Woran die Banken kranken
Von Karl Weiss
Es kann absolut keine Rede davon sein, dass die „Bankenrettungspakete“, von denen inzwischen bereits jedes Land, das etwas auf sich hält, eins oder mehrere hat, für die gewaltigen Risiken ausreichen könnten, die sich im Taumel der riesigen Profite aus Spekulationen aufgehäuft haben. Im Artikel „Weitere gigantische Finanzmarktrisiken“ vom 28. Oktober 2008 hatte der Berichterstatter bereits darauf aufmerksam gemacht. Vielmehr kommt da mindestens noch einmal eine gleiche Grössenordnung nach oder sogar noch einmal weit mehr.
Um zu verstehen, um was es sich eigentlich handelt, sei hier ein stark vereinfachtes Beispiel gebracht:
Nehmen wir an, es gab ein Einfamilienhaus im US-Staat Ohio (eines der großen Zentren der jetzigen Zwangsversteigerungen) Ende 2004/Anfang 2005, das nach normalen Maßstäben 100.000 Dollar wert gewesen wäre, bereits abgezahlt. Nun hatte sich aber die Immobilienblase aufgewölbt und das Haus wurde mit 200.000 Dollar eingeschätzt. Zu jener Zeit gab es nun Finanzinstitutionen, die volle 200.000 Dollar als Hypothek auf ein solches Haus ausschütteten.
Nun werden Sie sagen, das ist doch verrückt, man kann doch keine Hypothek auf den volle Wert ausschütten, noch dazu in einer Hochpreisphase. Interessanterweise endeten diese Verrücktheiten nicht damit. Man gab vielmehr diese verrückten Hypotheken auch noch an Hausbesitzer, die bestenfalls für die Hälfte der fälligen monatlichen Abzahlungsraten ‚gut’ waren. Das nannte man intern „Sub-Prime-Hypo“. Ob das nun wirklich verrückt war, ist aber die Frage. Man kann auch die These aufstellen, die Bank musste lediglich groß genug sein, um sicher sein zu können: Im Fall, das alles auffliegt, kann sie die Politik zwingen, ihre Verluste aus Steuerzahlergeldern aufzufangen.
Zu jener Zeit konnte eine große Bank Gelder von der Fed (der US-Zentralbank) zu 1 % Zinsen pro Jahr (oder einem ähnlichem Wert) bekommen. Das war weniger als die Inflationsrate, also in Wirklichkeit bekam man dieses Geld geschenkt (man musste es natürlich zurückzahlen, aber später, wenn es schon weniger wert war). Man wolle die Überproduktionskrise verhindern (in Wirklichkeit wurde sie nur hinausgezögert, um dann umso intensiver zuzuschlagen) und wollte riesige Konsummengen über Kredit finanzieren. So nahmen die Banken denn wahnwitzige Mengen von Billiggeld (oder Umsonstgeld) auf und drückten Extrem-Risiko-Kredite (Sub-Primes) in den Markt, dass den Konsumenten das Wasser im Munde zusammenlief.
Doch zurück zu unserem Haus in Ohio: Der Zinssatz war am Anfang 4% pro Jahr, das war relativ extrem billig für einen Privatmann und extrem viel Geld für den Hausbesitzer. Nehmen wir an, es sei eine Rückzahlung des eigentlichen Wertes über 25 Jahre Laufzeit vereinbart worden. Dann hatte also die Familie des Hausbesitzers, nennen wir ihn John Doe, monatlich etwa 1340 Dollar zu zahlen.
Nun kam allerdings das Jahr 2006 und die Zinsen stiegen auf 5,5% im Jahr und die Bank wollte wegen des erhöhten Risikos eine Rückzahlung innerhalb 20 Jahren (sehen Sie mal in Ihrem Hypothekenvertrag nach, die Bank hat das Recht dazu, dies jederzeit zu verlangen), damit erhöhte sich die monatliche Zahlung auf etwa 1740 Dollar, was diese Familie schon in Schwierigkeiten brachte, aber noch aufzubringen war, wenn man an vielen anderen Dingen sparte. Doch dann kam das Jahr 2007 und die Zinsen stiegen auf 7% und die Rückzahlungsfrist wurde auf 15 Jahre neu festgesetzt und damit stieg die monatliche Zahlung auf 2280 Dollar. Das war zu viel für die Familie. Nun nahm man einen neuen Kredit auf, diesmal auf den schicken Toyota SUV, den man (u.a.) von den ursprünglichen 200 000 Dollar gekauft hatte, mit dem bezahlte man die Raten und hoffte, die Zinsen würden wieder fallen im nächsten Jahr und eventuell auch erneut auf 20 Jahre umgeschuldet werden.
