Wohin führt die Profit-Politik der Deutschen Bahn?
Von Karl Weiss
Von Frankreich kann man lernen, wie Eisenbahn–Politik aussieht, wenn nicht Ausgeflippte an die Spitze des Unternehmens gestellt werden, die ein Bahn-Unternehmen als Goldesel für Aktionäre ansehen und nicht als Service-Unternehmen für die Bevölkerung. Am letzten Freitag rollte zum ersten Mal ein TGV (Train Grande Vitesse) in den Münchener Hauptbahnhof ein, nach 6 Stunden und vierzehn Minuten Fahrt aus Paris – ein Schlag ins Gesicht deutscher Bahnpolitiker.
Das vollständige Desaster der deutschen Bahn-Politik wird kaum deutlicher gezeigt als durch einen Vergleich mit Frankreich. Das einzige Ziel der DB ist möglichst hohe Profite für (künftige) Aktionäre zu erzielen. Dies ist die Politik der Regierung Kohl gewesen, die der Regierung Schröder und ist nun die Politik der Regierung Merkel.
Dass Politiker nicht dazulernen können, ist schon bekannt, aber eine so absolute Ignoranz wie in der Bahn-Politik ist tatsächlich ein seltenes Highlight.
Eisenbahnen haben eigene Gesetze. Man kann sie nicht mit Auto-Konzernen, Ölkonzernen oder Energie-Konzernen vergleichen. Bahnen können nie satte Profite einstreichen, außer in einigen extremen Ausnahmesituationen.
Direkt–Verbindungen großer Städte zum Beispiel mit einem riesigen Aufkommen von Geschäftsreisenden können rentabel sein. Ein Beispiel ist die im Moment in Planung befindliche Strecke zwischen São Paulo, einer 20 Millionen-Stadt, und Rio de Janeiro, einer 10-Millionen Stadt, in Brasilien. Beide Städte sind etwa 450 Kilometer voneinander entfernt. Das ist ein idealer Bahn-Fall.
Im Moment wird ein TGV-Verbindung beider Städte geplant, die von privaten Investoren betreiben werden soll. Das hat gute Chancen.
Im Moment startet alle halbe Stunde ein Flugzeug vom und zum Congonhas-Flughafen in São Paulo (das ist der mitten in der Stadt - der längst geschlossen hätte werden müssen -, wo gerade ein Flugzeug über die Startbahn hinausgeschossen ist mitten in die Grosstadt - mit 200 Toten -) zum und vom Flughafen Santos Dumont in Rio de Janeiro (der wurde so intelligent gebaut, dass die startenden Flugzeuge genau auf den Zuckerhut zufliegen und entweder schnell an Höhe gewinnen müssen, um ihm auszuweichen oder gleich nach dem Start eine heftige Kurve hinlegen müssen).
Eine solche Art von Shuttle-Verbindung zwischen zwei Mega-Metropolen (hier Luft-Brücke gennnt) kann tatsächlich in idealer Weise durch Hochgeschwindigkeitszüge ersetzt werden, wenn die Entfernung nicht zu gross ist (ab deutlich über Tausend Kilometer verliert das an Sinn). Man verliert ja beim Fliegen eine Menge Zeit mit Warten und in dieser Hinsicht können Zugverbindungen effektiver sein. Vom Ausgangspunkt an irgendeinem Ort in São Paulo zum Zielpunkt an einem in Rio wird man in Zukunft mit einer Schnell-Zug-Verbindung ungefähr gleich schnell unterwegs sein wie vorher mit den umständlichen Flugzeugen, die lange brauchen, bis sie einmal in der Luft sind. Angesichts der schweren Flugzeugunglücke und der andauernden Verspätungen und Flugausfälle in Brasilien werden die Geschäftsleute eine erdgebundene Verbindung vorziehen.
Die sind aber extrem Ausnahmefälle. In Deutschland zum Beispiel wird wahrscheinlich nur das „Grosse C“ (Hamburg-Bremen-Hannover-Ruhrgebiet-Köln-Frankfurt-Mannheim-Stuttgart-Ulm-München) rentabel zu bedienen sein, eventuell noch die Verbindungen Hamburg-Berlin und Berlin-Leipzig-Nürnberg-München. Dies werden die einzigen Bahnlinien sein, die es noch geben wird, wenn man Mehdorn seine Geisterfahrt mit einem Profit-Unternehmen weiterführen lässt, alle anderen werden logischerweise stillgelegt werden müssen, denn sie können nicht profitabel bedient werden.
