Freitag, 18. April 2008

Neues riesiges Erdölfeld vor der brasilianischen Küste?

Brasilien: Wirtschafts-Boom

Von Karl Weiss

Hatte man noch vor kurzem gehört, in Brasilien wurde ein neues, großes Erdölfeld im Meer vor der Küste des Staates São Paulo gefunden („Brasilien wird Erdölland“), so gibt es nun schon wieder Neuigkeiten. Es ist heraus gesickert: Ein noch weit größeres Feld wurde, ebenfalls im Meer weit von jeglichem Land, vor der Küste des Bundesstaates Rio de Janeiro gefunden. Es soll angeblich das größte Feld sein, das seit dreißig Jahren auf der Welt gefunden wurde. Zusammen mit diesem Feld könnte Brasilien bis 2020 in die Reihe der wichtigen Erdölproduzenten und -exporteure aufrücken.

Erdöl

Aus noch zu klärenden Gründen hat der Chef der staatlichen brasilianischen Ölbehörde am 14.4.2008 verlauten lassen, die brasilianische halbstaatliche Petrobras habe eines der mächtigsten Erdölfelder aller Zeiten gefunden (genau gesagt: das drittgrößte, geschätzte 33 Billionen Barrel). Noch am gleichen Tag reagierte die Petrobras. Sie dementierte nicht, sagte aber, es handele sich lediglich um erste Hinweise. Die tatsächliche Gehalt des Feldes müsse erst noch bestätigt werden. Das ist immerhin ein bemerkenswertes Nicht-Dementi.

Logo Petrobras

Gehorsam machte der Kurs der Petrobras-Aktien einen Sprung nach oben. Eventuell war diese Ankündigung genau zu diesem Zweck gemacht worden, um mit Aktienspekulationen Geld zu verdienen.

Wie auch immer, es ist keineswegs überraschend, dass es dort noch mehr Öl gibt, denn es handelt sich um die gleiche geologische Formation wie die des vorherigen Fundes.

Die beiden Felder liegen weit draußen im Meer, in Wassertiefen von etwa 3000 - 4000 Metern, wobei das Erdöl noch einmal Kilometer unter dem Meeeresboden liegt. Man wird in diesem – wie auch dem vorher gefundenen – Feld von einer Tiefe vom Bohrschiff bis zum Öl von etwa 7 Kilometer ausgehen müssen. Noch vor wenigen Jahren wäre es undenkbar gewesen, solches Erdöl zu fördern.

Die Petrobras hat aber zusammen mit spezialisierten Firmen (darunter Halliburton) in diesen Jahren so grundlegende und schnelle Fortschritte in der Explorations- und Fördertechnik aus grossen Wassertiefen und grossen Tiefen unter dem Meeresboden gemacht, dass es heute bereits möglich ist, an ein Erschliessen solcher Vorkommen zu denken, wenn auch der Aufwand enorm ist.

Rio de Janeiro, Zuckerhut und Corcovado von Niteroi aus

Der Verfasser dieser Zeilen hatte in seiner Zeit in Rio de Janeiro die grosse Ehre, einen der führenden Spezialisten in diesen Tiefwasser-Förderungen persönlich kennenzulernen, den Italiener Vincenzo Russo, der Anfang dieses Jahres leider vorzeitig verstorben ist. Dessen Sohn ist gerade dabei zu versuchen in seines Vaters Fusstapfen zu treten.

Da trifft es sich gut, dass der Rohölpreis entgegen allen Voraussagen von Rekord zu Rekord eilt. Am Tag der Bekanntgabe wurde gerade die Grenze von 111 Dollar pro Barrel überschritten.

In Niteroi im Bundesstatt Rio de Janeiro hat sich alles etabliert, was für Tiefsee-Ölprospektion und –förderung Rang und Namen hat, darunter einige Werften, die spezialisiert sind auf Bohr- und Förderschiffe. Bei solchen Wassertiefen kann man natürlich nicht mehr mit Plattformen arbeiten, die auf dem Meeresboden stehen, sondern muss mit schwimmenden Plattformen bohren und fördern. Das Erforschen, Bohren und Schiffebauen bis zur Förderung dauert unter den genannten Bedingungen etwa 7 Jahre. Nun, was tut man nicht alles, um der Erde noch die letzten Tropfen des schwarzen, schmierigen Nasses zu entlocken.

