Sterben die Deutschen aus? Musste das Rentenalter erhöht werden?
Von Karl Weiss
Wie der Statistiker Prof. Bosbach von der FH Koblenz in den VDI-Nachrichten erklärte, sind die verbreiteten Theorien über ein Demographie-Desaster in Deutschland völlig unbegründet. Weder sinken die Geburtenraten über das hinaus, was schon in der Vergangenheit erreicht war, noch ist die deutsche die niedrigste auf der Welt. Irgendwelche Vorhersagen, die Deutschen würden aussterben, sind lächerlich angesichts der Zahlen. Bosbach spricht ausdrücklich von Horrorszenarien und Panikmache, um Deutsche für „Reformen" empfänglich zu machen.
Hier sind die nackten Fakten: Tatsächlich hat das statistische Bundesamt bekanntgegeben, daß in einer ersten Vorausschätzung (die genauen Zahlen werden erst im Laufe des Jahres 2007 Jahr zur Verfügung stehen) die Geburtenrate pro Frau in Deutschland 2005 bei 1,34 lag. Das ist in keinster Weise beunruhigend.
Laut einer Vorausschau des Statistischen Bundesamtes (bei der überhaupt noch keinerlei Veränderungen einbezogen sind) würde eine solche Geburtenrate zu 75 Millionen Deutschen im Jahr 2050 führen, keineswegs eine schreckliche Vorstellung - abgesehen davon, dass Vorausschauen über so lange Zeiträume mit der Annahme, alles würde so bleiben wie jetzt, extrem unwahrscheinliche Ergebnisse zeitigen.
Man muß schließlich auch berücksichtigen, daß Deutschland eines der am dichtesten bevölkerten Länder der Welt ist. In Europa sind nur die Niederlande, Belgien und England dichter besiedelt. International gibt es da noch Bangladesh und einige wenige kleine Länder mit noch höheren Dichten.
Um nur einen Eindruck zu geben: Deutschland hat 231 Einwohner je Quadratkilometer, in den USA leben 31 Einwohner auf diese Fläche, in China 135.
Wenn ein wenig mehr Platz in Deutschland wird, kann dies also nur gut sein. Auch angesichts der Wohnsituation kann dies vorteilhaft sein, denn der Sozialwohnungsbau und Bau von bezahlbaren Wohnungen ist praktisch eingestellt. Würde die Bevölkerung noch steigen, hätten wir Mieten aufzubringen, die kaum noch für jemand zu zahlen wären.
Ganz zu schweigen davon, daß ja nicht einmal jetzt Arbeitsplätze für alle zur Verfügung stehen. Man denke, wie hoch die Arbeitslosigkeit würde, wenn die Deutschen begännen sich zu vermehren wie die Karnickel.
Auch hat Deutschland mit 1,34 pro Frau (wahrscheinlich aber eher 1,4 pro Frau)keineswegs die niedrigsten Geburtenraten aller Länder, allein in Europa sind es 11 Länder, die niedrigere haben: Slowakei mit 1,17, Tschechien mit 1,18, Slowenien mit 1,22, Polen mit 1,24, Litauen mit 1,25, Spanien mit 1,26, Griechenland mit 1,27, Rußland mit 1,28, Lettland mit 1,29, Italien mit 1,29 und Ungarn mit 1,30. Auch Japan hat mit 1,33 noch eine niedrigere Rate.
Dazu kommt, daß die Rate im endgültigen Ergebnis wahrscheinlich einen höheren Wert ergibt. Die vorläufige Rate wird nämlich lediglich mit einer Umfrage ermittelt, in der nach der Zahl der Kinder im Haushalt gefragt wird. Kinder, die nicht im Haushalt leben, werden gar nicht erfaßt. Im Verlauf der beiden davor liegenden Jahre war die Geburtenrate in Deutschland sogar geringfügig angestiegen, von 1,36 im Jahre 2003 auf 1,37 im Jahre 2004.
Auch sind diese Zahlen im Gegensatz zu Behauptungen von angeblichen Experten nicht die niedrigsten seit dem 2.Weltkrieg. 1983 und 1986 lagen die Zahlen noch darunter in der damaligen Bundesreublik.
