Rio: Prostitution mit Staatsunterstützung
Reportage von Karl Weiss
Vila Mimosa in Rio, das ist so etwas wie ein Elends-Bordell. Man stellt sich das ziemlich eklig vor und es ist wirklich schlimm, aber es ist andererseits innerhalb all des Fürchterlichen, das Prostitution darstellt, eine weltweit in einiger Hinsicht vorbildlich geführte Institution.
Wie ist das möglich? Ist Prostitution nicht der Inbegriff der Unterdrückung der Frau, unvereinbar mit der Menschenwürde und grundsätzlich als Angriff auf alles, was den Menschen teuer sein sollte, zu verurteilen? Ja, das ist sie! Das sollte man auch nie aus den Augen verlieren.
Eines der ersten Dinge, die abgeschafft wurden in der Sowjetunion nach der Errichtung des Sozialismus 1917 war die Prostitution, ebenso wie in China nach 1948. Umgekehrt war die Prostitution eines der ersten Dinge, die wieder eingeführt wurden nach der Wiedererrichtung des Kapitalismus in der Sowjetunion und anderen Ostblockländern 1956, ebenso wie nach dem gleichen Vorgang in China 1976.
Zusammen mit einer Bekannten (zur Absicherung) führte der Schreiber dieser Zeilen vier Interviews mit Prostituierten in der „Straße der Nutten" für den kleinen Mann in Rio de Janeiro.
Bei den Interviews, die mit drei ‚aktiven’ Prostituierten der Vila Mimosa geführt wurden, antworteten diese denn auch eindeutig auf die Frage mit Nein, ob es in einer eventuellen zukünftigen idealen Gesellschaft, in der alles richtig eingerichtet wäre und jeder sein Auskommen hätte, noch einen Platz für die Prostitution gäbe (jedenfalls dann, wenn klargestellt wurde, daß man mit dieser Frage nicht die moralische Verurteilung der Prostitution durch die Hintertür einführen will). Im Kern ist das Bewußtsein der Unvereinbarkeit der Prostituition mit der Menschenwürde jedem in der Menschheit bewußt, auch den Freiern und Prostituierten.
Nun haben wir aber noch den Kapitalismus, in dem die Prostitution täglich erneut fröhliche Urständ feiert. Der Frauenhandel und die Zwangsprostitution sind eines der einträglichsten Geschäfte, auf das sich immer mehr der ständig mächtiger werdenden kriminellen Groß-Organisationen werfen. War die Prostitution, z.B. in Deutschland schon bis zu einem gewissen Punkt aus den Klauen von Kriminellen befreit, so ist heute bereits die umgekehrte Bewegung zu beobachten.
Aus Anlaß der Fußball-WM wurden Hunderte Zwangsprostituierte nach Deutschland geschafft und der DFB und die FIFA hielten es nicht einmal für nötig, auf diesbezügliche Fragen überhaupt zu antworten.
Einen wesentlichen Teil der Kriminalisierung der Prostitution haben die Stadtväter auf dem Gewissen, die sogenannte Schutzzonen schafften und so die Prostitution nach dem Motto: „Aus den Augen, aus dem Sinn" an die Peripherie der Städte verbannten, wo sich in der Regel Straßenstriche bilden.
Ebenso ist es fatal, wenn die Prostituierten unter halblegalen Bedingungen arbeiten müssen, ständig von der Polizei geschnappt werden können.
Selma (Namen geändert), eine ältere Prostituierte in der Vila Mimosa in Rio, ist Vorsitzende des örtlichen Komittees, das sich um die Prostituierten kümmert und sie ausbildet. Sie erklärte uns, was das Problem der Straßenstriche ist:
„Dort [in den Strassenstrichen] kommen wir mit dem Schutz der Frauen vor Zwangsprostitution, mit dem Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung, mit Ausbildung bezüglich der Verwendung von Präservativen und bezüglich von Geschlechtskrankheiten, ebenso wie mit einer Selbstorganisation zur Verhinderung der Ausbeutung durch Zuhälter nur schwer voran. Dort tauchen laufend neue Frauen auf, oft von gewaltbereiten Zuhältern „beschützt", die jegliche Annäherung und jedes Gespräch mit den Frauen unterbinden. Taucht Polizei auf, sind sie blitzschnell verschwunden.
