Was VW alles kann - wenn man will
Von Karl Weiss
Interview mit Werner F., Belo Horizonte, Brasilien, über sein neues Auto. Werner F. ist ein Deutscher, der schon länger in Brasilien lebt. Für den deutschen Auto-Konsumenten dürfte interessant sein, was VW alles so kann – wenn man nur wollte – und was man dem deutschen Autokäufer vorenthält.
K.W.: Hallo Werner, danke, dass du dich bereit erklärt hast, ein Interview über dein neues Auto zu geben. Du hast dich also entschieden, einen VW Gol in der einfachen Grundausstattung zu kaufen. Was war ausschlaggebend für die Wahl? Dass es ein deutscher Hersteller ist?
W.F.: Nein, ich bin kein Nationalist. Ich habe mich aus rein sachlichen Gründen für dies Auto entschieden. Ich habe hier in Brasilien auch schon Fiat gefahren, hatte einen Peugeot und auch schon einmal ein Fahrzeug von GM.
Nein, meine Gründe waren ganz sachlich. Zum einen musste ich mir ein möglichst billiges Auto kaufen, denn ich hatte keinen Altwagen zum In-Zahlung-geben, musste also den vollen Preis einkalkulieren da bleibt nicht viel Auswahl, wenn man nicht mit viel Geld bestückt ist.
Es hätte noch zwei geringfügig billigere Autos gegeben in Brasilien, den Ford Ka und den Fiat Uno. Aber über den Ford habe ich viele Dinge bezüglich Unzuverlässigkeit gehört und der Fiat Uno ist nun wirklich ein überholtes Konzept und er wird wohl auch nicht mehr lange auf dem Markt sein, dann verliert man unheimlich an Wiederverkaufswert.
Gleich teuer wie der Gol wäre der GM Celta gewesen, aber der ist noch kleiner als der Gol, der sowieso schon ein kleines Auto ist. Da ich eine vierköpfige Familie habe, war da also der relativ etwas größere im Vorteil. Zu einem ähnlichen Preis wie den Gol hätte es noch den Fiat Palio in der 1-Liter-Version gegeben, aber der war zum einen 1000 Reais (etwa 370 Euro) teurer und bot auch keine so billige Finanzierung. Das gleiche gilt für den Renault Clio in der Grundausstattung. Die nächstmöglichen Autos sind dann gleich 3000 Reais (etwa 1100 Euro) teurer oder mehr, zum Beispiel der GM Corsa, der Peugeot 206, der eben erschienene Renault Logan oder eben auch von VW der Fox, alle in der 1-Lier-Version und erst recht alle diese Autos mit größeren Motoren, also mit 1,4-Litern Hubraum oder 1,6 Liter Hubraum.
K.W.: Du hast dich also für einen 1,0-Liter-Motor entschieden. So etwas gibt es in Europa nur für Motorräder. Ist das nicht eine Untermotorisierung?
W.F.: Ja, eigentlich schon. Als die brasilianische Regierung im Jahr 1994 den Absatz von Autos ankurbeln wollte, beschloss man eine geringere Steuer für Autos mit einem 1-Liter-Motor. Daher sind die seitdem deutlich billiger und daher auch bei weitem die meistverkauften. Wenn man vier Leute im Auto hat und eine der steilen Strassen hier in der Stadt hinauf muss, dann hilft nichts als Hinunterschalten in den ersten Gang. Der Gol ist aber ziemlich leicht gebaut (zum Beispiel im Vergleich zum Renault Clio) und er hat auch die höchste Leistung im Vergleich der Acht-Ventiler. Das war auch einer der Gründe, sich für ihn zu entscheiden.
K.W.: Es gibt also auch 16-Ventiler in einem 1-Liter-Motor?
W.F.: Ja. VW hat seinen 16-Ventil-Motor vom Markt genommen. Ich habe gehört, man habe Schwierigkeiten wegen der Wärmeabfuhr gehabt. Aber es gibt bei den anderen weiterhin 1-Liter-16-Ventiler: Bei GM, bei Fiat, bei Ford, bei Peugeot und bei Renault, das sind jene, die 1-Liter-Motoren anbieten. Mir scheint aber der Aufpreis zu hoch für die relativ geringe Mehrleistung – und da ist eben das Problem mit der Wärmeabfuhr. Da fahre ich den Wagen lieber mit Alkohol, da habe ich dann auch mehr Leistung.
