Freitag, 9. November 2007

Der gläserne Normalbürger, Teil 3

Was der Fall Palocci lehrt

Von Karl Weiss

Die Offenlegung aller Bankkonten der Bundesbürger für Beamte (und Beamtenanwärter) in der Bundesrepublik, die schon seit dem 1. April 2005 gilt, gefährdet die Privatsphäre von Hunderttausenden von Bürgern, ja, macht sie sogar leicht verwundbar gegenüber Erpressungen bzw. „Schutzgeldzahlungen“. Das Bankgeheimnis, das von ‚attac’ als absolut unnütz und überholt bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit ein Schutz gegen die völlige Offenlegung aller privaten Beziehungen, die eben typischerweise mit Geldüberweisungen einhergehen.

Hat zum Beispiel ein Mann eine Geliebte, auf deren Konto Gelder überwiesen weden, ist eine Rechnung von einem „Restaurant“ leicht als von einem Bordell-Betrieb zu erkennen, so wird die Privatsphäre gebrochen. Mag dies jemand noch als akzeptabel ansehen („was hat der Lüstling auch ausserhalb der Ehe zu fischen“), so wird es noch viel interessanter, wenn zum Beispiel Überweisungen auf das Konto einer oppositionellen Partei festzustellen sind, seien es „Die Linke“ oder die DKP oder die MLPD. So lassen sich leicht systemkritische Menschen aussortieren und zugleich in die Listen derer zu setzen, die man in die neuen Konzentrationslager schicken wird, sobald man die Macht übernommen hat.

Am Anfang waren noch Restriktionen für die Abfragen von Beamten bezüglich der Bankkonten von der Bundesregierung festgelegt worden. Dadurch entkam man auch einem Prozess vor dem BVG wegen Verfassungswidrigkeit des neuen Gesetzes. Nur bestimmte Beamte, die in ganz bestimmten Dienststellen arbeiteten, bekamen den ‚Code’,der es ihnen ermöglicht, in die Bankcomputer einzudringen und Abfragen zu starten. Die Polizei zum Beispiel durfte damals noch nicht abfragen. Auch waren zunächst nur die einfachen Grundfakten der Konten für die verbeamteten Schnüffler geöffnet: Die Tatsache des Kontos, die Identität der Person und die Kontostände jeweils am Jahresende.

Stasi 2.0

Inzwischen ist genau das geschehen, was damals schon die meisten Beobachter vorhergesagt haben, die nicht im Dienst der Herrschenden berichten: Die Berechtigung des Aufdeckens der Bankkonten der Bundesbürger gilt jetzt bereits für alle Dienststellen, also auch die Polizei, den Verfassungsschutz und den BND. Ebenso sind die Daten, die eingesehen werden können, auf die gesamten Informationen über das Konto erweitert worden.

Ein Mitarbeiter der Datenzentrale einer grossen bundesdeutschen Bank sagte, wer den Zugangscode hat, für den werden alle Kontodaten, also auch jede Kontobewegung, zugänglich gemacht. Die andere Seite erscheint in der Aussage eines Kriminalbeamten, der bestätigt, man habe den Zugangscode und könne auf die Daten zugreifen, wenn das die Ermittlungen erfordern.

Auf die Nachfrage, ob denn irgendjemand überprüft, ob dies wirklich für Ermittlungen notwendig war, kommt die Antwort: „Nein, aber wir tun dies natürlich nur, wenn es nötig ist.“

Keine Mitteilung an die Betroffenen

Auch die Massnahme, die vor der Einführung von vielen gefordert wurde, die Mitteilung an die Betroffenen, wird selbstverständlich nicht durchgeführt. „Da konnte ja ein Verdächtiger merken, dass man ihm auf der Spur ist.“

Diese Recherche wurde von einem Bekannten des Autors durchgeführt, der gerne einen Geldbetrag, der auf seinem Konto einging, vor den Behörden verheimlicht hätte. Er glaubte, nur der Kontostand am Jahresende werde bekannt und hob das Geld rechtzeitig vor diesem Datum ab. Er musste allerdings verwundert feststellen, die Finanzbehörden hatten den Eingang des Geldes registriert und er wurde zu diesem Vorgang befragt. Man wusste anscheinend den genauen Betrag und von wo das Geld überwiesen wurde.

