Der Alkohol-Boom hat begonnen, Teil 4
Von Karl Weiss
Artikel der "Berliner Umschau" vom 16.8.2006
So mancher aus - sagen wir - Frankfurt rümpft innerlich die Nase, wenn man ihm etwas von Leuten in Bayern erzählt, geschweige denn solchen aus der Region Straubing-Bogen in der Oberpfalz, die Gegend nennt sich Gäuboden, nicht weit von München entfernt. Die Gegend galt als rückständig und die Leute dort als ‚Holzköpfe’. Nichts ist weiter entfernt von der Wahrheit als dies.
In Wirklichkeit sind die Leute dort lebenslustig, aufgeschlossen, viele junge Europäer und in einigem auch der hessischen Großstadt voraus. Zum Beispiel ist in Frankfurt noch jeder gezwungen, sauteures und umweltvernichtendes Benzin in sein Auto zu füllen, das die deutsche Außenhandelsbilanz belastet (wenn er nicht bis nach Homburg fahren will), während bei Straubing soeben eine der ersten deutschen Alkohol Tankstellen eröffnet wurde, ein Gemeinschaftsprojekt des Autohauses Reinholz in Ittling, des Autohauses Griesbeck, des Mineralölhändlers Diermeier und der Firma Röhrer.
Dahinter steht die Stadt Straubing, die sich zur Stadt der nachwachsenden Rohstoffe gemausert hat, die ‚biomasse GmbH’ dort und die bundesweite C.A.R.M.E.N., das bedeutet Centrales Agrar-Rostoff-Marketing- und Entwicklungs-Netzwerk (wer interessiert ist: die Website heißt carmen-ev.de), die in Straubing ihren Sitz hat in der Schulgasse 18 und die dort auch ein Kompetenzzentrum hat und ein Forschungsinstitut baut.
So mancher deutsche Automobilhersteller rümpft die Nase, wenn er von den US-Fahrzeugkonzernen General Motors und Ford hört. Sie galten als nicht sehr innovativ, wenig dynamisch und die Autos als eher hausbacken. Tatsache ist, daß sowohl Ford als auch GM über seine Tochter Saab heute weit fortgeschrittenere Autos anbietet als die deutsche „Hocharistokratie”, angefangen von DaimlerChrysler über BMW hin zu Volkswagen, nämlich die Flex-Fuel-Autos, die Benzin oder Alkohol in jeder beliebigen Mischung tanken können. Es scheint, daß deutsche Konzerne ihre Dynamik verloren haben, außer wenn es um Massenentlassungen geht.
Ein klarer Fall von: “Wer zu spät kommt, den bestraft die Geschichte.”
Ford bietet in allen seinen Verkaufsstellen schon jetzt oder spätestens ab Anfang September den Ford Focus als Flex-Fuel-Version ohne Aufpreis an. Damit hat der Focus gegenüber seinen wesentlichen unmittelbaren Konkurrenten Golf, Astra, Peugeot 307 und Renault einen wesentlichen Vorteil gewonnen: Die Zukunftsicherheit. Auch die Gebrauchtwagenpreise werden für veraltete Nur-Benziner einbrechen und für Flex-Fahrzeuge steigen. Wer in diesem Moment noch einen Nur-Benziner kauft, müßte bekloppt sein.
Daneben bietet Ford auch den Ford C Max als Flex-Fuel-Version an, ebenfalls ohne Aufpreis.
Das gleiche gilt für Ford-Tochter Volvo. Einige der Volvo-Modelle können ab sofort in jeder deutschen Volvo-Vertretung in der Flex-Version erstanden werden - genauso ohne Aufpreis.
Bei GM ist es ebenfalls die schwedische Tochter, die SAAB, welche einen Teil der Palette bereits in der Flex-Version auf Lager hat. Zwar wissen das noch nicht alle Opel-Händler, die auch SAAB vertreiben, aber mit etwas Nachhilfe lernen die schnell.
Wer heute ein Flex-Fuel-Fahrzeug kauft, ist zukunftssicher, ohne jetzt irgendwelche Nachteile hinnehmen zu müssen. Falls es noch keine Alkohol-Tankstelle in der Nähe gibt, fährt er so lange ganz normal mit Benzin. Sobald es eine gibt, wird er den Preisvorteil nutzen können und seine Kollegen mit veralteten Nur-Benzinern auslachen.