Brasilien (topographisch)

Sollten sich tatsächlich die vermuteten Grössenordnungen der beiden neuen Entdeckungen bewahrheiten, könnte Brasilien bis zum Jahre 2020 zu den grossen Erdölförderländern gehören, wie auch zu den grossen Exporteuren, wie etwa Saudi-Arabien, der Iran und Venezuela. Die spanische ‚El Pais‘ sieht Lula sogar schon als ‚neuen Ölscheich‘.

Erdöl 1

Das trifft sich zufällig mit anderen Nachrichten, die in Brasilien zum Köpfen einiger Champagnerflaschen führten. Die Wirtschaft brummt und im Gegensatz zu Deutschlands angeblichem „Boom“ kommt auch etwas davon unten beim kleinen Mann an. Die brasilianischen Lebensmittelsupermärkte melden seit etwa 10 Monaten Monat für Monat Umsatzsteigerungen im Bereich zwischen 20 und 32% im Vergleich zum Vorjahresmonat. Das heisst, Brasiliens “kleiner Mann“ hat mehr Geld auszugeben und kauft mehr und höherwertige Lebensmittel.

Chávez und Lula

Die Arbeitslosigkeit ist weiterhin katastrophal hoch, aber die Zahl der offiziellen Arbeitsplätze steigt seit zwei Jahren deutlich an. Auch jene Brasilianer, die sich mit Gelegenheitsarbeit über Wasser halten, die hausieren oder sich auf andere Weise ein kleines Einkommen sichern, haben mehr zu tun, mehr Geld und mehr auszugeben.

Mit Präsident Lulas Programm „Familien-Stipendium“ (bolsa família) und zwei anderen Programmen wurde der Hungertod in Brasilien fast vollständig ausgerottet. Familien (das heisst fast immer: Mütter) mit Kindern bekommen,wenn sie bedürftig sind und die Kinder im Schulalter die Schule besuchen, eine Art von Lebensmittelgutschein im Wert von (im Moment) 79 Reais pro Kopf (das sind etwa 30 Euro) monatlich. Die Umrechnung in Euro ist allerdings nicht korrekt, denn sie wurde über den Wechselkurs gemacht. Lebensmittel kosten aber in Brasilien weit weniger als entsprechend der Umrechnung in Euro. Ein Beispiel: Brasiliens Grundnahrungsmittel Reis kauft man hier bei Sonderangeboten zu 6 oder 7 Reais für das Paket mit 5 kg, also etwa 1,2 bis 1,4 Reais pro Kg (das wären nach der Umrechnung 45 bis 52 Cents pro Kilo).

Viele Menschen leben zwar weiterhin in Favelas oder abgelegenen ländlichen Elends-Siedlungen ohne menschenwürdige Bedingungen, haben aber wenigstens etwas zu essen. Die typischen Armutskrankheiten sind aber weiterhin allgegenwärtig und führen zu häufigen Todesfällen, speziell bei Kindern. Dies auch und gerade wegen des desaströsen Zustands, in dem sich das öffentliche Gesundheitswesen Brasiliens befindet.

Trotzdem haben aber Programme wie ‚bolsa família‘ und andere das Ansehen Lulas auf neue Höchstwerte gebracht. Seine Zustimmungsquote in Umfragen in Brasilien lässt sich nur noch mit der Putins in Russland vergleichen. Könnte er 2010 für eine dritte Amtszeit kandidieren, wäre sein Wiederwahl sicher. Auf seine Partei PT hat allerdings fast nichts von diesem Ansehen abgefärbt. Die konservative Opposition rechnet sich jetzt bereits einen leichten Sieg bei jenen Präsidentenwahlen aus und will Brasilien wieder auf den Weg der unterwürfigen Merkel-Politik gegenüber den Vereinigten Staaten zurückführen.

