Donnerstag, 7. Juni 2007

Charakteristisches Beispiel für die Politikerkaste

So machen das Berufspolitiker

Von Karl Weiss

Da gibt es also vor Wahlen jetzt die Institution, daß man im Internet Fragen an die Kandidaten vor Wahlen stellen kann, genannt ‚Kandidatenwatch’. Der CDU-Kandidat Dr. Pflüger wurde dort vor den Berliner Senatswahlen 2006 mit einem meiner Artikel aus der „Berliner Umschau“ konfrontiert. Wie er sich da herausgeredet hat, ist ein Lehrstück. Ein Lehrstück für das aalglatte an Berufspolitikern, aber auch ein Lehrstück, für wie dumm diese Berufspolitker ihre Wähler halten.

Nicht dass diese Antworten irgendetwas am Wahlergebnis geändert hätten, aber es ist immerhin bemerkenswert, das Ergebnis jener Wahlen war für die CDU das abgrundtiefste Wahldesaster seit ihrer Gründung, man rutschte deutlich ab auf etwa 21% der abgegebenen Stimmen, bezogen auf Wahlberechtigte auf etwa 13%.

Der Artikel war jener, in dem der Raub an den Steuerzahlern angeprangert wurde, der durch das Schenken von insgesamt 14 Milliarden Euros jährlich aus Steuergeldern an die christlichen Kirchen in Deutschland manifestiert wird (zusätzlich zur Kirchensteuer und zusätzlich zu den Zuschüsse für Kindergärten, Krankenhäuser usw.).

Die Fragestellerin in der ‚Kandidatenwatch’ wollte vom Kandidat Pflüger wissen, wieviel davon auf Berlin entfällt und speziell, ob die Zahl stimmt, nur 10% der Kirchensteuergelder flössen in Soziales.

Die Antwort des CDU-Kandidaten auf diesen Artikel ist bemerkenswert: Zunächst sagt er: „ich (...) kann die dort erwähnten Zahlen nicht bestätigen.“ Das ist im Politiker-Kauderwelsch die Umschreibung für: Ich kann sie nicht widerlegen. Könnte er nämlich, hätte er es sofort getan. Nichts desavouiert einen ganzen Artikel mehr, als wenn dort auch nur eine Zahl nicht stimmt.

Das kann er aber natürlich nicht zugeben. Also muss er anfangen zu tarnen und zu täuschen, den Wähler ein wenig an der Nase herumführen. Und das ist einfach. Man benutzt eine andere Basis für die Prozente als im Artikel, man definiert das "Soziale" neu und dann braucht es noch etwas ideologischen Politikersprech.

Dann umgeht er die Beantwortung der Fragen nach den Zahlen des geschenkten Geldes an die Kirchen und dem Berliner Anteil und geht direkt auf die Frage nach dem Sozialen:

„Die evangelische Kirche Deutschlands beispielsweise gibt für ihre Kindertagesstätten, Diakonie, Kinder- und Jugendarbeit, für Gemeindearbeit sowie Bildungswesen und Wissenschaft ca. 38,4 % ihrer Einnahmen aus. Hinzu kommen 20,7 % für den Pfarrdienst und Religionsunterricht. Die restlichen Einnahmen [soll wohl Ausgaben heißen] schlüsseln sich unter anderem für die Unterhaltung denkmalgeschützter Gebäude (13%), Verwaltung, Öffentlichkeitsarbeit und Altersvorsorge der Mitarbeiter sowie dem Friedhofswesen auf. Alle diese sozialen Dienstleistungen stehen den Gemeindemitgliedern, aber auch allen anderen Hilfesuchenden offen.“

Zunächst weicht er der Vergleichbarkeit mit der 10%-Zahl aus, indem er nur noch von den evangelischen Kirchen redet. Dann redet er nicht von den Kirchensteuereinnahmen, sondern von den Gesamteinnahmen.

Was er dann zu „sozialen Dienstleistungen“ zählt, ist aber wirklich höchst eigenartig: Diakonie, Kinder- und Jugendarbeit, Gemeindearbeit, Bildungswesen und Wissenschaft, Pfarrdienst und Religionsunterricht.

Es mag für die evangelischen Kirchen unabdingbar sein, in Kinder- und Jugendarbeit zu investieren, um ihren Nachwuchs zu sichern und in Gemeindearbeit und Pfarrdienst, um die Gläubigen bei der Stange zu halten, aber dies als „soziale Dienstleistungen“ zu bezeichnen, ist denn doch etwas weit hergeholt. Was die evangelischen Kirchen unter „Bildungswesen und Wissenschaft“ verstehen, also die Theologie und die damit zusammenhängenden Dinge, wird von anderen Teilen derBevölkerung nicht direkt als Wissenschaft bezeichnet (um es freundlich auszudrücken) – vor allem aber hat es nichts mit „Sozialem“zu tun.