Besonders unverständlich ist die Weigerung des VW-Konzerns, seine ausführlichen Erfahrungen aus Brasilien mit der Herstellung von Flex-Fuel-Autos in Deutschland zugunsten des VW-Käufers anzuwenden. In Brasilien war man sogar Vorreiter in dieser Sache und hat bereits letzten Monat beschlossen, daß ab Januar 2007 alle VW-Personenwagen in Brasilien mit der Flex-Fuel-Technik vom Band laufen werden.
Die einzige Erklärung für diese völlige Mißachtung seiner deutschen (und europäischen) Kunden ist darin zu suchen, daß die Oberen bei VW, angefangen vom Porsche-Chef, aufs engste mit der Ölindustrie verkungelt sind und den Verbrauchern diesen Vorteil vorenthalten, weil sie ihren Freunden dort zu höheren Profiten verhelfen wollen. Ausgerechnet Volkswagen, daß sowieso seit Monaten in den rufschädigenden Schlagzeilen steht wegen Prostituierten-Reisen-Skandalen und Korruptionsaffären und deshalb eine Verbesserung seines Images dringend gebrauchen könnte. Wenn nun die Umsätze einbrechen, werden es wieder die Arbeiter zu spüren bekommen statt der Schuldigen.
Jeder, der jetzt ein Flex-Fuel-Fahrzeug kauft, sollte sich übrigens auf der Site ethanol-statt-benzin.de registrieren lassen, weil er dadurch die Verbreitung von Ethanol-Tankstellen fördert.
Heute gibt es bereits 16 Alkohol-Tankstellen in Deutschland, die im folgenden aufgezählt werden:
1. Postleitzahlgebiet 9:
- 91583 Schillingsfürst, Ansbacher Str. 1
- 92421 Schwandorf, Regensburger Str. 55
- 93059 Regensburg, Weichser Weg 5
- 94559 Niederwinkling, Industriestr. 2
- 94699 Deggendorf, Hengersberger Str. 33
- 99439 Weimar - Großobringen, Wohlsborner Str. 1
2. Postleitzahlgebiet 8:
- 80469 München, Baaderstr. 6
- 84109 Wörth a.d. Isar, Siemensstr. 2
- 86529 Schrobenhausen, Pöttmeser Str. 9
3. Postleitzahlgebiet 6:
- 61352 Bad Homburg, Benzstr. 15
- 66740 Saarlouis, Schanzenstr.
4. Postleitzahlgebiet 5:
- 53773 Hennef, Frankfurter Str. 150
- 53842 Troisdorf, Hauptstr. 338
5. Postleitzahlgebiet 2:
- 24558 Henstedt-Ulzburg, Philipp-Reis-Str. 12
6. Postleitzahlgebiet 1:
- 16515 Oranienburg/OT Wensickendorf, Hauptstr. 69
- 16761 Henningsdorf, Fabrikstr. 8a
Wer Näheres über diese Tankstellen, ihre Lage usw. wissen will, kann auf der Site mobilohnefossil.de mehr erfahren.
Die großen Ölkonzerne mit ihren lichdurchfluteten, ultramodern stilisierten Tankstellen rümpfen schon mal die Nase über die „Freien Tankstellen“, aber sie haben sich soeben abhängen lassen und sind in die Liste der Dinosaurier geraten (groß, aber überholt). Wie zu erwarten, ist keine der oben genannten Tankstellen eine der großen Konzerne, sondern sie sind allesamt „Freie“oder von kleinen Tankstellen-Gruppen. Offensichtlich verbieten die gigantischen Ölkonzerne ihren Pächtern, Alkohol-Zapfsäulen zu installieren.
Das ist ein Skandal!
Natürlich verdient Big Oil sein großes Geld hauptsächlich mit der Herstellung und dem Verkauf von Benzin, Diesel und Kerosin (auf Deutsch: Petroleum). Man glaubt dort offenbar, das Hochkommen von erneuerbaren Kraftstoffen auf alle Ewigkeit verhindern zu können, wenn man denn nur genügend Druck auf Politik, Pächter und Autoindustrie ausübt. Man hat dort aber anscheinend noch nicht gemerkt, daß der Alkohol-Zug längst abgefahren ist. Wenn Gates und Soros in Alkohol investieren, hätten die Alarmglocken klingeln müssen. Ab sofort ist jeder Moment, den sie noch verlieren auf den Zug aufzuspringen, der bereits in voller Fahrt ist, verlorenens Geld für sie. Andere werden Räume besetzen, für deren Eroberung man Jahrzehnte gebraucht hat.
