Donnerstag, 5. April 2007

Der 'Kampf der Kulturen', Teil 1

Wie man einen Popanz erfindet

Von Karl Weiss

Von allen Seiten – Politik – Massenmedien und auch gewissen Internet-Seiten – wird uns ins Ohr geblasen, nun sei der ‚Kampf der Kulturen’ auf der Tagesordnung – jetzt ginge es nicht mehr um den Kalten Krieg, sonder um die säkulare Auseinandersetzung zwischen der westlichen Kultur und dem Islam, zuweilen auch Krieg der Zivilisationen genannt. Kriege seien unvermeidlich,
denn nur einer könne als Sieger hieraus hervorgehen.


Stellt man den Propagandisten dieser These einige einfache Fragen, kommen sie allerdings schon ins Schleudern. Zum Beispiel muss man natürlich fragen:
Islam ist doch eine Religion, keine Kultur, wie kann da ein ‚Kampf der Kulturen’ entstehen. Ja, so wird uns beschieden, es ginge nicht um Worte, sondern um Inhalte. Der Islam stelle eben eine solche Bedrohung dar heutzutage, dass man ihn wie eine Kultur nehmen könne.

Irakkrieg

Fragt man nun weiter, wer eigentlich nun genau diese Bedrohung darstellt, wird es völlig konfus. Einige sagen: Der Iran (als Ganzes, als Staat und Bevölkerung), andere sagen: Nein, nur die fanatischen Islamisten, sei es im Iran oder anderswo. Wieder andere sagen: Alle Staaten, die den Islam als Staatsreligion haben (das wären im wesentlichen nur der Iran, Saudi-Arabien und Pakistan), wieder andere: alle Länder und Völker, die überwiegend mohammedanisch sind (das allerdings betrifft an die 40 Länder der Erde, wie z.B. Somalia, Marokko, Indonesien und viele andere).

Fragt man nun weiter, warum wir uns als im Kriegszustand mit Somalia, Indonesien und Marokko betrachten sollten, so werden de Aussagen schon etwas ungeduldiger. Man solle nicht spitzfindig werden. Man wisse genau, was gemeint sei usw.

Doch wir lassen uns nicht irreführen und fragen weiter: Wie genau wird denn nun definiert, mit welchen Ländern wir uns im Krieg befinden und mit welchen nicht?

Irgendwann in diesem Frage-Antwort-Spiel wird der Befragte beginnen auszuweichen, denn er wird nicht in der Lage sein, uns eine begründete Liste von Staaten zu geben. Er wird anfangen zu schwadronieren über Werte. Wir hätten eben andere Werte und jene hätten Werte, die wir nicht akzeptieren könnten und uns nicht überstülpen lassen wollten.

Abu Ghraib 7-35

Gut, gehen wir also über auf die Werte (dann geht es also um einen „Kampf der Werte“, nicht um einen ‚Kampf der Kulturen’?). Nein, es ginge schon um Kulturen. Unsere Kultur, die westliche Kultur habe eben andere Werte, während „die Anderen“, die so undefinierbar sind, eben aus langer Geschichte andere Werte hätten.

Also, sehen wir einmal in die Geschichte. Alles was heute als „westlich“ beschrieben wird, das betrifft also Europa, die Amerikas und Israel, beruht tatsächlich auf gemeinsamen Wurzeln. Diese gemeinsamen Wurzeln kommen z.B. in den gemeinsamen Zahlen zum Ausdruck, den arabischen Ziffern. Wie bitte? Arabisch? Bei den westlichen Werten? Moment einmal, da stimmt was nicht!

Also, wo sind unsere Wurzeln als westliche Kultur? Nun, jedes halbwegs vernünftige Geschichtsbuch lehrt uns das: In Babylonien und Assyrien, im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris, genau da, wo heute das Volk des
Irak unter den US-Besatzung leidet.

Gun

Dort gab es die ersten großen Reiche, die Schriften hatten, die eine Gesetzgebung hatten, die uns in Stein gehauen überliefert haben, worauf die beginnende westliche Zivilisation beruht. Später war da das große Ägyptische Reich, noch später das Persische (ja, genau: Iran) und dann das Mazedonische mit Alexander dem Großen, danach die alten Griechen, dann die alten Römer. So lesen wir es dort nach.

Und dort bei den Arabern wurde auch unsere Zahlen erfunden: eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben....Man kann das auch im Detail nachlesen, aber das führt uns im Moment nicht weiter.

