Hunger in Deutschland
Von Karl Weiss
Es kann nicht anders sein: Schröder muss die amerikanischen Verhältnisse gesehen und dann beschlossen haben, sie auch in Deutschland einzuführen. Er dachte einfach: „Das ist nicht fair. Dort haben sie eine Menge von Obdachlosen, von Hungerleidern. Da können wir nicht mithalten. Wir müssen das unbedingt auch in Deutschland einführen.“
Ja, so muss es gewesen sein. Schröder besuchte damals die USA und sah die dortige vorbildliche Gesellschaft.
Ihm wurden die Obdachlosen gezeigt, die dort unter Brücken und an anderen geschützten Stellen leben. Er sah die Menschen, die keine Wohnung mehr haben und in Autos hausen. Er sah, wie in Abfällen nach Essbarem gewühlt wurde.
Er sah die Wohltätigkeitsorganisationen, die Essen ausgeben, bei uns würde man sagen „Suppenküchen“. Er konnte die zerlumpten Gestalten sehen, aber ebenso normal gekleidete Bürger, die nach Essbarem suchen.
Da sagte er sich, Mensch, das fehlt bei uns, wir müssen der vorbildlichen US-Gesellschaft nacheifern, in der bekanntlich Tellerwäscher Millionäre werden und auch so etwas einführen. Er fragte also die Amis, wie man dazu kommt, dass es nicht mehr so langweilig auf den Straßen aussieht, sondern dass man andauern von Figuren, die auf dem Boden sitzen, angebettelt wird.
Nun, sagten die Amis zu ihm, das ist gar nicht so schwer. Zunächst einmal muss man natürlich dafür sorgen, dass niemand, wenn er arbeitslos wird, eine ausreichende Unterstützung bekommt. Was ihr da bisher gemacht habt, mit drei Jahren Arbeitslosengeld und danach immer noch eine Arbeitslosenhilfe, die sich an den Einzahlungen orientiert, das macht alle Anstrengungen zunichte.
Ihr müsst allerhöchstens ein Jahr eine so 'hohe' Auszahlung, orientiert an dem früheren Einkommen und damit an den früheren Beiträgen, zulassen. Dann muss rigoros auf ein Minimum heruntergeschraubt werden, das nicht zum Leben und nicht zum Sterben reicht. So könnt ihr in den Betrieben Horror verbreiten und die Angst vor Arbeitslosigkeit schüren. Dann parieren die Herrschaften schnell.
Zusätzlich müssen natürlich ständig öffentliche Kampagnen gegen diese Klientel durchgeführt werden. Sie sind selbstverständlich arbeitsscheu, deshalb sind sie arbeitslos. Die Idee, es wären einfach nicht genug Stellen vorhanden und die Gesellschaftsform sei daran schuld, muss systematisch aus den Köpfen verbannt werden.
Wenn Sie, Herr Schröder, gute Verbindungen zu einem vielgelesenen Boulevardblatt haben, lassen Sie dort systematisch Artikel erscheinen, die dies suggerieren: Arbeitslose sind arbeitsscheu und müssen zu Arbeit gezwungen werden. Am besten, indem man sie zu irgendeinem lächerlichen Stundenlohn zu „gemeinnützigen“ Arbeiten zwingt.
Diese Erfahrungen werden schnell bekannt werden und die Arbeitenden beeinflussen. Sie werden zu fast jeden Bedingungen Arbeit annehmen, um nicht zu jenen „Underdogs“ abzurutschen.
Zusätzlich muss man natürlich den Unternehmen die Möglichkeit geben zu heuern und zu feuern nach Gutdünken. Das ist ganz leicht, man muss einfach die Zeitarbeit für Normalarbeitsplätze zulassen. Dann teilt man einfach der Zeitarbeitsfirma mit, der Arbeiter brauche morgen nicht mehr zu erscheinen. Punkt!
Dann muss man natürlich noch die Arbeitslosen dazu zwingen, jegliche Arbeit anzunehmen, auch zu Niedrigst-Löhnen und so wird man ein Paradies für Unternehmen schaffen. Praktisch niemand wird mehr nach Tarif bezahlt, Rauswerfen nach Belieben und drei Euro Stundenlohn. So muss das aussehen!
Wer solche Arbeiten nicht annimmt, wird aus dem Unterhaltsbezug gestrichen – und schon haben sie die Straßenbevölkerung!
Auch werden viele mit dem geringen Unterhalt nicht klarkommen und dann auch bald auf der Straße sitzen.
Und nicht vergessen: Auf keinen Fall eine Mindestrente zulassen. Wer nicht genug eingezahlt hat, soll sehen, wo er bleibt!
Und so sagte Schröder, Mensch, meint ihr wirklich, das funktioniert? Klar sagten die Amis, ihr habt in Deutschland sogar noch bessere Bedingungen dafür, denn ihr habt keinen Mindestlohn wie hier in den USA. Da werden die Leute nur so auf die Straßen strömen und das Stadtbild verschönern.