Gegen Steuerhinterziehung

Dies ist auch die Begründung, die ‚attac’ angibt, warum man die Aufhebung des Steuergeheimnisses befürwortet. So sei es erleichtert, Steuerhinterziehungen zu verfolgen. Das Zahlen von Steuern sei Bürgerpflicht und man sei gegen Steuerhinterziehung. Angemerkt sei, dass dadurch natürlich auch das Anfallen der von ‚attac’verteidigten „Tobien-Steuer“ überprüft werden könnte.

Auf den Einwand, die wirklichen grossen Steuerhinterzieher würden ja gar nicht erfasst, weil sie alles über Konten im Ausland laufen lassen würden, wofür der ‚Kleine Mann’ weder Zeit noch Geld noch Gelegenheit hat, sagte ein Vertreter von attac, man habe dies Gesetz ja auch nur als Schritt in die richtige Richtung begrüsst, nicht vollständig.

Weche Gefahren aber lauern, wenn man jeglichen Beamten und Beamtenanwärter völlig freien Zugang zu allen Konten der Bundesbürger in Deuschland gewährt, zeigt der brasilianische Fall Palocci.

Der Fall Palocci

Pallocci, das war der mächtige Finanzminister der Lula-Regierung in der ersten Regierungsperiode, der üblicherweise als der angesehen wurde, der wirklich die Richtlinien der Politik bestimmte.

Palocci
Palocci

In einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss des brasilianischen Bundestags, dem sogenannten Bingo-CPI, kamen Fakten ans Tageslicht, die sich auf die Zeit bezogen,als Palocci Bürgermeister der Stadt Riberão Preto im Landesinneren von São Paulo gewesen war.

Er war von einem damaligen Parteifreund angeklagt worden, von allen Unternehmen, die Aufträge der Stadt bekommen wollten, eine monatliche Zahlung von 50 000 Reais (etwa € 20.000) verlangt und bekommen zu haben, womit er einen heimlichen Wahlkampffonds der PT, seiner Partei, fütterte. Das ist also eine typische Mafia-Kriminalität, die Schutzgeld-Zahlung.

Villa mit Gelagen und Festen mit Prostituierten

Dies war noch nicht bewiesen, aber bewiesen war bereits, es hatte eine Villa in Riberão Preto gegeben, wo PT-Politiker sich mit Lobbyisten trafen und wo auch Gelage und Feste mit Prostituierten abgehalten worden waren.

Das kennt man doch aus Deutschland , nicht wahr, die Vertreter einer angeblichen Arbeiterpartei mit Industrie-Bossen in eigens angemieteten Wohnungen auf Festen mit Prostituierten? Oder nicht, VW, oder nicht, Herr Hartz?

Die entscheidende Frage für eine eventuelle Anklage gegen Palocci wegen dieser Affäre war nun, war Palocci auch Stammgast in dieser Villa gewesen? Die Villa hatte, wie in Brasilien üblich, einen Hausmeister, in diesem Fall mit dem Namen Francenildo Santos Costa.

Der hatte bereits bei der Polizei ausgesagt, er habe Palocci, dessen Gesicht in ganz Brasilien bekannt war, in dieser Villa ein- und ausgehen gesehen. Er war allerdings noch nicht vor dem Untersuchungsausschuss erschienen, denn ein Parteifreund von Palocci hatte noch rechtzeitig eine äusserst verdächtige einstweilige Verfügung dagegen beim Obersten Brasilianischen Gerichtshof erwirkt.

Die kriminelle Tat

Aber auch das war Nichts von Dauer und die Position Paloccis war äusserst delikat. Da beschloss er etwas, was viele unseren Mafia-Politikern zutrauen, aber doch selten bewiesen wird: Eine kriminelle Aktion.

Er liess beim Chef der bundeseigenen Sparkasse (Caixa Economica Federal) anrufen. Der Anruf aus seinem Büro wurde später bei der Untersuchung dieses Vorfalls einwandfrei geortet. Es wurde der Auftrag gegen, das Konto des Hausmeisters bei dieser Sparkasse zu durchforsten, ob man eventuell Verdächtiges finden könnte. Der Bank-Chef liess sich das natürlich nicht zweimal sagen, denn Palocci war ja sein Chef.

Die Konto-Daten wurden durchforstet und man fand tatsächlich einzelne Geldeingänge, die eventuell bei einem so armen Mann wie dem Hausmeister ungewöhnlich sein konnten (später stellten sie sich als völlig harmlos heraus). Der Rückruf direkt vom Apparat des Bank-Chefs in Paloccis Büro wurde später ebenso exakt geortet.

