Die Multiwahlen haben eindeutige Ergebnisse

Die traditionellen „Volksparteien“ haben ausgespielt

Von Karl Weiss

Wahlsonntag bzw. Wahlwoche: Ganz Europa wählte das Scheinparlament in Strassburg, dazu kamen in Deutschland Kommunalwahlen in verschiedenen Bundesländern, die zum Teil bis jetzt noch nicht ganz ausgezählt sind.

Meseberg-Tagung Bundesregierung

Was sind die hauptsächlichen Ergebnisse?
  • 1. Die Wahlbeteiligung bei den Europawahlen ist in Deutschland noch weiter zurückgegangen. Das ist die klare Antwort des Wählers auf die neue Europa-Verfassung, die nun in neuer Form wieder auf die Tagesordnung zurück gebracht wurde, obwohl sie schon eindeutig abgelehnt war, soweit man darüber entscheiden konnte. Ebenso ist dies die Antwort auf die Kungeleien in der EU, wo die Parlamente auf unglaubliche Weise umgangen werden und einfach Europa-Gesetze von den Regierungen über die EU-Kommission erlassen werden, an die dann die Länder gebunden sind. Ebenso merken mehr und mehr der deutschen Wähler, dass das Europaparlament gar keine gesetzgeberischen Funktionen hat, sondern nur die Gesetze der EU-Kommission annehmen oder ablehnen kann

    Nimmt man die Wahlbeteiligung in Deutschland von 43,0%, so sind die zum Teil bejubelten Ergebnisse der „großen“ Parteien die folgenden:

    CDU/CSU: Nicht 37,9%, sondern 16,3%! Phantastische Wahlsiegerin!
    SPD: Nicht 20,8%, sondern 8,9%! Ja, SPD 8,9%!
    Grüne: Nicht 12,1%, sondern 5,2%!
    FDP: Nicht 11,0%, sondern 4,7%!

