Oekonomie

Mittwoch, 12. Mai 2010

Keine Erholung am Deutschen Automarkt

Autoabsatz in Deutschland um über 30% unter Vorjahr

Von Karl Weiss

Im April gingen die Auto-Verkäufe in Deutschland weiter zurück. Die Zahl der Neuwagenzulassungen in der Bundesrepublik fiel auch im April auf nun 259.400 Einheiten. Der Binnenmarkt ist so schwach, dass bereits über die Hälfte der in Deutschland produzierten Autos in den Export gehen. Von Januar bis April wurden in Deutschland weniger als eine Million Autos abgesetzt, das ist der niedrigste Stand seit Jahrzehnten.

VW Autohalde Brasilien

Zwar wirkt sich das für die deutschen Autobauer nicht katastrophal aus, weil die Auslandsverkäufe nun langsam wieder anzusteigen beginnen, vor allem die Exporte nach China, aber Exporte sind in einer Situation internationaler Unsicherheiten, Hyperinflationsgefahr und Überschuldung fast aller wichtigen Länder nichts, auf das man sich verlassen kann. Auch sind die deutschen Auto-Exporte noch lange nicht wieder auf dem Vorkrisenstand angelangt. Der Export von in Deutschland produzierten Fahrzeugen machte von Januar bis April etwa 1,4 Millionen Einheiten aus.

Zwar machen jene gute Geschäfte, die eine eigene Produktion in China haben, aber das ist keine gute Botschaft für die Arbeiter in deutschen Automobilfabriken.

Dass der Autoabsatz nicht bereits im vergangenen Jahr so tief abgesackt war, ist nur der Abwrackprämie zuzuschreiben. So sank denn auch der Absatz von Kleinwagen, die besonders intensiv über die Abwrackprämie gekauft wurden, im April um über 57% im Vergleich zum Vorjahresmonat.

Für das ganze Jahr erwartet die deutsche Automobilindustrie einen Absatz in Deutschland von unter 3 Millionen Fahrzeugen, das wäre der niedrigste Stand seit zig Jahren.


Veröffentlicht am 11. Mai 2010 in der Berliner Umschau

Freitag, 30. April 2010

Erneutes Wetterleuchten: Die Epoche des Rohstoff-Mangels zieht herauf

Molybdän, Kobalt und Niob, Wolfram, Vanadium und Chrom

Von Karl Weiss

Da das kapitalistische System grundsätzlich und vom Prinzip her ein System des Raubbaus sein muss, wird es an seinem Ende unweigerlich zur Knappheit von Rohstoffen kommen. Ja, es ist denkbar, dass sein Ende dadurch beschleunigt wird. Die ersten Anzeichen werden nun deutlich: Molybdän und Kobalt wurden als Future-Titel an den Rohstoffbörsen eingeführt. Damit ist der Spekulation mit diesen Metallen Tür und Tor geöffnet und es wird wohl nicht lange dauern, bis deren Preise in die Höhe schießen.

Erdöl 1

Nun sind Molybdän und Kobalt, beide in der Eisen- und Stahlindustrie unabdingbar, keineswegs die einzigen, auf die man schon spekulieren kann. Aluminium, Blei, Kupfer, Nickel, Zink und Zinn kann man ebenfalls bereits als „Future“ kaufen bzw. verkaufen (obwohl man es noch gar nicht hat). Allerdings sind diese Metalle zum größten Teil noch in genügenden Mengen auf dem Markt. Kupfer allerdings hat eine große Hausse erlebt und kostet heute fast soviel wie Silber. Auch die nächsten Kandidaten für die Einführung in Rohstoffbörsen wurden bereits genannt: Wolfram, Vanadium und Chrom.

Das Einführen von Rohstoffen an Börsen hat im Prinzip keinen praktischen Wert für die Welt außerhalb der Finanztitel. Die meisten Kontrakte über Käufe von Rohstoffen in bedeutenden Mengen werden unter großen Firmen direkt verhandelt und abgeschlossen. Die Mengen, die an den Börsen in Form der Rohstoffe gehandelt und dann anschließend wirklich verschifft werden, sind gering. An den Rohstoffbörsen wird vielmehr eine Art von Spielcasino betrieben.

Aufgrund von Kauf- und Verkaufsaufträgen wird täglich ein mittlerer Preis ermittelt, der dann nach außen hin als Preis für diesen Rohstoff ausgegeben wird. Diese Preise sind aber fast immer deutlich höher als jene, die man beim Kauf von größeren Mengen im direkten Kontakt mit den Anbietern wirklich zahlen muss.

Das ändert sich allerdings, wenn wirklich eine Situation der Verknappung eintritt. Dann sorgt die Tatsache, dass der Rohstoff an der Börse gehandelt wird, für einen heftigen Anstieg der Preise und wirkt sich auch auf die großen Kontrakte aus. Ein typisches Beispiel war die Verknappung des Erdöls im Sommer 2008, die zu Preisen von über 150 Dollar pro Barrel Erdöl führten.

Erdöl

Doch, warum ist das kapitalistische System grundsätzlich eines des Raubbaus? Weil im Kapitalismus niemand je die Gesamtrechnung aufmacht, ja es ist verpönt, dies zu tun. Der Kapitalist rechnet immer nur in Form der Kosten und des Profits für seine Fabrik(en), niemals über die Frage, ob jener Rohstoff bald zu Ende geht oder nicht. Würde er zum Beispiel Konsequenzen ziehen und einen bestimmten Rohstoff durch einen andren, teureren, der zur Genüge vorhanden ist, zu ersetzen, geriete er sofort in einen Wettbewerbsnachteil und würde von der Konkurrenz überholt.

Nur die Regierungen könnten im Kapitalismus auf internationalen Konferenzen Regeln festlegen, die ein vernünftiges Haushalten mit Rohstoffen beinhalten. Aber, wie jeder weiß, die Regierungen laufen ja gerade am Gängelband jener Konzerne und werden den Teufel tun, ihnen Zügel anzulegen. „Unnötige Bürokratie!“ tönt es da. Die internationalen Konferenz über die drohende Klimakatastrophe völlig ohne Ergebnis in Kopenhagen im Dezember spricht Bände.

Und so fährt denn der Kapitalismus sehenden Auges gegen die Wand.

Der Bürger-Journalist hatte kürzlich Gelegenheit, sich eine dieser Fragen aus der Nähe anzusehen beim Besuch von einer von drei Niob-Minen weltweit, hier im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais. Niob ist ein Metall, das im Moment für bestimme Anwendungen in der Elektronik unabdingbar ist. Es wird aber in großen Mengen (groß in Relation zum Vorkommen) für bestimmte Metall-Legierungen verwendet, deren Eigenschaften sich auch anders herstellen ließen, nur eben teurer (bisher noch).

So wird wohl bald auch Niob in die Rohstoffbörse aufgenommen werden und auch seine Preise in die Höhe gehen wie eine Rakete.

Das ganze Problem im Kapitalismus ist, es ist nicht möglich, ein vernünftiges Konzept des Recycling durchzusetzen, weil die Kosten angeblich zu hoch sind und sich daraus kein Profit gewinnen lässt. Wenn dann so ein Rohstoff bereits zu Ende geh, ist es zu spät.

So gehen weltweit fast alle Computer und Handys in den normalen Müll und werden dann in der Regel Müllverbrennungsanlagen zugeführt, damit zukünftige Generationen auch bestimmt nichts mehr zurückgewinnen können. Selbst jene elektronischen Abfälle, die getrennt gesammelt werden, trennt man nicht vollständig auf alle Rohstoffe hin und bringt sie zur Wiederverwendung, denn die Preise vieler Rohstoffe sind noch da im Keller und es „lohnt sich nicht“ (im kapitalistischen Sinne), sie zurückzugewinnen. Dies gilt im Moment auch noch für Niob.

Erst im Sozialismus werden wir konsequent und unabhängig von den Kosten alle benutzten Güter vollständig recyceln und der Wiederverwendung zuführen. Wie ein solches Recycling-Konzept aussehen kann, beschreibt dieses Dossier: „Dossier Totale Kreislaufwirtschaft, Teil 5, Kryo-Recycling statt Müllverbrennung


Veröffentlicht am 28. April 2010 in der Berliner Umschau

Freitag, 23. April 2010

Kommt jetzt die Inflation?

Erzeugerpreise ziehen zum Teil deutlich an in den USA

Von Karl Weiss

Die neuesten Zahlen aus den USA von Mitte April für die erste April-Hälfte zeigen für die Erzeugerpreise zum Teil wesentliche Anstiege. Zwar beschränkt sich das noch auf die Energie-Preise und auf Rohwaren-Niveau, aber aus Rohwaren werden schnell Fertigwaren.

