Entsetzen in Israel
Von Karl Weiss
Israels Zionisten sind entsetzt über die Ergebnisse der Irak-Baker-Kommission. Kein Wunder, denn sie bedeuten praktisch das Eingestehen der Niederlage, versuchen nur noch einen „ehrenhaften Abzug“ zu ermöglichen. Damit sind die Pläne, den ganzen Nahen und Mittleren Osten zu erobern, bis auf weiteres auf Eis gelegt. Das kann dem offiziellen Israel nicht gefallen, denn nun wird man von den Zionisten Zugeständnisse verlangen, die sich doch gerade an die Politik des „Alles-oder-Nichts“ gewöhnt hatten.
Genau gesagt, war man nur auf eine Politik des „Alles“ aus, denn mit dem Gedanken, dass diese Politik im negativen Fall das „Nichts“ bedeuten könnte, hat man sich noch nicht vertraut gemacht.
Beeindruckend in ihrer Schärfe die israelische Antwort auf die Vorschläge der US-amerikanischen beidparteilichen Irak-Kommission, genannt Baker-Kommission: Harsch wird die Möglichkeit, eventuell auch mit der syrischen Regierung zu sprechen, zurückgewiesen. Ebenso ist man entsetzt, über die Erwähnung des Israeli-Palästinenser-Problem im Irak-Zusammenhang. Es wurde ja von der Kommission ausdrücklich empfohlen, verstärkt auf die Lösung des Problems zu drängen, um in der arabischen und islamischen Welt konziliantere Gesprächspartner zu haben. Olmert: „Da sind wir anderer Ansicht.“
Dem neuen „Verteidigungs“minister der USA wurde sogar ein Nasenstüber verabreicht, ob er denn nicht wisse, wie die Sprachregelung bezüglich der israelischen Atomwaffen sei. Trotz sofortiger Dementis zeigt aber eben gerade diese seine Äußerung den ganzen Realitätssinn, mit dem jetzt Politik gemacht werden soll: „Der Iran ist auf allen Seiten von Atommächten umgebe, im Osten von Pakistan, im Norden von Russland, im Westen von Israel und am Golf von uns.“ Ja, wie sollte er da nicht selbst nach solchen Waffen streben?
Gerade eben noch, im Juli, hatte das Gespann USA-Israel den Libanon überfallen, offensichtlich als Vorbereitung für einen Krieg gegen den Iran, eventuell auch Syrien. Und nun dies. Frau Rice hatte sogar von einem „New Middle East“ (Neuer Naher und Mittlerer Osten) gesprochen, was eindeutig als
eine Region verstanden wurde, die militärisch von USA/Israel dominiert wird und von Marionettenregimes verwaltet wird. Und nun dies!
Am Ende des Libanonkrieges im Juli hatte der Berichterstatter konstatiert: USA/Israel hatten den Krieg zur Eroberung des Nahen und Mittleren Ostens bereits verloren, denn sie waren nicht einmal in der Lage, die Hisbollah aus dem Libanon zu vertreiben oder ihr auch nur die Kleinraketen abzunehmen, mussten sich im Gegenteil mit eingezogenem Schwanz wieder aus dem Libanon zurückziehen. Link zum Artikel von damals:
http://karlweiss.twoday.net/stories/2823593/
Noch hofft der Zionismus, Präsident Bush werde sich den Vorschlägen der Baker-Kommission widersetzen, aber die politischen Umstände, sie sind nicht so. Die USA hat den Krieg im Irak wirklich faktisch verloren, es geht nur noch darum, wie viel Zeit man sich gibt, das so weit wie möglich zu verschleiern.
Natürlich kann Bush nun unmöglich von seiner Politik: „Wir werden siegen!“ übergangslos zur Position der Kommission übergehen, das wäre ein zu großer Gesichtsverlust für ihn. Er wird den Zeitplan (bis Januar 2008 keine kämpfende Truppen mehr im Irak, nur noch Unterstützungs-Einheiten) ausdehnen, er wird nicht einfach anfangen, mit allen Nachbarn des Irak direkte Gespräche zu führen, sondern Vorbedingungen stellen, er wird noch einige andere Änderungen anbringen, die mehr kosmetischer Natur sind, aber er wird im Kern genau das tun, was die Baker-Kommission vorgeschlagen hat, während er gleichzeitig behaupten wird, nur einige Ideen übernommen zu haben.
Tony Blair hatte bereits vorher Teile der Vorschläge der Baker-Kommission in verschiedenen Reden selbst erwogen, so kann das Treffen vom 7. Dezember zwischen beiden nur als Verstärkung der Positionen der Kommission gesehen werden.