- Hier in der Vila Mimosa, auch wenn wir noch mit unhygienischen Zuständen kämpfen müssen, beginnt keine Frau, ohne zuerst bei uns einen Schnellkurs gemacht zu haben.
Lektion 1: Das Präservativ ist dein Lebensretter: „Ohne Präservativ - nur tot".
Lektion 2: Präservativ überziehen lernen, auch mit dem Mund.
Lektion 3: Wir brauchen keine Männer als Beschützer, wir beschützen uns gegenseitig.
Lektion 4: Wir sind die Starken, die Männer sind schwach - seh sie dir nur an!Lektion 5: Wir helfen alle dafür zu sorgen, daß keine Minderjährigen benutzt werden.
Lektion 6: Wir helfen alle dafür zu sorgen, daß niemand zur Prostitution gezwungen wird.
Lektion 7: Die Geschlechtskrankheiten, ihre Anzeichen, ihre Folgen und ihre Bekämpfung.
Lektion 8: Das Schmiermittel und sein Gebrauch.
Lektion 9: Wie verhält man sich in gefährlichen Situationen.
Erst danach kann die Frau hier anfangen. Sie wird einer der Bars zugeteilt, wo sie mit dem Besitzer der Bar ausmacht, wann sie arbeitet usw.
Hier haben wir einen Einheitspreis, 25 Reais (weniger als 10 Euro). Das ist dem knappen Geldbeutel der Männer angemessen, die hierher kommen und macht uns andererseits zu einem attraktiven Anziehungspunkt. Von den 25 Reais bleiben 3 Reais beim Besitzer der Bar, die anderen 22 bekommt die Frau.
Die meisten Frauen, die hier anfangen, bleiben weniger als zwei Wochen. Es gibt Hunderte von Gründen, warum sie wieder aufhören, aber der wichtigste ist, daß sie sich erniedrigt fühlen.
Andere Frauen bleiben für ein paar Monate. Nur wenige, vielleicht 15%, bleiben auf Dauer hier. Die Gründe, warum Frauen bleiben: Solche, die gut verdienen, bleiben oft lange. Wir hatten hier eine, die hat 54 Freier in einer Nacht geschafft. 54 mal 22 sind fast 1200 Reais (etwas weniger als 500 Euro) - in einer Nacht!
Andere bleiben, weil sie Spaß an der Sache haben. Den meisten Frauen macht das hier keinen Spaß, auch wenn manche den Männern etwas vormachen - aber an die 5 % der Frauen haben einfach Spaß an der Sache - und finden es toll, damit auch noch Geld verdienen zu können. Von denen, die bleiben, machen diese aber dann einen weit grösseren Anteil aus. Glatt die Hälfte der Frauen, die hier auf Dauer bleiben und an die 20% der jeweils aktuellen Besetzung kommen mit einem Freier oft zum Orgasmus."
Der Besuch des Reporters und seiner Begleiterin ist abgesprochen und angemeldet. Es soll eine komplette Reportage werden. Als der Reporter ankommt, ruft Selma ein Empfangskommitte und es gibt ein grosses Hallo. Etwa zwanzig der Damen umringen die Besucher, beginnen zu tanzen und machen einen Strip-Tease. Alle haben, wie in Brasilien üblich, die Schamhaare rasiert. Als alle nackt sind, nähert sich eine grosse vollbusige Schwarze langsam tanzend an den Reporter an. Sie hat deutlich sichtbar und hervorstehend zwischen den Schamlippen ein "Ding", etwa so dick wie diese.
Sie fühlt und verkündet, ja, der Reporter habe einen Steifen bekommen - und nun habe sie auch einen. Aufschrei und allgemeines Klatschen. Die Frauen scherzen und lachen. Selma sagt, man solle das nicht übel nehmen. Die Frauen hätten nicht viel zu lachen, da müsse man ihnen schon einmal einen Scherz erlauben.
