Montag, 31. März 2008

Lohnrückforderungen - der Skandal

Die blanke Wut

Von Karl Weiss

Wer glaubte, im Land von Hartz IV, in dem das Verfassungsgericht die heimliche Ausforschung der Computer freigegeben hat, könne nichts noch Absurderes geschehen, hat sich getäuscht. Jetzt werden die entlassenen Arbeiter pleite gegangener Unternehmen noch mit Forderungen nach Lohnrückzahlungen verfolgt!

Wie in der Sendung ‚Fakt‘ im Ersten Fernsehen berichtet wurde (hier), lässt die neue Konkursordnung zu – beschlossen von unseren heissgeliebten Politkern - , dass der Konkursverwalter bzw. Insolvenzverwalter die in der letzten Zeit vor der Pleite des Unternehmens gezahlten Löhne von den Mitarbeitern zurückfordern kann. Dies gilt dann, wenn die Arbeitnehmer Anzeichen dafür hatten, die Firma könnte dicht machen.

In einem von insgesamt vier Fällen wurden die Löhne von mehreren Mitarbeitern (wahrscheinlich aber von allen) zurückgefordert und es gibt bereits ein Gerichtsurteil, das tatsächlich den Arbeiter Uwe Trautmann verurteilt, etwa 3 700 Euro an den Insolvenzverwalter zurückzuzahlen. Der zuständige Richter argumentierte, Trautmann habe ja bereits Verspätungen in der Lohnauszahlung bemerkt, also habe er Anzeichen gehabt, die Firma stehe vor dem Ende. Wenn er dort weiterhin arbeite und Geld in Form von Lohn für diese Arbeit aus der Firma abziehe, so sei er nach dem Wortlaut der neuen Insolvenzordnung verpflichtet , dies Geld zurückzuerstatten, damit es den Gläubigern der Firma zur Verfügung gestellt werden kann.

Bevor die Insolvenzordnung von unseren heissgeliebten „Volksparteien“ geändert worden war, waren Löhne grundsätzlich unantastbar und ausstehende Löhne sogar bevorzugt gegenüber Gläubigerforderungen. Aber genau das hat man aus der neuen Fassung gestrichen.

Neben Trautmann sollen in der gleichen Firma laut dem „Ersten“ etwa 100 weitere Mitarbeiter Schreiben mit der Forderung der Lohnrückzahlung erhalten haben. In einer anderen Firma, die ebenfalls die Pforten schliessen musste, hat es Heiner Conrad erwischt. Von ihm wurden 3 300 Euro zurüchgefordert und die Amtsrichterin in Gera bestätigte die Berechtigung dazu. Nun weiss Konrad nicht, woher das Geld nehmen.

Soweit, mit 4 Firmen in Sachsen (nach Angaben des sächsischen DGB), in denen eine unbekannte Anzahl von Arbeitern (wahrscheinlich über 100) auf Lohnrückzahlung verklagt wurde, war der Stand im letzten Jahr. Nun hat das „Erste“ in einer neuen Sendung dieses Jahr aufgedeckt, die Sache mit den Lohnrückforderungen ist bereits flächendeckend.

Als Beispiel wird die Hinterlassenschaft der bankrott gegangenen Firma „Holz-Nützel“ aufgegriffen. Vom Arbeiter Keven Ortleb werden mehr als 3000 Euro Lohn aus den letzten drei Monaten der Firma zurückverlangt, denn er habe wissen können, die Firma gehe pleite. Auch hier waren die Löhne am Ende mehrfach verspätet ausgezahlt worden.

Insgesamt 120 frühere Arbeitnehmer von Holz-Nützel wurden vom Insolvenzverwalter auf Rückzahlung der in den letzten drei Monaten erhaltenen Löhne und Gehälter verklagt.

Der Insolvenzverwalter hört auf den schönen Namen Irrgang und man möchte meinen, dieser Name sage etwas über seine Taten, aber die Richter sind da anderer Meinung. Er bekommt vor Gericht Recht. Es steht so in der Insolvenzordnung.

Herr Baumann vom Rechtsschutz des sächsischen DGB sagt dazu: „...müsste man alle Arbeitnehmer bundesweit in Kenntnis setzen, dass bei einer verzögerten Lohnzahlung, sofort de facto selbst gekündigt wird oder die Arbeitskraft sofort zurückgehalten wird. Oder man eben schauen muss, dass man vielleicht sogar selbst einen Insolvenzantrag beim zuständigen Amtsgericht stellt.“

Sozialprotest DGB

Der Beitrag im „Ersten“ hat allerdings nicht nachgefragt, warum der DGB nicht eine Kampagne gegen diese Praktiken und diese Gesetzesänderung begonnen hat. Nun, es ist klar: Da sitzen Gewerkschaftsführer, denen zum Teil das SPD-Parteihemd näher ist als als der DGB-Rock. Und wer hat diese Änderung der Insolvenzordnung durchgeboxt?

Ja, Sie haben richtig geraten: Schröder mit seiner SPD – und auch noch unterstützt von den Grünen, die natürlich auch nichts von dieser Geschichte wissen wollen. Sie haben immerhin den Ver.di-Vorsitzenden Bsirske in ihren Reihen, aber von dem hat man diesbezüglich auch nichts gehört – na warum wohl?

Nun hat die CDU natürlich Gelegenheit, Punkte gut zu machen und sie hat daher dieses heisse Eisen aufgegriffen und mit der Richtlinienkompetenz der Kanzlerin die Abänderung dieses Paragraphen durchgesetzt – oder? Pustekuchen. Die CDU/CSU ist genauso auf Tauschstation wie die Urheber-Parteien.

Kennzeichnend die Reaktion, als das „ Erste“ bei dem zuständigen Justizministerium nach einem Gespräch hierüber fragte. Man gebe kein Interview zu diesem Thema, herrschte man die Fernsehreporter an. Stattdessen wurde eine schriftliche Stellungnahme abgegeben, in der man behauptete, die Arbeitnehmer seien genügend geschützt im Fall von Insolvenzen, denn sie könnten ja Konkursgeld beantragen.

Nur hat die Sache einen kleinen Haken: Das Konkursgeld ist niedriger als die Rückforderungen! Ausserdem ist es als Hilfe vorgesehen, bis man wieder Arbeit findet, nicht als Aufbesserung für Pleitengläubiger. Aber wer kümmert sich um solche Kleinigkeiten, wenn man das Bundesjustizministerium ist. Da ist man schon genug beschäftigt, noch mehr Geld den Grosskonzernen zuzuschustern, da hat man keine Zeit, sich um kleine Leute zu kümmern, die zuerst arbeitslos werden, weil die Firma pleite geht und dann auch noch ihr hart verdientes Geld aus den Rippen geleiert bekommen.

Auch die deutschen bürgerlichen Medien haben nichts über diesen Skandal gebracht, „Fakt“ im „Ersten“ blieb die einzige Stimme, obwohl Beiträge im ersten Fernsehprogramm ja nun nicht gerade geheim sind.

Der oben schon erwähnte gerupfte Uwe Trautmann bekam vom Insolvenzverwalter auch noch den zynische Rat, doch seine Ersparnisse aufzulösen. Nur: Er hatte 4,32 Euro Stundenlohn. Von was sollte er da Ersparnisse anlegen?

Auf die Frage, was angesichts dieser Dinge in ihm vorgeht, antwortet er: „Die Wut! Die blanke Wut!“


Veröffentlicht am 31. März 2008 in der Berliner Umschau

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