Brasilien: São Paulo F.C. ist Wintermeister
Von Karl Weiss
An diesem Sonntag, den 12. August 2007, wurde die Hinrunde der brasilianischen Fussballmeisterschaft abgeschlossen. An der ersten Stelle, die bei uns Herbstmeister heißt und eigentlich nichts bedeutet, in Brasilien wohl eher „Wintermeister“, steht der São Paulo Futebol Clube, der Meister des letzten Jahres, mit 7 Punkten Vorsprung vor Botafogo Rio de Janeiro.
São Paulo hat in 19 Spielen lediglich 7 Tore einstecken müssen und ist damit der Verein mit der weit überragenden Hintermannschaft. Man hat zwar nur 24 Tore geschossen, weniger als Náutico Recife, das auf dem Abstiegsplatz Nr. 17 steht, aber die Wahrheit bestätigt sich eben immer wieder: Im heutigen Fußball muss man zunächst Gegentore verhindern – erst in zweiter Linie darf man ans Tore schießen denken.
Allerdings stehen noch einige Nachholspiele an, weil durch die Benutzung einiger Stadien für die Panamerikanischen Spiele in Rio de Janeiro im Juli eine Anzahl von Spielen verlegt werden mussten. Flamengo Rio de Janeiro z.B. muss noch drei Spiele nachholen, Botafogo noch eins, kann aber damit São Paulo nicht mehr von der „zeitweiligen“ Spitze verdrängen.
Dass São Paulo da vorne steht, ist keine Überraschung, aber so ziemlich alles andere. Das fängt schon mit dem Zweiten an, Botafogo, eine Mannschaft, die eigentlich eher im Kampf gegen den Abstieg erwartet worden war. Mit Botafogo ist das geschehen, was von Zeit zu Zeit mit mittelmäßigen Mannschaften geschieht. Sie finden zueinander, bilden eine Mannschaft und eilen eine Zeit lang von Erfolg zu Erfolg. Man erinnere sich an Wolfsburg letztes Jahr oder an Nürnberg in der ersten Jahreshälfte oder auch an Stuttgart.
Bis zum ersten August-Sonntag war Botafogo fast ununterbrochen Tabellenführer und es gab sogar schon kurzzeitig Befürchtungen, die Mannschaft könnte einen Alleingang veranstalten und die Meisterschaft uninteressant machen, genau das, was man jetzt von São Paulo befürchtet. Dann aber musste sich Botafogo im heimischen Maracanã-Stadion im direkten Vergleich der beiden Ersten São Paulo mit 0:2 geschlagen geben und so einen schweren Rückschlag einstecken.
Zu Beginn des Jahres, als noch die regionalen Staatsmeisterschaften ausgetragen wurden und die Spiele der südamerikanischen „Champions Leage“, der Libertadores, schienen zwei ganz andere Mannschaften die deutlich besten in Brasilien zu sein: Gremio Porto Alegre und der F.C. Santos (mit Zé Roberto als Spielmacher und Torschütze), die jeweils die hoch eingeschätzten São-Paulo- und Rio-Grande-do-Sul-Meisterschaften gewannen und in der Libertadores bis ins Halbfinale vorstiessen, wo Gremio Santos eliminierte. Heute stehen Gremio auf dem sieben und Santos auf dem achten Platz. Sie mussten Clubs den Vorrang lassen, die man nicht auf der Rechnung hatte im Kampf um die Meisterschaft und die anderen vorderen Plätze, die nächstes Jahr das Recht auf Teilnahme an der Libertadores garantieren.
Dritter ist Cruzeiro Belo Horizonte (Bester Sturm mit 40 Toren in 19 Spielen), einen Punkt hinter Botafogo (Zweitbester Sturm: 36 Tore), der zu Beginn des Jahres im ersten Endspiel der Meisterschaft von Minas Gerais dem Lokalrivalen Atletico Mineiro (heute auf Platz 12) noch mit einem ernüchternden 0:4 unterlegen war.
Vierter ist Vasco da Gama Rio de Janeiro, ein Verein, der Anfang des Jahres nicht ins Endspiel um die Rio-Meisterschaft gekommen war und wo Romario mit fast 41 immer noch erfolgreich Fußball spielt, mit einem weiteren Punkt Rückstand.
