So lieber keine Einkommensteuerreform, Teil 1

Die Vorschläge zur Reform sind lächerlich

Von Karl Weiss

Die Einkommens-Steuerreform ist aufgerufen. Die schwarz-gelbe Koalition hat sie im Regierungsprogramm stehen und Frau Merkel hat schon die ersten Einzelheiten verkündet. Heil von der SPD hat sich gerade dazu zu Wort gemeldet. Er will den Spitzensteuersatz erst ab 80.000 Euro Jahreseinkommen greifen lassen, das wäre eine deutliche Entlastung hoher und eine weniger deutliche mittlerer Einkommen.

Das Verwunderliche ist: Was nötig ist, wird nicht angepackt. Was angepackt wird, läuft nur auf höhere Steuern hinaus – speziell für die weniger betuchten Schichten der Bevölkerung, während die reichen Macker sogar Erleichterungen zu erwarten haben. Währenddessen bringen die Millionäre ihr Geld steuerfrei auf die Kaiman-Inseln (oder funktioniert Liechtenstein noch immer?).

Das deutsche Einkommenssteuersystem ist ungerecht, unsozial, maßlos kompliziert, absurd und wahrscheinlich das verbauteste von allen größeren Ländern (außer den USA natürlich, die immer in allem in Führung sind). Es ist bei weitem das komplizierteste System aller Länder: 70% der Literatur zu Einkommensteuern weltweit ist auf deutsch! Nur, wenn die heißgeliebten Politiker nun anfangen, über Änderungen zu reden, werden fast nur Verschlimmbesserungen diskutiert.

Was sind die tatsächlichen Haupt-Krankheiten des deutschen Einkommenssteuersystems?

1. Das himmelschreiendste am System ist die Tatsache, dass Arbeit weit höher besteuert wird als Einkommen aus Vermögen. Wer sein ganzes Leben lang schwer arbeitet, wird mit bis zu 42% seines Einkommens zur Kasse gebeten (gar nicht zu erwähnen die Sozialabgaben, die noch hinzukommen).

Wer aber die ganze Zeit im Lehnstuhl sitzt und dem Geklimper der Münzen lauscht, die ihm Minute um Minute zufallen durch Zinsen oder Mieten, muss maximal 25% abführen. Es gibt kein größeres anderes europäisches Land, das einen so niedrigen Satz für Einkommen aus Vermögen hat. Es wäre dringend nötig, den Satz für Einkommen aus Vermögen dem von Einkommen aus Arbeit anzugleichen – und selbst das wäre noch nicht gerecht. Eigentlich müsste Einkommen aus Vermögen höher besteuert werden. Nichts davon in den Planungen der Politiker

2. Der zweite metergroße Hammer im Steuersystem ist die Aufspaltung der Besteuerung nach Grund- und Splittingtabelle. Warum? Einfach weil jemand verheiratet ist. Die Splittingtabelle ist deutlich günstiger. Was ist am puren ‚verheiratet sein’ so wünschenswert, dass man weniger Steuern bezahlen muss – und das schon seit vielen Jahrzehnten? Da muss irgendjemand mit irgendwelchen Moralvorstellungen verquer gekommen sein, als er das erfand, so etwa nach dem Motto: Ihr sollt nicht unverheiratet zusammenleben, geben wir euch einen Anreiz zu heiraten. Sachlich gerechtfertigt ist da gar nichts. Natürlich – und das wäre sachlich gerechtfertigt, könnte man stattdessen so etwas wie eine Splittingtabelle für alle einführen, die Kinder haben. Auch das steht nicht in den Planungen der Politiker.

3. Außerdem werden die „Großen“ und die „Kleinen“ unterschiedlich behandelt, wenn es um steuerbegünstigte Abschreibungen geht. Während jeder Herr mit Geld investieren kann (für spätere schlechtere Zeiten) und dann die dort angefallenen Verluste von seiner Einkommensteuer abschreibt, sind die Aufwendungen von Otto Normalverbraucher für jene Fälle des Lebens, die auftreten können, nämlich die Sozialabgaben, nicht abschreibungsfähig bzw. nur eingeschränkt und in bestimmten Fällen.