K.W.: Dein Gol ist also ein Flex-Fuel-Fahrzeug?
W.F.: Ja, er kann Benzin und Alkohol in jedem Mischungsverhältnis vertragen, auch reinen Alkohol. Reines Benzin gibt es ja in Brasilien sowieso nicht mehr. VW baut in Brasilien jetzt alle Fahrzeuge in der Flex-Fuel-Ausführung, lediglich der Fox für Europa wird noch in der reinen Benzin-Form gebaut.
K.W.: Hätte VW in Europa nicht einen Wettbewerbsvorteil, wenn man einen Fox mit Flex-Fuel-Motor anbieten würde?
W. F.: Ja sicherlich! Man will das wohl nicht aus ideologischen Gründen. Alle Autohersteller (ausser Ford) haben sich darauf eingeschworen, keinen Bio-Sprit zu fördern, da will VW wohl nicht aussscheren.
K.W.: Aber warum? Was haben die Autohersteller davon, wenn die Einführung von Bio-Sprit hinausgezögert wird?
W.F.: Ja , ich vermute, die sind eng verbunden mit den Ölkonzernen, die ihren Hauptprofit aus Benzin und Diesel ziehen. Da will man nicht dazwischenfunken.
K.W.: Sie sind also anderen Konzernen mehr verbunden als ihren Kunden? Wenn man Alkohol tanken kann, kann man doch den ständig steigenden Benzin-Preisen entwischen?
W.F.: Ja, das ist schon verwunderlich, wie wenig die Autokonzerne sich um die Interessen ihrer Kunden kümmern.
K.W.: Zum Glück haben wir hier in Brasilien ja schon seit Jahrzehnten Alkohol als Kraftstoff. Wie ist denn jetzt der Preivergleich?
W.F.: Im Moment tanke ich Benzin für meinen Dienstwagen mit 2,30 Reais [etwa 85 Euro-Cents]. Den ersten Alkohol für den Gol habe ich für 1,30 [etwa 48 Cents] bekommen, das sind also etwa 55 % des Benzinpreises. Man rechnet üblicherweise, mit Benzin braucht man 70% des Alkohols, also liegt man deutlich billiger.
K.W.: Das Auto verbraucht also mehr mit Alkohol?
Dies Foto wurde etwa zur Zeit des Interviews an einer brasilianischen Tankstelle gemacht. Der hier angezeigte Benzinpreis ("gasolina") von 2,23 entspricht etwa 86 Euro-Cents, der Alkohol-Preis ("álcool") von 1,35 etwa 52 Euro-Cent.
W.F.: Ja, aber es ist auch deutlich sportlicher mit Alkohol. Mit meinem Gol mit Alkohol kann ich glatt vergessen, dass er nur einen 1-Liter-Motor hat.
K.W.: Wenn man ihn aber zurückhaltend fährt und das Plus an Leistung von Alkohol nicht ausnützt, hat er dann auch noch einen Mehrverbrauch?
W.F.: Theoretisch verschwindet dann der Mehrverbrauch bzw. wird so gering, dass man es praktisch nicht messen kann. Aber nur die wenigsten bringen es fertig, die Mehrleistung nicht auszunützen, speziell in diesem Fall, wenn man sowieso einen schwachen Motor hat.
K.W.: Was hat ein Flex-Fuel-Fahrzeug, was ein normaler Benzinsäufer nicht hat?
W.F.:Ja, zunächst eine Sonde im Tank, die misst, wieviel Alkohol und wieviel Benzin im Gemisch ist. Dann haben die Ventile und Ventilsitze eine zusätzliche Härtung, weil das Fahrzeug mit Alkohol sportlicher ist. Diese Härtung ist allerdings bei Autos in Europa sowieso üblich, sie wird zum Beispiel auch beim Fox angewandt, der nach Europa geht. Die Einspritzung ist von Bosch in Brasilien entwickelt worden, sie arbeitet unterschiedlich, je nachdem wie das Mischungsverhältnis zwischen Benzin und Alkohol ist. Als letzten Unterschied gibt es neben dem Wassertank für das Scheibenwischerwasser noch einen kleinen Plastiktank unter der Motorhaube, in den man 1 Liter Benzin einfüllt und von Zeit zu Zeit nachfüllt, weil der Alkohol Schwierigkeiten beim Kaltstart macht und daher für den Start hochprozentiges Benzin gebraucht wird.
