommentatoren bemerkt. Der Chef-Ökonom der Financial Times Deutschland (FTD), Thomas Fricke, schreibt am 18. Dezember 2008:
"Lehman ging am 15. September pleite, was tatsächlich eine systemische Krise im Finanzsektor auslöste. Allerdings waren zu dem Zeitpunkt alle wichtigen Konjunkturindikatoren schon seit Wochen schockartig auf Talfahrt. (...)
In den USA schnellte die Zahl der Neuanträge auf Arbeitslosengeld in der letzten Juli-Woche plötzlich auf Rezessionsniveau - nicht Mitte September. Im August brach der Aufwärtstrend bei Aufträgen für US-Unternehmen ab, die Bestellungen fielen binnen einem Monat um vier Prozent. Die Industrieproduktion sank ebenso abrupt im Monat vor der Lehman-Pleite - nicht danach. Das Gleiche gilt für Amerikas Exporte, die vorher monatelang geboomt hatten.
Für den Rest der Welt lautet der Befund ähnlich. In der Euro-Zone begannen die Stimmungsindikatoren im Juni abzustürzen, mit Zuspitzung im Juli. Auch der Ifo-Geschäftsklimaindex beschleunigte seine Talfahrt abrupt schon kurz vor der Jahresmitte. In Japan brachen im August die Aufträge für Maschinen jäh um zwölf Prozent ein. Selbst in China gab es schon Wochen vor Lehman Anzeichen für einen ernsteren Konjunkturrückschlag. Die Frage drängt sich auf: Was, in aller Welt, ist in den Monaten Juni bis August 2008 passiert, dass in diesen Wochen fast zeitgleich rund um den Globus die Konjunkturindikatoren abstürzten? Was hat diesen Schock bewirkt?"
Da steckt allerdings schon ein Wurm in der Fragestellung. Es wird gar nicht mehr nach der Ursache von Wirtschaftskrisen gefragt, sondern nur nach dem Auslöser. Also zunächst einmal: Der Kapitalismus bringt gesetzmässig Wirtschaftskrisen hervor, weil die Kapitalisten einerseits versuchen müssen, die Löhne immer mehr zu verringern und andererseits die Produktion immer weiter ausweiten müssen, um den sinkenden Profitraten zu versuchen zu entgehen, was zur Überproduktion führt. Das ist die Ursache der Wirtschaftskrise.
Deutschland: Einzelhandelsumsatz 2006 bis 2008 mit Trendlinie
Nur hätte diese Krise eigentlich schon viel früher ausbrechen müssen. Der konkrete Ausbruch wurde aber künstlich hinausgezögert, indem man überall, in besonderem Masse aber in den USA, den Verbrauchern leichten Kredit (und oft zu leichten) zu märchenhaft guten Bedingungen (oft auch märchenhaft unrealistisch) offerierte, was auch weithin angenommen wurde. Eine Welle von Konsum auf Kredit wurde induziert, vor allem durch steil steigende Immobilienpreise ausgelöst, was sich aber nun als eine Blase herausgestellt hat, scheinbar erhöhte Werte ohne wirklichen Hintergrund. Besonders in den USA, aber auch in Großbritannien und Spanien begannen diese Immobilienblasen bereits ab 2006 zu platzen. In Wirklichkeit ist dieser Prozess nicht ein einmaliges schnelles Platzen, sondern eine jahrelange Talfahrt.
Wer diesen Prozess verfolgt hat, konnte bereits seit 2006 den Ausbruch dieser Krise kommen sehen. Im 2. und 3. Quartal dieses Jahres gab es reihenweise Anzeichen für das konkrete Übergang in die Krise, wie Fricke (Zitat oben) darlegt.
Trotzdem gab es keinen bürgerlichen Ökonomen, der das Offensichtliche erkannt und Warnungen abgegeben hätte. Das dürfen sie nämlich nicht, denn Krisen gibt es angeblich nicht im Kapitalismus und überhaupt ist Marx ein Spinner.
So kam es dazu, dass der 15. September alle Welt unvorbereitet traf und seitdem behauptet wird, es sei eine Finanzkrise mit "Auswirkungen auch in der Realwirtschaft". In Wirklichkeit ist die Finanzkrise vor allem ein Ausdruck des völlig irrwitzigen Kreditvergabe, die zwar die Krise hinauszögern konnte, aber sie gleichzeitig vertiefte. Sie ist nichts anderes als eine Zugabe. Die eigentliche Wirtschaftskrise dagegen hat gerade erst angefangen und ihr wirkliches Ausmaß ist noch gar nicht abzusehen. Wenn behauptet wird, Ende 2009 oder im Jahr 2010 ginge es schon wieder aufwärts, ist das nichts weiter als Pfeifen im dunklen Wald.
Wenn man Analysen der kapitalistischen Wirtschaft anstellen will, aber gleichzeitig Marx verneinen muss, kommt man eben immer bestenfalls zu Kaffeesatzleserei.
Was nun die andere Frage betrifft, nämlich die konkreten auslösenden Elemente der Krise in diesem Fall, so kann Fricke schon recht haben. Er macht vor allem den extrem hohen Ölpreis zu jenem Zeitpunkt verantwortlich für das Auslösen der Krise, zusammen mit dem Schock, den die Zentralbanken in jener Situation auslösten, als sie im Juli die Leitzinsen erhöhten, weil sie meinten, es sei vor allem die Inflation zu bekämpfen.
Das dürfte wahrscheinlich als die idiotischste Einschätzung des letzen Jahrhunderts in die Geschichte eingehen.
Wenn es je einen Total-Blackout der bürgerlichen Scheinwissenschaft der Ökonomie gegeben hat, so war es die völlige Hilflosigkeit, die Sinn und Konsorten in dieser Situation an den Tag gelegt haben. Und so kann man auch ihren weiteren Vorhersagen nicht glauben, de zum Beispiel für Deutschland lediglich ein halbes bis ein Prozent an Minus in der Wirtschaftstätigkeit für 2009 vorhersehen.
Nach allen vernünftigen Einschätzungen dessen, was da auf uns zukommt, wird das Jahre dauern und weit, weit tiefer als minus 0,5% absinken.
Und selbst die geringfügigen Maßnahmen zur Verringerung der Tiefe der Krise, die jetzt noch möglich wären und die in den USA, Japan, Großbritannien und Frankreich weitgehend benutzt werden, will die Bundesregierung nicht verwenden. Jetzt den Konsum zu stützen, hält sie für unnötig.
Alles, was überhaupt diskutiert wird, soll Unternehmen helfen, aber nichts ist für den Konsumenten vorgesehen. Das beruht auf der absurden Einschätzung der "Wirtschaftsexperten" der Regierung, der Kern der Krise bestände aus Unternehmen, die an den Rand der Pleite kommen und nicht aus fehlender Möglichkeit des Konsums durch Geldmangel bei den Konsumenten.
Alle 10 größten Volkswirtschaften der Erde haben inzwischen bereits Maßnahmen angekündigt oder schon durchgeführt, die unmittelbar im Konsum wirksam werden und über mehrere 100 Milliarden Euros gehen, mit der einzigen Ausnahme der Bundesrepublik. Das wird weitere zusätzliche Prozente an Wirtschaftseinbruch in Deutschland ergeben - über den mancher anderen großen Wirtschaftsnation hinaus.
Veröffentlicht am 31. Dezember 2008 in der Berliner Umschau
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