Gleichzeitig oder mit geringem Zeitabstand gab es auch weit entfernt davon das Entstehen anderer Zivilisationen: In China, in Indien, in Japan. Im Gegensatz zu den Kulturen mit den Wurzeln dieser Zivilisationen nennen wir unsere die westliche Zivilisation, mit den westlichen Werten und der westlichen Kultur.

Was umfasst sie? Europa, die von Europäern dominierten Amerikas, den ganzen arabischen Raum, ebenso wie wesentliche Teile Vorderasiens bis hin zur
pakistanischen (nach anderer Version sogar bis zur indischen) Grenze.

Das ist unsere westliche Zivilisation, Kultur, unser Erbe. Wir können uns nicht davon lösen, denn das sind wir. Das ist es, was uns geprägt hat.

Wie? Moment mal? Dann wären alle diese Länder Teil unserer westlichen Kultur? Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Ägypten, Palästina, Jordanien, Israel,
Syrien, Saudi Arabien, die Emirate, Kuwait, Jemen, der Irak, der Iran, die Türkei, Afghanistan, Aserbeidschan und und und.

Abu Ghraib Folterszene - blutender, nackter Gefangener. Zu diesem Foto existieren verschiedene Versionen. Eine besagt, der Gefangene ist bereits tot, eine andere, er sei lediglich durch einen Hundebiss verletzt und es handele sich nicht um Folter.

Also so gehts ja nicht, wir wollten doch gerade unsere westliche Kultur GEGEN solche Länder definieren! Eben!

Eben!

Nun, unsere Propagandisten des ‚Kampfes der Kulturen’ geben nicht so leicht auf: Nein, es ginge nicht um DIESE westliche Kultur, es ginge vielmehr um die Kultur, die durch die jüdisch-christlichen Werte bestimmt ist. Diese
unterscheide sich substanziell von dem, was der Islam lehre.

Damit sind wir wieder da, wo wir vorher schon waren, es geht um einen Kampf der Religionen, nicht der Kulturen.

Aber seien wir nicht ungerecht, gehen wir auf die Argumentation mit den Werten ein und untersuchen wir, was sind die Werte, die jüdische und christliche Länder, Staaten und Reiche praktiziert haben?

Was die damaligen Juden betrifft, so lehrt uns die Bibel bei Moses, wie man damals im Kriegsfall mit den unterlegenen Gegnern umzugehen hatte: Alle mit
Mann und Maus, Männer, Frauen und Kinder mussten umgebracht werden, lediglich die Jungfrauen wurden geschont, um sie zum eigenen Gebrauch zu haben.

Hieronymus Bosch, Garten der Lüste, Ausschnitt 17

Es gibt da sogar eine Episode in der Bibel, die davon erzählt, wie König Salomon einmal den Anweisungen Gottes nicht folgte und nicht alle Frauen und
Kinder der unterlegenen Feinde umbrachte (und nur die Jungfrauen zum eigenen Gebrauch schonte). Der Gott war völlig missgestimmt und erklärte, er sei deren Gott nicht mehr und würde ihnen keine weiteren Siege mehr bescheren.

Man hatte eine Menge Arbeit, den Gott wieder gnädig zu stimmen. Das war also die erste wesentliche Manifestation jüdisch-christlicher Werte.

Später dann, etwa ab dem 3. Jahrhundert unserer Zeitrechnung, tritt dann das Christentum auf die Bühne der Geschichte in Form von Völkern, die christlich
sind und deren Herrscher sich auf das Christentum beziehen.

Es ist bis heute nicht ein einziger Fall bekannt, dass diese Herrscher irgendwie weniger blutrünstig, weniger brutal oder weniger auf Machtgewinn aus gewesen wären als andere, nicht-christliche Herrscher. Nur waren die
christlichen effektiver beim Machtgewinn – ob auch bei den Jungfrauen, ist nicht überliefert.

Seit frühesten Zeiten waren die Begriffe Christentum und Folter praktisch identisch. Bis man im Mittelalter ankam, hatte bereits jede Burg und jede Ortschaft, die etwas auf sich hielten, ihre Folterkammern, wo wir heute noch
deren Folterinstrumente besichtigen können.

Detainees Guantánamo

Die Eroberungsfeldzüge christlicher Armeen sind Legion. Man hat jegliches Land, das zum Christentum „bekehrt“ wurde, im wahrsten Sinne des Wortes mit Feuer und Schwert erobert. Auch hierbei wurden natürlich wieder die Jungfrauen geschont, denn man konnte sie ja noch gebrauchen.