Man zahlt eine Menge in die Rentenversicherung ein, in die Arbeitslosenversicherung, in die Pflegeversicherung und nicht zuletzt die Krankenkassenbeiträge, alles jene möglichen Fälle im Leben, wenn nicht alles gut verläuft bzw. wenn man älter wird. Das müsste selbstverständlich alles absetzbar sein, so wie auch jene Investitionen absetzbar sind, die jene wohlbestellten Herren tätigen, um sich gegen die ungünstigen Fälle des Lebens abzusichern. Siehe auch den zweiten Teil dieses Artikels über die Möglichkeiten der Höherverdienenden und Wohlhabenden. Es braucht nicht erwähnt zu werden, dass die Politiker irgend eine Anpassung für den kleinen Mann an diese Möglichkeiten nicht einmal im Traum planen.

4. Schließlich muss man die Herren Politiker auch fragen, ob sie nicht rot werden vor Scham, Menschen mit einem Jahreseinkommen von unter 20.000 Euro brutto auch noch Steuern abzuverlangen. 20 000 bedeutet: Das arme Schwein erhält 1.666 Euro monatlich brutto – bei Einkommen darunter noch weniger - nach allen Abzügen bleiben ihm, wenn er Glück hat, noch zwischen 1.000 und 1.200 im Monat. In einem Land mit einer mittleren Miete von 600 Euro bedeutet das, im Schnitt hat er 600 Euro pro Monat – und soll eine Familie davon ernähren!

Selbst darunter werden ihm noch Steuern abverlangt! Wundert sich da noch jemand, dass die Deutschen nicht gerade wild darauf sind, viele Kinder zu haben? Ja, selbst ein Bürger mit 24.000 Euro pro Jahr brutto, also 2.000 im Monat, ist ein armer Schlucker, der schwerlich eine Familie mit mehreren Kindern ernähren kann, wenn er in einer der teuren Großstädte leben muss. In Wirklichkeit müsste der Eingangssteuersatz auf 24 000 (brutto) angesetzt werden, um nicht schreiend ungerecht zu sein.

5. Außerdem muss bemängelt werden, wie leicht es für Hochverdienende ist, Steuern zu umgehen und ihre Einkünfte ins Ausland zu verlagern oder gleich dort anfallen zu lassen oder in Steuerparadiese zu verlagern. Das Akzeptieren international bekannter Steuerparadiese und deren Banken und deren Handlungsweisen ist einfach eines modernen, demokratischen Staates nicht würdig.

So ist zum Beispiel jedem im Finanzmarkt bekannt, dass Goldmann Sachs nicht nur spezielle Beziehungen zur US-Administration Obama unterhält, sondern auch in Milliardenhöhe in Steuerhinterziehungen und Geldwäsche über Steuerparadiese wie die Bahamas oder die Kaiman-Inseln verwickelt ist. Trotzdem erkennt Deutschland weiterhin Dokumente von Goldmann Sachs an und hat diese Bank nicht auf den Index gesetzt.

Nun, es gäbe noch weitere Details anzuprangern, aber bleiben wir beim Wesentlichen.

Alle Veränderungen, die von den heißgeliebten bundesdeutschen Politikern angepeilt werden, betreffen überhaupt nicht diese Knackpunkte, sondern Maßnahmen, die keineswegs zu Erleichterungen für kleine Einkommensbezieher führen oder unbedeutend sind. Damit muss der ganze Sinn der „Einkommensteuerreform“ in Frage gestellt und gefragt werden, ob es dann nicht besser wäre, gar keine Scheinreform zu haben.


Veröffentlicht am 23. August 2010 in der Berliner Umschau

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