Sind die lernfähig?
Von Karl Weiss
In Davos in der vorletzten Woche wurde es mehrmals angesprochen: Man könne die dort Versammelten nicht einfach generell verurteilen, weil sie (zusammen mit anderen) die Hauptverantwortlichen für die multiple Krise sind, denn sie könnten ja lernen aus den Fehlern und in Zukunft zu einem „stabilen Kapitalismus“ beitragen. Sind sie wirklich lernfähig? Ist ein "stabiler Kapitalismus" möglich, in dem die Binnennachfrage immer der tatsächlichen Produktion angepasst wird?Die Antwort ist in einem Kommentar von letzter Woche zu finden.
In der „Süddeutschen“ wird der Tarifabschluss bei der Bahn kommentiert. Wird er dort begrüsst, als Zeichen der Zeit, dass man seine Lektion gelernt hat? Zum ersten Mal seit langer Zeit ein Tarifabschluss bei der Bahn, der (wenn auch geringfügig) über der Inflationsrate liegt, zum ersten Mal seit langer Zeit bei einem der grossen Arbeitgeber in Deutschland eine (wenn auch minimale) Reallohn–Anhebung? Nein, man will die Lektion nicht lernen.
Der Abschluss wird – wie immer – als Ausgeburt der Unvernunft dargestellt: „Tarifverträge sind selten das Ergebnis von Vernunft oder Unvernunft.“ Es wird gedroht: „Abgerechnet wird später.“ – und dann noch einmal: „Abgerechnet wird danach.“ Ein Horrorgemälde: „Die Lohnsteigerungen ... übertreffen ... auch diejenigen aus dem zurückliegenden Aufschwung.“ Mein Gott wie fürchterlich! Da lagen sie nämlich weit unter der Inflationsrate.
Die Binnennachfrage wird ironisiert: „die berühmte Binnennachfrage“. Und natürlich, das durfte nicht fehlen: „ ... weil höhere Löhne für die Firma, die sie zahlen muss, erst einmal bedeuten, dass die Kosten dieser Firma steigen, ohne dass diese unmittelbar Aussicht auf mehr Absatz hat.“
Nun könnte man natürlich argumentieren: Wie stellt sich denn der Kommentator vor, dass der Absatz von Bahnfahrkarten der Bahn ansteigt, wenn es keine erhöhte Binnennachfrage gibt? Auf Ausländer hoffen, in deren Heimatländer noch die Binnenachfrage belebt wird? Werden die nach Deutschland kommen und hier bahnfahren?
Aber es ist aussichtslos zu argumentieren. Der Kommentator hat sein Einmaleins gelernt und da gibt es keine Binnennachfrage. Da gibt es nur Export, Export, Export. Deshalb, so weiss er, ist die Krise auch nicht hausgemacht, sondern die Schuld der Ausländer. Die kaufen einfach nicht mehr die deutschen Waren, diese Idioten!
Glauben Sie wirklich, diese Bande von Nutzniessern und Apologeten des Kapitalismus ist lernfähig? Glauben Sie, die werden einen „stabilen Kapitalismus“ schaffen, in dem jedes Jahr auf der Basis Inflation plus Produktivitätsanstieg die Löhne erhöht werden? Na sehen Sie!
Veröffentlicht am 10. Februar 2009 in der Berliner Umschau
Zusatz zum Artikel
Hier die unten von "expat" erwähnte Statistik
Entwicklung der Reallöhne pro Kopf* in Europa von 2000 bis 2008