Später fragt der Reporter Selma, ob es sich bei der grossen Schwarzen um einen Hermaphroditen handelt. Nein, die Frau habe nur ein "Ding" (Klitoris) grösser als die anderen. Sie arbeite normal nicht in der Villa Mimosa, sondern in einem Nachtklub. Dort sei ihre körperliche Besonderheit sehr gefragt. Sie könne dort für eine "Nummer" weit mehr verlangen als hier in der Vila, von Ausländern 250 Dollar.
Unsere erste Frau zum Interview wird uns als Carmen (Namen geändert) vorgestellt. Eine Schwarze mit voluminösen und festen Brüsten. Sie ist eine von denen, die viel verdienen. „Die Männer sehen viel auf die Brüste. Ich brauche nur eine von meinen Brustwarzen sehen zu lassen und sie kommen zu mir." - Und läßt uns einen Blick auf ihre Brustwarze werfen - ein dunkler, konisch weit vorspringender Warzenhof mit einer schwarzen, gigantischen Brustwarze, glatt doppelt so dick und hervorstehend wie üblich - das dürfte die Männer anregen.
„Nein, 54 habe ich noch nicht geschafft, aber 32 ist auch schon ganz gut, nicht?"
„Wir raten generell davon ab," wirft Selma ein (die bei allen Interviews dabei ist), „mehr zu zeigen als ein normaler Bikini noch versteckt - aber manche Frauen halten sich nicht daran."
Beim anschliessenden Rundgang sehen wir mehr von dem, was sie damit meint. Eine der Frauen hat nur ein Röckchen und keinen Schlüpfer an und setzt sich auf die Bar, so daß die Männer das „Himmelreich" sehen können - gut rasiert. Zwischen den Lippen erscheinen lange innere Schamlippen. Innerhalb kürzester Zeit hat sie einen Freier gefunden.
Eine andere, eine falsche Blonde, läuft ganz ohne Oberteil herum. Ihre großen Brüste sind Anziehungspunkt für eine Traube von Männern.
Eine dritte, vom Typ ‚Mignon’ tanzt und hebt von Zeit zu Zeit ihren Rock. Auch darunter ist nichts - oder besser gesagt alles. Die Männer stehen Schlange, einen Blick zu erhaschen.
Eine andere, ziemlich Füllige, tanzt mit einem Freier. Sie reibt ihren Hintern an seinem Bauch, wo man eine Erhebung in der Hose ausmachen kann. Der Mann drückt sie dann an sich, reibt an ihr und stöhnt. Man hat den Eindruck, er braucht gar nicht mehr mit ihr "nach oben" zu gehen. Aussen herum stehen eine Anzahl Männer und beobachten die Szene, einige von ihnen mit der Hand in der Hosentasche.
Überhaupt sieht man relativ viele Männer hier, die mit "Handarbeit" beschäftigt sind, während sie die Prostituierten beobachten. Um einige "Attraktionen" bilden sich so Trauben von masturbierenden Männern. Manche greifen einfach in die Hosentasche, andere von oben in die Hose. Man sieht auch solche, die "Ihn" ganz herausholen und an der frischen Luft reiben. Einen konnte man auch beobachten, der genau dies beobachtete und sich damit und dabei befriedigte.
Vor der Tür einer der Bars bildet sich eine dicke Traube von Männern. Der Reporter wird vorgelassen. Auf einem Tisch in der Bar sitzt ein Mann und auf seinem Ding und seinem Schoss eine der Prostituierten. Sie machen Sex. Offensichtlich kann man hier auch Sonderwünsche äussern, wenn man zum beispiel Exhibitionist ist. Viele der Männer, die zusehen, masturbieren.
Selma sagt, einige der Männer, die hierher kommen, können nicht einmal die 25 Reais aufbringen. Sie müssen Anblicke erhaschen und sich masturbieren, um "Druck abzulassen".