Dass da irgend jemand einmal aus Nächstenliebe gehandelt hätte, ist nicht überliefert (wenn man von der Liebe zur nächsten Jungfrau absieht) – genauso
wenig, wie Vergebung Teil der christlichen Praxis war oder ist.

Auch der Papst als Gottes Stellvertreter auf Erden hatte seine eigenen Armeen. Da konnte man schon einmal einen Kaiser herausfordern, wenn der nicht gehorsam sein wollte und ihn nach Canossa bestellen.

Da gab es auch mal zwei oder drei Päpste, in Avignon, Rom und sonstwo, die dann gegeneinander Krieg führten. Einer davon soll den Krieg gewonnen haben. Kurz, die ganze christliche Geschichte bis zum Ende des Mittelalters ist mehr oder weniger eine der brutalen Eroberungen, Unterwerfungen und nicht zu vergessen: Die Jungfrauen sind immer zum eigenen Gebrauch bestimmt.

Boticelli Geburt der Venus Ausschnitt

Nun aber, mit dem Jahr 1492 treten wir in die Neuzeit ein. Nun wurde alles anders, nicht wahr? Die Werte der Renaissance, die Werke Shakespeares, ‚Utopia’ von Thomas Morus, endlich mal Werte, auf die man sich berufen kann.

Unglücklicherweise begannen aber genau zu dieser Zeit die fürchterlichsten Ausrottungs-Kampagne, die von Christen bis dahin je durchgeführt wurden.

In den gerade entdeckten Amerikas wurden in den folgenden Jahrhunderten Indianer und Indios abgeschlachtet und ausgerottet, dass es eine Art hatte.
Wahrscheinlich um die 10 bis 20 Millionen waren es am Ende, die bei der Besiedelung des neuen Kontinent nicht mehr im Wege waren. Auch hier: Die Jungfrauen wurden geschont. Sie waren für den eigenen Gebrauch bestimmt. Es gibt viele und ausführliche Geschichten über versklavte Indio-Frauen und auch einige junge Indianerinnen, die von den christlichen Eroberern benutzt wurden.

Als besonderer Höhepunkt der Christlichkeit in der „Neuen Welt“ kann der christliche britische General Jeffrey Amherst gelten, der mit Pocken infizierte Decken an die Indianer verteilen ließ.

Zeichnung von der Übergabe der mit dem Pockenvirus infizierten Decken an die Indianer

Genau zu Beginn der Neuzeit begann auch die Geschichte des anderen großen christlichen Religions-Stammes, der Protestanten. Zunächst musste natürlich erst einmal gegeneinander Krieg geführt werden, wie es sich für anständige Christen gehört. Der dreißigjährige Krieg hinterließ ein völlig zerstörtes Europa. Die Hälfte der Bevölkerung Europas war ausgerottet worden (das wären
in heutigen Bevölkerungszahlen etwa 150 Millionen von Toten gewesen). Diesmal klappte das mit den Jungfrauen nicht so gut, denn die Mehrheit wurde von der Pest dahingerafft und die macht keine Ausnahmen für die Jungfrauen.

Ebenso begann genau zu dieser Zeit die leider so notwendige Inquisition, denn hätte man die Ketzer frei laufen lassen und mit Terror drohen lassen
sollen? Das alte Folter-Erbe wurde nun zu allerhöchsten Blüten getrieben. Es wurde so kunstvoll gefoltert, dass selbst heutige Folterknechte in Guantánamo Anerkennung zollen müssen – wenn deren Methoden natürlich doch auch weit fortgeschrittener sind.

Guantánamo Wagen

Ebenso begann nun die Geschichte, dass man endlich Schluss machte mit Hexen und Hexern in Europa, die ja nachweislich für die Pest verantwortlich waren.
Oder Jeanne d’ Arc? Hatte sie es nicht verdient? Die Scheiterhaufen brannten allenthalben und ganz Europa hallte für Jahrhunderte von den Schreien der
Verbrennenden wieder. Die christlichen Werte erreichten neue Höhen.

Karikatur Selbstmord Guantánamo

So als ob man nun aber alles, was es je auf Erden an Brutalität, Infamie und Gewalt gegeben hatte, in den Schatten stellen wollte, begann man nun die
moderne Sklaverei zu erfinden.

In Afrika fand man ausreichend „Menschenmaterial“, das leicht zusammenzutreiben war, denn die „Wilden“ hatten den damals modernen Feuerwaffen nichts entgegenzusetzen. Schon wurde daraus eines der grössten Geschäfte der Weltgeschichte.

