Donnerstag, 18. Oktober 2007

Der Süden beginnt sich zu organisieren

Der IBAS-Gipfel

Freihandelszone Indien, Südafrika und Mercosur vorgeschlagen

Von Karl Weiss


Auch wenn es schon oft Absichtserklärungen gab und die wirkliche Realisierung von Freihandelszonen meist an den verschiedensten Details scheitern, ruft doch die Erklärung des brasilianischen Präsidenten Lula beim IBAS-Treffen (Indien, Brasilien und Südafrika) in Südafrikas Hauptstadt Pretoria Aufmerksamkeit hervor. Er schlug eine Freihandelszone von Indien und Südafrika mit dem Mercosur vor, in dem die wichtigsten Länder Argentinien und Brasilien sind.

Dies würde die bevölkerungsreichste Freihandelszone auf der Erde schaffen. Die drei Länder haben bereits vor Jahren die IBAS-Gruppe geschaffen und hatten an diesem Mittwoch ihr zweites Gipfeltreffen. Lula verhandelte mit dem südafrikanischen Präsidenten Mbeki und dem indischen Premier Maonma Singh.

Die drei Länder sind bereits seit Jahren die Vertreter der 'Gruppe der 20', die alle wesentlichen Entwicklungsländer bzw. Schwellenländer umfasst, bei den Verhandlungen der Welthandelsorganisation WTO, die im Moment mit der sogenannten Doha-Runde nicht vorwärtskommen, denn die Entwicklungsländer bestehen darauf, im Gegenzug zur völligen Öffnung ihrer Märkte für Industrieprodukte und Kapital der imperialistischen Großmächte eine Öffnung von deren Märkten für Agrarprodukte aus dem Süden zu erhalten.

Dagegen wehren sich die EU, die USA und Japan mit aller Kraft. Sie wollen ihr teures System der Agrarsubventionen aufrecht erhalten, das so gut wie alle Agrarprodukte der Entwicklungsländer vom Eingang in ihre Märkte blockiert und außerdem Konkurrenz zu den Produkten der Entwicklungsländer auf den internationalen Märkten macht.

In diesem Zusammenhang bemerkte Lula, der im Moment eine Rundreise durch eine Anzahl afrikanischer Länder macht, die reichen Länder müssten aufhören, die Entwicklungsländer als Bittsteller zu betrachten. Er sagte im Kongo, die aktuelle Weltordnung sei voll von Ungleichbehandlungen und offensichtlich nicht in der Lage, dringende Fragen der Entwicklung und der kollektiven Sicherheit zu lösen – mit einem deutlichen Seitenhieb auf die imperialen Kriege der Vereinigten Staaten.

In einem Artikel von Lula, der aus Anlass des Gipfels in der indischen Zeitung „The Hindu“ erschien, erklärt er, der nächste aktuelle Schritt sei eine verstärkte Zusammenarbeit der drei Schwellenländer aus Asien, Afrika und Südamerika.

Mit deutlicher Anspielung auf den G8-Gipfel, zu dessen Schluss noch einige Vertreter von Schwellenländern eingeladen waren, erklärte Lula: „Es hat wenig Wert, zur Nachspeise beim Bankett der Mächtigen eingeladen zu werden.“

Die USA haben in den letzten Monaten versucht, eine Gegen-Repräsentation gegen die IBAS-Gruppe als Gesprächspartner auf die Beine zu stellen, konnten aber nur Länder wie Guatemala und Costa Rica dafür gewinnen. Als einziges grösseres Land erklärte sich Mexiko mit seinem durch Wahlbetrug an die Macht gekommenen US-freundlichen Präsidenten bereit, den Pfad der Unterwerfung unter US-Interessen zu folgen.

In diese Richtung gehen folgende Anmerkungen Lulas: „Die ärmeren Länder sollten verstehen, dass die Attitüde der Unterwerfung nicht weiterhilft.“ „Entweder erheben wir unser Haupt und fordern eine gerechte Vereinbarung oder wir werden weitere 20 Jahre in einer handelspolitisch ungerechten Welt leben.“

Lula erwähnte die bereits stattfindende Zusammenarbeit von Indien und Brasilien in der Pharmazeutischen Industrie. Indien produziert eines der Medikamante des „AIDS-Cocktails“ (unter Bruch der zweifelhaften US-Patente) auch für Brasilien und im Gegenzug Brasilien ein anderes auch mit für Indien. Südafrika und andere afrikanische Länder wurden eingeladen, sich der Anti-Aids-Politik der Schwellenländer anzuschliessen.

Brasilien ist das Entwicklungsland mit der geringsten relativen AIDS-Todes-Rate und dem geringsten Zuwachs an Infektions-Fällen, weil man eine konsequente „Benutzt-Kondome“-Politik betreibt, Kondome kostenlos verteilt, die Prostituierten zu Schutzorganisationen zusammenschliesst und jedem Infizierten kostenlos den „Cocktail“ zur Verfügung stellt.

Als andere Ziele einer gemeinsamen pharmazeutischen Politik wurden Malaria und Tuberkulose genannt.

Eine andere wichtige Waffe der Länder des Südens, so Lula, sind die Bio-Kraftstoffe, die angesichts der Explosion der Ölpreise und dem ständig knapper werdenden Öl-Nachschub eine der grössten Einzel-Rechnungen für die meisten Entwicklungsländer und eine andauernde Abhängigkeit darstellen. Ein grosser Teil der Entwicklungsländer haben klimatische Konditionen zum Anbau von Zuckerrohr, aus dem Alkohol als Benzin-Ersatz hergestellt werden kann.

