Fussball-WM 2014 in Brasilien - ja und?
Von Karl Weiss
Als die Entscheidung der Vergabe der Fussball-WM 2014 nach Brasilien bekanntgegeben wurde, gab es in Brasilien nicht ein einziges Freudenfeuerwerk. Das hing natürlich auch damit zusammen, dass Brasilien als einziger Kandidat übriggeblieben war und man bereits wusste, wer ausgewählt wurde. Aber es hing auch damit zusammen, dass der Fussball in Brasilien eine Sache ist, in der ein Fan bestenfalls als passiver Konsument geduldet wird. Wie im Kaiserreich wird alles von oben gesteuert und niemand hat ein Mitspracherecht.
Nun, das ist wohl auch nicht so wesentlich anders als im ‚Kaiserreich’ F.C. Bayern München oder beim DFB. Fans sind zwar im Fussball durchaus willkommen – als willenlose Claqueure. Aber als erwachsene Menschen, die einen Anspruch darauf haben, gehört zu werden, sind sie in allen Ländern den Fussball-Oberen nicht genehm.
Man stelle sich vor, ein Mayer-Vorfelder hätte regelmässige Umfragen über anstehende Fragen unter Fans durchführen lassen. Das ist in etwa so, als ob der Sonnenkönig Ludwig der Vierzehnte von seinen diversen weiblichen Gespielinnen gelassen hätte.
Und so ist es mit dem Fussball bis heute in fast allen Ländern. Wer eine Ausnahme kennt, ist mit seinem Kommentar willkommen.
Die Fans in Brasilien lassen ganze Feuerwerke bei jedem Tor ihres Vereins in die Lüfte steigen, aber die WM im eigenen Land (auch wenn man es schon vorher wusste) war keine Feier wert. Rein zufällig war der Berichterstatter vor einigen Jahren auch an jenem Tag in Deutschland, als verkündet wurde, die WM 2006 werde in Deutschland stattfinden. Auch damals: Keine Freudenfeuer, keine spontanen Zusammenkünfte, um zu feiern. Fussball ist aufgeteilt in die „Grosskopferten“, die bestimmen, und uns, die wir zu konsumieren haben.
Fussball ist ein letztes Überbleibsel des Feudalismus. Herrscher defilieren, lassen sich feiern oder weisen harsch Kritik zurück. Die Politiker schwänzeln um den Fussball herum wegen seiner Popularität und übergeben öffentliche Gelder in ungeahntem Ausmass an die Veriene.
Die Sauereien, die Korruption, der Missbrauch öffentlicher Gelder, die Schiedsrichterskandale, die Steuerhinterziehung, all das ist international. Inter Mailand, Real Madrid, Borussia Dortmund, alle schon dreimal bankrott und doch sind sie da. Gesponsort mit Steuergeldern? Die Präsidenten von Vereinen, die sich reich geschwindelt haben: Bis heute wurde noch kein einziger zur Rechenschaft gezogen.
Die FIFA hatte eine Rotation der Kontinente beschlossen, um die extreme Dominanz, die Nordamerika und Europa bei der Austragung der Fussball-WMs hatten, etwas zu mildern. Nach der „Asien-WM“ 2002 in Japan und Südkorea war Europa dran, diesmal mit Deutschland 2006. Danach wurde Afrika ausgewählt und innerhalb kurzer Zeit stellte sich Südafrika als einzig übriggebliebener Kandidat für die WM 2010 heraus.
Als nächstes kam Südamerika dran, wo schon seit 1950 nur noch eine Weltmeisterschaft stattgefunden hatte, in Argentinien 1978. Argentinien winkte schnell ab als möglicher Kandidat. Nur Kolumbien und Brasilien blieben über. Doch Kolumbien hatte keine Chance, denn man hatte an dies Land bereits die WM 1986 vergeben gehabt, doch es musste diesen Auftrag zurückgeben, weil es in einem Bürgerkrieg versunken war; Mexiko sprang in die Bresche. So gab Kolumbien denn auch bald auf. Blieb nur Brasilien, immerhin der einzige fünfmalige Gewinner dieser Weltmeisterschaft. Das letzte Mal war die WM 1950 in Brasilien gewesen.