Als aber das Jahr 2008 kam, war es umgekehrt: Die Bank (das war längst nicht mehr der Kreditvermittler, bei dem man die Hypothek bekommen hatte, sondern eine ganz andere, den Does unbekannte Bank in einem fernen Land) verlangte eine erneute Zinserhöhung und erneut eine schnellere Rückzahlung. Damit waren die Möglichkeiten der Does erschöpft. Man musste das Haus aufgeben und bekam dafür von der Bank immerhin eine Ausgleichsquittung, man sei nichts mehr schuldig (In Wirklichkeit begehen Banken nicht solche Großzügigkeit, aber es läuft sowieso aufs Gleiche hinaus, denn bald wird bei den Does nichts mehr zu holen sein). Der Toyota, auf den beliehen worden war, wurde auch bald zu teuer in den Raten und auch ihn verloren die Does – immerhin ohne weitere Schulden zu haben, denn jetzt brauchte man sein Geld für die Miete.
Die Bank hatte nun Anfang 2008 eine Haus, dessen Wert zu diesem Zeitpunkt noch mit 120 000 Dollar bewertet wurde, denn die Immobilienblase war schon seit geraumer Zeit am Platzen. Wäre der Wert noch bei 200 000 geblieben, hätte die Bank immerhin 10,7% Zinsen pro Jahr auf seine ursprünglich eingesetzten 200 000 Dollar erzielt gehabt. Hätte man – sagen wir – 800 000 solcher Kredite ohne die Immobilienkrise durchgebracht, hätte man einen Reingewinn von grössenordnungsmässig 16 Milliarden Dollar („Billions of Dollars“) pro Janr verbuchen können, ohne auch nur einen müden Cent an Eigenmitteln (Einlagen der Kunden) eingesetzt zu haben. 16 Milliarden Dollar Reingewinn pro Jahr ohne Eigenkapital zu benutzen, das ist selbst für einen hartgesottenen Banker etwas, was ihm Freudentränen in die Augen treibt.
Mit dem Wertverfall aber kam man auf einen offiziellen Verlust von 15 660 Dollar plus dem verringertem Wert des Hauses von 80 000 Dollar (da kommt eigentlich noch ein kleiner Zinsgewinn dazu, aber die Details interessieren im Moment nicht). Diesen Verlust musste man nun abschreiben, d.h. er musste in die Bilanzen eingehen.
Das war aber zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht mehr realistisch. Obwohl die Bank einen satten Verlust abgeschrieben hatte (etwa 100 000 Dollar, war der Buchwert immer noch bei weitem zu hoch. In Wirklichkeit ist das Haus ja nur noch wert, was bei einer Zwangsversteigerung erzielt wird und das wäre dann Ende 2008 gewesen, aber da war auch der nominale Wert bereits auf 75 000 gesunken, bei einer Zwangsversteigerung wären nur 60 000 zu erzielen gewesen, denn fast niemand kauft bei Immobilienpreisen im freien Fall ein Haus, wenn es schon bald viel billiger sein wird. Dieser zusätzliche Verlust von weiteren 60 000 Dollar über den vorherigen hinaus steht aber noch nicht in den Büchern der Bank. Dort steht noch ein Wert von 120 000 (Sie erinnern sich, wie damals Banken Verluste angaben, gleichzeitig aber viele sagten, da kommt noch viel nach).
Nun kam aber auch noch die Wirtschaftskrise und in der Region von Cincinnati, wo die Does wohnen, werden Zehntausende auf die Straße gesetzt. Damit brechen die Immobilienpreise noch weiter ein. Heute, Februar 2009, ist für das Haus der Does nicht mehr als 45 000 zu erzielen, weil in einer solchen Situation niemand ein Haus kauft. Wahrscheinlich wird sich der Wert am Ende auf etwa 30 000 einpendeln. Das wäre der Wert, bei dem Spekulanten zugreifen würden, denn man hofft, irgendwann werde sich wieder ein Markt für Häuser entwickeln.
Dieser Wert von 30 000 für jenes Haus, für das man 200 000 ausgegeben hat, ist aber ein Desaster für die Bank. Wenn sie noch 800 000 andere Häuser mit ähnlichen Zahlen hat, so ist sie schlicht pleite, denn sie hätte um die 136 Mrd. Dollar an Verlusten abzuschreiben, während ihr Eigenkapital nur – sagen wir – 80 Mrd. Dollar beträgt. Nur weiss das noch niemand. Wenn man es wüsste, würde die Aktie auf Null fallen und niemand würde der Bank mehr sein Geld anvertrauen. Also, psssst!
Man hat für den ersten Verlust (der war etwa 100 000 Dollar, nicht wahr?) bereits Gelder von Staat in Anspruch genommen aber man muss unbedingt den noch ausstehenden Verlust verheimlichen. Vielleicht kann man nacheinander noch zweimal Staatsgelder in Anspruch nehmen, vielleicht lässt sich ja die Pleite vermeiden.
Das Ganze sollte so ungefähr deutlich machen, was bisher in der Finanzkrise geschah und was noch aussteht. Es sei dazugesagt, das ist extrem vereinfacht, taugt aber zur Verdeutlichung.
Das Ausschlaggebende ist nicht nur, dass die Banken bestimmte Wertberichtigungen bisher nicht gemacht haben und dies verschweigen, sondern auch, dass die Wirtschaftskrise, die im Kern die Finanzkrise ausgelöst hat (nicht: verursacht hat), nun ständig die Finanzkrise weiter verschärft und vice versa.