Also kam Schröder nach Deutschland zurück, ließ sich zum SPD-Vorsitzenden wählen und dann zum Bundeskanzler. Dort, in der SPD, fand er dann auch seinen wichtigsten Adjutanten, den Herrn Clement.
Bevor die beiden ans Werk gingen (erst in ihrer zweiten Regierungsperiode), ließen sie sich von Großkonzernen die hochdotierten Stellen versprechen, mit denen ihre Arbeit für das Großkapital belohnt würde, wenn sie, wie zu erwarten, abgewählt würden.
Und dann ging’s ans Werk: Die Grünen, mit denen man in der Koalition war, würden kein Hindernis sein. Deren Klientel ist fast durchweg verbeamtet. Man hatte schon die Hartz-Kommission aufgebaut, die nun mit den neuen, guten Ideen der Amis versorgt wurde. Schon kam das Gutachten heraus und auffallend schnell war der Gesetzentwurf fertig: Hartz IV. Man ließ die CDU/CSU und FDP noch schnell einige Verschlimmbesserungen anbringen im Bundesrat und schon war das Gesetz in Kraft: Hartz IV, 1.1. 2005!
Heute, 5 Jahre später, das Ergebnis: Es hat geklappt.
In der Sendung „Hunger in Deutschland“ der ARD vom Juli 2010, die von Schröder, Clement und Hartz gemeinsam angesehen wurde, bekam man die Ergebnisse zu sehen. Die drei schrieen vor Freude, dass es geklappt hat:
Originalton FAKT – Das ERSTE:
„In Deutschland sind elf Millionen Menschen von Armut bedroht. Tausende leben bereits am Existenzminimum. Dabei handelt es sich nicht nur um Obdachlose, sondern auch um Rentner, Witwer, Alleinstehende und Alleinerziehende. Für viele gehört der Hunger inzwischen zum Leben dazu. Und ihre Situation scheint aussichtslos.
Täglich kommen Bedürftige zur Bahnhofsmission am Bahnhof Zoo in Berlin, um sich etwas Essen zu holen. Täglich bildet sich eine Schlange, die zum Monatsende hin immer länger wird. (...) Die Zahl der ausgegebenen Lebensmittelrationen stieg in den vergangenen sechs Monaten um fast 15 Prozent. Im Juni zählte die Bahnhofsmission etwa 1.000 Menschen mehr als im Vorjahresmonat. Das war ein Anstieg von 28 Prozent. Dieter Puhl von der Bahnhofsmission weiß, dass viele der Bedürftigen lange Anfahrtswege für die eine Mahlzeit in Kauf nehmen.
"Es kommen Menschen aus Köpenick, aus Zehlendorf, aus Spandau. Sie stehen um 4 Uhr morgens auf, um um 6 Uhr in der Bahnhofsmission ein paar Stullen zu bekommen."
„Rentnerin Heidrun Dietz [macht] vom Angebot für ein kostenloses Essen Gebrauch. Obwohl sie 45 Jahre gearbeitet hat, ist ihre Rente zu klein. Drei Euro hat sie täglich für Lebensmittel. In ihrem Kühlschrank befinden sich lauter Almosen. Ohne die Essensration von der Kirche könnte sie nicht überleben. Oft stellt sich Heidrun Dietz schon zwei Stunden vor Öffnung bei der Kirche an, um sich ihr Essen abzuholen.“
„Vor allem in größeren Städten kann man beobachten, dass Menschen in Papierkörben und Mülleimern nach Essbarem suchen."
"Wenn der Regelsatz zu niedrig bemessen ist und solche Personen jahrelang davon leben müssen, dann sind sie irgendwann zwingend darauf angewiesen, Mildtätigkeit der Wohlfahrtsverbände in Anspruch zu nehmen."
sagt Rudolf Martens vom Paritätischen Wohlfahrtsverband."
Als die drei dies sahen, klatschten sie die Hände gegeneinander: „Wir haben es geschafft. Endlich sieht es in Deutschland schon fast so wie in den USA aus. Gut gemacht! So muss es sein! Wir sind doch die Cracks!
Und sie gingen auf die Straßen in diesem Deutschland und bald fanden sie bereits den ersten Bettler, der auf dem Boden saß. „Heißa juchei! Wir sind die besten!“
Wenige Straßen weiter sahen sie einen noch recht gut angezogenen Mann, der in Abfällen nach Essbarem wühlte.
„Jawohl, so muss es sein. So kommen wir bald auf US-Niveau, wo die Tellerwäscher Millionäre werden“.
Seitdem kann man die Herren Schröder, Clement und Hartz öfters zusammen in den besten Restaurants Deutschlands sehen, wo sie Freudenmahle zu sich nehmen und niemals mit einer Rechnung unter 5000 Euros das Lokal verlassen, die sie abwechseln übernehmen. Das Gerücht besagt, sie hätten sich von den Restaurantbesitzern ausbedungen, es dürfe auf keinen Fall der Herr Joschka Fischer eingelassen werden, während sie dort speisen.
Veröffentlicht am 10. August 2010 in der Berliner Umschau
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