Im Gedächtnis der Verbraucher wird der Eindruck bleiben, daß man erst Alkohol an Markentankstellen zugelassen hat, als bereits deftigste Umsatzeinbußen hinzunehmen waren. Und die Verbraucher sind keine Idioten. Sie erinnern sich, wo zuerst Flex-Autos verkauft wurden und wo sie zunächst zum Alkohol-Tanken hin mußten.
Daß die Öl-Giganten völlig unflexibel geworden sind, ist nicht nur eine Folge ihrer Größe und Unübersichtlichkeit (die wichtigsten gehören zu den 15 größten Unternehmen der Welt), sondern auch eine Folge ihrer absoluten Fixiertheit auf finanzielle Geschäfte, während ihre Tradition, die eine technische ist, völlig in Vergessenheit gerät. Keiner von ihnen hat in wirklich großem Umfang das Bohren an weniger rentablen Stellen begonnen, seit der Erdölpreis über 70 Dollar pro Barrel sich festgehakt hat, obwohl das die technische Vernunft geboten hätte. Dazu kommt bei einigen die Zusammensetzung ihrer Aktionäre.
Der Shell-Konzern zum Beispiel hat bereits ausführliche Erfahrungen mit dem Alkohol-Geschäft in Brasilien und verkauft u.a. brasilianischen Alkohol in die USA. Daß sie trotzdem diesen Vorsprung nicht ausnutzen und ihre Pächter Alkohol-Zapfsäulen installieren lassen, mag wohl teilweise mit den Aktionären zusammenhängen. Bekanntlich ist der Konzern mit dem genauen Namen „Royal Dutch - Shell“ immer noch zu wesentlichen Teilen in den Händen der Niederländischen Königsfamilie. Daß die Adeligen nach jahrhundertelangem Inzest nicht gerade zu denen gehören, die mit besonderer Intelligenz glänzen, ist verzeihlich.
Ähnliches mag auf den BP-Konzern zutreffen, ein anderer in Europa beheimateter. In Fernseh-Reklame-Stücken stellt man sich dar, als ob man ernsthaft an nachwachsenden Rohstoffen interessiert sei, doch die Realität ist eine andere. Alkohol gibt es an keiner europäischen BP-Tankstelle. Auch hier die Verbindung zum Königshaus, in diesem Fall dem Englischen. Man sehe sich nur den Thronfolger an.
In diesem Teil soll auch noch etwas eingehender auf die Frage des Kraftstoff-Verbrauchs im Vergleich Benzin-Alkohol eingegangen werden. Tatsache ist, daß Benzin pro Liter einen höheren Energieinhalt bei der Verbrennung hat, der etwa 1: 0,67 beträgt. Das bedeutet, Alkohol hat pro Liter nur etwa zwei Drittel des Energie-Inhalts von Benzin. Dieser Vorteil beruht darauf, daß die wesentlichen Inhaltstoffe von Benzin Kohlenwasserstoffe sind, d.h. das gesamte Molekül besteht nur aus Kohlenstoff-und Wasserstoff-Atomen und trägt vollständig zur Wärmetönung der Verbrennung bei. Der Alkohol dagegen hat als wichtigen Bestandteil ein Sauerstoff-Atom, das nicht im Sinne eines verbrennbaren Bestandteils fungiert.
Die Praxis hat aber in diesem Fall eine ganz andere Seite. Es gibt nämlich, auch mit modernsten Einspritzpumpen, keine ideale Luft-Benzin-Mischung, die eine glatte und vollständige Verbrennung des gesamten Benzins bei der Explosion im Otto-Motor garantieren würde. Dies wäre nur der Fall, wenn man reinen Sauerstoff statt Luft mit Benzin mischen würde. Das ist ja offensichtlich kein in Frage kommendes Modell.
Die tatsächliche Verbrennung im Otto-Motor mit Luft ist vielmehr unvollständig und verbrennt in Wirklichkeit nur etwa 75% des Benzins. Der Rest wird zwar gecrackt (das heißt, die Moleküle werden verkleinert) aber sie verbrennen (anfängllich) nicht vollständig. Dazu kommt, daß Benzin noch andere Komponenten als Kohlenwasserstoffe enthält, die zusätzlich die Verbrennung unvollständig machen. Die betrifft in etwa weitere 5% des Energieinhalts von Benzin. Im Effekt wird also zum Vortrieb des Autos im Ottomotor mit Benzin nur etwa 70% des Energieinhalts des Benzins genutzt.
