Hillary - Obama: Wisconsin war der Wendepunkt
Von Karl Weiss
Barack Obama müsste der nächste Präsident der Vereinigten Staaten werden, wenn alles mit rechten Dingen zugeht. Bis vor kurzem konnte sich das Hauptquartier der Clintons sicher sein: Obama kann zwar spektakuläre einzelne Siege in den Vorwahlen erringen, aber die Nominierung wird am Ende sicher bei Hillary liegen. Das ist nun blankem Entsetzen gewichen. Hillary Clinton „vergaß“ sogar, ihrem Konkurrenten zum Sieg in Wisconsin zu gratulieren, was unabdingbar zum Ritual der US-Vorwahlen gehört.
Wisconsin ist ein arbeitsamer US-Bundesstaat an den Ufern des Michigan-Sees, der bereits etwa 50 km nördlich der Stadtgrenze von Chicago beginnt und sich bis in den hohen Norden nahe der Grenze zu Kanada hinaufzieht. Wisconsin ist die Hochburg der deutschen Einwanderung in den USA. Aus Milwaukee, seiner Hauptstadt, kommen einige berühmte Biere mit den Namen Schlitz, Pabst und Blatz. Der Standort war bevorzugt, denn im Winter lieferte der riesige Michigan-See beliebige Mengen Eis - und zum Bierbrauen braucht man Kälte. Damals gab es noch keine billigen Kühlaggregate.
Kalt war es auch am Wahltag der Vorwahlen in Wisconsin, so wird berichtet: 15 Grad C unter Null. Die Bevölkerung Wisconsins ist allerdings nicht so hoch, dass dieser Staat sehr viele Delegierte bei den Vorwahlen der demokratischen Partei dem Sieger zukommen lassen könnte. Trotzdem ist der Erdrutsch-Sieg Obamas in diesem Staat am 20. Februar 2008 (nach europäischer Zeit) der entscheidende Wendepunkt in der Vorwahl-Kampagne der demokratischen Partei.
Bis hierhin war Hillary überall als bei weitem Führende in allen Umfragen aufgetreten und konnte ihr leicht hochmütiges Lächeln aufsetzen, wenn sie von der Unerfahrenheit ihres Kontrahenten sprach. Auch ihr Ehemann, der frühere US-Präsident Bill „Don’t-bite-Monica“ Clinton, erklärte genüsslich nach Baracks Sieg in South Carolina, dort hätte auch Jesse Jackson einmal gewonnen, so den schwarzen Kandidaten als reinen Schwarzen-Kandidaten identifizierend. Selbst die Tochter des Ehepaares, Chelsea, wurde in den Wahlkampf eingespannt, was bei Manchen nicht so gut ankam.
Noch im Januar hatte Hillary mit mehr als 10 Prozentpunkten Vorsprung in landesweiten Umfragen vor ihrem Herausforderer geführt und entsprechend beruhigt war man im Hauptquartier. Man lehnte sich entspannt zurück und lanzierte einmal täglich eine Geschichte über Obama in die Presse, was der einmal gesagt haben soll usw. Diese Schmutzkampagne überzeugte ebenfalls nicht besonders.
Am Super-Tuesday Anfang Februar, als in 22 Bundesstaaten Vorwahlen stattfanden, konnte Obama zwar wirklich überraschen und gewann mehr Staaten als Hillary, aber in den entscheidenden, den grossen Bundesstaaten (mit Ausnahme seines Heimatstaates Illinois) gewann die strahlende Führerin in den Umfragen: New York, Californien, New Jersey und Massachussets.
Die Niederlage in Massachussets war sogar ein heftiger Rückschlag für Obama, denn der dortige Senator Ted Kennedy hatte sich kurz zuvor auf seine Seite geschlagen und dazu aufgefordert, ihn zu wählen. Trotzdem gewann Hillary diesen Bundesstaat mit hohem Vorsprung.
Es wurde deutlich, auf was die Clinton-Kampagne ihre Zuversicht begründen konnte: Hillary lag vor Osama bei den Frauen, bei den Hispanos, bei den Personen mit geringer Bildung und – wenn auch nur geringfügig - bei weissen Männern im allgemeinen. Obama führte lediglich bei den Schwarzen, den jungen Leuten (die erfahrungsgemäss kaum zur Wahl gehen) und bei Menschen mit höherer Bildung. Das Rennen schien gelaufen.
Doch dann, ab dem Tag des Super-Tuesday am 5. Februar, begann Obama in etwa einen Prozent-Punkt pro Tag gegenüber seiner Rivalin aufzuholen in landesweiten Umfragen. Er gewann fast alle Vorwahlen seitdem – inzwischen sind es bereits 11 Vorwahlen in ununterbrochener Reihenfolge, die an ihn gingen, darunter so wichtige Staaten wie Florida und Virginia. Er überholte Hillary sogar in der Anzahl der Delegierten auf dem Nominierungs-Parteitag.
Obama antwortete nicht auf die Anfeindungen, sondern pochte bei allen Veranstaltungen auf sein Wahlkampf-Motto: Change – Wandel. Um dies noch etwas deutlicher zu machen, wurde noch hinzugefügt: Wandel, der glaubhaft ist. Damit spielte er darauf an, dass Hillary zum Establishment in Washington gehört, das der kleine Mann in den USA für alle negativen Entwicklungen in letzter Zeit verantwortlich macht – und mit ihm Obama. Hillary, so suggeriert er, kann nicht glaubhaft Wandel repräsentieren.