Der Bundesbankpräsident Weber z.B. sagt dazu im Januar 2009: „Das eigentliche Ausmaß der weltweiten Finanzkrise ist noch längst nicht absehbar. Der wirtschaftliche Abschwung ist stärker und weltweit umfassender, als wir das erwartet haben. Es macht mir Sorge, daß es noch nicht gelungen ist, die Krise an den Finanzmärkten einzudämmen. Es gibt derzeit immer neue Verwerfungen, mehr betroffene Segmente und neue Verluste, die zu weiterem Abschreibungsbedarf führen".
Das kann man die zweite Phase der Finanzkrise nennen. Sie wird noch einmal mindestens so schlimm wie die erste und ist erst am Anfang. Wenn also die USA einen Banken-‚bailout’-Plan von 850 Mrd. (in amerikanischem Englisch: Billions) Dollar aufgelegt hatten und einen wesentlichen Teil des Geldes bereits ausgegeben haben (nicht wirklich ausgegeben, aber garantiert, was aufs Gleiche hinausläuft), so wird noch einmal eine vergleichbare Grössenordnung auf sie zukommen oder eventuell weit mehr. Darum haben bestimmte Fachleute bereits angeregt, den gesamten Bankensektor zu verstaatlichen, denn das kommt billiger. Wenn also die Bundesrepublik einen „Banken-Rettungsschirm“ von 450 Mrd. Euro aufgespannt hat (und andauernd versichert, das Geld sei ja nicht weg, es seien nur Garantien – doch das ist nichts als Pfeifen im dunklen Wald), so wird noch weit mehr auf sie zukommen. Nichts umsonst ist auch hier die Verstaatlichung aller Banken (oder fast aller) bereits im Gespräch. Man hat sogar schon einen Gesetzesentwurf dafür vorgelegt, wie man ohne zu hohe Kosten enteignen kann.
In Davos, wo sich vorletzte Woche fast alle Hauptverantwortlichen der Finanzkrise versammelten und so taten als seien sie diejenigen, welche die Menschheit vor der Krise retten könnten, waren sich fast alle einig: Die Finanzkrise ist bei weitem nicht ausgestanden. Voraussichtlich kommt noch weit mehr als das Doppelte der bereits garantierten Summen. Der Professor Roubini, einer der die Krise hatte kommen sehen, schätzte dort die noch ausstehenden Verluste und nicht getätigten Abschreibungen auf etwa 3,6 Billionen Dollar (in US-Englisch: Trillions of Dollars), also 3600 Milliarden Dollar, davon etwa die Hälfte in den USA, die andere in Europa. Der US-Anteil von 1,8 Billionen stünde einem gesamten Kapital (zu Beginn der Krise) der US-Finanzinstitutionen von 1,4 Billionen Dollar gegenüber, also ist man generell pleite.
Dabei wurde hervorgehoben, dass es sich beim zweiten Teil der Finanzkrise nicht einfach um eine Bankenkrise handeln werde, sondern weit mehr Institutionen betroffen sein werden, so wie Hedge-Fonds, wie Kreditkartenorganisationen, die Versicherungen, Rückversicherer und auch bei vielen Firmen „faule“ Papiere auftauchen werden (der Milliardär Merkle konnte ein Lied davon singen, als er sich vor den Zug warf). Ebenso wird es nicht mehr nur um platzende Hypotheken gehen, sondern auch um riesige Mengen an Kreditkarten-Rechnungen, die nicht mehr bezahlt werden können und um Autokredite, die nicht mehr bezahlt werden und um andere geplatzte Kredite.
Auf diesem Weg ist jede Entlassungwelle eine neue Verschärfung der Krise und jede Verschärfung der Finanzkrise verursacht weniger bezahlbare Kredite für die Unternehmen, was wieder Entlassungwellen verursacht und so weiter.
Die Finanz- und Kredit- und Wirtschaftskrise schaukeln sich so gegenseitig hoch bis zum Tor der Hölle, wo laut Dante steht: „Lass alle Hoffnung fahren!“
Natürlich könnte man versuchen den Kapitalisten zu erklären, sie sollten sich mit weniger Gewinn zufriedengeben und nicht entlassen, um dieses Aufschaukeln zu verhindern, aber das geht im Kapitalismus nicht. Würde einer der Kapitalisten dies wirklich tun, würde er schnellstens von seinen Konkurenten vom Markt verdrängt.
Massive Streiks, Generalstreiks und Volksaufstände könnten dies schaffen, aber davon sind wir noch etwas entfernt.
Und wenn wir soweit sind, dann werden wir uns natürlich nicht mit einer geringfügig verringerten Kapitalismus-Krise zufriedengeben, sondern gleich das ganze System hinwegfegen und weltweit den echten Sozialismus errichten, oder nicht?
Lesen wir Marx und Engels, wir werden es demnächst brauchen!
Veröffentlicht am 9. Februar 2009 in der Berliner Umschau