Dollar Gasp

Hier einige Zahlen: Die Lebensmittelpreise auf Endverbraucherniveau stiegen im 6-Monatsvergleich um 13,5%. Die Energie auf Endverbraucher-Niveau stieg im 6-Monatsvergleich um 24,1%. Rohprodukte steigen im 6-Monatsvergleich um 50,4%. Die Energie als Rohprodukt stieg im 6-Monatsvergleich um 73,1%.

Preisteigerungen USA

Allerdings ist die offizielle Inflationsrate in de USA, die immer auf Endverbraucher-Level bezogen wird und die automatisch die Energie- und Lebensmittelpreise draußen vor lässt, nur bei 1,9% im Drei-Monatsvergleich, aber das könnte man genauso als Ausreißer ansehen, wie die obigen Zahlen auch Ausreißer sein könnten.

Wem das zu viele Ausreißer sind, der wird sich fragen, gibt es denn makro- oder mikroökonomische Gründe für solche Preisanstiege? Ja, die gibt es. Der Ölpreis steigt seit zwei Monaten, ohne dass sich das wunderbarerweise bisher auf die Inflationszahlen ausgewirkt hat. Das Eisenerz ist allein im März um 100% angestiegen. Es ist also denkbar, dass von den Rostoffen und der Energie her über die Erzeuger von Gütern eine Lawine auf den Verbraucher zurollt.

Dazu kommt, die FED (Zentralbank der USA) sorgt für überschüssige Liquidität und druckt Geld auf Teufel komm raus. Klassische Voraussetzung für Inflation! Die Zinsen für die Banken sind bei Null oder fast Null. Klassische Voraussetzung von Inflation!

Dollarnoten

Nur hat das bisher eben noch nicht zu Inflation geführt, denn der Dollar ist die internationale Leitwährung, deren Wert nicht einfach von inneramerikanischen Faktoren abhängt.
Doch was, wenn die anderen Länder immer weniger an den Dollar glauben? Könnte dann die Geldschwemme plötzlich doch Inflation erzeugen? Sie könnte.

Alles noch Theorie, alles noch Spekulation. Die oben genannten Zahlen aber sind da. Will jemand darauf wetten, dass es keine Inflation in den USA gibt?? Na, sehen Sie!


Veröffentlicht am 23. April 2010 in der Berliner Umschau

Mittwoch, 21. April 2010

Wird jetzt den Banken-Absurditäten nachgegangen?

SEC ermittelt gegen Goldmann Sachs

Von Karl Weiss

Mancher mag es kaum glauben: Die SEC (US-Börsenaufsicht) ermittelt gegen die Goldmann Sachs Bank. Der Vorstandsvorsitzende dieser Bank hat erst kürzlich erklärt, er verrichte „Gottes Werk“. Nun sieht die SEC wohl mehr diabolisches in der Schaffung des Fonds Abacus 2007 AC 1, der von einer dubiosen Gesellschaft auf den Cayman Islands vertrieben wurde. Dahinter stand aber die ‚höchst ehrenwerte’ Goldmann Sachs Bank.

"Ich bin in Ordnung, ich bin auf einen Steuerzahler gefallen"

Goldmann Sachs ist eine US-Institution, vergleichbar mit der Deutschen Bank hierzulande. Der Finanzminister der Bush-Regierung, Poulsen, war nur bei Goldmann Sachs ausgeliehen. Er war es auch, der das große erste „Bailout“-Paket der US-Bankenhilfen zusammenstellte und – wer hätte das gedacht, - die Goldmann-Sachs war denn auch rein zufällig eine der Banken, die besonders davon profitierten.

Es drängen sich Parallelen mit dem Fall Deutsche Bank/Ackermann/Hypo Real Estate auf. Als die phantastische Schieflage dieser bayerischen Spezialbank bekannt wurde, eilte Ackermann von der Deutschen Bank sofort zu Frau Merkel, damals noch Kanzlerin der Großen Koalition, die ihm schon ein prächtiges Geburtstagsessen im Kanzleramt spendiert hatte, und – noch bevor am Montagmorgen die Banken und Börsen öffneten, war das größte Paket einer Bankenhilfe geboren, das Deutschland je gesehen hatte – denn Ackermann hatte seine Intim-Freundin davon überzeugen können, dass die Hypo Real Estate unbedingt gerettet werden müsste – und rein zufällig wäre es die Deutsche Bank gewesen, die mit den Bach hinunter gegangen wäre, wenn die Kanzlerin ihm nicht den kleinen Gefallen von 400 Milliarden Euro getan hätte, an dem jetzt die deutschen Steuerzahler die nächsten Jahrzehnte zu knabbern haben werden.

Der Rettungs-Plan

Nur werden wir in Deutschland offensichtlich niemals erleben, dass eine Bankenaufsicht jene Mauscheleien im Kanzleramt aufspießen wird und eine der größten Einzelausgaben, die je aus Steuergeldern gemacht wurden, ohne Parlamentsbeschluss, einfach so, unter die Lupe nehmen wird.

Was die SEC nun der Goldmann Sachs vorwirft: Sie habe absichtlich in jene Finanzanlage „Abacus“ die schlechtest möglichen aller Risiken hinein ‚gewirkt’ so dass sie mit absoluter Sicherheit platzen musste - und das auf „Anraten“ eines Hedge Fonds, der sich dann mit Wetten gegen diese Finanzanlage gesund gestoßen hat.

Wenn das so war, so hätte die Goldmann Sachs jene Investoren, die den ‚Abacus’ als Geldanlage kauften, wissentlich getäuscht und ins offene Messer laufen gelassen, um einen „befreundeten“ Hedge Fond zu Vorteilen zu verhelfen. Das ist selbst unter US-Vorzeichen ein Bruch der Verpflichtungen einer Bank.

Diebe unter uns

Wie es nun der Zufall will, ist da auch schon wieder die deutsche Bundesregierung mit verwickelt. Einer der „Idioten“, die solche ‚Abacus’ Finanzderivate in heftiger Weise gekauft hatten, war nämlich die IKB, eine sogenannte Mittelstandsbank, die ebenfalls von der Bundesregierung gerettet wurde – sprich mit Unsummen von Geld vor dem Bankrott bewahrt, - ohne dass dafür bis heute auch nur der Versuch einer Erklärung abgegeben wurde.

Was von der Hypo Real Estate behauptet wurde, nämlich das sie „zu groß sei, als dass man sie pleite gehen lassen könnte“, trifft nämlich mit Sicherheit nicht auf die eher unbedeutende IKB zu. Allerdings ist die Hypo Real Estate keineswegs so groß wie die Lehmann Brothers, die man mit eiskaltem Lächeln den Bach hinunter gehen ließ, was die These von der Größe, die alles mit sich reißen würde, etwas weit her geholt erscheinen lässt.

Auch die „Royal Bank of Scotland“, der die britische Regierung mit Unmengen von Pfunden beisprang, war ein anderes Opfer der Goldmann-Tricks.

New Yorker Börse

Dann war da auch noch die Beinahe-Pleite de größten Versicherers der Welt, der AIG. Die US-Regierung pumpte mehrere hundert Milliarden Dollar in dieses Versicherungsunternehmen, um es vor dem Bankrott zu bewahren. Und – wie die Zufälle so spielen – 14 Milliarden jener Gelder flossen an Goldmann Sachs!

Wenn man nun auch noch anfinge, der Frage nachzugehen, warum und wie es Goldmann Sachs geschafft hat, die griechischen Staatsschulden zu verschleiern, dann käme man bald von Hundertsten ins Tausendste – und dann wäre wirklich bald zu klären, ob Goldmann mehr göttliche oder mehr diabolische Eigenschaften hat.

Wie auch immer, nach der Veröffentlichung der Untersuchung der SEC gegen Goldmann Sachs fielen deren Aktien um annähernd 13 %. Dies sollte, so meint es jedenfalls die Site
Wirtschaftsquerschuss“ in diesem Artikel:

http://wirtschaftquerschuss.blogspot.com/2010/04/abacus-2007-ac1-gottes-werk.html

nicht nur zu einer Bewegung des ganzen Aktien-Spiegels nach unten, sondern auch einer Umkehrung der Aufwärtsbewegungen von Rohstoffpreisen an den Börsen führen.


