Dienstag, 5. Juni 2007

Zuerst entlassen und dann jammern

Kapitalisten: Es fehlen Ingenieure und Fachkräfte

Von Karl Weiss (einer der Ingenieure, die jetzt in Deutschland fehlen)

In hochqualifizierten Berufen im Elektro-, Metall- und Baubereich – d.h. bei Ingenieuren und qualifizierten Facharbeitern – sei ein Mangel an Arbeitskräften vorhanden, so tönt es aus verschiedenen Organisationen der Kapitalistenseite und – wie ein Echo – aus der Bundesagentur für Arbeit. Dies haben den Kapitalisten alle Fachleute und die Gewerkschaften vorausgesagt. Sie haben sich aller Ingenieure und qualifizierten Facharbeiter über 50 Jahre (und jünger) entledigt, um vermeintlich Kosten zu sparen und nun geht das Geheule los.

Seit Jahren, ja Jahrzehnten, ist es in den Betrieben der Elektro-, Bau- und Metallbranche die grosse Mode, scheinbar Kosten zu verringern durch Entlassungen und Frühverrentungen sowie Abschieben in die 58-er Regelung der Mitarbeiter von mehr als 50 Jahren (nicht nur dieser, aber bevorzugt dieser). In Wirklichkeit hat man dadurch zunächst Kosten gespart, die aber nun mit doppelter Wucht auf die Unternehmen zurückschlagen, weil man mangels Sachverstand und Arbeitskraft Aufträge ablehnen muss, verliert oder nicht im vereinbarten Zeitraum fertigstellen kann.

Man sehe sich nur jene Waggonbaufirma von Daimler-Benz an, die nicht in der Lage war, die versprochenen Züge mit Neigetechnik zum Laufen zu bekommen, die dann in Italien gekauft werden mussten (Fall Pendolino). Man sehe sich nur die absurden Verzögerungen bei der LKW-Maut an. Man sehe sich an, wie der neue Super-Airbus Jahr für Jahr weiter verschoben werden muss. Man sehe sich die frappanten Mängel bei der Magnet-Schwebebahn an. Da waren allesamt „junge, dynamische“ Firmen am Werk.

Die Schlaumeier, die da Kosten gespart haben, sind meistens schon nicht mehr in der Firma und diese muss nun mit den Folgekosten leben, die meist höher sind, als das, was man damals eingespart hat.

Dazu kommt der Effekt des jetz in höchster Mode stehenden „Shareholder-Value“. Die damaligen Einsparungen sind nämlich nicht etwa in der Firma geblieben für Investitionen, Modernisierungen, Automation oder ähnliches, sie wurden an die Aktionäre bzw. Anteilseigner ausgeschüttet und sind weg. Für die Firma stellten sie überhaupt keine Einsparungen dar. Die jetzt anfallenden zusätzlichen Kosten aber (zum Teil sind es auch einfach entgangene Gewinne) fallen voll der Firma zu Lasten. Die Anteilseigner werden sich nicht im mindesten daran beteiligen. Sie werden vielmehr klagen, das Unternehmen sei nicht mehr so lukrativ, wie es war und die jetzige Administration verantwortlich machen, die zu jener Zeit meist noch gar nicht das Sagen hatte.

Man lasse sich vor diesem Hintergrund auf der Zunge zergehen, was der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg (UVB), Klaus-Dieter Teufel, dazu zu sagen hat: "Es fehlen den Unternehmen nicht nur Ingenieure, sondern auch Facharbeiter für das verarbeitende Gewerbe, vor allem in der Metall- und Elektroindustrie. (...) Der Arbeitsmarkt in der Region ist nahezu leergefegt."

Laut einem Bericht der Berliner Zeitung vom 4. Juni 2007 würden laut seinen Angaben vor allem Mekatroniker sowie Dreher und Fräser mit CNC-Qualifikation gesucht. Der Unternehmerverband schätzt, dass allein bis 2010 in der Region Berlin rund 100 000 Fachkräfte fehlen werden.