K.W.: Und was hat das Auto jetzt gekostet? – Das ist die zweitürige Ausführung, ja?
W.F: Ja, genau gesagt dreitürig. Ich habe ein kleines Ausstattungspaket für 480 Reais (etwa 180 Euro) dazu gekauft, zusammen mit ihm kam es fast genau auf 25 000 Reais (etwa 9260 Euro) für das Modell Jahrgang 2008. Was dabei für mich ausschlaggebend war: Es wurde eine Vollfinanzierung angeboten, die mit 0,99% Zinsen pro Monat läuft und mit 60 Monatsraten.
K.W.: Sind das nicht fast 13% Zins pro Jahr – und dann auf 5 Jahre?
W.F.: Ja , das ist unser Problem in einem Entwicklungsland. Die Zinsen für jede Art von Krediten sind weit höher als in entwickelten Ländern. Während in Deutschland 2,5% Jahreszinsen bei Finanzierungen von Neuwagen angeboten werden – manchmal sogar weniger -, zahlt man hier im Bereich von 20 bis 40% Zinsen pro Jahr – und das sind schon Sonderangebote, die man nur bei Neuwagenkäufen bekommt. Normale Kredite zahlen um die 50% Zinsen pro Jahr und mehr.
Insofern waren weniger als 13% pro Jahr schon ein „Schnäppchen“. Auf diese Weise – und zusammen mit der 5-jährigen Laufzeit – konnte ich auf eine Monatsbelastung kommen, die mir noch Luft zum Atmen lässt bei meinem Einkommen.
K.W.: Wieviel zahlst du monatlich?
W.F.: Das sind fast genau 620 Reais (etwa 230 Euro) pro Monat.
K.W.: Lass mich mal rechnen - damit wirst du also am Ende etwa 37 000 Reais gezahlt haben, das sind fast genau 50% mehr als der Preis auf dem Etikett?!
W.F.: Ja, das ist hart. Aber es wird etwas abgemildert, weil hier die Autos nicht so schnell an Wert verlieren wie in Deutschland. Hier gibt es ja nicht Schnee und Glatteis auf den Strassen, die mit Salz bekämpft werden müssen. Mit zehn Jahren z.B. ist ein Auto in Deutschland nur noch einen Bruchteil seines Neupreises wert, wohl weniger als ein Viertel -, während hier nach zehn Jahren so ein Auto noch etwa die Hälfte des Kaufpreises oder mehr bringt beim Weiterverkauf oder beim "In-Zahlung-geben"".
K.W.:Und nun zur Ausstattung. Du sagtest, du hast ein Ausstattungspaket gekauft. Was beinhaltet das?
W.F.: Das war das kleinstmögliche Paket. Ansonsten ist er völlig Grundausstattung. Das Paket habe ich hauptsächlich gekauft, weil es 14-Zoll-Räder beinhaltet. Ich habe die Autos mit 13-Zoll-Rädern nicht so gerne. Außerdem hat er ein paar äußerliche Verbesserungen, die seinen Wiederverkaufspreis einmal heben werden, z.B. Stossstangen in der Karosseriefarbe. Darüber hinaus waren da noch der Heckscheibenwischer und die Heckscheibenheizung dabei.
K.W.: Und ansonsten? Hydraulische Lenkhilfe?
W.F.: Nope! Aber der Wagen ist sehr leicht.
K.W.: Wieviel Airbags?
W.F.: Keine!
K.W.: Keinen einzigen? Und „Air condition“ – bei den hiesigen Temperaturen wünschenswert?
W.F.: Nein, keine „Air condition“.
K.W.: Metallic-Lackierung? Scheibenbremsen hinten?
W.F.: Fehlanzeige – und auch bei elektrischen Fensterhebern, elektrischem Schliesssystem und Alarmanlage!
K.W.: Also die purest mögliche Grundausstattung! Aber vier Räder hat er schon?
W.F.: Hahaha! Ja, vier Räder und sogar ein Reserverad!