Veröffentlicht am 21. April 2010 in der Berliner Umschau

Montag, 19. April 2010

Deutschland: Beschäftigung: -4,7%; Arbeitsstunden: -16%; Wertschöpfung: -19,2%

Keine Rede von substantieller Erholung

Von Karl Weiss

Es liegen nun die Februar-Daten des verarbeitenden Gewerbes in Deutschland vor. Das ist im wesentliches das, was man „Industrie“ nennt und was in Deutschland Vorzeigeobjekt ist. Die Zahlen sind weiterhin schlecht. Von einer substantiellen Erholung kann keine Rede sein.

Stahlindustrie

Das Verarbeitende Gewerbe umfasst die Kraftfahrzeugindustrie, die Ernährungsindustrie, die chemische Industrie, die Metall verarbeitende Industrie und den Maschinenbau, das ist also so ziemlich alles wesentliche, was die BRD an Industrie zum Vorzeigen hat. Bei den Zahlen handelt es sich um kalendertägliche und saisonal bereinigte Zahlen. Da ist also schon berücksichtigt, das der Februar weniger Arbeitstage hat und wegen Karneval und Winter typische saisonale Ausfälle beinhaltet.

Die Zahl der Beschäftigten in dieser Industrie fiel im Jahresvergleich (gegen Februar 2009) um 4,7% auf jetzt 4,9 Millionen Beschäftigte. Dabei zeigte die Beschäftigtenzahl in der Herstellung von Metallerzeugnissen ein Minus von 8,4%, in der Herstellung von elektrischen Ausrüstungen ein Minus von 6,4% und im Maschinenbau ein Minus von 5,7%. Es kann also keine Rede davon sein, dass „die deutsche Industrie mit der Kurzarbeit gut über die Krise gekommen ist und nur wenig entlassen wurde“.

Diese Minus-Zahlen in Beschäftigung sind ja gegenüber dem Februar 2009, der bereits deutlich verringerte Beschäftigung zeigte. Was also in den Berichten der Nürnberger Anstalt als Verringerung der Arbeitslosigkeit gefeiert wurde, war nichts als schamlose Manipulation der Daten

Geht man nun über zu den geleisteten Arbeitsstunden im verarbeitenden Gewerbe, so ist das Bild das gleiche: Im Februar 2010 wurden etwa 614 Millionen Arbeitsstunden geleistet, das waren 0,5% wenige als im Vorjahresmonat, der mit etwa 617 Millionen Arbeitsstunden zu Buche steht. Vergleicht man nun aber mit dem Vorkrisenstand – und das ist ja, was interessiert, - so kommt man auf ein Minus von etwa 16% gegen den Rekordmonat April 2008 (das ist gerade zwei Jahre her).
Und sieht man sich die dritte Kennzahl im Zusammenhang mit der Beschäftigung an, die Summe der Löhne und Gehälter, so sind die Zahlen nicht einen Deut besser. Die Brutto-Lohnsumme liegt noch um 1,7% unter der von Februar 2009, die bereits einen starken Einbruch darstellte. Gegenüber den Vorkrisenstand vom Februar 2008 beträgt das Minus 4,4%.

Noch wesentlich schlechter wird das Bild, wenn man nicht mehr den nominellen Bruttolohn, sondern den um die Preissteigerungen bereinigten Wert vergleicht, also die Reallohnsumme. Hier fällt die Reallohnsumme auf einen Stand unterhalb des Februar des Jahres 2005!

Ganz parallel sind da die Werte des Ausstoßes des verarbeitenden Gewerbes. Im Vergleich zum Höchststand im Februar 2008 fällt der Ausstoß im Februar 2010 um fast 18%! Das ist das tatsächliche Ausmaß der Krise in Deutschland: -18%.

Man vergleiche hierzu, was der Bürger-Journalist bereits in der Voraussicht auf diese Krise am 1. Dezember 2006 schrieb:

„... bricht der deutsche Export, die einzige Hoffnung in Deutschland, weiter ein: Weitere 2%, damit kommen wir auf –6%. Das würde bereits die bei weitem tiefste Wirtschaftskrise der Geschichte der Bundesrepublik ausmachen. Der Rückschlag der Wirtschaftskrise aus anderen Ländern käme noch dazu: Die können nicht mehr soviel deutsche Produkte kaufen, da sie selbst in der Krise stecken. Sind glatt noch einmal 2%, da sind wir auf –8%.

(...) der weitere Rückschlag auf Deutschland mit weiteren Pleiten, Entlassungen und Arbeitslosenzahlen, die das Szenario von 2006 als Paradies erscheinen lassen werden. Nicht einmal eine zweistellige Rückgang der wirtschaftlichen Tätigkeit in Deutschland ist völlig auszuschließen für einzelne Quartale im Jahresvergleich. Das kann in seinen desaströsen Auswirkungen bestenfalls noch mit der massiven Weltwirtschaftskrise verglichen werden, die 1929 begann und bis tief in die Dreißiger Jahre hinein ging – und selbst die könnte noch übertroffen werden.“

Die Wirtschaftskrise in Deutschland wird fürchterlich.“

Wenn wir heute von –18% im Ausstoß reden, muss diese Vorhersage („zweistelliger Rückgang“) sogar noch als übertrieben vorsichtig bezeichnet werden.

Ein ähnlicher Wert ist die Brutto-Wertschöpfung, die sich also nicht auf Kilogramm oder Stück bezieht, sondern auf den Wert der verkauften Waren. Die äußerst interessante Internet-Site „Wirtschaftsquerschuss“ sagt dazu:

„Die Bruttowertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe war 2009 um kräftige -99,16 Mrd. Euro bzw. um -19,2% auf 418,29 Mrd. Euro im Vergleich zu 2008 (517,45 Mrd. Euro) gesunken und damit unter dem Stand aus dem Jahr 2000 mit 425,99 Mrd. Euro! Der Anstieg eines kompletten Jahrzehnts bei der industriellen Wertschöpfung wurde 2009 ausgelöscht!“ (http://wirtschaftquerschuss.blogspot.com/2010/04/lage-im-deutschen-verarbeitenden.html )

Egal ob Wert oder Ausstoß: Bei dieser Krise geht es um ein Minus im Bereich von 18 bis 19 % bezogen auf die Industrie. Alles andere ist Schönfärberei.


Veröffentlicht am 19. April 2010 in der Berliner Umschau

Donnerstag, 8. April 2010

Anheuser Busch & InBev - Wie ein Konzern zerstört wird

‚Sharholder-Value‘ ist kein Wert

Von Karl Weiss

Ein klassisches und kaum zu übertreffendes Beispiel für den an Wahnsinn grenzenden Unsinn der Neoliberalen-Ikone „Sharholder-Value“ ist die in Deutschland kaum zur Kenntniss genommene Übernahme von Anheuser-Busch (A.-B.) durch den Belgisch-Brasilianischen Braukonzern InBev (International Beverages), der nun der grösste Bierbrauer der Welt ist.

Bier

Das Ganze begann in Brasilien, wo die Brauerei Brahma vor etwa 25 Jahren die neue Marke ‚Skol‘ herausbrachte, mit der es ihr gelang, an die Spitze der Beliebtheit der Biere in Brasilien zu kommen, während die eigene vorherige Marke ‚Brahma’ den zweiten Platz einnahm. Als nächstes kaufte man, nach diesem Erfolg voller Barmittel, den verbliebenen wichtigsten Konkurrenten ‚Antartica’. Damit hatte man die drei grössten Brasilianischen Biere und konnte den Markt diktieren (So werden Bars und Getränkevertriebe zum Beispiel nicht mit diesen drei meist verlangten Marken beliefert, wenn sie nicht unterschreiben, keine der Konkurrenz-Biermarken zu verkaufen). Die Coca Cola versuchte, mit der Marke ‚Kaiser‘ in diese Phalanx mit einer riesigen Werbekampagne einzudringen, die praktisch die ganzen Neunziger Jahre gefahren wurde („Kaiser ist ein grosses Bier“), aber die drei von der Brahma-Stelle blieben an der Spitze. Im neuen Jahrtausend versuchte eine vorher kaum bekannte Marke, ‚Scin’ (‚Scincariol’), mit einer ebenfalls gross angelegten Werbe-Kampagne die drei Grossen anzugreifen, aber außer ein paar Monaten von höheren Verkäufen als der dritte, ‚Antartica’, versandete auch diese Kampagne und die Dominanz besteht bis heute.