Man läßt uns ganz hinten in einer der Bars die steile Wendeltreppe hinaufsteigen. Dort über der Bar sind die Verschläge, in denen die Damen ihrem Beruf nachgehen. Einfache Liegen mit Schaumstoffmatratzen mit gummiertem Überzug. Ein schmuddeliges Bettuch. Selma erklärt uns, daß die Barbesitzer eigentlich dafür sorgen sollten, daß jeweils ein neues Bettuch überzogen wird. Das funktioniere aber nicht immer.
„Die Barbesitzer sind zu geizig, für so viel Wäsche zu bezahlen."
Auf unsere Frage, ob sie etwas über die Weitergabe von Ungeziefer sagen könne, sagt Selma, davon wisse sie nichts. Wir hatten gehört, hier könne man sich leicht Läuse und Sackläuse holen. Kein Kommentar. Dies nur für jene, die eventuell auf den Gedanken kommen, es hier einmal zu versuchen.
Selma sagt, wir seien eine Attraktion - ein deutscher Journalist berichtet über die Vila Mimosa.
Bei unserem Rundgang stehen die Frauen in Gruppen und verwickeln uns in Gespräche. Eine zieht sich vor uns aus. Beeindruckend, eine echte Traumfigur, hochstehende Brüste, der berühmte Birnenhintern. Sie bietet ihre Dienste kostenlos für den Journalisten an, damit er Reklame macht. Nein danke. Wie gut, dass wir daran gedacht haben, eine "Aufpasserin" mitzunehmen. Sonst könnte man glatt in Versuchung kommen.
Selma sagt, das ist üblich, wenn hier Journalisten auftauchen. Fast immer nehmen die solche Angebote an, speziell, wenn sie von einer der attraktivsten Frauen gemacht werden, so wie in diesem Fall. Die Frauen meinen, so kommen keine Negativberichte in die Zeitungen.
Auch das Fernsehen war schon da. Da mussten Überstunden gemacht werden. Insgesamt 12 Männer waren zufriedenzustellen. Einer von ihnen nahm alles "für den persönlichen Gebrauch" auf. Das koste allerdings. Gelegentlich kommen Männer, die Photos und Videos machen wollen. Das ergibt einen Zuatzverdienst, aber viele Frauen wollen trotzdem nicht.
Eine andere Bar. Wiederum steigen wir die Wendeltreppe hoch. Hier mehr Hygiene. Plötzlich sehen wir hinter einem Vorhang, der nicht ganz schliesst, einen Mann. Er äugt durch ein Guckloch in einen der Verschläge und masturbiert sich. Offenbar vermietet der Bareigner auch Logenplätze für Spanner. Selma sagt, das sei nicht vorgesehen, aber sie könne nichts dagegen machen.
In diesem Moment 'kommt' der "Pieping Tom". Er hat bereits ein Tuch, um alles abzuwischen. Dann türmt er eiligst. Eine der Frauen ruft ihm etwas nach wie "Nun weiss ich auch, warum du so einen Kleinen hast!"
Wir wollen herausfinden, ob die Beobachteten von dem kleinen Zusatzverdienst wissen, den der Barbesitzer sich da auf ihre Kosten verschafft und warten, bis sich die Tür des Verschlags öffnet. Es kommen zwei Frauen heraus, noch ohne Kleidung. Sie unterhalten sich zwanglos mit uns. Ihre ausweichenden Antworten lassen ahnen, sie machen dieses kleine Zusatzgeschäft zusammen mit dem Bareigner.
Selma sagt, manche Männer kämen hierher, um ihren Traum von zwei Frauen gleichzeitig zu erfüllen. Dann kommt auch der Mann aus dem Verschlag, er allerdings angezogen. Er weiss offenbar nichts von der Beobachtung und verschwindet nach unten. Die beiden Frauen machen keine Anstalten sich anzuziehen. Auch sie offerieren ihre (Doppel)dienste dem Journalisten und preisen ihre Fähigkeiten.
