Was schert es den Mond ...
Von Karl Weiss, Belo Horizonte
Brasilien hat begonnen, den 100. Geburtstag von Oscar Niemeyer zu feiern. Am 4. August wurde hier in Belo Horizonte im „Kultur-Palast“ die offizielle Ausstellung zu diesem Ereignis eröffnet. Die Hauptstadt von Minas Gerais kam zu dieser Ehre, weil hier die ersten bedeutenden Bauten erstellt worden waren, die der Architekt von Weltruf entworfen hatte und weil hier sein wohl bedeutendstes Werk steht, die kleine Sankt-Franziskus-Kirche am Ufer des Pampulha-Sees.
Andere kulturelle Ereignisse sind bereits in Rio de Janeiro und in São Paulo geplant. Auch wenn der eigentliche Geburtstag erst am 15. Dezember sein wird: Die Feierlichkeiten haben begonnen. Wird das Geburtstagskind interviewt, dann spricht das Genie Niemeyer nicht von sich. Er spricht von Bush, der die Welt in eine gefährliche Kriegssituation gebracht hat und wie wichtig jetzt die sozialistische Revolution ist.
Das Niemeyer-Bad in Potsdam wird dagegen nicht gebaut – ein Verlust für Deutschland, aber sicherlich nicht für den Brasilianer Oscar Niemeyer, den wohl berühmtesten Architekten des 20. Jahrhunderts (und wie es scheint, auch des Beginns des 21.), der weiterhin 6 Tage in der Woche arbeitet und letztes Jahr wieder geheiratet hat.
Das Bad wäre neben dem Interbau-Hochhaus in Berlin von 1957 das zweite Werk von Niemeyer in Deutschland gewesen, von wo ja seine Vorfahren stammten. Es wäre sicherlich ein Anziehungspunkt geworden, aber was will man machen.
Oscar Niemeyer ist es gewohnt, von Politikern und anderen, deren Ideologie und Religion der Antikommunismus ist, angefeindet zu werden, denn er ist Kommunist und verteidigt bis heute vehement seine Überzeugungen.
Da sind der CDU-Wirtschaftsminister von Brandenburg, mit Namen Junghans und ein dubioser FDP-Politiker mit Namen Lanfermann nicht die einzigen. Bezeichnend, wenn ausgerechnet ein Politiker der unsäglichen FDP von Grössenwahn bei Architektur spricht, einer Partei, die mitverantwortlich war für die Monumentalbauten des Bundesumzugs nach Berlin unter Kohl .
Werden doch Architekturstudenten aus den verschiedensten Ländern eigens nach Berlin geschickt, um sich ein Beispiel anzusehen, wie Architektur nicht sein darf, die sogenannte Bundesfallera-Architektur, ausdruckslos, einfallslos, ungewollt monumentalistisch, eklektisch, ohne Bezug zum Ort und beziehungslos nebeneinandergestellt.
Die Bauten von Niemeyer dagegen sind ebenfalls Wallfahrtsorte von Architektur-Studenten, aber deshalb, weil man von jedem von ihnen lernen kann, was wirklich gute Architektur ist. Niemeyer gilt als der Meister der Leichtigkeit, was naturgemäss bei Bauten nicht einfach ist.
Die Anfeindungen gegen Niemeyer begannen bereits im Jahr 1940, als die Pläne für die Sankt-Franziskus-Kirche in Belo Horizonte in Brasilien fertig waren. Die katholische Kirche tönte, sie wolle keine Kirche von einem Kommunisten und antikommunistische Politiker erklärten den Entwurf für „hässlich“.
Juscelino Kubitschek, der damals Bürgermeister von Belo Horizonte war, der später der Präsident Brasiliens mit dem grössten Weitblick werden und den Bau Brasilias entscheiden sollte, erkannte die Einmaligkeit des Niemeyer-Entwurfs und setzte den Bau der Kirche durch. Wer heute Architektur studiert und seinen Beruf ernst nimmt, von dem wird erwartet, dass er zumindest einmal hierher nach Belo Horizonte kommt und das Werk im Original sieht, das heute nicht einfach nur als exzellente Architektur, sondern als Kunstwerk angesehen wird.
Die ganze Rückwand der Kirche ist in blauen Fliesen des brasilianischen Künstlers Portinari ausgeführt, das Leben des Heiligen zeigend. Die vier Bögen der Kirche lehnen sich einerseits an die Wellen des Wassers an, denn Franziskus sprach ja unter anderen zu den Fischen. Anderseits sind diese Bögen aber auch eine Nachahmung der Bergkette, an der Belo Horizonte liegt und die der Stadt den Namen "schöner Horizont" gegeben hat.
Nach der Fertigstellung weigerte sich die katholische Kirche für über 10 Jahre, das Kirchlein anzunehmen und zu weihen. Erst als sie merkten, wie berühmt die kleine Kirche schon war, fand sich endlich ein Bischof, der die Kirche weihte.
