Europa könnte vollständig auf erneuerbare Energien umstellen
Von Karl Weiss
Es gibt bereits alle Voraussetzungen, in ganz Europa die Energieversorgung schnell auf erneuerbare Energien umzustellen. Eine Studie der Freien Universität Berlin, vorgestellt von der ehemaligen EU-Kommissarin Michaele Schreyer und dem Privatdozenten Lutz Metz, belegt: Innerhalb von 20, höchstens 40 Jahren, könnte der gesamte Strombedarf Europas mit heute bereits vorhandenen Techniken erneuerbar und damit nachhaltig sein.
Diese Graphik aus deutschen Ministerien belegt eindeutig: Es ist nicht der geringste Ausstieg aus den konventionellen Energieträgern vorgesehen.
Die bisher vorgesehenen Pläne für erneuerbare, die nun zusätzlich durch die Krise auch noch ausgesetzt wurden, sehen dagegen die Verwendung von CO2-erzeugenden Stromlieferanten wie Kohlekraftwerke, Ölkraftwerke und Gaskraftwerke sowie der extrem teuren und gefährlichen Atomkraftwerke bis weit in die zweite Hälfte des Jahrhunderts vor. Um es genau zu sagen, es gibt in der EU bisher nicht einen einzigen Plan, der mit ihnen wirklich aufräumen will. Die Berliner Studie zeigt dagegen, wenn die hauptsächlichen Hindernisse beseitigt würden, könnte der Prozess der Austausches bis 2030, spätestens 2050 abgeschlossen sein.
Was sind nun die hauptsächlichen Hindernisse? Allesamt solche, die mit politischen Entscheidungen zusammenhängen, während die technischen Möglichkeiten längst vorhanden sind und keine Probleme bieten. Soweit man weitere technische Fortschritte voraussieht, könnte die ganze Umwandlung sogar noch deutlich beschleunigt werden.
Die erste und hauptsächliche Hindernis ist jenes, das mit „Wettbewerbsverzerrungen“ beschrieben wird. Es handelt sich vor allem um völlig unbegründete Bevorteiligungen der Energieträger Kohle, Braunkohle und Gas sowie der Kernkraft. Kohle und Braunkohle, wenn sie zur Energiegewinnung genutzt werden, sind praktisch völlig von Steuern befreit und den Konzernen, die Kohlekraftwerke betreiben, werden fast völlig Gewinnsteuern erlassen. Die Kosten der Umweltschäden, die durch die Kohle- und Braunkohle-Gewinnung in Tagebauten verursacht werden, wird selten den Energiekonzernen, sondern dem Staat auferlegt. Das gleiche gilt für die Folgekosten der Atomkraftwerke. Die gesame Entsorgung, Aufbereitung und Lagerung der strahlenden Abfälle der Kernenergie wird vom Staat von unseren Steuergeldern bezahlt, während die Energiekonzerne die Profite aus dem Stromverkauf einstecken – und das fast steuerfrei.
Ähnlich sieht es mit den Kosten der Gas-Pipelines aus. Fast alle sind in Staatshand oder werden indirekt vom Staat bezahlt und gewartet, während das Gas aus diesen Pipelines zu lächerlich geringen Preisen den Energiekonzernen zur Verfügung steht. Auch wenn Unfälle passieren, sei es in Atomkraftwerken, sei es in Tagebau-Kohlen- oder Braunkohle-Minen, sei es mit Gaspipelines, wird nicht der Energiekonzern zur Rechenschaft gezogen, sondern es werden Steuergelder verbraten. Würden alle diese Steuergelder, speziell jene für die strahlenden Abfälle, nicht mehr dort abgeliefert, stünde genügend Geld für eine vernünftiges Bildungssystem ohne Gebühren, für ein kostenloses Nahverkehrsystem, für kostenlose Kindergärten, Krippen und Horte, für Schwimmbäder, für genügend Lehrer und kleine Klassen, für eine würdige Arbeitslosenhilfe für die Mitbürger ohne Arbeit usw. usf. zur Verfügung.
Wären die Kosten der strahlenden Abfälle im Energiepreis eingeschlossen, wäre Atomstrom bei weitem der teuerste von allen. Nur - wir müssen diese Kosten trotzdem zahlen, nur eben über unsere Steuern. Demgegenüber sind die erneuerbaren Energiequelle in keiner Weise vom Staat steuerbefreit bzw. nur unbedeutend. Auf dieser Grundlage haben die Energiekonzerne natürlich nicht das geringste Interesse, auf erneuerbare umzustellen – im Gegenteil, sie müssten um einen Teil ihrer Profite fürchten, wenn umgestellt würde.
Es ist fast unglaublich, aber die EU gibt heute noch mehr Geld für Forschung über veraltete Energiequellen aus als für erneuerbare Energiegewinnung. Die Konzerne lassen einen Teil der eigentlich von ihnen aufzubringenden Entwicklungstätigkeit von der Gemeinschaft finanzieren.
Es ist aber auch kein Wunder, wenn die Parteien der bürgerlichen Scheindemokratie heftig die Privilegien dieser Konzerne verteidigen. Sie werden in Teilen von diesen Konzernen über Spenden und andere Zuwendungen finanziert und vor allem sind bei diesen Konzernen viele der fetten Posten, in die Politiker dieser Parteien nach der Karriere einsteigen. Die Zahl der Politiker, die unanständig hoch besoldete Posten nach ihrer politischen Karriere bei Energiekonzernen einnehmen, ist Legion.
Hier nur eine kleine Auswahl:
Da ist zunächst einmal Ex-Kanzler Schröder selbst, von der SPD. Er ist nun Aufsichtsratsvorsitzender des deutsch-russischen Gaskonsortiums Nord Stream (früher NEGP), das eine Gas-Pipeline durch die Ostsee bauen will.