In holder Eintracht von Arabern, Juden und Christen (ja, die drei gehörten immer schon zusammen wie Pech und Schwefel) holte man Schwarze aus Afrika und verfrachtete und verkaufte sie hauptsächlich in die „Neue Welt“, wo es praktisch ausschließlich sehr gute Christen waren, die sich schwarze Sklaven hielten – hauptsächlich zur Arbeit in den Minen, im Stall und auf den Feldern – mit Ausnahme der Jungfrauen natürlich, die wurden selbst genutzt, so wie es bei den Christen und vorher schon Juden immer schon Brauch war.

Doch dann, ab der US-Verfassung von 1776, als nach und nach die Feudalregime durch die Herrschaft aufgeklärter Besitzer von Manufakturen und Fabriken ersetzt wurden, als der Kapitalismus den Feudalismus ablöste, da wurden natürlich die christlichen Werte völlig andere, nicht wahr?

US-Fahne auf Halbmast

Nun, zu Beginn, während der napoleonischen Kriege und der weiteren Entwicklung hin zum deutsch-französischen Krieg 1870/71, hätte man vielleicht noch Hoffnung haben können. Doch dann, als das hehre 20. Jahrhundert heraufdämmerte, da bekam alle Scheusslichkeit, die christliche Werte je ausgemacht haben mochten, noch neue, bis dahin völlig unbekannte Glanzlichter aufgesetzt, die allen Nicht-Christen auf der Welt den
Angstschweiß auf die Stirn trieben.

Der 1. Weltkrieg 1914 bis 1918 war rein christlich auf beiden Seiten und war das gewaltigste Massaker, welches die Menschheit bis dahin je veranstaltet
hatte mit insgesamt etwa 15 bis 20 Millionen Toten.

Die faschistische Hitlerherrschaft in Deutschland, einem christlichen Land (während der Hitlerherrschaft waren weit über 90 % der Deutschen in einer der beiden großen christlichen Kirchen) wurde zum absoluten Höhepunkt
christlicher Tötungseffizienz. In einigen wenigen Jahren 6 Millionen Juden umzubringen, da konnte der Rest der Menschheit nur noch den Hut ziehen. Im wahrsten Sinn des Wortes – denn praktisch alle waren so erschüttert, wenn sie davon erfuhren, dass sie den Hut abnahmen.

Doch das war noch nicht alles. Das faschistische und christliche Deutschland entfachte auch den zweiten Weltkrieg 1939 bis 1945. Was kaum jemand für
möglich gehalten hatte, wurde wahr: Die Opferzahlen des 1. Weltkrieges konnten noch einmal verdoppelt werden (etwa 35 bis 40 Millionen Kriegstote), alles zur höheren Ehre der jüdisch-christlichen Werte.

Dieser Krieg war noch gar nicht ganz vorbei, da stiegen am Horizont schon die Schatten der Pilzwolken der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki hoch
und bescherten der Menschheit einen weiteren Höhepunkt christlicher Werte. Die Produktion immer neuer Atombomben in christlichen Ländern hört seitdem
nicht mehr auf.

Der Wahrheit halber sei aber gesagt: Immerhin etwa 1% der Atombomben der Menschheit gibt es heute in nicht-christlichen und nicht-jüdischen Ländern.

Palestina land loss

Doch damit ist die hehre Geschichte der Werte des jüdischen und christlichen Abendlandes noch keineswegs beendet. Die neue Weltmacht USA (zuerst zusammen mit der anderen Supermacht, dann als einzige verbliebene Supermacht), ein zutiefst christliches Land (über 80% der US-Amerikaner bekennen sich nicht nur zu einer der christlichen Religionen – das tun 95% -, sondern sind auch aktive Kirchgänger), konnte noch einmal eine besonders intensive Christlichkeit beweisen, als man ein kleines Land, Vietnam, aufs Korn nahm (Vietnamkrieg 1963 bis 1975).

Nun wurde der mit offenem Mund staunenden Menschheit gezeigt, wie man ein Land in die Steinzeit zurückbombt und wie man so viel „ Agent Orange“ ausbringt, dass Generationen von Kindern mit Missbildungen geboren wurden und noch bis heute geboren werden. Orange dürfte eine besonders christliche Farbe sein.