Dies ist genau jene Politik, die auch im Vietnam-Krieg in der Endphase angewandt wurde, damals die „Vietnamisierung“ des Krieges genannt, die lediglich die Offensichtlichkeit der Niederlage etwas verdecken sollte.
Für den Zionismus ist das der Endzeit-Schock. Man sieht zum ersten Mal nach so vielen scheinbar siegreichen Jahren der Möglichkeit ins Auge, man könnte nicht als strahlender Sieger aus der Auseinandersetzung mit den Israel umgebenden Arabern hervorgehen. Das wird man verneinen, so lange es irgend geht. Man wird alles tun, um ein solches Vorgehen noch zu verhindern. Aber im Grunde wedelt der Schwanz Israel eben doch nicht mit dem Hund USA. Man wird nachgeben müssen, wenn auch erst nach langer Zeit, wenn auch so wenig wie möglich, wenn auch unter heftigsten Auseinandersetzungen.
Und das alles, weil die Wähler den Demokraten eine Mehrheit in US-Senat und Repräsentantenhaus verschafft haben? Nein, natürlich nicht. Theoretisch hätte Bush seine Politik auch weiterhin durchsetzen können, denn die außenpolitischen Entscheidungen des Präsidenten sind nicht zustimmungspflichtig und ein Impeachment-Verfahren hatten die Demokraten bereits ohne Notwendigkeit ausgeschlossen.
Diese heftige Wahlniederlage der Bush-Administration wurde von den Thinktanks der Neocons und der verschiedenen Fraktionen der religiösen und politischen Rechten nur zum Anlass genommen, die Vorherrschaft der Cheney-Rumsfeld-Fraktion zu stürzen (was in der Entlassung Rumsfelds zum Ausdruck kam – den Vize-Präsidenten kann man nicht entlassen) und die längst von ihnen vorbereitete neue Doktrin vorzulegen und in Anwendung zu bringen.
[Auf Anregung von Hans-Werner Klausen von der Redaktion der "Berliner Umschau" bringe ich hier gerne eine Berichtigung an: Es waren nicht die Neocon-Thinktanks, die jene Cheney-Fraktion gestürtzt haben, die sind vielmehr die Cheney-Fraktion. Neben den anderen erwähnten Gruppen haben auch verschiedene Personen, die ebenfalls als "Neocons" bezeichnet werden, an der Palastrevolution teilgenommen.]
Ist damit der imperialistische und aggressive Charakter des US-Regierungsapparates geändert worden? Natürlich auch nicht. Es handelt sich lediglich um eine zeitweise und taktische Reaktion auf die Gegebenheiten. Man wird mit anderen Mitteln und Wegen selbstverständlich erneut versuchen, die absolute und alleinige Vorherrschaft im Nahen und Mittleren Osten zu erringen und damit den Supermachtstatus auf der Welt abzusichern für (möglichst) unendliche Zeiten. Sicherlich wird man wieder mehr nicht-militärische Methoden in den Vordergrund stellen, nicht ohne dann am Ende eben doch immer wieder zu militärischer Gewalt zu greifen.
Auch der Zionismus verliert natürlich mit diesen Ereignissen nicht seinen aggressiven und mörderischen Charakter. Es könnte sogar sein, dass man in Israel jetzt, bevor man zu Zugeständnissen gezwungen wird, noch möglichst viele, möglichst endgültige neue Tatsachen zu schaffen versucht, die einem später mehr verhandlungsfähige Trümpfe verschaffen.
Der Überfall auf den Iran dürfte damit zumindest für die nahe Zukunft vom Tisch sein. Auf längere Sicht wird man aber sicher darauf zurückkommen. Die Pläne liegen schließlich bereits bis ins Detail vor.
Überhaupt nicht berücksichtigt haben die Vorschläge der Kommission, wie könnte es anders sein, was die verschiedenen Gruppen der Iraker eigentlich wollen. Von allen Seiten kam bereits Ablehnung. Wie man zu irgendeinem akzeptablen Ergebnis kommen will, ohne die Iraker zu fragen, bleibt Geheimnis von abgehobenen imperialistischen Think-Tank-Freaks. So oder so, die Truppen (jedenfalls Kampftruppen) werden wohl abgezogen bis spätestens zum Zeitpunkt der nächsten Präsidentenwahlen im November 2008. Der irakische Widerstand hat gewonnen!
Veröffentlicht in der "Berliner Umschau" am 11. Dezember 2006
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