Genau gesagt, verbrennen auch noch andere Bestandteile des Benzins nach dem Ausnutzen von 70% des Energieinhalts, aber diese Anteil tragen nicht mehr zur Explosionswelle bei, die den Kolben bewegt, der wiederum das Auto antreibt. Nur die Bestandteile, die bei der ersten eigentlichen Explosion verbrennen und den Kolben bewegen, werden genutzt.
Beim Alkohol hingegen haben wir so etwas wie ein Einblasen von reinem Sauerstoff in die Verbrennung: Der Sauerstoff kommt aus dem eigentlichen Molekül. Das ist der Mischung mit Luft weit überlegen. Das bedeutet in der Praxis, daß die Explosion mit einer viel vollständigeren Verbrennung in den ersten Momenten einhergeht, in denen der Druck gegen den Kolben aufgebaut wird. Dadurch kann bei Alkohol ein weit höherer Prozentsatz als 70% unmittelbar in Bewegung umgesetzt werden, wahrscheinlich um die 90%. Dadurch entstehen auch höhere Temperaturen im Verbrennungsraum.
Wer das gleiche Auto einmal mit Benzin, einmal mit Alkohol fährt, spürt diese Tatsachen sofort. Mit Alkohol ist das Auto deutlich temperamentvoller. Es beschleunigt schneller, nimmt das Gas leichter an, Überholvorgänge können schneller abgeschlossen werden und die Höchstgeschindigkeit wird höher. Es wird auch der Motor stärker beansprucht, weshalb man heute bei Flex-Fuel-Autos Ventile und Ventilsitze mit spezieller Härtung verwendet.
Aber - und nun kommt das aber - dies geht auch mit erhöhtem Verbauch einher. Ein normaler Fahrer, der diesen Vorteil nutzt, wird etwa ein Drittel mehr (also etwa 133%) verbrauchen als beim Benzin. Das sind zwar nicht die 150%, die man aus den Unterschieden des Energieinhaltes vermuten könnte, aber eben doch deutlich mehr. Aus 10 Liter auf 100 km werden da 13,3 Liter auf 100 km.
Aber - nun kommt das andere aber - wer genauso fährt, wie er mit dem Benzin gefahren ist, also die schnellere Beschleunigung nicht ausnutzt, sondern etwas weniger Gas gibt und die beim Fahren mit Benzin verwendeten Geschwindigkeiten wiederholt, wird so gut wie keinen Mehrverbrauch haben. Dieser könnte bei 5 bis 10 Prozent liegen, aber das liegt im Bereich der normalen Schwankungen, so daß dies nicht feststellbar ist.
Da unsere heutigen Motoren mit Benzin bereits eine absolut ausreichende Beschleunigung (sprich: Drehmoment) zur Verfügung stellen, kann man sich also bewußt dazu bringen, den „Sportlichkeitsfaktor“ des Alkohols nicht zu nutzen. Dann wird der Preisvorteil rein im Geldbeutel bleiben: Alkohol kostet an den Tankstellen, wo man ihn bekommt, in der Regel ein Drittel weniger als Benzin.
Dies ist aber nur eine Momentaufnahme. Ist der Erdölpreis erst einmal bei 100 Dollar pro Barrel angelangt, wird dieser Preisunterschied noch weit deutlicher werden.
(wird fortgesetzt)
In den folgenden Teilen: Wie ist die Energiebilanz von Bio-Alkohol? Welche anderen Bio-Kraftstoffe gibt es und welche anderen natürlichen Land-Produkte können zur Verbesserung der Umwelt beitragen? Für welche anderen Zwecke kann der Alkohol gebraucht werden? Was wäre die beste Alkohol-Quelle in Deutschland? Wie sieht es mit den Fahrzeugen mit Erdgasantrieb aus? Ist Alkohol ein Konkurrent zum Wasserstoff-Antrieb? Wie ist es mit den Brennstoffzellen? Können die mit Alkohol betrieben werden? Kann ein Flugzeug mit Alkohol fliegen? Und andere Fragen.
Link zum Originalartikel hier
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