Brasilien (topographisch)

Nur um einen Eindruck zu geben: Heute wird eine Alu-Dose mit 350 ml von ‚Skol’ für etwa 1,60 Reais verkauft, jene mit ‚Brahma’ für 1,45, jene von ‚Antartica’ für 1,20, während sich Marken wie ‚Kaiser, ‚’ Scin’ oder die aufstrebenden ‚Sol’ oder ‚Itaipava’ mit 1,10 bis 1,05 zufrieden geben müssen. Noch kleinere Marken verkaufen unter 1 Real. Dabei kann höchstens ein ausgesprochener Bierkenner diese Marken mit verbundenen Augen am Geschmack unterscheiden.

Der nächste Akt war die Vereinigung der grössten belgischen Brauerei (Hauptmarke ‚Stella Artois‘), die eine starke Stellung nicht nur in Belgien hatte, einem klassischen Biertrinker-Land, sondern auch in Frankreich, England, den Niederlanden und Teilen Deutschlands, mit der Brahma-Brauerei und die Gründung der AmBev. Entgegen dem anfänglichen Eindruck, die Belgier hätten die Brasilianer aufgekauft, wurden der Präsidentenposten und sechs der wesentlichen Managerposten mit Brasilianern aus der Brahma-Küche besetzt, auch wenn der Sitz in Belgien war. Teil der AmBev/In Bev wurde dann inzwischen auch die deutsche Marke ‚Becks’.

Das brasilianische Team ist ganz ohne Zweifel völlig unbrasilianisch und eine der wohl aggressivsten und rücksichtslosesten Gruppe von Managern, die der Getränke-Weltmarkt, und sogar der Markt überhaupt je gesehen haben. Dies stellten sie unter Beweis bei der feindlichen Übernahme von Anheuser-Busch im Jahr 2008, dem US-Marktführer mit den Marken ‚Budweiser‘, ‚Bud Light‘ und ‚Michelob‘, und bei der anschliessenden versuchten Umgestaltung des US-Konzerns in eine Dividenden–Quelle der ersten Kategorie.

Anheuser-Busch war eine jener traditionellen Firmen, die aus dem 19.Jahrhundert kamen, sehr erfolgreich waren, aber dann den „Biss“ verloren und sich ein wenig verloren hatten, mit riesigen Investments in Themen-Parks, in chinesischen Bierbrauereien, in unglaublich aufwendigen Werbekampagnen, in extremen Privilegien für die eigenen Manager und im gleichzeitigen Übersehen der tatsächlichen Trends im Bier-Markt.

Zum Zeitpunkt der Übernahme 2008 verkaufte A.-B. 48,9% der Fass-Biere in den USA und verkaufte 11 „Billion“ (Milliarden) Flaschen Bier. Das machte die Brauerei zur grössten in den USA, aber die Miller und Coors waren auf den Fersen.

Um nur einen Eindruck zu geben: Die Hauptmarke ‚Budweiser‘ war noch vor 25 Jahren mit über 40% des US-Marktes der absolute Spitzenreiter. Zum Zeitpunkt der Übernahme war diese Beteiligung auf 9% geschrumpft. Allerdings hatte A.-B. selbst einen grossen Anteil an diesem Wandel. Heute ist ‚Bud Light‘ die grösste Einzel-Marke in den USA und die neuere A.-B.-Marke ‚Michelob‘ ist auch schon grösser als ‚Budweiser‘.

Kurz: Die Aktionäre von A.-B. waren nicht so sehr zufrieden, die Aktie gab nie zu Freudensprüngen Anlass, während es ein einziges Meer der Freuden gewesen sein muss, bei Anheuser-Busch Manager gewesen zu sein. Die oberen Chargen waren nur in Jets der firmeneigenen Flotte von Flugzeugen unterwegs, die schon den Namen Bud-Air erhalten hatte.

Grosszügige Altersabsicherung, Lebensversicherungen von der Firma und ähnliches waren an der Tagesordnung. Ausserdem war diese Brauerei eine der sichtbarsten Firmen in den USA: Ihre riesigen Werbekampagnen waren berühmt. Die besten Werbeagenturen rissen sich um den Busch-Account. Jedes Jahr wartete alles gespannt auf die neue Werbung zum „Super-Bowl“ (Endspiel der American Footbol-Liga) von ‚Bud’, die Jahr für Jahr zur besten gekürt wurde. Die Olympischen Winterspiele wurden immer exklusiv als einziges Bier gesponsort, man hielt sich eigene Frauen-Fußball-(Soccer)-Vereine, ein prächtiges Pferdegestüt mit speziellen Brauerei-Pferden und die Busch-Gardens, riesige Themen-Parks, waren in vielen Teilen der USA ein Begriff.

Übrigens: Diese Busch-Familie hat nichts mit den Präsidenten-Bushs zu tun. Sie hatten auch das c nicht aus dem Namen gestrichen wie fast alle deutschstämmigen Amerikaner dieses Namens, als es in den Weltkriegen nicht angebracht war, aus Deutschland zu stammen.

Was die Trends im Bier-Markt in den USA betrifft: Es gibt einen allgemeinen Trend zu kleinen Marken von (scheinbaren oder echten) Hinterhof-Brauereien, die es in Tausenden von Geschmacks–Nuancen gibt. A.-B. hatte keine erfolgreiche Marke dieser Art kreiert.

Da trat also nun im Jahr 2008 InBev mit einem Angebot von insgesamt 46 „Billionen“ (Milliarden) Dollar an, um A.-B. feindlich zu übernehmen. Die Familie Busch wehrte sich mit allen erdenklichen Mitteln, es wurde sogar eine grosse Investment-Bank engagiert, um das Angebot abzuwehren, aber die Aktionäre hatten das letzte Wort. Sie nahmen das Angebot von InBev an und die Buschs mussten sich mit den Brasilianern einigen.

Im November 2008 war die Einigung perfekt und nun wurde A.-B. Teil der Gruppe InBev. Damit hatten sich zwei der vier grössten Bierbrauerkonzerne zusammengeschlossen und waren nun die grösste Brauer-Firma der Welt, knapp vor dem vorherigen Spitzenreiter SABMiller, der in London sitzt.

Allerdings hatte sich die InBev mit der Ausgabe von 46 Milliarden US-Dollar für die Übernahme der A.-B. gewaltig übernommen. Man hatte einen wesentlichen Teil dieser immense Summe zwar von einem Konsortium von Banken geliehen bekommen, um diesen Coup zu landen, aber die nun fälligen Rückzahlungen und Zinsen hätten den neuen, großen Konzern für viele Jahre fast bewegungsunfähig gemacht. So hatten denn die Banken auch Bedingungen gestellt für die Gewährung dieses Jumbo-Kredits: Massive Einsparungen im ganzen Konzern, um schnell vorzeitige Rückzahlungen tätigen zu können.

46 Milliarden US-Dollar scheinen uns heute nicht viel Geld zu sein, denn wir haben gesehen, dass selbst eine kleine, völlig unwichtige Bank wie die IKB mit genau solchen Summen von der Bundesregierung „gerettet“ wurde – natürlich alles aus unseren Steuergeldern - und das ging so fix wie man ein Glas Bier trinken kann. Unser Verhältnis zu großen Summen von Geld ist gestört.

Der Rettungs-Plan

In der Wirklichkeit, da wo man nicht einfach 100 Milliarden mit Finanztransaktionen verliert oder gewinnt, in der realen Welt, wo man Güter aus Rohstoffen produzieren muss, die man dann verkaufen kann und das gegen Konkurrenten auf dem Markt, in dieser Welt sind 46 Milliarden Dollar ein Heidengeld.

So war denn auch die Tinte unter dem Vertrag der Übernahme noch nicht trocken, als das brutale Brasilianer-Team bereits Massenentlassungen ankündigte: Allein in den USA bei A.-B. wurden etwa 6% der Belegschaft unmittelbar entlassen, dazu eine große Zahl von Beratern. Auch in Belgien gab es Massen-Entlassungen (und heftige Proteste dagegen).

Gleichzeitig wurden den neuen Top-Managern höchste Zig-Millionen-Boni versprochen, wenn sie es schaffen würden, das Verhältnis von Schulden zu Einkommen innerhalb von 5 Jahren zu halbieren.