Nun, von der jüngeren Geschichte braucht kaum gesprochen zu werden. Die Bombardierungen Jugoslawiens, der Überfall auf Afghanistan, der auf den Irak mit inzwischen bereits über 300 000 Ziviltoten, das alles belegt, unsere über alles geliebte Supermacht bewegt sich vollständig innerhalb der hehrsten und höchsten Traditionen der christlichen Werte.

Irak: Weinendes blutbeflecktes Kind, dessen Vater und Mutter soeben von US-Soldaten ermordet wurden

Allerdings hört man im Irak nur selten, dass die Jungfrauen geschont und selbst gebraucht werden. Sollte diese alte und so liebe christlich-jüdische Tradition in Vergessenheit geraten?

Bush

Dafür steht aber außer Zweifel: Die neuen Foltermethoden unserer vererhrten Freunde von jenseits des Atlantik schlagen alles, was es in der Vergangenheit gab. Noch nie wurde so effektiv gefoltert. Folter ist und bleibt ein absolutes 'highlight' unter den christlichen Werten.

Abu Ghraib 5-6

Nachdem wir uns nun endlich einmal umfassend informiert haben, was jüdisch-christliche Werte sind, verstehen wir nun endlich und natürlich auch
vollständig, warum man sie mit Zähnen und Klauen gegen die bösen Angriffe des Islams verteidigen muss.

Man stelle sich vor, der will doch tatsächlich den Glauben mit dem Schwert verbreiten! Wie absurd!


Veröffentlicht in der 'Berliner Umschau' am 5. April 2007

Originalartikel


Der 2. Teil von "Kampf der Kulturen" ist hier

Der Baganz-WDR-Skandal

NRW-Landesregierung: Sauereien und Korruption

Von Karl Weiss

Die nordrhein-westfälische Landesregierung aus CDU und FDP hat es wirklich eilig. Noch keine zwei Jahre im Amt und bereits der zweite hohe Amtsträger in einen Skandal verwickelt. Nachdem ausgerechnet der Bauminister Wittke Hauptverantwortlicher in einem Bauskandal in Gelsenkirchen ist (die Berliner Umschau berichtete), ist es jetzt der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Dr. Jens Baganz, dessen Name in den Medien in rufschädigenden Zusammenhängen erscheint. Und der WDR (Westdeutscher Rundfunk) hat auch seinen Skandal.

Dabei muß man sich wirklich fragen, ob die CDU in Nordrhein-Westfalen kein weniger kompromittiertes Personal zu bieten hat. Ist die Personaldecke wirklich so dünn, daß man Politiker in höchste Ämter bringen muss, denen der Korruptionsschleim nur so von den Händen tropft?

Es handelt sich nämlich in beiden Fällen gar nicht ursächlich um Aktivitäten in der Landesregierung, die jetzt Anlaß zu Skandalen geben, sondern deren „Vorgeschichte“. Beide Spitzenpolitiker haben nämlich eine Vergangenheit als Bürgermeister, Wittke in Gelsenkirchen und Baganz in Mülheim.

Wittke hatte als Gelsenkirchener Bürgermeister einen Vertrag für die Sanierung des damals als Rathaus genutzten Hans-Sachs-Hauses unterschrieben, der dem Stadtrat als Ganzem in der endgültigen Version nicht gezeigt worden war, nur ausgewählten Freunden Wittkes. Er schusterte den Firmen und Banken des Sanierungs-Zusammenschlusses lasche 25 Millionen Euro zu, an den Stadträten Gelsenkirchens vorbei.

Die Sanierung erwies sich als unbezahlbar und das Hans-Sachs-Haus wurde zur größten Bauruine des Landes - und der neue Bauminister der Verantwortliche. Sowas nennt man Feingefühl bei der Auswahl der Minister, nicht?

Baganz ist dagegen mehr auf der Don-Juan-Spur. Die christliche CDU, christlichen Werten wie der ehelichen Treue verpflichtet und in der Abkehr von diesen Werten den Untergang des Abendlandes vermutend, nimmt es nicht mehr so genau mit der ehelichen Treue, wenn es um herausragende Persönlichkeiten der eigenen Partei geht.

Bürgermeister Baganz von Mülheim legte sich nämlich eine Geliebte zu, eine gewisse Ute Jasper, Rechtsanwältin ihres Zeichens und lebte dann auch mit ihr zusammen. Genau dieser Frau gab er einen millionenschweren (1,4 Mio. Euro) Beratervertrag mit der Stadt Mülheim, als Bürgermeister!