Dies alles unter „soziale Dienstleistungen, die allen Hilfesuchenden offenstehen“ zu subsummieren, ist schon ein wenig dreist.

Wenn der CDU-Abgeordnete dies alles unter „Soziales“ nennen muß, so kommt der Verdacht auf, die Zahl von 10% für wirklich Soziales sei nicht weit hergeholt.

Doch nun kommt der Teil, wo er rechtfertigen muß, warum außerhalb der Kirchensteuer soviel Geld an die Kirchen fließt. Er stellt die Zahlen überhaupt nicht in Frage, sondern beginnt mit Politiker-Jargon:

„Der Staat unterstützt die Kirchen wie jede andere gesellschaftliche Gruppe bei der Durchführung ihrer Aufgaben. Der Staat verdeutlicht damit seine Stellung als Kultur- und Sozialstaat und betont die notwendige Mitwirkung der Kirchen, die einen nicht unerheblichen Beitrag zur kulturellen, sozialen und ethischen Ausgestaltung unserer Gesellschaft leisten.“

Er hätte auch schreiben können: „All diese 17 Milliarden jährlich gehen völlig zu Recht an die Kirchen, denn sie schützt uns vor dem Bösen“.

Nach einem Ausflug in den Bereich der Krankenhäuser und Sozialverbände, nach dem gar nicht gefragt war, kommt er nochmal auf die Rechtfertigung der 17 Milliarden aus Steuergeldern an die Kirchen zurück:

„Die CDU beruft sich auf ein christliches Menschenbild und steht beispielsweise für die werteorientierte Ausbildung unserer Kinder und die Beibehaltung des Wahlpflichtfaches Religion an Berliner Schulen. Wir betonen und würdigen damit die wichtige gesellschaftspolitische Rolle, die die Kirchen in unserem Land erfüllen.“

Gut gebrüllt Löwe! Es wäre auch einfacher gegangen: „Die CDU unterstützt aus ganzem Herzen die Schenkungen des Staates an die Kirchen von 17 Milliarden Euros jährlich!“

Trotz so überzeugender Antworten kommt nun aber ein anderer Fragesteller im Internet bei „Kandidatenwatch“, beklagt die ausweichenden Antworten, bezweifelt das „Soziale“ bei CDU-Pflüger und fragt nach weiteren Geldern, die an die Kirchen gehen.

Nun wird Herr Dr. Pflüger von der CDU ein wenig ungeduldig mit den Fragestellern:

„(..) ich teile daher nicht Ihre enge Auffassung von dem, was sozial ist.“ weist er den Fragesteller zurecht. Selbst den „Pfarrdienst...“ will er zum „Sozialen“ gezählt wissen.

Schließlich kommt er nicht umhin, erneut die großzügigen Schenkungen aus der Staatskasse rechtfertigen zu wollen. Lesen wir genau, was er schreibt:

„Die CDU fühlt sich als Partei dem christlichen Menschenbild verpflichtet und würdigt und unterstützt die wichtige Funktion, die die christlichen Kirchen in unserer Gesellschaft übernehmen.“

Hatten wir das nicht schon weiter oben? Genau!

Filbinger und Kohl
Wie das mit dem christlichen Menschenbild genau aussieht, deutet dieses Bild an. Kohl war 1976 Parteivorsitzender, der unsägliche faschistische Terrorrichter Filbinger sein Stellvertreter. Später erfuhren wir, Kohl sicherte seine Wiederwahl durch schwarze Kassen, die wiederum vom heute so aktiven Schäuble verwaltet wurden. Das christliches Menschenbild bildet sich also aus schwarzen Kassen und Faschismus.

Es wird deutlich, daß unsere Politiker-Charaktermasken ihre eigentliche Ideologie in einigen wenigen auswendig gelernten vorgefertigten Sprüchen von sich geben, die sie, bestenfalls etwas verändert in der Diktion, ununterbrochen von sich geben – immer nach dem Motto: „Die Wiederholung macht die Wahrheit!“

Kein Wunder, daß die CDU im tiefsten Tal der Zustimmung zu ihrer Politik seit den Anfängen der Bundesrepublk steht. Die Wähler sind eben nicht so dumm. Selbst wenn sich manche einlullen ließen - immer mehr wachen jetzt auf.


Veröffentlicht in der Berliner Umschau, hier mit kleineren Zusätzen.

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