So wurden dann logischerweise gleich weitere Maßnahmen geplant und durchgeführt, die sparen bzw. Geld in die Kassen bringen würden:
  • Die Busch-Gardens, die größte Themenpark-Organisation der Vereinigten Staaten, wurde verkauft, was schon einen Milliardenbetrag einbrachte, allerdings auch eine US-Ikone zerstörte. Das Freibier in den Parks wurde auch gestrichen.
  • Ein wesentlicher Teil der Anteile an chinesischen Brauereien wurde verkauft. Damit hat man sich allerdings aus dem zweifellos schnell wachsenden chinesischen Bier-Markt verabschiedet. Wo will man Wachstum suchen?
  • Allen hohen Managern wurden die persönlichen Assistenten und Sekretärinnen gestrichen.
  • Es wurde angekündigt: Ab 2012 wird die Firma nicht mehr in die Pensionskasse für die Angestellten einzahlen. Damit sind die Altersversorgungen, speziell für jüngere Mitarbeiter, praktisch gestrichen (in den USA gibt es keine obligatorische Rentenversicherung).
  • Die Löhne und Gehälter wurden gekappt. Es sollte ein Niveau von zwischen 80 und 100% des Durchschnitts für entsprechende Tätigkeiten in den USA erreicht werden. Tatsächlich sind heute die Löhne schon unter diese 80% gefallen.
  • Die Manager müssen sich statt eigener repräsentativen Büros nun mit Großraumbüros zufrieden geben.
  • Die Zahl der ausgegebenen Firmen-Blackberries wurden von 1200 auf 720 reduziert.
  • Die Frist für die Bezahlung von Lieferanten-Rechnungen wurde von 30 Tagen auf 120 Tage erhöht.
  • Die Budgets für die einzelnen Abteilungen müssen in jedem Jahr vom ersten Pfennig an neu begründet werden (Zero-Based Budgeting).
  • Die gesamte Flotte von Firmen-Jets wurde verkauft und man reist nun in Flugzeuge in der Touristenklasse.
  • Die vorherige Praxis, den Beschäftigten eine Lebensversicherung zu bezahlen, wurde eingestellt ab dem Jahr 2010.
  • Die vorherige Praxis, entlassenen Mitarbeitern Ausgleichszahlungen zu garantieren, wurde eingeschränkt.
  • Die aufwendigen Werbekampagnen wurden auf ein Minimum zusammengestrichen. Die eigenen Abteilungen für Anzeigen und Werbefilme wurden aufgelöst. Die meisten Verträge mit Werbeagenturen wurden gekündigt. Ob der Verzicht auf Werbung wirklich auf längere Sicht zu höheren Einnahmen führt, bleibt dahingestellt.

Für 2010 wurden bereits erneut Entlassungen angekündigt. Tatsache ist nämlich, dass die Bierverkäufe der InBev in den USA zurückgegangen sind. Dies wird allerdings auf die Krise zurückgeführt. Ob alle anderen Anbieter ebenfalls Rückschläge hinnehmen mussten, ist nicht bekannt.

Ein brasilianisches Magazin feiert die brasilianischen Top-Manager der InBev als die erfolgreichsten Brasilianer im Ausland. Was genau aber ist nun der Erfolg?

Die Aktien der InBev sind nach dem Einbruch durch die Übernahme deutlich gestiegen und werden nach dem Ende der Vorab-Rückzahlungen an die Banken wohl auch anständige Dividenden abwerfen. Es wird allerdings wohl eine Zeit dauern, bis die Dividenden der A.-B. wieder erreicht sein werden.

New Yorker Börse

D.h., man folgt genau den Komponenten der „Shareholder-Value“-Ideologie, ohne für lange Zeit überhaupt wirklich viel Wert für die Aktien-Inhaber zu schaffen. Nur die Banken haben hohe Zinseinnahmen.

Nun fragen Sie sich einmal, geneigter Leser: Was wurde nun wirklich an Positivem geschaffen mit dieser Wahnsinnsübernahme und den vielen Arbeitslosen, die sie gekostet hat?

Gibt es irgendeinen positiven Aspekt, wenn man einmal vom Ego der brasilianischen Manager absieht, das sicherlich ein neues Höchstniveau erreicht hat?

Das ist Kapitalismus in seiner Endphase.


Veröffentlicht am 8. April 2010 in der Berliner Umschau

Dienstag, 6. April 2010

Dollar: Erste Absprung-Erscheinungen

Ist der Dollar nicht mehr der Herr der Welten?

Von Karl Weiss

In Idaho, einem kleinen US-Bundesstaat, wurde ein Gesetz mit nur einer Gegenstimme angenommen, das es den Bürgern des Staates erlaubt, ihre Steuerschulden nicht mehr in Dollar, sondern in „Silver Medaillons“ (kleinen Silbermünzen), zu zahlen, die vom Staat speziell zu diesem Zweck herausgegeben werden sollen.

Dollarnoten

Nun, das ist noch keine Tendenz des Ausstiegs aus dem Dollar, aber bereits das Anzeichen erster Erscheinungen des Absprungs aus der Spekulanten-Ikone „Greenback“, und das innerhalb des eigenen Landes.

Über Jahrzehnte, ja praktisch seit dem 2. Weltkrieg, ist der Dollar mit seinen US-Staatsanleihen („Dollar-Bonds“) der „safe haven“, der sichere Hafen, wenn man sein Geld vor allem vor Verlusten schützen will.

Die Anleger mit Millionen und sogar Milliarden in der Tasche, üblicherweise Spekulanten genannt, verhalten sich daher aus alter Treue oder auch schlicht aus Unwissenheit so, als ob der Dollar heute nicht gefährdet wäre. Wenn Griechenland ein Pleite-Kandidat ist, dann umso mehr die USA. Die Zahlen des Dollar-Landes sind schlechter als die griechischen.

Dollar Gasp

Vor allem ist es die Geschwindigkeit des Anstiegs der US-Staatsschulden, nicht nur die der Regierung in Washington, sondern auch die der Bundes-Staaten, der Sozialkassen und der Gemeinden, die Anlass zu der Annahme gibt, der Dollar werde das Jahr 2020 nicht mehr lebend erblicken. Die meisten Fachleute meinen sogar, so lange werde es nicht mehr dauern.

Natürlich würde eine kräftige Erholung der realen US-Wirtschaft, wenn die Produktion auf Vorkrisenniveau steigen, die Steuereinnahmen wachsen und der Konsum wieder anziehen würde, solche Befürchtungen bald gegenstandslos werden lassen, aber nichts dergleichen ist in Sicht.

Zwar steigt das Brutto-Inlands-Produkt (BIP) der USA wieder an, doch diese Zahlen sind durch Finanzderivate künstlich aufgebläht. Damit stellen sie sogar die Gefahr neuer, schwerer finanzieller Probleme dar und nicht die Hoffnung auf einen Aufschwung.

Die Arbeitslosigkeit verharrt dort, wo sie ist, der Konsum, die Häuserkäufe, die Löhne, nichts deutet auf den Beginn eines neuen Aufschwungs hin. Ohne diesen aber wird die Staatsverschuldung bald nicht mehr bezahlbar sein, denn dazu müssten die Steuereinnahmen steigen und nicht fallen.

So werden zu einem bestimmten Zeitpunkt die ersten, die das begriffen haben, aus dem Dollar fliehen müssen, so wie der Staat Idaho dies jetzt in ersten Ansätzen tut.

Wahrscheinlich werden die chinesische und die japanische Zentralbank diejenigen sein, die dann versuchen werden, den Dollar zu verteidigen, denn sie haben ihre Staatsschätze fast vollständig in Dollar-Bonds angelegt, aber ab einem bestimmten Moment werden sie dann umschalten müssen auf: Verluste verringern! Ab diesem Moment wird es kein Halten mehr geben für Dollar und Dollar-Bonds, sie werden unweigerlich den Bach hinunter gehen.

Einige wollen die aktuelle kleine Erholung des Euro sogar bereits auf Umschichtungen so mancher Vermögen von Dollar auf Euro erklären und nicht mit der Griechenland-Hilfe.

Wie auch immer, es wird interessant werden. Vermutlich lohnt es sich, immer mal wieder den Dollarkurs im Vergleich zu anderen Währungen zu beobachten und die Zinsen, die man für Dollar-Bonds bekommt. Wer im richtigen Moment gegen den Dollar wettet im internationalen Spielkasino der Finanzwerte, kann ein Vermögen machen (so er denn schon ein Vermögen hat).

In den USA sind Leerverkäufe weiterhin erlaubt, also das Wetten gegen eine Währung (oder andere Finanztitel), ohne diese überhaupt zu haben. Auch in Europa wird bis auf weiteres erst nachgedacht über das Verbot.


Veröffentlicht am 6. April 2010 in der Berliner Umschau

Mittwoch, 31. März 2010

Steigert Kurzarbeit die Arbeitskosten?