Sie war als Beraterin dafür verantwortlich, daß beim Verkauf der städtischen Werte die RWE und nicht die Gelsenwasser die Wasserwerke bekommen hat, obwohl jene 80 Millionen mehr geboten hatte. Ähnlich verhielt es sich beim Verkauf der Mülheimer Entsorgungsbetriebsanteile. Den Zuschlag bekam - ohne Ausschreibung - die vor allem in Köln inzwischen gerichtsnotorische Trienekens.

Es wurde nie eindeutig bewiesen, ob und wieviel die Rechtanwältin und/oder ihr ‚Lover’ für diese Liebesdienste von RWE und Trienekens erhielten, aber der gesunde Menschenverstand ...

Als dies alles herauskam, trat Baganz einfach zurück und - nichts. Keine Ermittlungen. Keine „brutalstmögliche Aufklärung“. Das ist nun immerhin schon 4 Jahre her.

Er verschwand von der Bildfläche (die Menschen haben ein kurzes Gedächtnis) und arbeitete eine Zeit als „Berater“, interessant, nicht? Diese Art von Leuten fallen immer auf die Füße.

Und die Partei stand weiter wie ein Mann hinter ihm. Kaum kam man in Nordrhein-Westfalen an die Regierung, wurde er schon wieder in ein hohes Amt gerufen. Seine Geschichte prädestinierte ihn ja für so etwas, nicht wahr?

Die Schlauberger und die „Experten“ finden immer zusammen, nicht?

Nun passierte aber etwas unschönes. Im Zuge ihrer Recherchen über die desaströsen Privatisierungen nordrhein-westfälischer Kommunen stießen der Kölner Autor und Klüngel-Experte Werner Rügemer und die Redakteurin Leslie Rosin vom WDR auf die Mühlheim-Geschichte. Sie wurde auf dem Rundfunksender WDR 5 gesendet. Das Manuskript, wie üblich, im Internet zur Verfügung gestellt.

Na, fast niemand hört WDR 5, aber wer hat es schon gerne, wenn seine Machenschaften im Internet eingesehen werden können? Ermutigt von seinem CDU-Parteifreund Thomas Kemper, damals Medien-Staatssekretär, beschwert sich Baganz gleich ganz oben, bei WDR-Intendant Fritz Pleitgen und verlangte, das Material aus dem Internet zu nehmen.

Hätte es irgendeine nicht belegte Behauptung oder gar Unwahrheit enthalten, hätte Baganz einfach eine teure Abmahnung oder gleich einen Prozeß androhen und so erreichen können, daß der Beitrag hätte entfernt werden müssen. Daß er das nicht tat, belegt also, daß alles wahr und belegt ist. Er weiß das alles ganz genau als promovierter Volljurist. Immer Juristen. Haben die im Jura-Studium ein Fach Sauereien und Korruption?

Ab diesem Moment, wird das Ganze von einem Skandal Baganz zu einem Skandal WDR-Baganz. Denn statt der üblichen vorgedruckten Antwort, die normale Bürger bekommen, wenn sie sich über schlechte Behandlung ihrer Person im Äther beschweren, nach dem Motto: „Haben nichts zurückzunehmen, wenn Sie sich beleidigt oder verleumdet fühlen, steht Ihnen der Rechtsweg offen“, reagierte der WDR unter Pleitgen damit, das ganze 35-seitige „Feauture“ des WDR 5 auf Fehler abzusuchen - und siehe da, man wurde fündig.

Der Rundfunkbeitrag hatte tatsächlich die Aussage von Baganz, er werde vom RWE-Konzern und der WAZ (Westdeutsche Allgemeine Zeitung) unterstützt, auf kurz vor dem Rücktritt gelegt. Die war aber schon Monate vorher gefallen.Damit hatte man einen Vorwand, dem Wunsch nachzukommen, das CDU-inkriminierende Material aus dem Internet zu nehmen.

Rein zufällig ist Pleitgen für seine Wiederwahl auf die CDU-Stimmen angewiesen. Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt.

Wie es sich gehört bei Obrigkeit, muß man sich natürlich auch noch entschuldigen. Das tat WDR-Hörfunkdirektorin Monika Piel in einen Entschuldigungsbrief an CDU-Staatssekretär Baganz. Unterwürfigst liest man da: "Ihrer Bitte, das Sendemanuskript aus unserem Internet-Angebot zu entfernen, sind wir in der Zwischenzeit nachgekommen."

Es lebe die Demokratie!

Wenn es sie denn gäbe.


Dieser Artikel erschien ursprünglich am 3. August 2006 in der "Berliner Umschau", hier leicht redigiert.

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