CDU: Kein Anspruch mehr auf Demokratie und soziale Marktwirtschaft!
Von Karl Weiss
Angesichts des Trommelfeuers von Forderungen des Innenministers Schäuble nach Überwachungsmassnahmen und nach dem Abbau bürgerlicher Rechte sowie der Unterstützung, die er durch die Kanzlerin selbst erfährt, fragen sich in Deutschland immer mehr, ob die Haupt-Regierungspartei CDU/CSU eigentlich fest an die Demokratie gebunden ist. Da lässt ein kürzlich entdecktes Zitat aus einer älteren Rede von Frau Merkel, in der sie sagt, wir hätten keinen Anspruch auf Demokratie, alle Alarmglocken schrillen.
Zum 60. Geburtstag der CDU im Juni 2005 hat die Vorsitzende Frau Merkel, damals noch nicht Bundeskanzlerin, eine Rede gehalten, die unserer Aufmerksamkeit wert ist. Damals hat niemand besonders Acht gegeben, was da auf einem Festakt gesagt wurde. Hätte man aber sollen. Frau Merkel sagt nämlich da, wir haben keinen Anspruch auf Demokratie und soziale Marktwirtschaft, sie legt deutlich dar, die Christdemokratie will einen grundlegenden Umschwung in der Politik, nicht einfach gewisse Verschlimmbesserungen, es geht in die autoritäre Diktatur und in den Überwachungsstaat. Selbst die Koalitionspartner von der SPD dürften stutzen, wenn sie lesen, was da wirklich gesagt wurde.
Vielen Dank dem Leser dieses Blogs 'wolfh', der auf die Rede aufmerksam gemacht hat.
Der Tenor der Rede ist:
- Alles müsse nun grundlegend anders gemacht werden. Grundlegendes Abwenden vom Bisherigen. Insgesamt sieben Mal in der Rede wird wiederholt, das Bisherige taugt nicht mehr, auf keinem Fall mehr „weiter so“, bzw. es müsse nun bahnbrechend Neues getan werden. Die CDU sei nichts mehr von dem, was sie einmal war.
- Ausdrücklich wird gesagt: Kein Anspruch auf Demokratie und soziale Marktwirtschaft
- Der Nationalismus wird gepredigt. An insgesamt vier Stellen der Rede wird sich ausdrücklich auf die Nation bezogen.
- Das deutsche Volk muss sich als Schicksalsgemeinschaft begreifen, wird zweimal gesagt. Das riecht meilenweit nach dem faschistoiden „Volksgemeinschaftsgedanken“.
- Es wird einerseits gesagt, man brauche einen festen Kompass, andererseits, man stände über allen Ideologien, man sei weder rechts noch links. Auch eine Aussage, wie sie schon von Faschisten gemacht wurde.
- Der Staat wird von jeder Verantwortung entbunden. Er sei vielmehr überfordert. Die Verantwortung müsse in den Schulen, Familien, Vereinen, Nachbarschaften und Freundeskreisen übernommen werden. Ausdrücklich wird aufgefordert, den jungen Leuten hinterherzuschnüffeln.
- Nun müsse realistische Politik gemacht werden und in der Realität gebe es nichts politisch Korrektes. Man hört Rechtsaussen wie Henrik Broder sprechen.
- Alle Besitzstände (wie Rentenansprüche, Gesundheitsversorgung und solche auf Arbeitslosenunterstützung) müssen (fast) vollständig abgeschafft werden. Wer so etwas will, soll bei Privatfirmen einzahlen.
- Die Politik muss einheitlich sein, „wie aus einem Guss“. Ebenfalls ein beliebtes Thema bei Faschisten.
- Alle kollektiven Lösungen sind abzulehnen, wie etwa die Verantwortung des Staates für das Ganze. Dagegen müsse auf den Einzelnen gesetzt werden, die Familie, den Betrieb (die sagenhafte „Betriebsgemeinschaft“), den Verein und die Gemeinde.