Brasilien als das Land mit jahrzentelanger Verwendung von Alkohol-Autos bietet seine Erfahrungen diesen Ländern an, um eine eigene Alkohol-Industrie aufzubauen. In modernen Produktionsanlagen, in denen die nicht verwertbaren Teile des Zuckerrohrs zur Energiegewinnung für den Prozess verwendet werden, kann Alkohol zu Preisen unterhalb von Benzin hergestellt werden und der Zuckerrohr-Bauer hat noch ein Auskommen.

Etwas ähnliches gilt auch für Bio-Diesel, das in Brasilien erfunden wurde. Während die deutsche Bundesregierung in einer wilden Geisterfahrt auf der Gegenfahrbahn der Tendenz zu den Bio-Kraftstoffen die Steuerbefreiung für Biodiesel aufgehoben und damit der deutschen Bio-Kraftstoff-Industrie den Garaus gemacht hat, will Brasilien bis 2020 das Diesel, das in grossen Teilen importiert werden muss, vollständig durch Bio-Diesel aus nachwachsenden Rohstoffen ersetzen.

Lula wies stolz darauf hin, dass Brasilien die USA wegen ihrer Subsidien der Baumwolle bei der Welthandelsorganisation verklagt hat. Die Vereinigten Staaten mussten daraufhin die Subventionen verringern, was nicht nur Brasilien, sondern auch vielen anderen Entwicklungsländern zugute kommt.

Beim Treffen in Pretoria kam, wie zu erwarten, auch die Sprache auf Fussball, denn in Südafrika und danach wahrscheinlich Brasilien, zwei fußballverrückten Ländern, werden die beiden nächsten Fussballweltmeisterschaften stattfinden. Außerdem hat Südafrika gerade den brasilianischen Trainer Parreira für seine Nationalmannschaft engagiert, der bei der Weltmeisterschaft in Deutschland das brasilianische Team führte.

Mbeki meinte, falls man verliert, werde man dem Trainer die Schuld geben und Lula gab zurück, es sei normal, gegen Brasilien im Finale zu verlieren.

Am Abend reiste Lula nach Angola weiter, einem anderen grossen Land portugiesischer Sprache.

Ob aus der vorgeschlagenen Freihandelszone je etwas wird, steht in den Sternen.

Es ist deutlich, warum Lula versucht, den südamerikanischen Freihandelsmarkt Mercosur über den Kontinent auszuweiten, denn er ist mit seiner 'gemässigten' Politik hier nicht mehr der Held. Diese Rolle fällt nun vielmehr Chavez und Morales zu. Für Lula, der versucht, Brasilien zu einer regionalen Oberherrschaft zu führen, kann darum der Ausweg nur lauten, über die Grenzen des Kontinents hinauszusehen.

Die Schwierigkeiten, die EU und USA haben, die Entwicklungsländer um sich zu scharen, wie sie das früher problemlos konnten, haben sicherlich sehr viel mit den Überfällen auf arme Entwicklungsländer wie Afghanistan und Irak durch Großmächte wie die USA oder Vereinigungen wie die NATO zu tun, wo im Moment zwei der bluttriefendsten Gewaltherrschaften der Menschheitsgeschichte ihre tödlichen Seiten von Geschichtsbüchern schreiben – ganz zu schweigen vom drohenden Angriff auf den Iran.

Irak-Krieg US-Aggression

Ob sich die NATO mit ihrem Überfall auf Afghanistan und die USA mit der Koalition der Willigen auf den Irak wirklich der Folgen bewusst waren, die diese imperialen Kriege für die politische Sicht in armen Länder und deren fast immer extrem „gemässigten“ Regierenden haben?

Irak: Weinendes blutbeflecktes Kind, dessen Vater und Mutter soeben von US-Soldaten ermordet wurden

Heute ist es bereits schwierig, noch Regierende von Entwicklungsländern zu finden, die weiterhin alles, was aus Washington kommt, bedenkenlos anbeten, während andererseits die Sympathien für die Aufbegehrenden, wie Kuba, Venezuela, den Iran, Equador oder Bolivien immer mehr zunehmen.

Afghanistan: US-Armee zerstört Filmkamera

Ob das wirklich das war, was man erreichen wollte? Die Faszination Amerika, die über Jahrzehnte einen ungebrochenen Glanz hatte, auch zu Zeiten des Vietnam-Krieges, ist am Verblassen. Aber sie war neben der wirtschaftlichen Macht und der militärischen Stärke einer der Pfeiler der Weltmacht USA.

Auch der andere Pfeiler „militärische Unbesiegbarkeit“ ist nicht mehr sehr überzeugend, nachdem das Abenteuer im Irak selbst nach Eingeständnis der US-Generäle, die dort gedient haben, nur noch als Desaster angesehen wird.

Schliesslich ist auch der dritte Pfeiler, die absolute Oberherrschaft durch die wirtschaftliche Stärke der US-Ökonomie, nicht mehr zweifelsfrei – im Gegenteil, man spricht schon offen davon, die USA würden in eine Krise schlittern und man müsse sich von ihnen abkoppeln.


Veröffentlicht am 18. Oktober 2007 in der Berliner Umschau

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