K.W.: Also, wäre das nicht ein Basis-Auto für den europäischen Markt? Deutlich unter 10 000 Euro, bereits fertig für Alkohol, fährt aber auch mit Benzin! Mit einer guten Finanzierung könnte es zu Monatsraten von wenig mehr als 150 Euro auf den Markt gebracht werden. Angesichts der allgemeinen Verarmung sicherlich eine Alternative – und mit Qualität VW!
W.F.: Ja, habe ich mir auch schon überlegt. VW könnte sich gut im unteren Marktsegment installieren mit so einem Auto, auch wenn es für europäische Verhältnisse natürlich spartanisch ist. Aber wird der Transport nach Europa nicht den niedrigen Preis verderben?
K.W.: Beim Transport in ganzen Schiffsladungen ist der Kostenanteil pro Auto minimal. VW hat da ja ausführlich Erfahrungen aus den Zeiten, als man täglich Schiffe mit Käfern nach USA geschickt hatte. - Aber wahrscheinlich müsste man wirklich einige kleine Verbesserungen anbringen für Europa, aber der Preis enthält ja bereits eine gute Marge und die Tendenz des steigenden Euro gegen den Real würde zusätzliche Gewinne bringen – ohne dass man etwas dazu tun müsste. Warum VW das wohl nicht tut?
W.F.: Also meine Theorie dazu ist: Zum einen will man nicht der Spielverderber sein, der als erster die Flex-Fuel-Fahrzeuge in grossem Masse in Europa auf den Markt bringt. Aber der Haupgrund dürfte sein: VW ist seit den Zeiten des ersten Golf bemüht, von dem Image des Kleinwagenherstellers wegzukommen. Man will Prestige und man will teurere Wagen verkaufen. Denn es gilt weiterhin: Kleines Auto – kleine Gewinne – grosses Auto - grosse Gewinne.
Obwohl man sich ja mit der Nobelmarke Audi bereits eine Tochter hierfür zugelegt hat, versucht man doch auch die Hauptmarke auf ein höheres Marktniveau zu bringen. Man will „Passat“ verkaufen – und man sehe sich nur das Abenteuer mit dem „Phaeton“ an! Da scheint ein Auto unterhalb des Fox- und Polo-Levels kontraproduktiv.
K.W.: ...und überlässt so den Kleinwagenmarkt der Fiat und nun auch Renault.
W.F.: Ja, übrigens Renault: Eine Woche bevor ich endgültig den Gol gekauft habe, wurde der Logan von Renault in Brasilien vorgestellt. Er wurde hier etwas oberhalb vom 1-Liter-Clio im Preis angesiedelt und ist in der 1-Liter-Auführung mit kleinerer Karrosserie erhältlich und mit dem 1,6-Liter-Motor in einer grösseren Karosserie. Für mich war das also keine Alternative, denn ich brauchte einen niedrigen Preis. Ausserdem hatte Renault keine so günstigen Finanzierungen.
K.W.: Ist die Idee mit dem Image des Herstellers von teuren Autos nicht etwas verbogen, wenn man Volkswagen heisst und mit dem Käfer berühmt wurde?
W.F.: Ja, das ist kurios. Dabei hatte man ja extra eine Nobelmarke mit einem anderen Namen geschaffen, aber Audi scheint wohl eher ein Stiefkind zu sein als die Nobel-Tochter von VW.
K.W.: Nach den letzten Meldungen ist der Inlandsabsatz von VW deutlich eingebrochen in diesem Jahr. Das wäre eigentlich der richtige Moment einen Kleinwagen auf den Markt zu bringen. Die Leute haben nicht mehr soviel Geld in Deutschland.
W.F.: Nun, das ist nicht die erste Fehlentscheidung von VW und wird wohl nicht die letzte bleiben. Man sehe sich nur an, wie die mit der Aufklärung der Bestechung des Betriebsrates mit Prostituierten-Reisen herumeiern, statt endlich reinen Tisch zu machen.
K.W.: Ja, schlecht geführte Konzerne scheinen eine deutsche Spezialität zu sein.
W.F.: Nur die Gehälter und Zulagen für die Konzernchefs, die sind nicht von schlechten Eltern!
– Danke für das Interview!
Veröffentlicht am 30. August 2007 in der Berliner Umschau
Originalartikel
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