Mittwoch, 4. Februar 2009

Brasilien liefert Battisti nicht aus

Politische Verfolgung?

Von Karl Weiss, Belo Horizonte

Zwischen Italien und Brasilien gibt es ernsthafte diplomatische Verstimmung. Der als Terrorist und Mörder in Italien verurteilte Cesare Battisti hat sich nach Brasilien geflüchtet und soll nicht nach Italien ausgeliefert werden. Die italienische Regierung reagierte empört. Was steckt dahinter?

Der brasilianische Justizminister Tarso Genro hat entschieden, den nach Brasilien geflüchteten ehemaligen Militanten der PAC, eine der Gruppen von radikalen Linken, die zeitweise den bewaffneten Kampf predigten, nicht nach Italien auszuliefern. Battisti wurde in Italien wegen vier Morden in Abwesenheit zu einer lebenslänglichen Strafe verurteilt.

Genro, der selbst zur Zeit der brasilianischen Militärdiktatur einer Gruppe angehörte, die zeitweise den bewaffneten Kampf propagierte und der als Terrorist galt und ins Ausland flüchten musste, hat die von Italien eingereichten Unterlagen über den Prozess in Abwesenheit studiert und kam zu dem Schluss, es sei kein Mord Battistis beweisen worden und das Urteil stelle eine politische Verfolgung dar. Politisch verfolgte aber aber einen Anspruch darauf, nicht ausgeliefert zu werden.

Nach Aussage von Genro wurde im Prozess lediglich bewiesen, dass Battisti eine Zeit lang Mitglied der PAC gewesen war, was dieser auch nicht bestritten hat. Er wurde pauschal wegen vier Morden verurteilt, weil man diese Morde der PAC zuschreibt. Die einzigen Anhaltspunkte sind Aussagen von anderen Gruppenmitgliedern, die vom Staatsanwalt für diese Aussagen Straffreiheit bzw. Strafmilderung bekommen haben. Diese Zeugen hätten alles gesagt, was der Staatsanwalt hören wollte. Zwei der vier Morde fanden zudem zur gleichen Zeit an verschiedenen Orten statt, so dass Battisti unmöglich in beiden Fällen der Täter sein konnte.

Das italienische Justizsystem stand nach der Umgründung aller poltischen Parteien wegen der nachgewiesenen Verbindungen zur Mafia bereits mehrfach unter heftigen Anklagen, so u.a. im Zusammenhang mit dem Wiederaufleben von mehreren Mafia-Organisationen in Italien (was den Verdacht zuließ, die politischen und Justiz-Patronagen der Mafia seien fortgeführt worden oder nach kurzer Unterbrechung wieder aufgenommen worden) und dem Einfluss, den der reaktionäre Ministerpräsident Berlusconi ausübt, der andauernd neue Gesetzesvorhaben ins Parlament einbringt, die ihn und seine Clique vor Korruptions-Verfolgungen schützen sollen.

Battisti lebte versteckt in Frankreich. Doch Frankreich entschied, es müsse ihn an Italien ausliefern, weil die EU-Regeln dies unabhängig vom Einzelfall vorsehen. Daraufhin floh Battisti aus Frankreich und kam auf mehreren Umwegen nach Brasilien. Er wurde in Brasilien in Auslieferungshaft genommen. Nach der Entscheidung des Justizministers hat Italien den Obersten Brasilianischen Gerichtshof angerufen. Battisti ist weiterhin in Auslieferungshaft, bis dieser entscheidet.

Battisti selbst bestreitet alle Morde und hebt hervor, bei zweien der Morde, die der PAC zur Last gelegt werden, schon gar nicht mehr in der Gruppe gewesen zu sein.

In allen zivilisierten Ländern gibt es im Fall einer Verurteilung in Abwesenheit die Regel, dass der Verurteilte das Recht auf einen neuen Prozess hat, in dem er anwesend ist, wenn er gefasst wird. Dies Recht bestreitet aber die italienische Justiz Battisti. Man will ihn lediglich ausgeliefert haben, um ihn die lebenslange Haftstrafe abbüßen zu lassen.

So hat die deutsche Justiz z.B. mehrmals Verbrecher aus den Todeslagern der Hitler-Faschisten in Abwesenheit verurteilt. Waren sie in Deutschland aufgespürt, wurde ihnen ein neuer Prozess garantiert, der allerdings wegen der langen vergangenen Zeit nur die geringsten Teile der tatsächlichen Verbrechen aufklären konnte.

Battisti weist daraufhin, dass eine Genossin aus der PAC, die auch für die gleichen Morde verurteilt wurde und in Italien einsitzt, mit absolutem Entzug von Tageslicht gefoltert wird und dies auch auf ihn zukäme, wenn er ausgeliefert würde.

Währenddessen schäumen einige der reaktionären italienischen Regierungspolitiker vor Wut. Einer forderte sogar, das für diese Woche in London angesetzte Fußball-Freundschaftsspiel zwischen Italien und Brasilien abzusagen. Der italienische Außenminister erklärte, Genro sei „einer der Kommunisten der extremen Linken“. Wie weit rechts muss der wohl stehen, dass er einen biederen Sozialdemokraten nicht mehr von einem Linksradikalen unterscheiden kann?

Interessanterweise kamen aus Italien bisher nur formale oder unsachliche Argumente. Ob man keine sachlichen hat?


Veröffentlicht am 4. Februar 2009 in der Berliner Umschau

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