Auch der Anteil der kinderlosen Frauen in der Bundesrepublik wird üblicherweise überschätzt. So geistert im Blätterwald z.B. die Zahl von 40% der Akademikerinnen herum, die angeblich kinderlos seinen. Die wirkliche Zahl ist 21%.
Prof. Bosbach hebt hervor, daß es auch keinerlei Grund gibt anzunehmen, daß das Verhältnis von Jungen und Alten sich so verschieben würde, daß die Rentner nicht mehr versorgt werden könnten. Die Erwerbsfähigen (statistisch sind das die Menschen zwischen 20 und 60 Jahren) werden im Jahr 2050 nach der Vorausschau des statistischen Bundesamtes im Verhältnis 100 zu versorgenden Alten zu 112 Aktiven stehen. Aber auch im Jahr 1970 war das Verhältnis schon 100 zu 100.
Die momentane Zahl (letzte Statistik 2001: 100 zu 82) scheint da deutlich niedriger, aber man muß berücksichtigen, daß man ja eigentlich noch alle Arbeitslosen und „Sonstigen" mit zu den zu Versorgenden zählen müßte, so daß bereits beweisen ist, daß diese Anzahl ‚nicht Erwerbstätiger’ tatsächlich versorgt werden kann.
Vom Autor sei noch angemerkt, daß es auch etwas unlogisch ist, wenn man alle mit mehr als 60 Jahren unter ‚nicht erwerbsfähig’ einreiht, während gleichzeitig das Rentenalter auf 67 erhöht wird. Es gab also keinerlei Gründe, das Rentenalter zu erhöhen - außer dem, daß die Politiker Gelder aus den Rentenkassen zweckentfremded verwendet haben und die deshalb jetzt leer sind.
Bosbach weist allerdings darauf hin, daß der Produktivitätsanstieg natürlich unbedingt an die Beschäftigten weitergegeben werden muß, damit sich da keine Versorgungslücke auftut, d.h. also, die jährlichen Lohnerhöhungen müssen mindestens in der Höhe Inflation + Produktivitätsanstieg liegen. Wie Bosbach das wohl den Politikern, Konzernen und Großbanken beibringen will?
Auch auf einen anderen Punkt weist Prof. Bosbach noch hin: Die Geburtenraten sind keineswegs ein unentrinnbares Schicksal. Man kann durch eine aktive Umverteilung zugunsten der wenig verdienenden Familien da einen deutlichen Effekt erreichen. Er nennt als Beispiel Frankreich, ein Land mit traditionell hohen Raten, wo die Geburtenrate bis 1993 auf 1,65 gesunken waren, als man eine solche Förderung begann. Heute liegt die Rate in Frankreich bei 1,90 (letzte bekannte Zahl von 2004).
Hier wird die vom Statistischen Bundesamt veröffentlichte Vorausschätzung der Alterspyramide der deutschen Bevölkerung im Jahre 2050 wiedergegeben. Diese Figur ist dem Artikel "Demographie, Renten und Alter, Teil 1" entnommen, wo sie folgendermassen kommentiert wird:
"Vergleicht man ... [diese] voraussichtliche Altersverteilung des Jahres 2050 mit den ... [vorherigen] Kurven, kann man eine deutlich Verschlankung feststellen. Ganz oben, bei über 80-jährigen kann noch der Rest der Baby-Boomer der Fünfziger- und beginnenden Sechziger-Jahre erkannt werden, aber dort sind schon so viele weggestorben, daß diese Altersgruppe zu diesem Zeitpunkt in jedem Jahr schon kleiner ist als die Gruppe der in den 70er Jahren bis 90er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts geborenen (also die heutigen jungen Leute), die dann die Gruppe der 70jährigen bis 50jährigen darstellen. In dieser Gruppe, die ja dann im wesentlichen noch nicht pensioniert ist, haben wir zu diesem Zeitpunkt noch in jedem Jahrgang etwa 1 Million Menschen.
Erst wenn wir zu den unter Fünfzigjährigen in dieser Pyramide kommen, zu den Menschen, die jetzt gerade geboren werden oder noch nicht geboren sind, d.h. zu dem Teil, der [im wesentlichen] eine Zukunfts-Vorausschau darstellt, nehmen die Geburten noch einmal deutlich ab und sinken auf bis zu unter 600 000 pro Jahrgang ab.
