Der gläserne Normalbürger, Teil 1
Von Elmar Getto
Seit dem 1. April ist der bundesdeutsche Normalbürger gläsern. Jeder Finanzbeamte, jeder “Agent” der Arbeitsagentur, jedes Bafög-Amt, das Landratsamt, die Sozialämter, alle können beliebig in den Konten jener Bundesbürger schnüffeln, die keine Zeit, kein Geld und keine Gelegenheit haben, ihr Geld ins Ausland zu schaffen. So weit, so schlecht. Doch die ‚Junge Welt’ feiert dies als Fortschritt und will uns weismachen, dies könnte sich auch gegen Reiche und Superreiche richten. Die ‚Junge Welt’ ist eine Erklärung schuldig!
Der 1. April, der Tag der Lüge, war wahrlich ein gutes Datum, um das neue ‚Gesetz für Steuerehrlichkeit’ in Kraft zu setzen. Schon der Titel ist eine reine Lüge. Denn „Steuerehrlichkeit außer den Reichen und Superreichen” wäre der richtige Titel gewesen.
Im Grunde war es auch schon vorher möglich, die inländischen Konten ohne allzu große Mühe abzufragen, aber man mußte noch einen Richter bemühen, wenn man alle Angaben wollte. Dies fällt nun weg. Die Voraussetzungen für einen „Abruf” sind bewußt so schwammig gehalten, daß jeder Beamte oder Beamtenanwärter heute willkürlich Konten ansehen kann.
Es ist klar, um was es geht: Im Rahmen der Einführung von Hartz IV und der ganzen Agenda 2010 sollen alle kleinen Leute, die noch irgendwo eine kleine Rücklage auf der Bank haben, ausfindig gemacht werden. Es soll unmöglich gemacht werden, daß irgendjemand Sozialhilfe, ALG II, Bafög oder sonst etwas bekommt, solange noch eigene Ersparnisse vorliegen. Die sollen immer erst aufgebraucht werden müssen.
In Zukunft kann man dies auch auf Renten anwenden. Rente beanspruchen? Erst das Ersparte aufbrauchen!
Denn die Grausamkeiten, die auf den kleinen Mann zukommen, werden nur richtig greifen, wenn er absolut abhängig davon ist, jene Almosen zu erhalten.
Nur so wird das eigentliche Ziel von Hartz IV, die Senkung des allgemeinen Lohnniveaus, seine Wirkungen katastrophal entfalten können.
Doch auch einem Mißbrauch ist Tür und Tor geöffnet. Es gibt keine automatische Registrierung, welcher Beamte wann welche Konten angesehen hat, keine Überprüfung durch Vorgesetzte und vor allem nicht, was eine solche Regelung unter Umständen rechtsstaatlich machen könnte: Die Mitteilung an den ausgespähten Bürger, welcher Beamte welches Amtes sein Konto angesehen hat und aufgrund welchen Verdachtes.
Auch unter Beamten, wie in der Bevölkerung, gibt es Kriminelle. Ihnen stehen nun die Tore offen, sich Kenntnis über Personen und deren Kontonummern zu verschaffen und einen blühenden Handel mit diesen Informationen aufzumachen. Interessenten sind Legion.
Doch was sagt dazu die ‚Junge Welt’? Bereits vor Inkrafttreten ließ man einen Vertreter von ‘attac’ in einem Interview zu Worte kommen, der das neue Gesetz begrüßte und als „Schritt in die richtige Richtung” feierte.