Obama steht für die Hoffnung des US-Wählers, mit der Wahl des „richtigen“ Präsidenten könnten alle Probleme gelöst werden. Es ist hierfür nicht relevant, daß diese Hoffnung enttäuscht werden wird – im Moment gibt er, was die anderen nicht in diesem Maße vermögen: Hoffnung, es werde nicht so schlimm werden, Hoffnung auf bessere Zeiten, wenn das Wort Amerika nicht mehr weltweit für Folter, Entführung, Völkermord und Massaker stehen wird.
Doch was ist es, was genau in diesem Moment, in zwei Wochen im Februar, eine solche Drift, einen solchen Umschwung in der Wählermeinung verursachte? Das hat Präsident Clinton selbst bereits beantwortet: „It’s the economy, stupid!“
Die USA rutschen in diesem Moment in die Wirtschaftskrise. Es hat der Prozess der Entlassungen begonnen, es wird immer schwieriger, einen neuen Job zu finden, Millionen von Häuschenbesitzern wurden aus ihrem Haus geworfen.
Wer einen zweiten, einen dritten Job braucht, um die Familie ernähren zu können, findet ihn nicht mehr. Gleichzeitig steigen die Preise: Der strauchelnde Dollar macht Importprodukte teurer, dazu kommt der Erdölpreis auf Rekordniveau und die schnell steigenden Lebensmittelpreise. Jeder einzelne, der persönlich betroffen ist – und das werden schnell mehr – sucht nach Hoffnung und findet sie bei Barack Obama.
So kam denn der Wahltag in Wisconsin (daneben auch in Hawaii und im Staat Washington) am 19. Februar. Die Umfragen zeigten bereits einen leichten Vorsprung von Obama in Wisconsin, aber Hillary hatte eine spezielle Überraschung vorbereitet: Sie schickte ihre Tochter Chelsea nach Hawaii in den Wahlkampf, um Obama dort zu schlagen, wo er aufgewachsen ist. Das wäre eine tödliche Wunde für seine Ambitionen gewesen.
Doch nun liegen die Ergebnisse aus den drei Bundesstaaten vor. Hawaii ging an Obama, Washington zeigte beide etwa gleichauf, aber Wisconsin wurde von Barack Obama mit 15 Punkten Vorsprung gewonnen. Das ist ein Erdrutsch!
Nicht wegen der Zahl der Delegierten, die dort zu gewinnen waren, sondern weil fast alle Schwachstellen Obamas sich in Luft aufgelöst haben! Bei den Frauen liegt er nun gleichauf mit Hillary, bei den weissen Männern vorne und bei den Menschen mit geringer Bildung ist ihr Vorsprung auf wenige Prozente geschmolzen. Lediglich bei den Hispano-Stimmen ist Barack weiterhin deutlich im Nachteil. Auf der anderen Seite gehen nun junge Leute massiv zu den Wahlen im Gegensatz zu früheren Jahren – und das gibt jeweils den Ausschlag für ihn.
Noch am Tag der Wahlergebnisse verkündete ihr Wahlbüro kleinlaut: Anfang März bei den Vorwahlen in den beiden bevölkerungsreichen Bundesstatten Texas und Ohio müsse Hillary nun mindestens einen gewinnen. Damit hat man bereits auf die Tatsache reagiert, dass Ohio extrem ähnlich in der Bevölkerungs-Zusammensetzung wie Wisconsin ist: Wenig Schwarze, viele mit geringem Bildungsstand. Wenn Obama mit 15 Punkten Vorsprung in Wisconsin gewinnt, wird er auch in Ohio gewinnen und eventuell sogar erneut mit deutlichem Vorsprung!
So bleibt als Clintons einzige Hoffnung Texas. Dort gibt es aufgrund der mexikanischen Einwanderer einen hohen Anteil Hispano-Stimmen. Dies soll nun Hillary retten.
Hillary hatte aber bereits vorher den Tag der Vorwahlen in diesen beiden Staaten als ihren „Fire-Wall“ bezeichnet: Wenn es eng wird, dort wird sie mit hohem Vorsprung gewinnen. Wenn nun bereits Ohio aus dem Fire-Wall heraugebrochen ist und Texas wohl auch nicht jenen hohen Vorsprung ergibt, den sie erhofft hatte, so ist sie faktisch aus dem Rennen!
Danach kommt von allen bevölkerungsreichen Staaten nur noch Pennsylvania, mit einer Wählerstruktur extrem ähnlich wie Wisconsin und Ohio.
So kann der Berichterstatter heute die Voraussage wagen: Barack Obama wird Kandidat der demokratischen Partei bei den Präsidentenwahlen.
Zwar hat das demokratische Partei-Establishment theoretisch die Möglichkeit, entgegen den Ergebnisse der Vorwahlen trotzdem Hillary auf Schild zu heben, aber das würde die Chancen der Demokraten bei den Präsidentenwahlen beeinträchtigen.
Man kann nämlich bereits eine zweite Voraussage wagen: Wird Obama Kandidat, wird er auch die Präsidentenwahlen gewinnen, falls es der republikanische Maschinerie nicht erneut gelingt, mit und ohne Wahlmaschinen, die Wahlen massiv zu fälschen wie möglicherweise schon in den Jahren 2000 und 2004. Die Zahl der demokratischen Wähler, die zu den Vorwahlen in Wisconsin gingen, lag beim doppelten der Zahl der republikanischen.
Veröffentlicht am 21. Februar 2008 in der Berliner Umschau
Originalartikel