Worauf diese Voraussage beruhen soll, bleibt unklar. Die Vorstellung, daß in Deutschland die nächsten 45 Jahre alles etwa so bleibt wie jetzt, nur die Menschen noch deutlich weniger Lust haben, Babys zu bekommen, ist ausnehmend einfallslos.
Tatsache ist, daß wir schnelle Änderungen erleben, wie es sie vorher Jahrzehnte nicht gegeben hat. Die Durchsetzung der Agenda 2010 und von Hartz IV gegen den erklärten Willen der Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland und ähnlicher Programme in anderen Ländern haben schnelle Verschiebungen eingeleitet, die sich einerseits in politischen Krisen auswirken (Schröder mußte vorzeitige Neuwahlen ausrufen, die EG steckt in einer doppelten schweren Krise: Verfassung und Finanzen) und andererseits in wachsendem Bewußtsein und Kampfwillen der Arbeiterklasse und des Volkes. Die Ankündigung der Bildung einer neuen Linkspartei mit bekannten Köpfen führte zu Ergebnissen von Meinungsumfragen, die es in der ganzen Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben hat. Eine noch nicht einmal konstituierte Partei hat bereits zwischen 8 und 11 % der Wählerstimmen in den Umfragen [dies bezieht sich auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels].
Tatsache ist, daß dieser Zeitraum der nächsten 45 Jahre jener ist, in dem entweder die sozialistische Revolution stattfinden wird (was sicherlich zu einem Baby-Boom führt) oder aber der Kapitalismus in der kapitalistischen Barbarei versinkt – und das würde die Bevölkerung weit über das hinaus zusammenschrumpfen lassen, was hier vorausgesagt wird und würde ausserdem jegliche sozialen Systeme detonieren - dann bräuchte von Renten nicht einmal mehr gesprochen werden.
Nehmen wir also den Unsinn von Voraussagen weg, die so nie eintreten werden, kann absolut zu keinem Zeitpunkt von einer ‚Vergreisung’ oder etwas ähnlichem die Rede sein. Tatsächlich wird die Zeit, wenn die Baby-Boomer der Fünfziger- und Sechziger-Jahre ins Rentenalter kommen, eine Verschiebung des Altersdurchschnittes der Bevölkerung nach oben erleben, aber eben auch nicht in dramatischen Maße [und ausserdem für begrenzte Zeit, denn ab 1964 haben wir ja schon schnell fallende Geburtenraten]. Dies wird etwa ab dem Jahr 2012 beginnen (... dann wird nämlich der erste größere Jahrgang der Männer das Rentenalter erreichen, der Jahrgang 1947) und sich bis in die 40er Jahre des neuen Jahrzehnts hinziehen, wenn die aus den 50er-Jahren des letzten ja schon 90 sind."
Mehr hierüber auch in "Demographie, Renten und Alter, Teil 2"
Schließlich und endlich, so Prof. Bosbach, kann man eben nicht nur von einer Seite herangehen und mehr zu Versorgende sehen, sondern muß auch berücksichtigen, daß die Werte der Volkswirtschaft ständig ansteigen. Mit der Vorhersage der Herzog-Kommission von durchschnittlich 1,25 % Wirtschaftswachstum jährlich hätten wir im Jahre 2050 eine um 84% höhere Gesamtleistung der Volkswirtschaft, rechnet man mit den 1,8 % der Rürüp-Kommission, kommt man sogar auf eine 140% höhere - und das ist bereits inflationsbereinigt.
Es steigt also lediglich in geringem Masse die Zahl der zu Versorgenden - und sinkt anschliessend wieder - , während nach allen Vorausschätzungen der bürgerlichen Gremien die Gesamtleistung der deutschen Volkswirtschaft weit mehr steigen wird.
Kurz, die inzwischen auch vom Bundesrat verabschiedete Erhöhung des Rentenalters mit der Begründung der Demographie ist nichts anderes als die These der Massenvernichtungswaffen im Irak: Ein plumper Vorwand skrupelloser Politiker. Sie ist nichts als eine schlichte Rentensenkung - für den kleinen Mann natürlich - , die 'Schäfchen-im-Trockenen-Politiker' müssen selbstverständlich keinerlei Senkung hinnehmen.
Die ursprüngliche Version dieses Artikels erschien in der "Berliner Umschau" am 29. März 2006, hier in einer aktualisierten und erweiterten Fassung.
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