Ähnliches erlebte Niemeyer in vielen Ländern. Das UN-Gebäude in New York z.B. das auf einem Entwurf von ihm beruht, durfte ihm nicht offiziell zugeschrieben werden, denn man begann gerade den kalten Krieg und konnte unmöglich einen Kommunisten als Architekten des Gebäudes nennen.
Die wohl treffendste Ehrung hat ihm seine Heimatstadt Rio de Janeiro zukommen lassen: Die Strasse in der Stadt am steilen Felsenufer, welche die Strände São Conrado und Leblon verbindet, wurde nach ihm 'Avenida Niemeyer' benannt, einer der landschaftlich schönsten Punkte der Erde.
Der vorletzte dieser zahlreichen Fälle von antikommunistischer Hysterie geschah in seiner Heimatstadt. Niemeyer, dessen Büro im Obergeschoss eines Gebäudes an der weltberühmten Copacabana liegt, hatte als Geschenk an 'seine Stadt' am nördlichen Teil der Copacabana, genannt Leme, eine Anzahl von Skulpturen aufstellen lassen, die auch gut von der Bevölkerung angenommen wurden.
Dann allerdings kam ein Bürgermeister in Rio de Janeiro ans Ruder, dessen Religion Antikommunismus heisst, von der Partei mit dem damaligen Namen PFL (Parteien wechseln in Brasilien den Namen wie unsereiner die Unterhosen), einer Partei, die mit der Militärdiktatur im Bett gelegen hatte. Er ordnete die Entfernung der Niemeyer-Skulpturen an. Sie hätten keine Genehmigung.
Diese Art von Politikern hat immer heuchlerische Ausreden, so wie auch jetzt wieder in Potsdam. Angeblich sei die Förderfähigkeit nicht gegeben. Wenn das so wäre, hätte man das schon vor vier Jahren feststellen können, als noch kein Geld ausgegeben worden war. Also ein vorgeschobenes Argument.
Warum nur gibt es unter unseren heissgeliebten Politikern nicht einen einzigen, der Mut hat, zu seiner Ideologie zu stehen? „Ich habe die Macht, also wird unter meiner Ägide kein Bad verwirklicht, das von einem Kommunisten entworfen würde.“ Das wäre ehrlich gewesen. Aber ehrlich, wer erwartet schon Ehrlichkeit von unsere Politikern?
Was als moderne Architektur bezeichnet wird, also jene im 20. Jahrhundert, die nicht einfach irgendetwas Älteres nachahmt, begann mit dem ‚Bauhaus’ eines Mies van der Rohe und anderer in den Zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Es handelte sich um einen Gegenentwurf zu jenem verschnörkelten Stil vom Anfang des Jahrhunderts, der auf deutsch als „Jugendstil“ bezeichnte wird, der aber nichts mit Jugend zu tun hatte, sondern der Versuch war, mit Pflanzenformen der Architektur ein „weicheres“, ein menschlicheres Antlitz zu geben.
Die Bauhaus-Architektur, so sehr sie Ausdruck des neuen Zeitgeistes wurde, ist aber auch für die grössten architektonischen Sünden des 20. Jahrhunderts verantwortlich, denn sie wurde in ihrer Baukastenform und in ihrer Schnörkellosigkeit von Hunderten von Architekten nachgeahmt. Die einfallslosen Blöcke, die allenthalben wie Bauklötze in der (Stadt-)Landschaft stehen, sind eine der Folgen davon.
Demgegenüber verwenden die modernen Architekten wie Niemeyer und der mit ihm in vieler Hinsicht vergleichbare Franzose Le Corbusier (mit dem er von 1935 bis 1953 zusammenarbeitete) runde und abgerundete und andere ungewöhnliche Formen. Mit der Erfindung des Stahlbetons in den dreissiger Jahren war die Möglichkeit gegeben, runde Formen zu schaffen und grosse Überhänge und ähnliches, was die Möglichkeiten der Architekten immens erweiterte.
Trotzdem klammert sich bis heute die Mehrheit der Architekten an Bauklotz-Formen. Dagegen wurde Niemeyers Hauptwerk Brasilia von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt, eine Ehrung, die kaum ein anderer lebender Architekt vorweisen kann.
Nun wird also Deutschland kein neues Niemeyer-Werk haben, aber was schert es den Mond, wenn die Hunde ihn anbellen.
Beeindruckend an Niemeyer auch: Er ist immer noch in voller Aktivität. Hier in Belo Horizonte, wo seine Karriere begann, ist gerade das neue Zentrum der Landesregierung in Bau, das von ihm entworfen wurde.
Die deutschen Manager, die bereits Menschen ab 50 zum alten Eisen werfen, dürften rot werden, wenn nur sein Name erwähnt wird. Sie haben sich diesen roten Kopf redlich verdient.
Wer noch mehr über Oscar Niemeyer wissen will, hier noch der Link zu seinem Artikel in wikipedia
und zu einem anderen Artikel über ihn:
„Niemeyer wird 97 – Auf dem Höhepunkt des Schaffens“
Veröffentlicht in der Berliner Umschau am 20. August 2007, hier ergänzt und redigiert
Originalartikel