Die Automobilindustrie Brasiliens meldet ein Rekordergebnis nach dem anderen. Die zuletzt gemeldeten Steigerungsraten des Auto-Absatzes liegen imSchnitt bei 30% gegenüber dem Vorjahresmonat.



Wie schon gemeldet, wird das Werk des Autoherstellers mit der höchsten Zahl von verkauften Autos, Fiat (hier im Grossraum Belo Horizonte), gerade auf eine Tagesproduktion von 5200 Wagen ausgeweitet, was den größten Einzelstandort aller Automobilwerke auf der Welt bedeuten wird.

Das Bruttosozialprodukt (genau gesagt: Gross National Product) Brasiliens stieg letztes Jahr etwa 5% real und für dieses Jahr wird erneut einWachstum in dieser Grössenordnung erwartet. Das kann zwar nicht mit den Wachstumsraten der anderen BRIC-Länder mithalten (Brasilien, Russland, Indien, China, die vier ‚emerging countries‘), aber es ist ein „gesundes“ Wachstum, denn es beruht hauptsächlich auf gestiegenem Inlands-Konsum.

Aber die wirklich großen Gewinners des brasilianischen Booms sind natürlich die Reichen und Superreichen. Zum Beispiel jene, die vom vorherigen Präsidenten Cardoso für einen Appel und ein Ei die damals staatliche Minengesellschaft „Compania Vale do Rio Doce“ nachgeworfen bekamen, heute die Privatfirma mit den höchsten Gewinnen in ganz Lateinamerika. Diese Firma hat sich jetzt in ‚Vale‘ unbenannt und besitzt die meisten „Goldgruben“ in Brasilien. Was aber die wahnwitzigen Gewinne ausmacht, ist gar nicht so sehr das Gold, es ist vielmehr hauptsächlich das Eisenerz.

Gold

Die Vale besitzt die größten Eisenerzvorkommen auf der Welt und verkauft das meiste Eisenerz auf der Welt. Brasilien ist der größte Exporteur von Eisenerz. Die Mengen an Eisenerzvorräten hier im Bereich des Zentrums des Staates Minas Gerais, von dem aus dieser Artikel geschrieben wird, sind so gigantisch, dass man im Moment ein riesiges Förderband in Planung hat, das von hier zur Küste in Rio de Janeiro führen wird, über 450 km!

Die Vale hat vor einem Monat bekanntgegeben,ihre Eisenerzkontrakte mit den Stahlwerken der Welt für 2008 (es werden jeweils Jahreskontrakte abgeschlossen) seien mit Preisen um 69% höher als 2007 abgeschlossen worden, das besonders begehrte hochprozentige Eisenerz aus Carajás im Amazonasgebiet sogar um 75% höher als im Vorjahr!

Da kann sich der Verbraucher weltweit auf einen Sprung nach oben in der Inflation gefasst machen – und das gerade jetzt, da die Weltwirtschaft beginnt, in eine Wirtschaftskrise abzustürzen.

Es sind also nicht nur die Lebensmittelpreise, die steigen. Brasilien profitiert aber auch von diesen Steigerungen. Die Preise für Sojaöl z.B., sind glatt um die Hälfte gestiegen – und Brasilien ist auch der größte Exporteur von Soja und Sojaprodukten.

Brasilien: Soja-Pflanzungen auf Regenwald-Gelände

Genau in diesem Moment ist Erntezeit für Soja (hier ist jetzt Herbst) und die tagelangen Schlangen von Soja-Lastwagen vor dem hauptsächlichen Soja-Ausfuhrhafen Paranaguá im Bundestaat Paraná sind bereits Legende.

Die Freudentränen bei der brasilianischen Oligarchie fliessen also reichlich, aber hier fallen auch einige Brosamen für die Mittelschicht und die Armen ab.


Veröffentlicht am 18. April 2008 in der Berliner Umschau

Originalartikel

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