Hier im Einzelnen die entsprechenden Zitate aus der Rede von Frau Merkel:
Zunächst das Wichtigste, das den Ton angibt:
„Denn wir haben wahrlich keinen Rechtsanspruch auf Demokratie und soziale Marktwirtschaft auf alle Ewigkeit.“
Dann die einzelnen Punkte auf dem Weg zu einer Gesellschaft ohne Demokratie und soziale Marktwirtschaft:
„Wir sind nicht einer Ideologie verpflichtet.(...) Unsere Motivation heißt Deutschland. (...) [Die CDU ist] die Partei des Neubeginns in Deutschland. Die CDU war und ist nie eine Partei, die Angst hat. Wir haben keine Angst vor wegweisenden Entscheidungen. Vor bahnbrechenden Entwicklungen.“
„...steht unser Land wieder an einer entscheidenden Weggabelung. (...) ... brauchen wir eine veränderte gesellschaftspolitische Architektur, um die materiellen, die sozialen und die moralischen Werte unseres Landes zukunftsfähig zu machen. Ein „Weiter so“ geht nicht mehr.“
„Mut zur Auseinandersetzung, um eigene Überzeugungen auch gegen Widerstände zu behaupten und durchzusetzen. (...) Politik, die ... das Bekenntnis zu einem Kompass wagt. Ein Kompass, der die Wertegebundenheit unserer Politik verbürgt.“
„Unser Staat ist überfordert. Wir müssen ihn wieder befähigen, seinen Aufgaben ... nachkommen zu können. ... befreit ...vom Glauben an die Überlegenheit kollektiver Lösungen, (...) Wir setzen auf den Einzelnen, auf seine Familie, seine Gemeinde, seinen Verein, seinen Betrieb.“
„Ich weiß, heute werden unsere Reformkonzepte von nicht wenigen als zu weitreichend empfunden und kontrovers diskutiert. Aber ich bin überzeugt: Morgen werden sie die Grundlage für ein neues gemeinsames Verständnis sein. (...) Die CDU [passt] nicht in das gewohnte Schema. Sie [ist] weder rechts noch links.“
„...wir uns nicht mit zunehmenden Spaltungstendenzen in unserer Gesellschaft abfinden dürfen. Verdrängung hilft nicht. Auch Illusionen helfen nicht. Die Wirklichkeit ist nicht politisch korrekt. (...) Eine Million Kinder in Deutschland leben heute von der Sozialhilfe. Ihr Lebensunterhalt ist gesichert [???]. Aber ihre Lebenschancen drohen zu verderben. Viele dieser Kinder sind völlig sich selbst überlassen. Oft interessiert sich niemand dafür, ob und was sie lesen, was und wie viel sie fernsehen, wie sie lernen und ihre Freizeit verbringen. Diese Kinder steigen nicht aus freier Entscheidung aus, sie werden zurückgelassen."
"Ich nenne das fürsorgliche Vernachlässigung. Wir können das nicht hinnehmen.(...) ... ein Prinzip, das wir anwenden müssen, und das ist das Prinzip Verantwortung. Diese Verantwortung geht uns alle an. Sie ist eine gemeinsame Aufgabe der Politik, der Wirtschaft, der Schulen, der Vereine, der Familie, der Nachbarn, der Freunde. (...) ... wenn Kinder von vornherein auf der Schattenseite der Gesellschaft leben. ... wenn junge Leute den Einstieg in das Arbeitsleben nicht finden.“
„...die Spaltungen in unserer Gesellschaft heilen. Wir werden sie aber nur heilen können, wenn die Bürger unser Land als Schicksalsgemeinschaft - als eine Nation – begreifen.“
„Die geistigen Ressourcen von 1968 waren zu eng für die Zukunft unseres Landes. Die Utopien dieser Generation müssen der Realität Platz machen, wenn das Land eine gute Zukunft haben soll. Nun übernimmt die nächste Generation. Es ist Zeit für eine realistische Politik.“
„Wenn wir die Kraft haben, die Wahrheit der Illusion entgegen zu setzen, wenn wir die Kraft für eine realistische Politik haben, dann wird die Macht alter Besitzstände vor den neuen Wirklichkeiten unserer Generation keinen Bestand mehr haben.“
„Mir scheint, von uns wird mehr verlangt. Gleichsam eine Quadratur des Kreises, ein grundsätzlicher Wandel politischen Handelns.