Verbindungen zwischen kleinen und mittleren Städten, ebenso wie Zubringer-Bahnen aus dem Grossbereich von Grosstädten in diese hinein (und heraus) können in keinem Teil der Welt mit Zügen profitabel bedient werden. Der Aufwand an Infrasruktur ist viel zu hoch für die Zahl der zahlenden Passagiere – und/oder für deren Geldbeutel.
Das hängt u.a. damit zusammen, dass die Autos und Lastwagen niemals die Kosten der Strassen seit ihrem Anbeginn aufzubringen hatten, während das Schienennetz immer den Eisenbahngesellschaften aufs Auge gedrückt wird.
Lässt man Mehdorn weiterhin auf seinem Kurs, wird der nicht nur fast alle Stecken stillzulegen haben (und dementsprechend das Bahnpersonal auf ein paar Hundert zu reduzieren haben), sondern auch die ganzen Spitzen-Lagen der Bahnhöfe und innerstädtischen Strecken mit Shopping-Centers und ähnlichem vollzustellen haben, denn so kann man ja mit diesen Immobilien viel mehr Geld verdienen als mit Zügen.
Dazu kommt, dass Bahnen nicht die geeigneten Objekte sind, um Nationalismus zu betreiben. Der deutsche ICE war weder in seiner ersten Generation noch in der zweiten mit dem französischen TGV konkurrenzfähig. In solchen Fällen muss man das bessere Konzept zukaufen statt in blinder Sturheit bei den langsameren Zügen zu bleiben. Der TGV ist bereits auf grossen Teilen seines Netzes mit 320 km/h unterwegs, während der ICE fast überall mit nur 150 dahinschleicht. Nur auf den ganz wenigen neuen Ausbaustrecken (Stuttgart-Mannheim, Köln-Frankfurt u.a.) kann er seine Geschwindigkeit ausspielen – doch die kommt nur auf 275, nicht auf 320.
So ist es denn auch nur logisch, dass der TGV nicht nur bis London fährt und bis Zürich, sondern nun auch nach Stuttgart und nach München. Die Bankerotterklärung der deutschen Bahnpolitik. Dass zum Ausgleich ein ICE zwischen Frankfurt und Paris unterwegs ist, dient nur dazu, dass man in Frankreich wirklich sieht, die deutsche Technik ist langsamer.
In Brasilien ist auch die japanische Version eines Schnell-Zuges im Gespräch, aber niemand hat auch nur einen Gedanken verschwendet, eventuell den langsamen ICE dort einzusetzen.
Die Zeiten, als Deutschland alle Welt mit technischen Spitzenleistungen in Erstaunen versetzte, gehen offenbar zu Ende. Den „Pendolino“ hat die Daimler-Tochter nicht fertig gebracht, da musste in Italien zugekauft werden.
Kein Wunder, denn bei Daimlers hatte man bis zu diesem Zeitpunkt bereits fast alle über 50 entsorgt und sich so jeglicher Erfahrung beraubt.
Auch andere deutsche Konzerne beginnen mit kriminellen Aktionen aufzufallen, siehe Siemens und VW, anstatt technische Spitzenleistungen zu bringen. Wie konnte man auch glauben, fast ohne einen einzigen über 50 noch technisch wirklich gut sein zu können?
Das grösste Handikap des deutschen Schienennetzes ist die Strecke zwischen Ulm und Stuttgart über die schwäbische Alb. Dort muss selbst der TGV mit 60 unterwegs sein, denn die seit Jahrzehnten fällige Schnellstrecke ist noch nicht einmal in Planung. Aber die Gegend ist ja auch so schön, da ist es angebracht, während der Fahrt auszusteigen und Blümchen zu pflücken.
Wäre auf deutscher Seite das Schienennetz so ausgebaut wie auf französischer, so könnte die Fahrt von Paris nach München in vier Stunden und 40 Minuten absolviert werden.
Aber wozu Eisenbahnen? Lassen wir doch lieber den Flugverkehr zusammenbrechen – ganz zu schweigen von den Staus auf den Strassen.
Veröffentlicht am 22. Dezember 2007 in der Berliner Umschau
Originalartikel