Fünfter ist Palmeiras, eine andere der vier grossen São Paulo-Mannschaften, wieder mit einem Punkt weniger, die aber in den letzten Jahren ziemlich in der Versenkung verschwunden war, sogar ein Jahr in der zweiten Liga verbrachte.
Sechster schliesslich, mit noch einem Punkt weniger, ist ein alter Bekannter aus der Liste jener, die immer vordere Plätze einnehmen, aber am Ende doch nie ganz vorne stehen, Goias Goiánia, so eine Art von Brasiliens Bayer Leverkusen, ein Verein, der eigentlich bei weitem der beste seines Staates ist, aber dieses Jahr einem zweitklassigen Verein die Goias-Meisterschaft überlassen musste.
Wer auch noch einer der klaren Meisterschafts-Anwärter war, ist Internacional Porto Alegre, Vorjahreszweiter und Gremios Lokalrivale. Man hatte immerhin im Dezember noch die FIFA-Vereins-Weltmeisterschaft gegen Barcelona gewonnen. Danach fiel die Mannschaft aber in ein tiefes Loch, schied früh aus der Libertadores aus und hat sich bis heute noch nicht richtig erholt, was sich am 9. Tabellenplatz ausdrückt. Nun hat man auch noch den begabten Nachwuchsstürmer Pato an den A.C. Mailand verloren, sprich verkauft, und man muss eventuell wirklich noch ein gute Zeit warten, bis die goldenen Jahre wieder kommen.
Wo man aber die grössten Überraschungen findet, sind die vier Abstiegsplätze und die Zone unmittelbar davor. Dort, auf den Plätzen zwischen 15 und 20, finden sich nämlich ausser zwei typischen Kandidaten, dem bereits abgeschlagenen América Natal als Letztem und dem Club Juventude Caxias do Sul als Drittletztem, die beiden Vereine mit der grössten Anhängerschaft über ganz Brasilien hinweg, Flamengo Rio de Janeiro, die Nr.1, auf dem vorletzten Platz und Corinthians São Paulo, die Nr. 2, auf dem 15.
Corinthians war 2005 noch Meister gewesen, Flamengo dieses Jahr noch Rio-Meister (vor Botafogo, der nun Zweiter ist und Vasco, jetzt Dritter) und im Vorjahr Pokalsieger Brasiliens.
Auf dem Platz 16, der ebenfalls höchste Gefahr bedeutet, findet man Atlético Paranaense aus Curitiba, ein Team, das vorletztes Jahr noch im Endspiel der Libertadores (gegen São Paulo) stand und im darauffolgendes Jahr ebenfalls eine gute Figur in der Meisterschaft macht.
Da auch Paraná Clube mit dem 13. Platz nur einen Punkt mehr hat als Corinthians, kann man von einem Niedergang der Curitiba-Vereine sprechen. Während die Haupstadt des südlichen Bundesstaates Paraná für viele Jahr als einzige Stadt ausserhalb der Mega-Metropolen São Paulo und Rio de Janeiro drei Vereine in der ersten Liga aufweisen konnte (von denen meistens Atlético der stärkste war), ist man nach dem Abstieg von Coritiba nun nur noch mit zwei Vereinen vertreten, die nun auch noch in der zweiten Hälfte der Tabelle herumkrebsen.
Für die Rückrunde bis zum letzten Spieltag am 2. Dezember 2007 kann man weiterhin viele Überraschungen erwarten. Aber São Paulo ist jetzt schon heissester Kandidat auf den Titel, ebenso wie Flamengo wohl bis zum Ende Abstiegskandidat bleiben wird.
Von Santos kann man, obwohl weiterhin unter Trainer Luxemburgo, wohl kaum noch ein entscheidendes Aufbäumen erwarten. Dazu war der Weggang von Zé Roberto zu ausschlaggebend. Man kann nur hoffen, dass er nun bei den Bayern positiv von sich hören lassen wird.
Veröffentlicht am 14. August 2007 in der Berliner Umschau
Originalartikel