Dienstag, 27. Mai 2008

Bodenhaftung - oder: Wie mache ich einen Politiker schlecht

Die bürgerlichen Medien und Lafontaine

Von Karl Weiss

Die Berichterstattung der „Süddeutschen“ (die sich gerne selbst als ‚Qualitätszeitung’ feiert) über den Parteitag der Linken in Cottbus vom 24. Mai ist ein deutliches Beispiel, wie deutsche bürgerliche Medien in die tiefe Kiste der Demagogie, der gezielten Auslassung, der Verschleierung und der versteckten Andeutungen greifen, wenn es darum geht, unliebsame Politiker schlecht zu machen. Ebenso zeigt sie: Es ist pure Illusion, Bericht und Kommentar trennen zu können.

Süddeutsche - historisches Foto des Redaktionsgebäudes in der Münchener Sendlinger Strasse

Der Artikel, gezeichnet von einem Subjekt namens Denkler, ist nicht als Kommentar gekennzeichnet, sondern steht im Teil der Berichterstattungen, die - nach der eigenen Ideologie bürgerlicher Medien – strikt objektiv und neutral sei. Nun, betrachten wir die Neutralität und Objektivität dieser Berichterstattung:

Die untergründigen Andeutungen beginnen schon in der Überschrift: „Oskar stellt die Überlebensfrage“. Also ist die Linke vom Untergang bedroht, es geht ums Überleben! Was hat Oskar Lafontaine wirklich gesagt? (Nebenbei, hat man bei Schröder auch „Helmut“ geschrieben, oder gilt der Vorname nur für Leute, die keinen Respekt verdienen?) Lafontaine hat einfach die Wahrheit ausgesprochen, die für jede Partei in Deutschland und vergleichbaren Ländern gilt: „...die Linke braucht immer ein eigenständiges Profil. (...)Wenn sie [das] nicht hat, wird sie nicht überleben.“ Ein deutlicher Wink an den rechten Flügel der Partei, immer unterscheidbar zu bleiben von der SPD. Wenn der Titelschreiber daraus macht, für die Linke stünde die Überlebensfrage, so ist das infam – oder sagen wir, reines Wunschdenken.

Was auf keinen Fall in den Artikel darf, ist natürlich, was Lafontaine gesagt hat. Nicht ein einziges zusammenhängendes Zitat von mehr als drei Zeilen aus seiner Rede.

Die nächste Aufgabe: Lafontaine muss als wildgewordener, hartleibiger Trottel dargestellt werden, der nie Kompromisse kennt, sondern immer ALLES will. Nichts einfacher als das: „Die Nato lehnt er ab, solange diese aus seiner Sicht völkerrechtswidrige Kriege unterstützt, und Hartz IV muss weg. Beides Ziele ohne Bodenhaftung...“

Ja, die Bodenhaftung. Was ist denn das? Kontakt zur Realität. Kontakt zum einfachen Bürger. Will also sagen, die Unterstützung der Nato und ihrer völkerrechtswidrigen Kriege, die 70% der Bevölkerung in der Bundesrepublik ablehnen, das ist mangelnde Bodenhaftung. Hartz IV, mit gleicher Mehrheit abgelehnt, das ist Bodenhaftung. Wer das ablehnt dagegen, der hat die Bodenhaftung verloren, der schwebt in den Lüften der Illusionen. Immerhin bemerkenswert, 70% der deutschen Bevölkerung in der Luft.

Wer hat in Wirklichkeit die Bodenhaftung verloren? Die korrumpierte Politikerkaste und die 30% der Bevölkerung, die sie noch (zeitweise) überzeugen kann oder die riesengrosse Mehrheit der Bevölkerung und mit ihnen Lafontaine? Dass man selbstverständlich völkerrechtswidrige Kriege nicht unterstützen darf, dass Hartz IV weg muss, das sind tatsächlich grundlegende Dinge, die nur Ignoranten als verhandelbar ansehen können. Ein bisschen völkerrechtswidrig darf sein? Ein bisschen Hartz IV darf sein?

Ein Student, der zwei Semester Völkerrecht gehört hat, kann bereits einstufen: Der Afghanistan-Krieg ist völkerrechtswidrig. Niemand hat das Recht, ein anderes Land zu überfallen, zu besetzen und dort eine Marionettenregierung einzusetzen, wenn das Land nicht seinerseits vorher andere Länder überfallen hat. Diese Regeln sind einfach und klar und Deutschland hat sie als UN-Mitglied ebenso ratifiziert wie die USA.

Und Hartz IV?.Seit 1948 in die Köpfe der Bundesbürger einhämmern: Nein, wir leben nicht in einem kapitalistischen Unnrechtsregime, wir leben angeblich in einem Sozialstaat. Wer arbeitslos wird, braucht sich keine Sorgen zu machen. Er wird ein Auskommen haben. Die Abgabe dazu ist Pflichtabgabe, nicht etwa freiwillig. Zwangsabgabe - 57 Jahre lang. Und dann nach 57 Jahren darf man das einfach aufheben (das Auskommen, nicht etwa die Abgabe) und die Arbeitslosen in absoluter Armut lassen? Ätsch! Wers geglaubt hat, ist selber schuld! Wer gezahlt hat, ist gelackmeiert! Hahahaha, leichtgläubiges Volk!

Wer hat die Bodenhaftung verloren? Die Hartz IV gemacht haben und sich übers Volk lustig machen? Oder das Volk, das nun in steigender Armut leben muss und selbstverständlich Hartz IV weghaben will?

Die Linke 2008

Aber auch das reicht noch nicht. Lafontaine muss auch noch als brutaler Machtmensch dargestellt werden, der im Zweifelsfall über Leichen geht. Nur kann man das ja nicht so einfach behaupten. Also sagen wir einfach, andere haben es behauptet: „Es ist einiges geschrieben worden im Vorfeld – vor allem über Lafontaine. Dass vielen in der Partei das Alleinherrscher-Gehabe ihres Vorsitzenden nicht passe, vielen sein Macho-Auftreten gegen den Strich gehe.“

Haben Sies gemerkt, wie man das macht? Man nennt nicht Ross und Reiter, aber hat gesagt, was man sagen wollte. Ist aber noch ein wenig schwach. Also tragen wir dicker auf: Wir setzen ein Foto von Lafontaine in den Artikel, auf dem er die Faust zeigt und schreiben drunter: „Oskar Lafontaine: Alleinherrscher-Gehabe, Macho-Auftreten“

Sie glauben es nicht? Sie meinen, die „Süddeutsche“ würde eine solche Schweinerei nicht machen? Sehen Sie selbst.


Veröffentlicht am 27. Mai 2008 in der Berliner Umschau

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