Ungehört! Unerhört! - Stromrechnung verringern?
Von Karl Weiss
Eine entsetzliche Nachricht erreichte uns am 19. Juni 2007, um 8h14 in der Frühe: Einer der grossen Stromlieferanten Brasiliens, die „Eletropaulo“, die den wesentlichen Teil des Staates São Paulo mit Elektrizität versorgt einschliesslich der gleichnamigen Stadt, der grössten der südlichen Hemisphäre mit 20 Millionen Einwohnern im Bereich der Metropole, hat angedroht, ihre Stromtarife zum 1. Juli im Bereich von 6 bis 11 % zu verringern, zwischen 6,5 und 7 % für die Privatkunden! Wenn das Schule macht!
Die Stromkunden, also speziell die breite Bevölkerung, schüttelt sich bereits vor Entsetzen bei dieser Vorstellung. Man stelle sich vor, statt der steten, schon so lieb gewonnenen Strompreiserhöhung nun plötzlich eine abrupte Unterbrechung der natürlichen Abläufe, eine hässliche und völlig unnötige Preisverringerung.
Man weiss ja gar nicht mehr, wie man das nennen soll: Verringerung oder Erniedrigung? Das kam das letzte Mal bei Napoleon vor. Deshalb ist dieses Wort praktisch aus dem Wortschatz verschwunden. Das Wort Erniedrigung zeigt aber schon deutlich an, was gemeint ist: Man wird erniedrigt!
Wo kämen wir da hin, wenn das Schule machte? Das ist, als würde das Leben rückwärts laufen. Welch Horror für die armen Aktionäre, die ihr gutes Geld für Anteile ausgegeben haben und nun um wohlverdiente Gewinne gebracht werden.
Was? Die Eletropaulo hat gar keine Aktionäre? Sie ist staatlich und gehört dem Bundesstaat São Paulo? Na, das hätte ich mir ja denken können! Staatliche Firmen, die statt dem natürlichen Verlauf der Dinge zurück zu Napoleon wollen! Pfui Teufel!
Warum hat man denn die Elektropaulo nicht privatisiert, wie dies alle vernünftigen Regierungen auf der Welt getan haben? Was? Es wurde versucht, aber niemand hat sich für ein so defizitäres Unternehmen interessiert? Na sehen Sie! Staatlich – das kann nicht gut gehen. Produziert nur Defizite und will nun auch noch erniedrigen! Welche Erniedrigung!
Was? Die Eletropaulo macht gar keine Defizite mehr? Sie wurde modernisiert und hat so hohe Überschüsse, dass man beschloss, einen Teil davon an die Kunden weiterzugeben? Papperlapapp! Gewinne müssen an Aktionäre gegeben werden, Verluste werden durch Kunden aufgefangen. So ist die natürliche, gottgegebene Ordnung.
O Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.
Kleine Anmerkung:
Die Eletropaulo bekommt ihren Strom zum grossen Teil aus dem Wasserkraftwerk Itaipú an der Grenze von Brasilien mit Paraguay, nun schon über 10 Jahre fertiggestellt, damals das grösste der Welt (inzwischen längst von chinesischen und indischen überholt). 25 gewaltige Turbinen von Siemens und MTU. Wasserkraftwerke kosten ein Mehrfaches bei der Erstinvestition verglichen zu Kohlekraftwerken. Sie produzieren aber auf Dauer den billigsten Strom, denn sie haben ja ausser der Wartung und Instandhaltung keine weiteren Kosten und halten, gut gewartet, Jahrhunderte. Die Energie wird von der Sonne geliefert, die ja immer wieder genügende Mengen Wasser nach oberhalb des Kraftwerks befördert. In dem Masse, wie die Amortisation der Erstinvestition sich verringert, wird der erzeugte Strom immer billiger. Fragen Sie einmal, wieso das in Deutschland (oder Österreich/Schweiz) noch nie zu sinkenden Strompreisen geführt hat.
Übrigens kann man das gleiche, die Energie der Sonne auszunutzen, auch wesentlich einfacher haben mit Sonnenkraftwerken auf der Basis von Photovoltaik. Längst technisch ausgereift. Auch wenn das natürlich in sonnenarmen Regionen wie Deutschland wenig Sinn hat, gibt es doch genügend praktisch menschenleere Wüsten und Steppen in Gebieten, wo die Sonne fast das ganze Jahr mittags fast senkrecht steht. Mit Gleichstrom-Hochspannungsleitungen zu den Verbraucherzentren gebracht, im Verbundnetz die Nächte ausgleichend, könnten 80% der bewohnten Gebiete versorgt werden.
Mit einer Investition von etwa dem, was für den Irak-Krieg ausgegeben wurde und schon genehmigt ist für weitere Ausgaben, könnte man so den Energiehunger fast der ganzen Menschheit in wenigen Jahren auf Sonnenenergie umstellen und sämtliche CO2-Schleudern und Radioaktivitäts-Erzeuger stillegen.
Veröffentlicht am 20. Juni 2007 in der Berliner Umschau
Originalartikel