Eine von ihnen greift wieder zu, wie vorher schon die grosse Schwarze. Sie verkündet wieder genauso die Erektion an alle anderen, ausserdem auch, hier sei reichlich "Masse" gegeben. Andere Frauen kommen und prüfen dies ebenfalls. Man kommt sich etwas begrabscht vor. Allgemeine Anerkennung.
Die Frauen offerieren jetzt die Dienste von insgesamt 5 von ihnen. Sie sagen, der Reporter könnte es mit allen Fünf machen, ohne zu 'kommen' . Erst dann würden sie ihn in einer gemeinsamen Anstrengung zum Höhepunkt bringen. Sie wüssten, wie dass funktioniert. Sie sagen, es wäre unhöflich abzulehnen. Die Angebote seien ehrlich gemeint und seien eine Ehre und eine grosse Ausnahme. Sie akzeptierten kein "Nein", da schon bewiesen sei, der Reporter ist angeregt.
Selma bestätigt, normal gibt es hier niemand, der etwas ohne Bezahlung erhält und die Frauen könnten sich von einer Ablehnung missachtet fühlen. Da muss der Reporter versprechen, an einem anderen Tag wiederzukommen, heute ginge es nicht, denn die Reportage sei zu machen.
Die zweite Interviewte, Cláudia (Name geändert), ist eine der „Alteingesessenen". Sie ist schon fünf Jahre hier. Sie ist klein, hellhäutig, wenig Brust und Hintern. Sie sagt, sie macht es, weil es ihr Spaß macht. Sie ist froh, wenn sie auf fünf Freier in einer Nacht kommt. Sie hat Stammkunden. „Manche Männer fühlen sich nur wohl dabei, wenn sie merken, daß auch die Frau etwas davon hat."sagt sie.
Auch sie bietet eine „Nummer" umsonst an: „Danke, nein." „Deine Freundin kann auch mitmachen, wenn sie will." „Nein, sie ist nicht meine Freundin." Wir sollen Reklame machen in Deutschland für die Vila Mimosa. Nein, wir werden keine Reklame machen.
Sie sagt, sie ist nur drei Tage in der Woche hier. Sie hat zwei Kinder, die ernährt werden wollen. Auf die Frage nach dem Stadtteil, in dem sie wohnt, kommt der Name einer Favela.
Selma hat die Zahlen des brasilianischen Anti-Aids-Programms parat: „Brasilien gibt mehr als 400 Millionen US-Dollar jährlich für sein AIDS-Verhütungs-Programm aus. Es wird von Experten als das erfolgreichste der Entwicklungsländer angesehen. Pro Monat werden etwa 1 Million Kondome verteilt."
Vor dem Karneval sind in ganz Brasilien wieder Plakate aufgehängt, die an die Verwendung von Präservativen erinnerten, die hier liebevoll Camisinha, „Hemdchen", genannt werden.
Selma hat zusammen mit einer anderen älteren Prostituierten ihr ‚Büro’ in einer der Bars gleich am Eingang. Die Frauen fassen hier ihren Bedarf an Kondomen ab. Als wir sie interviewen, wird sie plötzlich gerufen. Zusammen mit der anderen Frau macht sie sich auf den Weg in eine der Bars. Zwei, drei Männer tauchen auf und kommen mit. In der Bar wird ein Betrunkener bereits von zwei Leuten festgehalten. Er hat eine der Frauen geschlagen, weil sie nicht mit ihm nach oben gehen wollte. Der Betrunkene wird von den Männern unsanft aus der Vila Mimosa entfernt.
Die Frau sagt: „Wir haben das Recht, nein zu sagen. Niemand kann uns zwingen."
Selma erklärt, daß die Selbsthilfegruppe Unterstützung vom Staat bekommt. Es sind insgesamt 8 ältere Prostituierte, die für die Vila Mimosa zuständig sind und dort in Schichten fast rund um die Uhr Dienst tun. Ihr Lebensunterhalt wird nicht mehr durch Prostitution, sondern vom Staat gesichert. Sie bestehen aber darauf, sie sind weiter Prostituierte.
Die Vila Mimosa funktioniert an allen Wochentagen, im Prinzip ab 10 Uhr morgens. Dann ist allerdings nicht viel los Die meisten Frauen kommen erst abends.