Dann gibt es da Rezzo Schlauch, von den Grünen. Er war unter anderem parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, als man die Rot-Grünen an die Fleischtöpfe gelassen hatte. Nun hat er die Politik aufgegeben (im Moment sind die Fleischtöpfe ja gerade so weit weg) und wurde Beirat des überzeugten Kernkraftwerksbetreibers EnBW, dem baden-wütttembergischen Stromversorger.
Dann ist da Werner Müller, ehemals Schröders Wirtschaftsminister. Er wurde – gelobt seien die Staatsbetriebe – Vorstandsvorsitzender der Ruhrkohle AG.
Eben jener Müller hatte einen Staatssekretär zu jener Zeit mit Namen Tacke. Dieser hatte ihn einmal zu vertreten. Da wurde gerade eine Ministererlaubnis fällig, nämlich die zur Fusion der E.on mit Ruhrgas. Das war eigentlich Kartellbildung und verboten. Aber Minister dürfen Ausnahmen genehmigen. Nun war es eben genau Tacke, der diese Ministererlaubnis gab. Damit war E.on zu einem Monopol geworden. Diese E.on ist nun zufällig an der Ruhrkohle beteiligt. Und wo ist Tacke nun Vorstandsvorsitzender? Bei der STEAG, einer hundertprozentigen Tochter der Ruhrkohle. Und, der darf natürlich nicht vergessen werden: Mr. Hartz IV: Der nicht aus der SPD ausgeschlossene, aber dann ausgetretene Ex-Minister Clement. Er hat es zur RWE gebracht, neben Eon, Vattenfall und EnBW einer der grossen Energiekonzerne in Deutschland.
Ein anderes wichtiges politisches Hindernis ist das fehlende bzw. von den Konzernen immer wieder verhinderte einheitliche europäische Stromverteilungsnetz. Die Leitungen sind konzerneigen, die Konzerne verlangen Durchleitungskosten und sind glücklich mit all diesen Gewinnen. Würde man dagegen ein einheitliches, grenzüberschreitendes europäisches Stromverteilungsnetz schaffen, könnte man damit unnötige Überkapazitäten vermeiden, auch Länder mit geringen Ressourcen mit Öko-Strom versorgen und die Energiepreise drastisch senken. Offensichtlich haben die Ölkonzerne und die von ihnen bezahlten Politiker nicht das geringste Interesse daran.
Der entscheidende Vorteil der erneuerbaren Energien, sei es Windkraft, Wasserkraft, Sonnenwärme, Solarenergie, Geothermische Energie, Wärmepunpen, Wellenkraft, Gezeitenkraftwerke oder andere, ist, sie tragen nichts (oder so gut wie nichts) zur Erhöhung des CO2-Gehaltes der Athmosphäre bei und helfen damit, die globale Erwärmung und die dadurch verursachte bereits beginnende Klimakatastrophe zu vermeiden oder zu vermindern.
Sie haben aber auch andere wichtige Vorteile: Sie verschmutzen nicht die Luft, was in extrem dicht bevölkerten und industrialisierten Gegenden wie Europa ein dringendes Problem ist. Sie sind auch weit umweltverträglicher als die heute verwendeten „schmutzigen“ Energieträger, wie Kohle, Braunkohle, Öl und Gas – ganz zu schweigen von der schmutzigsten aller Energieformen, der Atomkraft, die über zehntausende Jahre strahlende Abfälle hinterlässt.
Ganz zu schweigen in diesem Zusammenhang von den Müllverbrennungsanlagen, besonders schmutzigen Energieerzeugern und Werk gewordener Wahnsinn. Es gibt keinen Müll, es gibt nur nicht mehr gebrauchte Rohstoffe, die wieder aufbereitet werden müssen. Es ist ein Verbrechen gegen kommende Generationen, diese Rohstoffe zu verbrennen.
Aber da gibt es noch einen dritten grundlegenden Vorteil der erneuerbaren Energien. Nach Ansicht von fast allen wesentlichen nicht von der Auto-Industrie bezahlten Experten ist das Elektro-Auto das Auto der Zukunft. Ist das so, wird dann auch der „Sprit“ in Form von Strom erzeugt und eingespeichert. Damit könnte ein solches europaweit verbundenes System der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien dann auch Benzin und Diesel ersetzen und damit die andere wesentliche Quelle von Umweltverschmutzung neben der Energieerzeugung. Wir könnten ein Europa mit sauberer Luft haben, ohne saueren Regen und Waldsterben, ohne Feinstaubbelastung, ohne Nitrose Gase in der Luft, die erwiesenermassen Lungenkrebs verursachen, ohne bodennahes Ozon.
Und da ist der vierte Vorteil der erneuerbaren Energie: Sie sind nachhaltig. Das will sagen, wir opfern nicht unwiderbringlich wertvolle Rohstoffe der Erde, die den kommenden Generationen dann nicht mehr zur Verfügung stehen, für den schlichten Zweck der Energierzeugung, der längst mit anderen Methoden möglich ist.
Das alles wäre in absehbarer Zeit möglich, ohne dass dafür mehr ausgegeben werden müsste, als man jetzt den Banken in den Rachen schmeisst.
Allerdings ist Ihnen sicher schon aufgefallen, dass da oben andauernd Konjunktive verwendet werden: Könnte, würde, müsste, stünde. Und da steht auch, warum. Die Politiker und die sie finanzierenden Konzerne stehen dagegen.
Wie lange wollen wir uns das eigentlich noch gefallen lassen?
Veröffentlicht am 24. März 2009 in der Berliner Umschau