Nun hat die ‚Junge Welt’ auch im eigenen redaktionellen Teil in das Loblied dieses Gesetzes eingestimmt. In einem Artikel am 1.4. 2005 schreibt die ‚Junge Welt’:
“Die Empörung darüber ist nicht immer nachzuvollziehen”
"...die Steuerpflicht gehört zu den zivilisatorischen Spielregeln, die einzuhalten sind.“
"... das neue Gesetz ... eignet sich wunderbar als Steilvorlage, will man zu mehr sozialer Gerechtigkeit in Deutschland kommen.“
Die ‚Junge Welt’ versucht uns weiszumachen, das Gesetz könnte auch gegen Reiche und Superreiche angewandt werden. Dabei muß man selbst zugeben:
„Steuern zu zahlen ist aus Sicht vieler Wohlhabender eine gute Sache – wenn es denn die Lohnsteuern der Beschäftigten oder die Umsatzsteuer sind. Aber selbst vom Reichtum etwas abzugeben, den man sich unter dem Schutz dieses Staates angeeignet hat, das tut vielen dieser Spezies weh. Also schaffen sie einen Teil ihrer Kohle beiseite, verstecken es auf Nummernkonten in der Schweiz, in Vaduzer Treuhandgesellschaften oder auf den Cayman-Inseln.“
Also, liebe ‚Junge Welt’, greift das Gesetz in der Schweiz, in Vaduz und auf den Cayman-Inseln? Nein, nur bei deutschen Banken. Die ganze Argumentation ist ein Fake.
Es wäre sehr wohl möglich, den deutschen Reichen und Superreichen ihre Schlupflöcher zu verstopfen. In vielen Ländern auf der Welt ist zum Beispiel der Export von großen Summen (z.B. mehr als eine halbe Million Euro im Ablauf von 5 Jahren) meldepflichtig als Devisenausfuhr. Auch eine generelle Meldepflicht von Auslandskonten ist oft üblich. Das Nichtmelden könnte man z.B. mit obligatorischen Gefängnisstrafen belegen, die nicht durch Geldstrafen ersetzt und nicht zur Bewährung ausgesetzt werden können.
Die Schweiz z.B. hat sich in letzter Zeit als hilfsbereit erwiesen, wenn es um das Offenlegen von Konten geht, bei denen kriminelle Machenschaften vermutet werden. Selbst so würde natürlich immer noch ein wesentlicher Teil nicht erwischt werden, aber die Erwischten würden ein beachtliches Unbehagen in bestimmten Kreisen verursachen.
Warum wird nichts davon auch nur versucht? Das ist völlig klar: Die Politiker, die das veranlassen müßten, gehören ja selbst zu „bestimmten Kreisen“. Die werden einen feuchten Kehricht tun und sich selbst in Schwierigkeiten bringen.
Dazu sind sie ja gerade die Beauftragten des Kapitals, das natürlich weiterhin keine Steuern zahlen will. Wie wir aus dem neuen Buch von Jürgen Roth wissen, wurden die Zollbeamten an den Grenzübergängen zur Schweiz sogar ausdrücklich angewiesen, den Verdacht auf Devisenvergehen nicht mehr zu melden.
Manche Zollbeamten haben einen guten Riecher für jene unauffälligen Herren mit den Aktenkoffern voller Geld an der Grenze und man könnte eine gute Anzahl von ihnen dingfest machen, aber so wird effektiv verhindert, daß jemand gefaßt wird.
All dies stört die „Junge Welt“ nicht. Sie behauptet, das Gesetz bringe „...auch die Hoffnung, daß sich die gesellschaftliche Oberschicht bei Einführung einer Vermögenssteuer nicht so einfach als »arm« deklarieren kann.“
Worauf diese Hoffnung begründet sei, verrät sie uns allerdings nicht. Lesen Sie selbst nach:
http://www.jungewelt.de/2005/04-01/011.php
Was ist in die ‚Junge Welt’gefahren? Sie ist der Leserschaft eine Erklärung schuldig!
Ein Artikel von Elmar Getto zu diesem umstrittenen Thema, in dem er zeigt, wie er es versteht, die Kritik an den Zuständen mit der an Medien zu verbinden, die sie verteidigen. Ursprünglich erschienen in 'RBI-Aktuell' vom 27. April 2005.
Link zum Teil 2