Strauss-Kahn unschuldig?
Von Karl Weiss
Laut einem Artikel der New York Times sind schwere Bedenken über die Ehrlichkeit des Zimmermädchens aufgetaucht, die Strauss-Kahn der Vergewaltigung in seinem Luxus-Hotelzimmer angeklagt hat. Laut einer Agenturmeldung von heute wurde Strauss-Kahn vom Richter bereits aus seinem Hausarrest in einem New Yorker Appartment entlassen und kann sich (innerhalb der USA) frei bewegen.
Der Link zum Artikel:
http://www.nytimes.com/2011/07/01/nyregion/strauss-kahn-case-seen-as-in-jeopardy.html?_r=1&nl=todaysheadlines&emc=tha2
Das ist kaum zu glauben. Der Fall war doch so klar: Es war die klassische Geschichte von Rotkäppchen und dem bösen Wolf. Strauss-Kahn, ein stinkreicher Chef des IMF, der wesentlich an der Unterdrückung der Entwicklungsländer durch den Imperialismus beteiligt ist, Strauss-Kahn, ein bekannter Frauenheld, der sich schon (mindestens eine) Geliebte hielt, welche auch noch eine Untergebene war und welche er beförderte, das war doch der Inbegriff des mächtigen, schmutzigen alten geilen Mannes, dem man eine Vergewaltigung jederzeit zutrauen konnte.
Während Rotkäppchen als Zimmermädchen verkleidet kaum unschuldiger hätte sein können: Eine schwarze 36-jährige Imigrantin, deren Asylprozess noch in Schwebe ist, sollte das Zimmer des Wüstlings aufräumen und wurde nach ihren Angaben vom ihm vergewaltigt.
Die ganze Welt hatte Strauss-Kahn schon verurteilt, er musste den Vorsitz des IWF bereits abgeben und das Opfer war schon fast heiliggesprochen.
Dazu kam das Vorgehen der Polizei, der Staatsanwaltschaft und des Richters in New York. Wenn der Inhaber eines der höchsten internationalen Ämter aus einem abflugbereiten Flugzeug geholt, ins Gefängnis gesteckt und der Öffentlichkeit breit vorgeführt wird sowie dann noch Untersuchungshaft und später Hausarrest in New York aufgebrummt bekommt, so muss er ja wohl schuldig sein.
Ausserdem wurde Sperma von Strauss-Kahn an der Frau gefunden. Also: Fall erledigt, Politiker tot.
Doch waren auch damals schon Manche skeptisch: Ist es wirklich denkbar, dass ein Mann, der alle Chancen hatte, der nächste französische Präsident zu werden, solch eine Tat begeht? Immerhin sind das Halten von Geliebten und eine Vergewaltigung zwei Paar Stiefel. Geliebte sind in solchen Kreisen wohl eher üblich, aber wer so viel Geld hat und in einem so teuren, diskreten Hotel wohnt, braucht doch niemanden zu vergewaltigen. Da lässt man sich doch einfach jemanden diskret zuführen.
Doch nun könnte es sein, dass die Geschichte genau anders herum geht: Nun wäre die junge Frau plötzlich ein Flittchen, das sich an den berühmten Gast in „ihrem“ Hotelzimmer herangemacht und ihm einen sexuellen Gefallen erwiesen hätte, während das Opfer nun plötzlich der alte, geile Mann wäre, der für die Zwecke der jungen Schwarzen büssen müsste.
Es war der New Yorker Polizei aber dann aufgefallen, dass die junge Frau über zwei Dinge gelogen hatte. Beide hatten mit ihrem Asyl-Antrag in den Vereinigten Staaten zu tun. Der Asyl-Antrag war u.a. mit einer sexuellen Mutilation begründet, der die junge Frau in ihrem Heimatland Guinea unterzogen worden sei. Deren Beschreibung im Asylantrag stimmte aber nicht mit der überein, die sie der Polizei im Vergewaltigungsfall erzählte. Die zweite Lüge bezog sich auf ihre finanzielle Situation. Sie hatte sich als mittellos und auf den Job im Hotel angewiesen beschrieben, aber die Polzei fand ein Bankkonto auf ihren Namen mit etwa 100 000 Dollar drauf.
Auf die Frage, woher das Geld käme, sagte sie, ihr Verlobter hätte diese Gelder überwiesen.
Die hohe Summe wurde in mehreren Teilbeträgen aus verschiedensten Teilen der USA auf ihr Konto überwiesen: Aus Arizona, Georgia, New York and Pennsylvania.
Der oben erwähnte Verlobte stellte sich als ein Gefängnisinsasse heraus, der mit 200 kg Mariuhana erwischt worden war. Mit eben diesem Mann sprach die junge Frau am Telefon, wohl, ohne zu wissen, dass solche Gespräche mit Gefängnisinsassen mitgeschnitten werden. In dem Gespräch einen Tag nach dem ‚sexuellen Ereignis‘ mit Strauss-Kahn diskutierte sie mit dem Mann, welche Vorteile sie daraus ziehen könnte, die Anklage gegen Strauss-Kahn zu verfolgen.
Auch ein anderer Fakt machte die Polizisten stutzig: Die Guineanerin hatte schon einige Zeit Telefonrechnungen von über hundert Dollar monatlich an 5 verschiedene Telfonnetzbetreiber gezahlt, während sie behauptete, nur ein Telefon zu haben.
Die Staatsanwaltschaft teilte am 30. Juni mit, man würde heute (1.Juli) beim Richter vorsprechen und zugeben, man habe keinen „klaren Fall“ mehr, wie es am Anfang ausgesehen hatte. Eventuell kommt es in Frage, dass die Staatsanwaltschaft von ihm verlangt, „ungehöriges sexuelles Benehmen“ (‚misdemeaner‘, auf deutsch: Übertretung) zuzugeben, was mit einer Geldstrafe abgegolten werden kann, während eine Gefängnisstrafe wohl auf jeden Fall zur Bewährung ausgesetzt würde. Doch selbst das gilt nun nicht mehr als sicher.
Heute, 1. Juli, ging die Meldung um die Welt, Strauss-Kahn sei aus dem Hausarrest entlassen worden, der Pass sei ihm aber (noch) nicht zurückgegeben worden.
Nach diesem Stand der Dinge wird Strauss-Kahn wohl freigesprochen, wenn auch nur aus Mangel an Beweisen, so wie Kachelmann.
Doch was dann? Ist es denkbar, Frankreichs Sozialisten könnten ihn doch noch als Präsidentschaftskandidaten aufstellen, nachdem sein Leumund der schlechtesten einer ist?
Und wenn, würden die Franzosen einen Mann wählen, der einen so schlechten Ruf hat?
Die Fälle Kachelmann und Strauss-Kahn sollten wirklich zu einer Fragestellung führen:
Hat die Öffentlichkeit wirklich das Recht hat, über jeden konkreten Verdacht gegenüber jemand Bescheid zu wissen, auch und gerade dann, wenn es eine bekannte Persönlichkeit ist? Ist es nicht ausreichend, ein öffentliches Gerichtsverfahren zu haben und darüber zu berichten? Sollten die Identitäten und Verdachtsmomente nicht geheim gehalten werden, bis ein Prozess beginnt?
Und eine andere Frage: Ist die jetzige Handhabung von Untersuchungshaft angemessen?