Dabei geht es um eines: Weg vom Stückwerk. Hin zu einer Politik aus einem Guss. Wer A sagt, muss auch B sagen.“
„Zurzeit habe ich ... allerdings den Eindruck, dass manche unserer verehrten politischen Gegner [in der CDU] eine Partei bekämpfen, die es gar nicht [mehr] gibt. Aber seis drum.“
„[Die Zukunft wird uns daran messen, ob wir] an einer entscheidenden Weggabelung eine gestaltende Kraft geblieben sind oder nicht, ob wir den Herausforderungen der Zeit gerecht geworden sind oder nicht, ob wir die Weichen für einen Politikwechsel gestellt haben oder nicht.“
Und zum Abschluss für jeden, der es noch nicht verstanden hat:
„Ich sage heute: Wir werden es grundlegend anders machen, damit es grundlegend besser wird für Deutschland.“
Der hauptsächliche Grund, warum diese Rede damals nicht mehr Aufsehen hervorgerufen hat, dürfte sein, es wurden keine Details genannt, wie denn wirklich dieses Deutschland ohne Demokratie und soziale Marktwirtschaft aussehn würde. So blieb die Aussage, es gäbe keinen Rechtsanspruch auf Demokratie und soziale Marktwirtschaft, fast völlig unbemerkt.
Heute aber, nach zwei Jahren „Grosse Koalition“, müssen wir einerseits sagen, bisher wurde jene vollständige Kehrtwendung noch nicht durcgesetzt, da ist wohl auch der Koalitionspartener noch hinderlich. Aber gleichzeitig haben wir jetzt eine klare Vorstellung, was gemeint war mit diesen Worten. Die diversen Ankündigungen und Forderungen von Schäuble zum Gang in den vollständigen Überwachungsstaat und zur Aufhebung von bürgerlichen Rechten machen deutlich, wohin es gehen soll, wenn nur endlich der unbequeme Koalitionspartner abgeschüttelt würde.
Verteidigungsminister Jung konnte ganz forsch erklären, er habe schon eine Gruppe von Piloten, die dem Befehl zum grundgesetzwidrigen Abschuss von Passierflugzeugen folgen würde. Damit hat er deutlich gemacht, er hat bereits Militärs, die auf ihn und nicht mehr aufs Grundgesetz eingeschworen sind, die – wenn Jung das für nötig hält – den Militärputsch durchführen würden.
Es ist auch höchstes Augemerk auf die Bemerkung zu legen, alle Besitzstände seien abzuschaffen.
Es ist nicht übertrieben zu sagen, das ist die Ankündigung des Streichens aller Renten- und Arbeitslosen-Unterstützungs-Ansprüche wie auch der Gesundheitsversorgung über die Sozialversicherung (bis auf irgendwelche unbedeutenden Reste). Der eine oder andere mag dies als übertrieben ansehen, „das würden die nicht wagen“, aber es wird ja auch ausdrücklich gesagt, man erwartet Widerstände und sie würden gebrochen werden.
Ebenso ist in diesem Zusammenhang zu sehen, wie zunehmend jegliche grundsätzliche Opposition in Deutschland als „terroristisch“und „Terrorismus“ verunglimpft wird. Die Gleichsetzung der kämpferischen ausserparlamentarischen Opposition mit Terrorismus hat System.
Da solche radikalen Massnahmen sicherlich nicht ohne Widerstand bleiben würden, kann man damit im „grossen Krieg gegen den Terror“ die Unterdrückung und Ausschaltung der Dissidenten als „leider notwendig“ abhaken.
Da muss man sich auch erinnern, Schäuble hat gegen „Terroristen“ bereits die Abschaffung der Unschuldsvermutung gefordert, er hat sich für vorbeugende Haft und vorbeugendes Erschiessen angeblicher Terroristen ausgesprochen.
In diesem Zusammenhang muss auch die in der CDU weit verbreitete Verehrung von Filbinger gesehen werden. Schäuble hat sich nicht umsonst im Rollstuhl auf den beschwerlichen Weg nach Freiburg gemacht, um seinem engen Freund die letzte Ehre zu erweisen. Die innige Verquickung von Teilen der CDU/CSU mit faschistischen oder faschistoiden Kräften ist früher schon aufgefallen.
Was als grundlegende Neuausrichtung genannt wurde, ist nichts anderes als der Weg in eine Diktatur oder jedenfalls ein extrem autoritäres System und in einen Überwachungsstaat, gegen den die Stasi-Republik eine lahme Vorstufe gewesen wäre.
Zieht man all dies in Rechnung, wird diese Aussage in Merkels 2005-Rede zu einem Fanal:
„Denn wir haben wahrlich keinen Rechtsanspruch auf Demokratie und soziale Marktwirtschaft auf alle Ewigkeit.“
Veröffentlicht am 19. Oktober 2007 in der Berliner Umschau
Originalartikel
Hier ist der Link zu Merkels Rede (pdf-Dokument)