Wie man eine Schimäre erfindet

Von Karl Weiss

Am 30. März, zwei Tage zu früh für einen Aprilscherz, mussten die Deutschen mal wieder lesen, wie man sie zu veräppeln versucht. Eine Meldung, die in fast allen Zeitungen und Magazinen gedruckt wurde und am Fernsehen in den Nachrichten kam, offenbar vom Arbeitgeberverband lanciert: Die Arbeitskosten in Deutschland würden angeblich steigen, die Kosten des Faktor Arbeit seien 2009 um 4,1% in der Privatwirtschaft gestiegen und in der Industrie sogar um 5,1%. Im EU-Vergleich sei dies eine der größten Steigerungen. Das ist natürlich ein Riesenhaufen Bullshit!

Stahlindustrie

Nun mag der deutsche Michel gestutzt haben, denn er kann sich schon nicht mehr an ein Jahr erinnern, in dem er wirklich mehr zur Verfügung hatte. Bekanntlich sind sowohl die Lohnsummen als auch die Reallöhne seit 2000 Jahr für Jahr gesunken, im Jahr 2009 sogar so stark, dass selbst die Brutto-Löhne niedriger lagen als im Jahr zuvor, was vorher noch nie geschehen war.

Statistik Reallöhne

Wie kommt da also jemand auf diese Zahlen mit erhöhten Lohnkosten?

Nun, das sind natürlich Taschenspielertricks, so lächerlich, dass man sie diesen Leuten um die Ohren schlagen müsste. Aber die gehorsamen Redakteure bringen die Meldung, als ob sie irgendeine Art von Wahrheit darstellen würde.

Wie geht nun der Taschenspielertrick? Nun, zunächst einmal berücksichtigt man nicht die Inflation und tut so, als ob eine Lohnsteigerung, die von der Inflation aufgefressen wird, Arbeitskostensteigerung hervorrufen. Das ist natürlich Quatsch. Für die Unternehmen kommt ja (im Schnitt) das mehr herein, was die Inflation darstellt, denn es sind ja eben jene, die durch Preiserhöhungen die Inflation verursachen. In Wirklichkeit rechnen natürlich alle Unternehmen, wenn sie nicht gerade Leute täuschen wollen, mit preisbereinigten Werten.

So ist es typisch, dass die Angaben über angebliche Arbeitskosten in „Euro pro Stunde“ angegeben wurden. Nur ist aber „Euro pro Stunde“ überhaupt nichts, was als „Arbeitskosten“ ausgegeben werden könnte. So haben zum Beispiel deutsche Arbeitnehmer im Schnitt die doppelte Produktivität wie etwa die polnischen. Hätten also diese deutschen Arbeiter das doppelte an Euro pro Stunde wie die polnischen, so hätte der Unternehmer immer noch die gleichen Lohnstückkosten.

Alt-EU der 15: Entwicklung Arbeitskosten von 2000 bis 2008

Ebenso kann man „Euro pro Stunde“ nicht als Arbeitskosten ansehen, weil ja nichts darüber ausgesagt wird, wie viele Arbeitnehmer denn diese „Euros pro Stunde“ bekommen. Hat ein Unternehmen zum Beispiel die Hälfte der Mitarbeiter entlassen und der Rest bekommt um 4% mehr Euro pro Stunde, so sind natürlich die Arbeitskosten des Betriebs fast um die Hälfte gesunken, nicht gestiegen.

Worauf sich die Zahlen bei diesem Taschenspielertrick aber speziell beziehen im Fall von 2009, ist die Kurzarbeit. Bei Kurzarbeit wird ja etwas mehr bezahlt als die tatsächlich verkürzte Arbeitszeit, weil es ein Gesetz in Deutschland gibt, das Kurzarbeit mit geringfügigen Erleichterungen für die betroffenen Arbeitnehmer versieht. Man bekommt nicht ganz soviel abgezogen, wie es der Verminderung der Arbeitszeit entspricht. Ein Teil dieser „Ausgleichszahlung“ wird dabei vom Staat übernommen.

Nun wurde 2009 in Deutschland in so vielen Betrieben (und ganz speziell in der Industrie) kurz gearbeitet, dass diese Ausgleichszahlung, bezogen auf „Euro pro Stunde“, eine geringe Erhöhung pro Arbeitnehmer ergibt. Allerdings haben die Arbeitgeber bei diesen Berechnungen vergessen, den ihnen vom Staat ersetzten Teil der Ausgleichszahlungen von ihren angeblichen „Arbeitskostensteigerungen“ abzuziehen. Der tatsächliche Effekt auf die Einkommen der Arbeitnehmer war durch die weitverbreitete Kurzarbeit aber negativ, obwohl es in der einen oder anderen Branche noch nominale Lohnerhöhungen gegeben hatte. Im zweiten Quartal 2009 zum Beispiel waren die Reallöhne in Deutschland 2,1% geringer als im Jahr vorher.

Also ein dreifacher Trick, um Leute für dumm zu verkaufen. Nur gut, dass wir nicht so doof sind, wie die denken.


Veröffentlicht am 31. März 2010 in der Berliner Umschau

Montag, 29. März 2010

Das Spielcasino ist schon wieder eröffnet!

Riesige US-Gewinne – erneut aus „Finanzderivaten“

Von Karl Weiss

Glaubte man noch gerade eben, die Regierungen, speziell die der USA, hätten doch gelernt aus den Ursachen der Finanzkrise und hätten das Casino der „Finanzderivate“ geschlossen, so sieht man sich nun getäuscht. Die gleichen Banken, denen schon vorher aus der Bredouille geholfen werden musste, weil man erklärte, sie seien „zu groß, um Pleite zu gehen“, sie hätten das gesamte Finanzsystem mit sich gerissen, zocken bereits wieder mit Milliarden-Finanz-Derivaten und machen, jedenfalls noch, Riesen-Gewinne damit. Wie das weiter geht, hat man im Jahr 2008 gesehen.

Der Rettungs-Plan

Es ist erst eineinhalb Jahre her, dass dies das letzte Mal schief ging. Die Banken in den USA schnürten Bündel von Finanzanlagen zu sogenannten Finanz-Derivaten, viele Banken, nicht nur in den USA, (was glauben Sie, wo die 25% Profit auf Kapital der Deutschen Bank herkamen?) machten damit den großen Reibach, solange die Preise von Häusern und Wohnungen ständig stiegen. Beginnend 2006, begannen dann die Preise zu fallen und wer sich nicht rechtzeitig von diesen Derivaten trennte, hatte plötzlich Milliarden-Verluste.

Nur haben die großen US-Banken, so wie auch die Deutsche Bank, keinerlei Angst, dass dies wieder passiert, denn sie müssten ja erneut von den Staaten mit Beträgen von Hunderten von Milliarden „gerettet“ werden, weil sie ja „zu groß sind, um Pleite zu gehen“ (damit die Deutsche Bank nicht pleite ging, musste die Hypo Real Estate gerettet werden). Tatsache ist, müssten die USA und Deutschland, so wie beim ersten Mal, erneut mit Beträgen von Hunderten von Milliarden Dollar bzw. Euro solchen Banken unter die Arme greifen, wären sie selbst definitiv pleite.

Diese Aussicht scheint aber weder US- noch Deutsche Regierung zu schrecken. Wie sagte ein Kommentator bereits beim letzten Mal? Solche Beträge in einen Banken-Bailout zu stecken, das ist, wie wenn man das Steuer herumreißt, um nicht in den Abgrund zu fahren und nun stattdessen auf die Wand zu rast.

Nun zu den nackten Fakten:
Im 4. Quartal 2009 konnten die großen Banken der USA (saisonbereinigt und aufs Jahr hochgerechnet) mit Finanzderivaten und anderen riskanten Anlagen 414,1 Milliarden Dollar an Profit einstecken. Das liegt nur noch um etwa 7,5 % unter dem Allzeithoch. Das war im 2. Quartal 2006, als 447,5 Milliarden Dollar erzielt wurden. Das nominale Volumen der Finanzderivate der US-Banken steig im 4. Quartal 2009 auf insgesamt etwa 213 Billionen US-Dollar!! Das ist der höchste Wert in der Geschichte der USA.

Gewinne US-Finanzindustrie 1980 bis 2010

Im Blog „Wirtschaftsquerschuss“ wird dazu kommentiert, hier: (http://wirtschaftquerschuss.blogspot.com/2010/03/us-finanzindustrie-macht-satte-gewinne.html )

„Die fulminante Erholung der Gewinne im Finanzsektor belegt, dass die Maßnahmen des Staates und der Notenbank zur Lösung der Wirtschafts- und Finanzkrise, vor allem eines erreichten - die Zementierung der Fehlentwicklungen und nicht deren Bereinigung! Eine potentielle Stabilisierung bzw. leichte Erholung der US-Wirtschaft täuscht nicht darüber hinweg, dass strukturell kein Problem der US-Wirtschaft behoben wurde. Besonders drastisch verdeutlichen dies die Daten zum US-Immobilienmarkt, denn trotz gewaltiger Infusionen liegt der Markt weiter am Boden!“

Diese letzte Bemerkung bezieht sich auf folgenden Fakt: Die Verkäufe von neu gebauten Häusern/Wohnungen haben in den USA im Februar 2010 ein neues Allzeittief erreicht. Die tiefe Krise am Immobilienmarkt in den USA ist also keineswegs beendet.

