Montag, 4. August 2008

Brasilien jenseits von Fussball und Samba, Teil 6: Die Landschaften Brasiliens - Der Amazonas-Regenwald

Teil 6: Die Landschaften Brasiliens: Der Amazonas-Regenwald

Von Elmar Getto

Es irrt, wer sich ganz Brasilien als einen Dschungel vorstellt, den Dschungel Amazoniens und den Dschungel der Großstädte. Zwar ist die Regenwald-Landschaft des Amazonasgebietes wirklich das größte zusammenhängende Urwaldgebiet der Erde und nimmt mehr als 50% der Fläche Brasiliens ein und die Großstädte wie São Paulo und Rio de Janeiro sind wirklich städtischer Dschungel, aber Brasilien hat noch 8 weitere Landschaftstypen zu bieten: Mata dos Cocais, Cerrado, Caatinga, Floresta tropical, Pantanal, Mata das Araucárias, Campos Gerais und Mangues litoráneos.

Regenwald

Aber langsam, fangen wir am Anfang an. Brasilien ist ein Land von kontinentalen Ausmaßen, mit der fünftgrößten Flächenausdehnung (etwa 8,5 Millionen Quadratkilometer) nach Rußland, Kanada, China und den Vereinigten Staaten, deutlich größer als Australien und Indien. Es ist das größte Land der Südhalbkugel, auch wenn man nur den Teil südlich des Äquators zählt. Es ist das einzige Land der Erde, durch das sich sowohl der Äquator als auch einer der Wendekreise zieht (in diesem Fall der Wendekreis des Steinbocks).

Das Amazonasgebiet im weiteren Sinne in Brasilien nimmt etwa 5,5 Millionen Quadratkilometer ein, also deutlich mehr als die Hälfte der brasilianischen Gesamtfläche, davon sind etwa 60% (3,3 Millionen Quadratkilometer) – noch – mit Regenwald bedeckt. Dabei handelt es sich bei diesen Regenwäldern aber keineswegs um eine einheitliche Landschaft.

Brasilien (topographisch)

Der überwiegende Teil der dortigen Regenwälder sind Überschwemmungs-Regenwälder, d.h. sie stehen einen Teil des Jahres (in der Hochwassersaison – das ist meist um den August herum) unter Wasser. Dieser Typ des Regenwaldes ist weitgehend ohne Unterholz, also kein „Dschungel“, weil ja hier auf dem Boden nur Pflanzen überleben können, die es schaffen, innerhalb eines Jahres (oder mit etwas Glück innerhalb von zwei Jahren) so hoch zu wachsen , daß sie bereits eine monatelange Überschwemmungsperiode überstehen. Dabei handelt es sich fast ausschließlich um Bäume. Der Besucher einer der Urwald-Lodges im Bereich der Großstadt Manaus kann also bequem im Regenwald spazieren gehen und Ausschau nach Äffchen oder nach den beliebten eßtellergroßen Spinnen (Vogelspinnen) halten.

Die sind völlig harmlos und giftfrei, können allerdings beißen. Der Führer läßt schon einmal eine auf seinem Arm laufen. Neben diesen kurzweiligen Urwaldspaziergängen bietet man dort auch das morgendliche Piranhas-Fischen an – als Köder verwendet man erstklassiges Rindfleisch. Zum Mittagessen werden dann die gefangenen Piranhas gegrillt (War das nicht umgekehrt, daß die Piranhas uns fressen? Verkehrte Welt! Außerdem hätte das Rindfleisch besser geschmeckt, bevor es durch den Magen der Piranhas ging).

Abends fährt man mit einem Boot Krokodile fangen. Genau gesagt sind es Kaimane (Jacaré) und es ist der Führer, der sie packt. Das ist nicht ganz so schwer und gefährlich, wie man es sich vorstellt, denn die verharren ganz still, geblendet von den hellen Taschenlampen – aber wehe, wenn sie einen Moment aus dem Lichtkegel kommen. Zu finden sind sie auch leicht, denn ihr Augen reflektieren den Lampenschein. Der Führer greift sich natürlich nicht gerade die 2 oder 3 Meter langen Exemplare, sondern die von 1 m oder kleiner. Er bringt sie ins Boot und dann gibt es Photo—Session.