Ja, wenn man automatisch nur die zählt, die jünger als 50 sind, dann fehlen Fachkräfte. Würde dieser Unternehmensvertreter und seine Kollegen in den Vorstandsetagen einmal die Augen aufmachen, so würden sie sehen, es sind Tausende und Abertausende von Ingenieuren und qualifizierten Facharbeitern über 50 in Hartz IV oder zum Teil noch im Arbeitslosengeld.

Allein jene, die bisher schon in die 58-er Regelung abgeschoben wurden und sich dann plötzlich in Hartz IV wiederfanden, gehen in die Zehntausende (immer bezogen auf Facharbeiter und Ingenieure).

Dazu kommen jene, die in Frührente geschickt wurden und dadurch die Kassen der Rentenversicherungen völlig unnötig leerten.
In den Vorstandsetagen und Personalabteilungen ist aber eine Jugendlichkeitshysterie ausgebrochen, die es ihnen unmöglich macht, zu sehen, dass ein Spezialist mit 50 Jahren keineswegs am Ende ist.

Es wird argumentiert, ältere Arbeitnehmer seien wenig flexibel, wären manchmal etwas langsam, oft nicht auf dem aktuellen Stand der Technik, hätten manchmal festgefahrene überholte Meinungen oder würden oft ihre Kenntnisse nicht mit den Jüngeren teilen.

Nun, was die Flexibilität angeht, da mag tatsächlich manchmal ein Defizit bestehen, aber das werden die älteren Mitarbeiter spielend mit ihrer Erfahrung ausgleichen. Die Sache mit den jungen Mitarbeitern, die so wunderbar schnell sind, ist wahrscheinlich mehr eine falsche Sicht der Dinge. Wenn jemand mit wenig Erfahrung auch noch übereilt handelt, dann wird kaum viel Sinnvolles herauskommen. Der ältere Mitarbeiter mag vielleicht manchmal langsamer erscheinen, weil er lieber zuerst alles durchüberlegt, aber dann hat es auch mit hoher Wahrscheinlichkeit Hand und Fuss.

Der Vorwurf, nicht aktualisiert zu sein und eventuell überholte Meinungen zu haben, trifft wohl hauptsächlich den Kapitalisten. Hat er ihn auf Weiterbildung geschickt, ihm ein Sabbat-Jahr gegönnt? Nein? Na, sehen Sie.

Was das Weitergeben der Erfahrungen an Jüngere angeht, so mögen wirklich so manche Ältere da gesündigt haben. Sahen sie doch, wie Leute, nur wenig älter als sie selbst, aufs Altenteil geschickt wurden. Da wollten sie versuchen sich unentbehrlich zu machen. Auch hier wieder der Fluch der bösen Tat (Abschieben der Älteren), die ständig Böses muss gebären.

Unternehmen, die eine gesunde Mischung von Alt und Jung aufweisen, werden im Schnitt besser wegkommen als die angeblich so dynamischen mit – wie es immer in den Stellenanzeigen heisst – „einem jungen Team“. Was soll an einer Firma, in der Erfahrung fehlt, dynamisch sein?

Doch hören wir, was der Unternehmerverbands-Teufel auf die Frage antwortet, ob man denn nicht versäumt hätte rechtzeitig auszubilden. „Der Bedarf dafür war einfach nicht da.“

Ja, man hat eben nicht für den kommenden Bedarf ausgebildet, sondern nur für den damals aktuellen. Genauso wirft man Leute, seien es Ältere oder auch quer durch die Reihen, auf die Strasse, ohne sich daran zu orientieren, dass man sie ein Jahr später vielleicht schon wieder braucht.

So sind die Gesetzmässigkeiten des Kapitalismus. Der Kapitalist kann nicht zukünftige Vorteile kalkulieren, er muss heute Profit machen. Wenn in der Zukunft die Dinge anders stehen, dann macht er eben wieder das Gegenteil von dem, was er gerade eben noch tat. Nur der momentane Profit zählt.

Das zeigt einmal mehr, der Kapitalismus ist nicht für eine sinnvolle Lösung der Probleme der Menschheit geeignet. Er wird immer dem kurzfristigen Profit nachlaufen und kann, selbst wenn er wollte, nicht die Bedürfnisse der Menschen berücksichtigen, schon gar nicht die längerfristigen.


Veröffentlicht am 5. Juni 2007 in der Berliner Umschau

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