Veränderung des globalen Gleichgewichts
Von Karl Weiss
Nach Berichten aus Peking haben die chinesischen Streitkräfte soeben neue Antischiffsraketen in Dienst genommen, die einen deutlichen Umschwung im pazifischen Raum bezüglich des militärischen Gleichgewichts einläuten könnten. Damit würde auch das globale Gleichgewicht zwischen den USA und China verändert.
Anti-Schiffs-Raketen sind natürlich bereits seit vielen Jahren Teil des Arsenals der US-Marine und auch der US-Armee, was die Abwehr von sich annähernden eventuell feindlichen Schiffen auf das US-„Heimatland“ betrifft.
Landgestützte Anti-Schiffs-Raketen, das ist offensichtlich, sind natürlich ein weit effektiveres Mittel gegen gegnerische Schiffe als etwa die Kanonen eines eigenen Schiffes oder die von landgestützten Kanonen-Stützpunkten.
Hat man Raketen, die automatisch auf eine eingestellte Position funktionieren und dann zusätzlich noch per Radar auf die riesige Eisenmasse eins solchen Schiffes eingestellt werden können, so ist das potentielle Angriffsangebot natürlich erdrückend.
Das trifft zum Beispiel zu auf die Abwehrraketen der USA, die auf Schiffen oder landgestützt auf dem US-Festland stationiert sind: Jedes Schiff – einschließlich von Flugzeugträgern -, das sich in eventuell nicht friedlicher Ansicht dem amerikanischen Festland oder dem Flottenverband nähern würde, kann selbstverständlich innerhalb von Minuten auf den Grund des Meeres geschickt werden, einschließlich eventuell starker Bewaffnung.
Diese Art von Raketen haben auch Alliierte der USA zur Verfügung, man braucht also auch in Europa nicht mit eventuellen Schiffs-Kanonen oder Schiffs-Raketen-Angriffen rechnen- von wem auch immer – vorausgesetzt, entsprechende Raketen wurden rechtzeitig in Europa in Stellung gebracht.
Das war eine extrem komfortable Situation für die NATO. Bezüglich der Beherrschung der Meere hatte man alle Vorteile in der Hand. Doch wenn sich die Aussagen des US-Admiral Williard bewahrheiten, sind die Tage dieser Überlegenheit gezählt.
Bei den neuen Antischiffsraketen Pekings „Dongfeng 21D“ soll es sich um ballistische Raketen handeln, die selbständig ihre Ziele suchen und finden können. Solche ballistischen konventionellen Raketen haben heutzutage genug hochbrisanten Sprengstoff bei sich, um mit einem einzigen Treffer einen Flugzeugträger zu versenken.
Unter ballistischen Raketen versteht man jene, die in den Weltraum hinaus geschossen werden, dort dann jeden Ort auf dieser Seite der Erde (das betrifft Mittelstreckenraketen, von denen hier die Rede ist) ansteuern können und von dort dann wieder in die Lufthülle eintreten und mit Hilfe von Satelliten, Radar und Drohnen ihr Ziel suchen.
Gegen ballistische Raketen gibt es wenig Abwehrmöglichkeiten, wenn es nicht gelingt, sie noch am Boden zu zerstören. Kein Wunder, denn sie sind mit zehnfacher Schallgeschwindigkeit unterwegs oder sogar noch mehr.
Zwar sind die USA dabei, Anti-Raketen-Raketen zu entwickeln, die solche Raketen in der Phase des Wiedereintritts angreifen und sprengen, aber man muss einen riesigen Aufwand betreiben, wenn man wirklich einigermaßen sicher solche Raketen abwehren will – ein Aufwand, den das US-Parlament bisher nie genehmigt hat.
Zwar wird bereits von einem europäischen Raketenschild gesprochen, das angeblich vor iranischen Raketen schützen soll, aber auch dies System existiert bisher nur in Plänen.
Das gesamte militärische Vorgehen der US-Streitkräfte ist weitgehend von den großen Flugzeugträgern abhängig. Wenn es nicht um den Endzeit-Atomraketen-Krieg geht und nicht um Guerillakriege, so ist Kriegführung von Flugzeugträgern aus DAS Mittel der Wahl für ein überlegenes Militär wie jenes der Vereinigten Staaten. Man hat auch bereits eine große Anzahl von weniger bedeutenden Kriegsschiffen in „Schiffs-Friedhöfe“ abgeschoben, weil die Flugzeugträger die Aufgaben so viel effektiver wahrnehmen können.
Ein Flugzeugträger ist ja eine schwimmende Festung, die mit der Möglichkeit, innerhalb von Minuten Zig Überschall-Kampfflugzeuge auszuspucken, praktisch unangreifbar durch Schiffe oder Flugzeuge ist. Solche Flugzeugträger sind auch die ideale Basis für Bombenflugzeuge, die eine Invasion vorbereiten bzw. beginnen. Meistens sind sie dann noch von riesigen Schlachtschiffen begleitet, was ihre Unangreifbarkeit und Schlagkraft noch erhöht.
Könnten nun vom chinesischen Festland aus alle US-Flugzeugträger, die sich in asiatischen oder pazifischen Gewässern befinden, innerhalb von einer Stunde zerstört werden, würde sich für den Fall eines konventionellen Krieges in Asien unter Beteiligung der USA eine völlig neue Konstellation ergeben.
Das alles ist ja keineswegs nur theoretisch, wenn man die konkreten Gefechte aus den letzten Wochen zwischen Nord- und Südkorea ansieht, das erstere eine chinesische Marionette, das zweite eine US-amerikanische. Auch die Spannungen zwischen Japan und China haben sich im vergangenen Jahr verschärft, wobei Japan ja Verbündeter der USA ist.
Zwar heißt es, das neue Raketensystem der Chinesen sei noch in Entwicklung und mit Kinderkrankheiten behaftet, aber erfahrungsgemäß pflegen die Chinesen solche Probleme in den Griff zu bekommen. Vor allem wird betont, die Chinesen hätten noch nicht genügend Satelliten im Weltraum, um eine perfekte Steuerung jener Raketen zu gewährleisten, aber Peking hat bereits mehrfach bewiesen: Man kann Satelliten in jede erwünschte Umlaufbahn bringen.
So hat der US-Minister Robert Gates denn auch schon verlauten lassen, man werde sich eventuell Neues für den Einsatz von Flugzeugträgern einfallen lassen müssen.