Am Freitagabend ist Hochbetrieb. Da schieben sich die Männer dichtgedrängt durch die kleinen Gassen zwischen den Bars. An solchen Tagen tun hier bis zu 300 Frauen „Dienst".
Die dritte Interviewte, Renata (Name geändert), ist eine Überraschung. Sie sieht aus wie höchstens 15. Selma sagt, sie habe sie extra für uns ausgesucht, damit wir auf das Thema des Mißbrauchs von Minderjährigen eingehen. Renata ist aber 21 und hat bereits einen kleinen Sohn.
Sie sagt: „Daß ich jung aussehe, verschafft mir eine Menge ‚Freier’. Ich tanze auf der kleinen Bühne, die wir in der Bar haben, mit einem kurzen Röckchen und ohne Höschen. Die Männer müssen sich ein wenig niederbeugen, um zu sehen, was sie sehen wollen. Es ist sehr lustig, sie zu sehen, wie sie sich winden, um etwas zu sehen. Viele greifen sich dann an den Pimmel, weil er hart geworden ist. - Aber anfassen ist nicht. Erst, nachdem 25 Reais bezahlt wurden. Nein, küssen auf den Mund lasse ich mich nicht, das ist nur für meinen Freund. Ja, ich habe einen Freund. Er ist aber auch arbeitslos und ich muß deshalb hier solange arbeiten, bis ich oder er Arbeit finden. Ja, er weiß, daß ich hier arbeite. Er meint, das sei in Ordnung."
Selma erklärt: „Ein wesentlicher Teil der Ausländer, speziell auch der Deutschen, die als Touristen nach Brasilien kommen, ist auf Sex aus. Davon ist wiederum ein Teil auf der Suche nach Minderjährigen. Leider gibt es in verschiedenen Teilen von Brasilien noch Plätze, wo diese Wünsche befriedigt werden."
Sie nennt uns einige solcher Orte, bittet uns aber, das nicht zu verwenden, um nicht noch mehr Kinderschänder anzulocken.Sie sagt, von den fünf Touristen, die bereits ertappt und an ihre Heimatländer ausgeliefert wurden, waren vier Deutsche. Einer von ihnen wurde mit insgesamt vier Mädchen und einem Jungen in dem vom ihm gemieteten Haus vorgefunden. Alle Kinder unter 10 Jahre alt.
Der grosse Anteil Deutscher hinge aber auch damit zusammen, daß Deutschland eines der wenigen Länder ist, das auch Mißbrauch von Minderjährigen im Ausland verfolgt. Mit anderen Worten: Es werden auch Kriminelle aus anderen Ländern erwischt, die aber aus Mangel an Strafbarkeit in ihren Ländern laufen gelassen werden, d.h. ins Flugzeug zurück nach Hause gesetzt werden.
Selma: „Um die schlimmsten Auswüchse bei der Prostitution zu verhindern, muß man einen festen Ort und eine Betreuung der Frauen organisieren. Man muß Straßenstrichs vermeiden, muß Regeln schaffen, Kondome verteilen, Ausbildung betreiben.
Es geht darum, folgendes zu vermeiden:
- Zwangsprostitution
- Verbreitung von AIDS und anderen Geschlechtskrankheiten
- Ausbeutung von Kindern zu sexuellen Zwecken
- Ausbeutung der Frauen durch Zuhälter
- Halblegalität, die es der Polizei ermöglicht, die Frauen auszubeuten, zu erpressen und zu schikanieren."
Der Name Vila Mimosa bezieht sich auf den Unterstadtteil, ein Teil von São Cristovão. Es sind die Mimosen, die ihm den Namen gegeben haben, jene Büsche, die immer gleich die Blätter schließen, wenn sie berührt werden. Na, Mimosen dürfen die Damen hier nicht gerade sein.
Dieser Artikel erschien zuerst in der "Berliner Umschau" am 15. März 2006, hier mit zusätzlichen Erfahrungen und Bildern versehen und geringfügig redigiert.