    Ja, so schnell schwindet das Vertrauen der Wähler!.
Statistik Reallöhne
Einer der Gründe für den Verlust des Vertrauens in die Politiker: In Deutschland gab es im neuen Jahrtausend nur Reallohn-Abbau.
  • 2. Die Sozialdemokraten bzw. Sozialisten/Labour Party und entsprechende wurden in bisher unbekannter Weise abgewatscht – und das europaweit! Sozialdemokraten, die nun Neo-Liberalismus umsetzen, das war für die Wähler zuviel! Dabei kamen die deutschen Sozialdemokraten noch nicht einmal so schlecht weg wie jene in England, Italien oder Frankreich. Sie konnten in Prozenten sogar geringfügig zulegen, verloren allerdings weiter in absoluten Stimmenzahlen. Das kam daher, dass sie bereits bei den vorherigen Wahlen in riesigem Umfang Stimmen und Prozente verloren, das war nämlich 2004, als gerade Hartz IV verkündet worden war.
  • 3. Meinte man nun, wenn die Sozialdemokraten und vergleichbare verloren, so hätten die Konservativen/Christlichen gewinnen müssen, aber auch damit war Fehlanzeige. Sei es Berlusconi, sei es Sarkosy oder Merkel, alle verloren weiter Wählerstimmen – auch wenn das Ergebnis in Prozenten der abgegebenen Stimmen z.T. nicht so desaströs ausgesehen haben mag, wie es wirklich war. Die CDU/CSU verlor in Prozenten 6% gegen die letzten Europa-Wahlen! Generell haben die klassischen Regierungsparteien Europas, einmal Sozialdemokraten/Sozialisten, einmal Konservative/Christliche, zum Teil in Koalitionen mit kleineren Parteien, die ganze Wut des Wählers zu spüren bekommen. Keine einzige dieser traditionellen „Volksparteien“ in Europa stellt heute noch eine überragende Kraft dar. Soweit sie an der Regierung sind und bleiben, dann nur, weil die anderen noch schwächer sind.
Regierungsbank
  • 4. Davon profitierten kleinere Parteien. In Deutschland konnte die FDP sogar einen kleinen Zuwachs an Wählerstimmen verzeichnen, während die Grünen mit ihrem dritten Platz zufrieden waren. In einigen anderen europäischen Länder kamen rechte Parteien ins Parlament und solche, die mit populistischen Parolen warben. In Deutschland steckte die „Linke“ eine deutliche Schlappe ein und verfehlte ihr Ziel „10plusX“ deutlich. Es muss sich noch herausstellen, ob dies bereits der Beginn des Wiederabstiegs ist, verursacht durch das fast ausschließliche Schielen nach Pöstchen oder ob die Bedingungen der Europawahl für die „Linke“ spezifisch ungünstig waren. Zum Glück gab es in Deutschland keine faschistische oder rechtsextremistische Partei, die ihr Süppchen auf der niedrigen Wahlbeteiligung kochen konnte. Wichtig allerdings in Deutschland, dass insgesamt über 10% der abgegebenen Stimmen an „andere“ Parteien gingen, darunter die Tierschutz-Partei, die Piraten-Partei, die ÖDP und weitere.
  • 5. In Deutschland ist allerdings noch wichtig, dass die von den Demoskopen vorausgesagte Schwarz-Gelbe Mehrheit nicht erreicht wurde – und dies nicht nur bei der Europa-Wahl, sondern auch ganz deutlich als Ergebnis der Kommunalwahlen, die in mehreren Bundesländern gleichzeitig durchgeführt wurden. Die CDU musste Verluste von 6 – 10 % der abgegebenen Stimmen hinnehmen und das konnte die FDP nirgends wettmachen. Inzwischen ist es bei Kommunalwahlen in Deutschland schon üblich, dass kaum noch Beteiligungen von 50% erreicht werden. Dass die CDU nicht als klare Verliererin aus den Kommunalwahlen hervorging, lag nur daran, dass die SPD fast überall die bereits extrem niedrigen Ergebnisse vom letzten Mal wiederholte. Ein deutliches Anzeichen dessen, was da vor sich geht, die Entvölkerung der „Volksparteien“, ist das Kommunalwahlergebnis in Stuttgart, wo die Grünen fast als stärkste Fraktion hervorgegangen wären und am Ende fast gleichauf mit der CDU lagen, die Stuttgart seit Urzeiten dominiert hatte.
Deutschland: Stuttgart

Für die kommende Bundestagswahl ergibt sich aus all dem Einiges:

Während Demoskopen und Kommentare der bürgerlichen Zeitungen ständig wiederholen, es werde Schwarz-Gelb geben, haben diese Wahlen das keineswegs bestätigt. Es scheint vielmehr auf jene Patt-Situation hinauszulaufen, in der weder CDU/CSU und FDP noch SPD zusammen mit den Grünen eine ausreichende Mehrheit haben, weil auch die „Linke“ ins Parlament gekommen ist. Da aber alle geschworen haben, nicht mit der „Linken“ zu koalieren, ja, sie nicht einmal als Steigbügelhalter außerhalb einer formalen Koalition zu akzeptieren, hätten wir dann die Hessen-Situation.

Roland Koch

Dann bleibt nur die Neu-Auflage der Grossen Koalition. Die aber wird mit den letzten Wählerpotentialen der ehemaligen „Volksparteien“ aufräumen und die SPD wird in den Bereich der Grünen sinken, während die CDU/CSU in das 20%-Ghetto abstürzt. Was dann wird, da kann man nur noch spekulieren.


Veröffentlicht am 10. Juni 2009 in der Berliner Umschau


Berichtigung zum Artikel
Ich fand hier gerade die exakten Zahlen und musste feststellen, ich habe im Artikel mit der europäischen Durchschnitts-Wahlbeteiligung von 43,0 % (in anderen Quellen 43,1%) gearbeitet, mich aber auf die deutschen Ergebnisse bezogen. In Wirklichkeit war die deutsche Beteiligung nur bei 40%. D.h. die oben genannten Zahlen von Prozenten der Wahlberechtigten sind sogar noch geringer als im Artikel angegeben!
Karl Weiss

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