Um den feudalistischen Charakter des Weltfussballs richtig deutlich zu machen, kam es denn auch bei der Pressekonferenz, welche die Fifa gestern zusammen mit den Repräsentaten Brasiliens, unter ihnen Präsident Lula, im neuen aufwendigen FIFA-Gebäude in der Schweiz anlässlich der Verkündigung der „Wahl“ Brasiliens für die WM 2014 abhielt, zu einer Szene des Zusammenstosses zweier Welten, wie sie nicht charakteristischer hätte sein können.
Der Präsident des brasilianischen Fussball-Verbandes Teixeira ist der Schwiegersohn von João Havelange, dem legendären brasilianischen Sonnenkönig im Fussball, lange Jahre “Besitzer“ der FIFA. Wie die Regeln es wollen (natürlich gibt es keine weibliche Erbschaft der Macht im Fussball) wird der Schwiegersohn der neue König. So steht auf der einen Seite die königliche Phalanx.
Da gab es auf der anderen Seite aber Journalisten aus der heutigen, der realen Welt und die wagten es Fragen zu stellen. Da war eine unwürdige Plebejerin, eine kanadische Journalistin, so kühn, eine „ungehörige“ Frage an seine Majestät, König Teixeira, zu stellen. Sie sagte, Brasilien sei doch, wenn man den Irak und Afghanistan mal ausnehme, das Land mit der höchsten Zahl der Morde auf der Welt und auch sonst geprägt von Gewalt. Was Brasilien denn zu tun gedenke, um bis 2014 zu Umständen zu kommen, unter denen die vielen Besucher nicht in akuter Gefahr wären.
Statt nun den Plan Brasiliens zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität darzulegen – das konnte er auch nicht, denn es gibt ihn nicht – begann der Erbe des Sonnenkönigs mit rotem Kopf zu fragen, wer den die (unverschämte) Fragerin sei, wie ihr Name sei, von welcher Publikation und aus welchem Land.
Kaum hatte er „Kanada“ gehört, begann er zu räsonieren. Die Gewalt sei doch wohl ein internationales Problem und nicht ein spezifisch brasilianisches. So würden in den USA (immerhin weiss der Mann, dass USA und Kanada in Nordamerika liegen) doch in regelmäßigen Abständen bewaffnete Schüler in die Schulen gehen und reihenweise Menschen umbringen und überhaupt Kanada: Bei der kürzlich ausgetragenen Weltmeisterschaft „unter 20“ dort hätten kanadische Polizisten chilenische Spieler verprügelt.
Tja, so weist man unverschämte Frager zurecht, wenn man König ist.
Der „Clash“ der Kulturen.
Die Brasilianer sind nun natürlich keineswegs traurig, dass die Weltmeisterschaft bei ihnen stattfinden wird. Sie wissen ja auch noch nicht, wie die Eintrittskarten in die Stadien aufgeteilt werden. Sie glauben heute noch, eine reale Chance zu haben, solche Karten zu ergattern, speziell zu den Spielen Brasiliens.
Würde einer von ihnen Kontakt zu deutschen Fussballfans haben, so könnte er erfahren, nur etwa 25% der Eintrittskarten der Spiele der einheimischen Mannschaft werden unter den Fans verlost, die sich im Internet als Kandidaten eingetragen haben. Sie müssen Internet haben und müssen Bankkonto haben, was auf die überwiegende Mehrheit der brasilianischen Fans nicht zutrifft. Ein wesentlicher Teil der Karten wird über die Sponsoren-Firmen verteilt. So trifft sich in den Stadien statt der Fans eine Mischung von unerträglichen Schicki-Mickis mit Kokain-Genuss mit Leuten aus anderen Ländern.
Aber – wie gesagt - das wissen die Fans in Brasilien nicht und so freuen sie sich wirklich ehrlich auf jene Weltmeisterschaft.
Veröffentlicht am 31. Oktober 2007 in der Berliner Umschau
Originalartikel
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