Riesige Schweinerei

Nun kam eine der grössten Schweinereien, die in Brasilien je von einem Politiker unternommen wurde (und in Brasilien wurden von ihnen schon viele unternommen): Die eventell verdächtigen Geldeingänge auf dem Konto des Hausmeisters liess man von Seiten von Palocci an ein Nachrichtenmagazin (Época – vergleichbar mit dem Spiegel oder Focus - von der Gruppe Globo, zu der viele Zeitungen, Zeitschriften und der bei weitem am meisten gesehene TV-Sender in Brasilien gehören) durchsickern und liess auch gleich den Verdacht mitveröffentlichen, das könnten Gelder der Opposition gewesen sein, um ihn zu einer falschen Aussage gegen Palocci zu bringen.

Parallel dazu liess Palocci durch eine ihm unterstellte Behörde, die unter anderem Geldwäsche verfolgt, gegen den Hausmeister ein Verfahren wegen des Verdachts der Geldwäsche eröffnen.

Plötzlich stand also ein kleiner Mann unter heftigstem Beschuss, weil er es gewagt hatte, in einem Verfahren gegen einen Mächtigen die Wahrheit zu sagen.

Palocci fällt

Allerdings hatte Palocci unterschätzt, wie viele Feinde er sich schon unter der brasilianischen Plutokratie gemacht hatte. Die Bundespolizei wurde auf die Fährte gesetzt, woher denn die Faksimiles von Kontoauszügen des Hausmeisters kommen und das Schema Paloccis flog innerhalb von eineinhalbWochen auf. Als die Telefonate entdeckt wurden, mussten die beteiligten Personen allesamt das Handtuch werfen: Der Bankchef, der Sekretär Paloccis, der die Telefonate getätigt und die Unterlagen an die Época übermittelt hatte und schliesslich auch Palocci selbst.

Lula hatte nicht die geringste Lust, selbst in etwas hineingezogen zu werden, von dem er bestenfalls Kenntnis hatte (was er natürlich leugnet).

Bankgeheimnis

Das alles auf der Grundlage: In Brasilien ist das Bankgeheimnis geschützt. Nur mit einer richterlichen Verfügung dürfen die Banken Unterlagen über ein Bankkonto herausgeben. Also eine kriminelle Tat.

Da hat sich also gleich ein ganzes Sammelsurium von Straftaten auf Paloccis Konto angesammelt. Das heisst natürlich gar nichts. Bis heute ist Palocci wegen keiner dieser Taten angeklagt. Aber auch das kennen wir ja in Deutschland. Auch Lambsdorf und Kohl kamen davon, ebenso wie Esser und Ackermann.

Mafia-typische Verbrechen

Tatsächlich handelt es sich hier um eine Zusammenstellung von Verbrechen, wie sie u.a. für die Mafia typisch ist. Allerdings hat die Mafia typischerweise keinen leichten Zugang zu Nachrichtenmagazinen. Insoweit ist also eine Politiker-Mafia noch weit gefährlicher als die normale.

Deutlich wird aber an diesem Fall: Der kleine Mann, wenn die Daten seines Bankkontos leicht zugänglich sind, sei es für die Politikermafia, oder auch für andere Kriminelle, seien es Beamte oder solche, die „Freunde“ als Beamte haben, ist extrem verwundbar.

Politiker-Mafia

Dabei muss man keineswegs wirklich etwas zu verbergen haben. Einige mittlere Beträge, die zwar aussergewöhnliche Eingänge sind, aber in Wirklichkeit leicht erklärlich, können dazu ausreichen, unsereinen fertig zu machen im Auftrag von Leuten, deren Identität einem überhaupt nicht bekannt wird, so wie der kleine Hausmeister in Brasilien fast fertig gemacht worden wäre.

Die Möglichkeiten, die sich zu kriminellen Taten eröffnen, wenn über eine Million Bundesbürger (von denen ganz sicherlich auch ein paar kriminell sind) nach Belieben Zugriff zu allen unseren Konten haben, sind Legion. Vom „Fertigmachen“ über Erpressungen bis hin zu „Schutzgeldzahlungen“

Vielleicht sind diese Möglichkeiten, verhindern zu können, dass ein „Kleiner Mann“ eventuell gegen einen aussagt, sogar entscheidend gewesen, als unsere allseits geliebten Politiker dieses Gesetz beschlossen haben.


Veröffentlicht am 8. November 2007 in der Berliner Umschau

Originalartikel


Hier geht es zu Teil 1 und Teil 2 von 'Der gläserne Normalbürger'

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