USA Verkäufe neuer Häuser 1963 bis 2010

Und nun das Beste der ganzen Story:

96,9% der oben schon erwähnten Gesamtsumme der Derivate werden von den 5 Top-Banken der USA gehalten: JP Morgan Chase Bank, Goldmann Sachs, Bank of America, Citigroup und Wells Fargo. Das sind haargenau jene, die „zu groß sind, um Pleite zu gehen“.

So, und jetzt urteilen Sie selbst!


Veröffentlicht am 29. März 2010 in der Berliner Umschau

Donnerstag, 25. März 2010

Weiter so! Weiter so!

Macht um Gottes willen weiter so wie vorher!

Von Karl Weiss

Nun kriechen sie wieder aus den Unterständen. Werden wieder frech. „Weiter so wie vor der Krise!“ schreien sie, „Macht um Gottes willen weiter so wie vor der Krise“. Die neo-liberalen (einige sagen „marktradikalen“) Hetzer, die weltweit die Ökonomie vor der Krise bestimmt haben, sind wieder losgelassen. Zwar weiß inzwischen schon jedes Kind: Die Maximen des Neo-Liberalismus (Marktradikalismus) haben nicht nur angesichts der Krise versagt, sondern auch wesentlich zur Tiefe der gegenwärtigen Krise beigetragen, aber das kann man ja einfach zynisch leugnen, nicht wahr? Ein Paar kleine Notlügen, und schon stimmt die Landschaft wieder.

Eurokarikatur

Ein klassisches Beispiel für dieses Gesocks, an deren Händen das Blut von Millionen verhungerter Kinder klebt, ist der Kommentar eines gewissen N. Piper in der „Süddeutschen“ vom 21. März 2010 unter dem Titel „Deutsche Stärke und Last“ und der Gastbeitrag von Dohnanyi (ja, der SPD-Dohnanyi) am gleichen Tag in der gleichen Zeitung unter dem Titel „Eau de Sindelfingen“. Zwei solche Artikel am gleichen Tag, das ist Intensiv-Kur.

Was Piper unter „deutscher Stärke“ versteht, ist das völlige Ausklammern des deutschen Binnenmarktes und das alleinige Setzen auf Exporte, wie es seit der Schröder-Regierung hierzulande exerziert wurde. Er meint, dies stelle eine Stärke der deutschen Wirtschaft dar.

New Yorker Börse

Nur war es in Wirklichkeit die Ursache der erhöhten Anfälligkeit der deutschen Wirtschaft. In keinem anderen größeren Land der EU oder OECD ging das Brutto-Inlands-Produkt (BIP) so stark zurück im Jahr 2009 wie in Deutschland, nämlich um etwa 6%. Dabei waren es in Wirklichkeit mehr als 6%, wenn man den Vorkrisenstand vergleicht, denn das letzte Quartal 2008 war ja schon Krise.

Viel schlimmer aber noch, Deutschland hat überhaupt keine Aussichten in irgendeinem absehbaren Zeitraum wieder ein erwähnenswertes wirtschaftliches Wachstum zu erreichen, denn der Export wird eben trotz aller Gesundbeterei nicht wieder auf die alten Höhen kommen. Das hat einen einfachen Grund: Zwei Drittel des deutschen Exports gingen in die EU! (Dohnanyi, der Durchblicker, schreibt allen Ernstes „Nur zwei Drittel“; da merkt man schon, der hat jeden Kontakt zur Wirklichkeit verloren.)

D: Exportvolumen in % gegen Vorjahresmonat
Deutschland: Exportvolumen in Prozent gegen Vormonat

Die anderen EU-Länder stecken nämlich in einer schweren Krise (schon davon gehört, Herr Dohnanyi? Oder lief die auch an Ihnen vorbei?) und können beim besten Willen nicht mehr so viel aus Deutschland importieren. Andererseits haben sie die gleichen Probleme wie Deutschland, wieder zu irgendwelchen erwähnenswerten Wachstumsraten zu kommen und würden sich freuen, wenn Deutschland mit einer Belebung der Binnen-Nachfrage wirklich zu einem „Motor Europas“ (Zitat aus dem Dohnanyi-Artikel) werden würde und nicht nur in der Einbildung eines abgewrackten Politikers.

[Kleine Abschweifung: Die Zeit Dohnanyis als Erster Hamburger Bürgermeister war ein so vollkommenes Desaster, dass seitdem nur noch CDU-Bürgermeister Hamburg regieren. Er regierte so neo-liberal und machte CDU-Politik, dass die Bürger entschieden, dann doch lieber gleich das Original zu wählen – eine Story, die verdächtige Ähnlichkeit mit der eines Herren mit Namen Schröder hat. Soweit zu abgewrackten Politikern.]

Deutschland: Jugendarbeitslosigkeit gegen Vorjahr

Interessant, dass beide Kommentatoren nicht ein Wort zur Krise verlieren, zu ihren Ursachen und wie man herauskommen könnte, denn sie haben natürlich nicht die geringste Ahnung. Soweit die Krise vorkommt, so nur als Ereignis von außen, wie ein Erdbeben. Kommt vor, danach räumt man auf und macht weiter wie vorher. Dass diese Krise in ihrer jetzigen Form, die keinerlei Ausweg bietet, eng mit genau ihrer Ideologie zusammenhängt, dürfen beide natürlich nicht merken, sonst müssten sie ja ihre Überzeugungen ändern – und da sei Keynes vor!

So wird statt dessen die Wirklichkeit ein wenig geändert. So behauptet Piper zum Beispiel, „in den vergangenen Jahren (...) die Arbeitslosigkeit ist gesunken...“. Nun das ist von ihm genauso frech gelogen wie die gleiche Aussage von Frau von der Leyen vom gleichen Tag. Nein, die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist nicht gesunken nach Hartz IV. Man hat lediglich einen wesentlichen Teil der Arbeitslosen aus der Statistik genommen, um diese Lüge verbreiten zu können. Weiterhin, wie seit dem Jahr 2006, sind etwa 6 Millionen in Hartz IV (wie soll da die Arbeitslosigkeit 3 Millionen betragen, hä?) und die Gesamtzahl der Arbeitslosen, die arbeiten würden, wenn es Arbeitsplätze gäbe, liegt irgendwo bei 10 Millionen.

Statistik Reallöhne

Die andere Lebenslüge, die man immer wieder erzählen muss, wenn man Neo-Liberaler ist, drückt Piper so aus:

„Es ist zwar nicht möglich, mit Lohnerhöhungen Wachstum zu schaffen, wohl aber mit der Förderung privater Investitionen. Dies ist derzeit nicht sonderlich populär, denn dabei geht es um viele Reformen, die heute als "neoliberal" gelten: ein flexiblerer Arbeitsmarkt, weniger Bürokratie, Begrenzung der Sozialausgaben.“

Ja, ja, er schreibt das wirklich, am 21. März 2010 und nicht am 21. März 2000! Die letzten zehn Jahre haben nicht stattgefunden. Er erwähnt auch noch ausdrücklich, dass diese Rezepte „nicht sonderlich populär“ sind. Ja, warum denn wohl, Herr Piper? Weil sie in den letzten zehn Jahren von Grund auf widerlegt wurden! Sind Sie gerade aus einem zehnjährigen Dauerschlaf aufgewacht? Es war genau nicht dies, was passierte, als man diese Rezepte verfolgte unter Schröder und Fischer.

Deutschland: Einzelhandelsumsatz 2006 - 2008 mit Trendlinie
Deutschland: Einzelhandelsumsatz 2006 bis 2008 mit Trendlinie

Das Ergebnis dieser 10 Jahre Extrem-Neo-Liberalismus (Marktradikalismus) in Deutschland:

- 25% der Kinder leben in Armut, 10% sogar in absoluter Armut.

- 10 Millionen Deutsche sind aus dem sozialen Leben ausgeschlossen,

- 6 Millionen dürfen ihr Dorf oder ihren Stadtteil nicht verlassen, ohne sich vorher eine Genehmigung zu holen.

