Kopf an Kopf - die letzten Entscheidungen
Von Karl Weiss
Am kommenden Sonntag geht die brasilianische Erstliga-Meisterschaft zu Ende. Nachdem der Meister schon lange feststand, São Paulo F.C., geht es noch um den Abstieg und um die Plätze für die Copa Libertadores, dem südamerikanischen Gegenstück zur Champions Leage.
Bereits früher sicherte sich Santos mit Siegen (auswärts gegen Náutico Recife und zu Hause gegen Goiás Goiania) die Teilnahme an der Libertadores, rechnerisch nun sicher durch die Niederlage einiger Rivalen. Am letzten Sonntag kam auch Flamengo Rio de Janeiro rechnerisch sicher in die Libertadores-Plätze, durch einen 1:0-Sieg eben gegen Santos. Damit bleibt nur noch ein Platz offen, um den sich am kommenden Sonntag nun in einem Kopf-an-Kopf-Rennen Palmeiras São Paulo, Fluminense Rio de Janeiro (mit jeweils 58 Punkten) sowie Cruzeiro Belo Horizonte und Gremio Porto Alegre (mit 57 Punkten) streiten.
Cruzeiro hat auf dem Papier die leichteste Aufgabe mit einem Heimspiel gegen den Tabellenletzten und Absteiger América Natal, muss aber darauf hoffen, dass weder Fluminense noch Palmeiras gewinnt.
Fluminense tritt auswärts gegen Santos an. Das ist ein harter Brocken, denn Santos will sicher seinen zweiten Platz verteidigen. Andererseits hat eben Fluminenses Lokalrivale Flamengo bewiesen, dass man Santos in seinen „Hexenkesselstadion“ Vila Belmiro besiegen kann. Fluminense hat den Nachteil von weniger gewonnenen Spielen als Palmeiras und muss nun gewinnen und zusätzlich auf einen Ausrutscher von Palmeiras hoffen.
Palmeiras spielt zu Hause gegen Atlético Mineiro Belo Horizonte. Das wäre eigentlich eine „Bank“ für die grün-weißen aus São Paulo gewesen, aber Atlético ist in den letzten Spielen zu Hochform aufgelaufen, was man gerade am 28.11. mit einem 4:1 gegen das in höchster Abstiegsgefahr schwebende Goiás und am vergangenen Sonntag mit dem gleichen Resultat gegen Juventude Caxias do Sul bestätigt hat (was Juventude endgültig zum Abstieg verurteilt hat).
Atlético Mineiro will den 10. Platz behalten, der zur Teilnahme an der Copa Sulamerica berechtigt, das ist so eine Art von südamerikanischem UEFA-Cup. Man hat aber vier Vereine im Nacken, die bei einer Niederlage vorbeiziehen könnten, Figuerense Florianópolis, Vasco da Gama Rio de Janeiro, Sport Recife und Atlético Paranaense Curitiba.
Grémio, der vierte Kandidat auf den Platz in der Libertadores, hat ein denkbar schweres Heimspiel gegen Corinthians São Paulo, das unbedingt gewinnen muss, um nicht in die Abstiegszone zu fallen. Grémio hat in der ersten Jahreshälfte noch in den Endspielen der diesjährigen Libertadores gegen Boca Juniors Buenos Aires gestanden, dann aber den Faden verloren und muss nun ernsthaft um seine Teilnahme an der nächsten Libertadores bangen. Selbst wenn man gegen Corinthians gewinnt (und den schwarz-weißen Club aus São Paulo damit wahrscheinlich zum Abstieg verurteilt), muss man auf Ausrutscher von Palmeiras, Fluminense und Cruzeiro hoffen.
Im Abstiegskampf stehen inzwischen bereits América und Juventude als Absteiger fest. Náutico konnte sich bereits retten, weil die Rivalen mehrere Spiele verloren. Um die zwei verbleibenden Abstiegsplätze stehen Paraná Curitiba (41 Punkte), Goiás (42) und Corinthians (43) im Kampf.
Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass nach einer langen Saison nur 14 Punkte einen der Kandidaten auf den vierten Platz mit Libertadores-Teilnahme vom extrem abstiegsgefährdeten sechzehnten trennen. Ein Beleg für die Ausgeglichenheit der Liga.
Paraná muss auswärts bei Vasco antreten (wo mit fast 41 Jahren immer noch Romário im Aufgebot ist und gelegentlich auch spielt), das dürfte äusserst schwer werden. Wahrscheinlich wird am Sonntag faktisch nur noch der letzte Abstiegsplatz zwischen Corinthians und Goiás ausgetragen. Goiás hat gute Karten, denn es spielt zu Hause gegen Internacional Porto Alegre, für den es um nichts mehr geht. Der immer noch amtierende FIFA-Vereinsweltmeister hat nach dem Abgang von Pato zum A.C. Mailand nie zu alten Höhen zurückgefunden und muss sich mit einem Platz in der Copa Sulamerica zufrieden geben, den man schon sicher hat.
Corinthians São Paulo in der zweiten Liga, das wäre so etwas wie eine nationale Katastrophe, nicht weil der Präsident Lula Anhänger von Corinthians ist, sondern weil der Verein die zweitgrösste Anhängerschaft unter allen Vereinen in Brasilien nach Flamengo Rio de Janeiro hat.
Die Copa Sulamérica, ein Gegenstück zum UEFA-Cup, wird in Südamerika jeweils in der zweiten Jahreshälfte ausgetragen. Gerade eben wurden die Semi-Finale abgeschlossen. Alle brasilianischen Vereine waren bereits ausgeschieden. Im ersten Halbfinale setzte sich erwartungsgemäss America Mexiko-Stadt gegen die Millionários aus Kolumbiens Hauptstadt Bogota mit zwei Siegen von 3:2 und 2:0 durch.
Das andere Halbfinale war zwischen den beiden argentinischen Vereinen Boca Juniors Buenos Aires und Arsenal Sarandi. Das ist etwa so, als wenn Bayern München gegen die SpVgg Fürth spielt. Aber, wie es auch den Bayern schon einige Male erging, der weit höher eingeschätzte Verein gewinnt nicht immer. Zuerst gab es ein 0:0 –Unentschieden in Sarandi, aber zu Hause ist Boca eine solche Macht, dass das endgültige Resultat festzustehen schien. Doch Arsenal konnte erneut ein Unentschieden 0:0 halten. Da musste man ins Elfmeterschiessen, das schliesslich Arsenal gewann.
Nun stehen also noch die zwei Endspiele aus, zuerst in Mexiko-Stadt am 30. November und dann in Argentiniens Provinzstädtchen Sarandi am 5. Dezember. Favorit ist natürlich der mexikanische Rekordmeister, aber das war auch schon bei den drei letzten Gegnern von Arsenal der Fall. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Aussenseiter, der einen Lauf hat, den Cup holt.
Veröffentlicht am 30. November 2007 in der Berliner Umschau
Originalartikel
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