- Die Suppenküchen von heute, „Tafeln“ genannt, sind inzwischen über 1000 an der Zahl und versorgen bereits einen ins Gewicht fallenden Teil der Bevölkerung.

- Weniger als 20% der jungen Leute bekommen einen fixen Vollzeitjob auf mindestens Tarif-Niveau nach ihrer Ausbildung oder ihrem Studium.

- Viele Studiumsabgänger müssen sich als unbezahlte Praktikanten verdingen.

- 10 % der Jugendlichen sind völlig von jeder Ausbildung abgeschnitten.

- Über 50 bekommt praktisch niemand mehr einen Arbeitsplatz, nicht einmal einen prekären.

- Für die anderen gibt’s dagegen fast nur noch prekäre.

- Wenn es so weiter geht, gibt es in 15, 20 Jahren in ganz Deutschland keinen fixen Vollzeit-Arbeitsplatz mit mindestens tariflicher Bezahlung mehr.

- Deutschland hat die geringsten (Pro-Kopf)-Ausgaben für Bildung aller entwickelten Länder.

- Deutschland ist so hoch verschuldet wie noch nie in der Geschichte.

Deutschland: Statistik von 2000 bis 2007 über BIP, Lohn, Konsum und Vermögenseinnahmen
Dies ist die Statistik, die alle Behauptungen der Marktradikalen widerlegt. Man kann deutlich erkennen, wie exakt ab Januar 2005, als Hartz IV eingeführt wurde, die Reallöhne beginnen nach unten zu wandern (und dies sind die Zahlen pro Arbeitnehmer. Nimmt man die Lohnsumme, ist der Abstieg noch schneller.), bereits früher setzt das Hoch der Einnahmen aus Vermögen und Unternehmen ein. Führt dies zu erhöhten Investitionen? Natürlich Nicht! Die Investitionen erreichen erst zum Ende des betrachteten Zeitraums überhaupt das Niveau von 2000!

Vor kurzem war der Bürger-Journalist auf Besuch in Deutschland und er hat sie gesehen: Ausgezehrte Gestalten saßen in eisiger Kälte mit völlig unzulänglicher Kleidung auf dem Boden in der Stadt und bettelten. Nicht dass der Bürger-Journalist an solche Anblicke nicht gewohnt wäre, er lebt schließlich in Brasilien, aber in Deutschland ist das nicht das, was früher die Innenstädte belebte. Drückt man alle nach unten, kommt ganz unten der Mensch auf dem absoluten Null-Punkt heraus. In Brasilien erfrieren diese Ärmsten der Armen wenigstens nicht, doch Dohnanyi und von der Leyen rechnen natürlich damit: Sehr viele solcher Gestalten wird es nicht geben, denn die Kälte fordert ihren Tribut.

Die Entwicklungslandisierung Deutschlands schreitet voran. Und das nennen Sie „ökonomische Stärke“, Herr Piper? Das nennen Sie „starkes Deutschland“, Herr Dohnanyi? Sie versteigen sich sogar zum Bonmot der Woche: „Stärke macht neidisch.“ Seit wann ist ein Entwicklungsland stark???

Und was ist mit der Behauptung, es sei nicht möglich, mit Lohnerhöhungen Wachstum zu schaffen, Herr Piper? Können Sie nicht zwei und zwei zusammenzählen? Oder gibt das bei Ihnen drei? Lohnerhöhungen, speziell im unteren Bereich, schaffen Nachfrage und zahlen Steuern, Nachfrage schafft Konsum, Konsum erfordert Güter, erforderliche Güter schaffen Produktion, Produktion schafft Arbeitsplätze, Arbeitsplätze schaffen Lohn, Lohn schafft Konsum und zahlt Steuern usw. usw.

Deutschland - Brutto-Inlandsprodukt - 2000 bis 2008 Quartale gegen Vorquartale

Sie meinen, das sei graue Theorie? Dann kommen Sie nach Brasilien. Hier wurde unten, bei den Ärmsten, Geld reingeschoben und ein wenig weiter oben, durch Lohnerhöhungen im unteren Bereich. Ergebnis: Brasilien ist eines der wenigen Länder, das bereits 2009 das alte Niveau im BIP wieder erreicht hat und das erneut deutliches Wachstum aufweist, also die Krise definitiv überwunden hat. Hören Sie? Lohnerhöhungen funktionieren!

Und Herr von Dohnanyi (Ja, man muss eigentlich das „von“ dazuschreiben, damit man weiß, das ist eine Familie, die bereits seit dem Mittelalter Menschen unterdrückt und ausbeutet.), sie schreiben „Sollen wir nun Parfüm produzieren, bloß weil unsere Ingenieure zu erfolgreich sind?“ und spielen damit auf Frankreich an, das angeblich nur Parfüm exportiert. Ist das Alterssenilität? Haben Sie schon einmal etwas von Peugeot/Citroën und Renault gehört? Peugeot war über viele Jahre Klassenbester in der ADAC-Pannen-Statistik und exportierte mehr Autos nach Deutschland als alle anderen. Kennen Sie vielleicht einen der größten Ölkonzerne der Welt, Total, mit Sitz in Frankreich, das Jahr für Jahr mit Exxon Mobil, Chevron-Texaco, BP und Shell um Platz 1 kämpft? Können Sie vielleicht eine deutsche Gruppe nennen, die da auch nur nahe kommt? Wo leben Sie, Herr von Dohnanyi?

Und wenn unsere Ingenieure so erfolgreich sind – und das fragt Sie ein deutscher Ingenieur -, warum bekommen sie dann keine Spitzenlöhne? Was ich zum Beispiel als Ingenieur in einem Monat bekommen habe, als ich noch in Deutschland arbeitete, das bekommt ein mittlerer Banken-Manager (dem anschließend der Steuerzahler beispringen muss,) an einem Tag!

"Ich bin in Ordnung, ich bin auf einen Steuerzahler gefallen"

Also wenn man damit argumentieren kann, ist der deutsche Ingenieur ein Ausdruck der „Stärke Deutschlands“, aber wenn’s ans Bezahlen geht, dann ist er ein Ausdruck der Unwichtigkeit der realen Welt im Vergleich zur Finanzwelt. Habens Sie’s noch alle, Herr von Dohnanyi?

Und schließlich kommt dann noch die Grundlüge von allen im Beitrag von Piper: „Weil die deutschen Löhne kaum gestiegen sind...“ Wo haben Sie denn das her, lieber Piper? In welcher Statistik steigen deutsche Löhne, wenn auch „kaum“? Nun, die Tatsachen sehen anders aus: Die deutschen Reallöhne sind seit dem Jahr 2000 bis zum Jahr 2008 um 0,8% gefallen - in 8 Jahren nur Negative. Im letzten Jahr sind die Löhne sogar so stark gefallen, dass selbst die Brutto-Löhne zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik ein Minus gegenüber dem Vorjahr auswiesen.

Seit der Einführung von Hartz IV im Januar 2005 ist der Einzelhandelsumsatz in Deutschland (preisbereinigt) Jahr für Jahr gefallen! Woher kommt das wohl, Herr Piper?

Gleichzeitig zeigt uns die Statistik: Ab dem Jahr 2005 beginnt ein unglaublich steiler Anstieg der Einkommen aus Unternehmen und Vermögen, der genau zeigt, wo all dies eingesparte Geld hinlief: Zu den Unternehmen und den Vermögenden. Und da, Herr Piper, setzt jetzt ihre Argumentation an. Dies Geld hätte nach ihrer Ansicht zu „privaten Investitionen“ verwendet werden müssen, wenn ihre Theorie richtig wäre. Nun, die Kurve der privaten Investitionen zeigt keinerlei wesentlichen Anstieg ab dem Jahr 2005, lediglich saisonale Schwankungen und bricht dann mit Beginn der Krise völlig ein.

Wozu also wurde all das viele Geld verwendet, das an den Löhnen gespart wurde und an die Unternehmen und Vermögenden lief? Nun, das wissen wir heute ganz genau. Diese Gelder, Hundert von Milliarden Euro, wurde im Spielkasino der Finanz-Derivate gesetzt! Dass da Einige schwer verloren und dann anschließend mit Steuergeldern gerettet werden mussten, zeigt, um was es geht.

Was bleibt also übrig von den „Argumenten“ der Neo-Liberalen? Sie wollen mehr von den Werten haben, die wir schaffen, wir sollen uns gefälligst mit weniger Lohn zufrieden geben, damit sie weiter im Finanzmarkt zocken können!

Wollen wir uns das wirklich weiter gefallen lassen??


Veröffentlicht am 24. März 2010 in der Berliner Umschau

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