Die männlichen Touristen dürfen ihre Furchtlosigkeit beweisen, reihum das Untier halten und sich photographieren lassen. Blitzlicht nicht vergessen! „Eine Hand am Kopfansatz, eine am Schwanzansatz, vom Körper weghalten und nicht loslassen, auf keinen Fall loslassen!“ Danach setzt man das verstörte Wesen wieder in sein Habitat.

Am nächsten Tag ist dann schon wieder Furchtlosigkeit angesagt. Es wird gefragt, ob man sich nicht mit einem Bad im Fluß erfrischen will. Da man aber noch den Fischreichtum (Piranhas) und Kaiman-Reichtum der Gewässer im Gedächtnis hat, ist man eher zögerlich. Erst wenn man dann ein paar kleine Indio-Mädchen sich dort im Wasser vergnügen sieht und der Führer versichert hat, daß nach seinem Wissen noch keinem Touristen etwas zugestoßen sei, gehen die Mutigsten ins Wasser. Das Wasser ist so trüb, angereichert mit winzigsten Schwebstoffen, die nichts anderes als Teile des Regenwaldes sind, schon in Zersetzung begriffen, daß es bereits in 1 Meter Wassertiefe zappenduster ist, wenn man taucht.

Die nächste Lektion im Überwinden von Urängsten kommt etwas später, wenn man eine Boa constrictor von 5 Metern Länge streicheln darf. Diesmal ist Halten nicht angesagt. Der Führer meint, die könne sich schon einmal blitzschnell um den Körper schlingen und dann gehe einem schnell die Luft aus. Man brauche dann vier starke Männer, um das Leben des Menschen zu retten. Übrigens, Schlangen sind überhaupt nicht schleimig, sondern ganz trocken.

Die Ausflüge per Boot gehen zu einem berühmten See mit zig Victoria Regias (das sind die Seerosen mit den riesigen schwimmenden Blättern, auf die man ein Kleinkind setzen kann, was mit herumgereichten Photos bewiesen wird – das Kleinkind sollte allerdings still sitzenbleiben) und zum Zusammenfluß des Rio Solimões mit dem Rio Negro in der Nähe von Manaus, wo sie den Amazonas im engeren Sinne bilden, hier schon Kilometer breit. Noch ein gutes Stück kann man die beiden Farben der Flüsse im gemeinsamen Bett verfolgen – das hellbeige, trübe Wasser des Solimões rechts und das fast klare, dunkelbraune des Negro links. Dort trifft man mit etwas Glück einige der rosa Süßwasserdelphine, die es nur hier gibt und die sich – wie Meeresdelphine – einen Spaß daraus machen, mit den Booten zu schwimmen.

An höher gelegenen Stellen wächst aber auch Unterholz und bildet den berühmten undurchdringlichen Dschungel. Es gibt auch Bereiche im Amazonasgebiet, die keineswegs dicht bewaldet sind, wie z.B. die Gebirgs-Region an der Grenze zu Venezuela, wo sich auch Brasiliens höchster Berg, der Pico de Neblina findet, genauso hoch wie die Zugspitze. Es gibt auch tiefer liegende Regionen, die fast das ganze Jahr unter Wasser stehen und wieder eine andere Art von Regenwald beherbergen.

Amazonas

Andere Bereiche des Amazonasgebietes sind ebenfalls nicht mehr bewaldet, besonders im Süden und Westen des Gebietes. Das hat aber keine natürlichen Ursachen, sondern hier wird abgeholzt und abgebrannt. Die Vernichtung von Regenwald im Amazonasgebiet hat sich in den letzten Jahren noch weiter beschleunigt.

Alle noch auf der ECO Rio im Jahre 1992 vollmundig angekündigten Fortschritte sind nicht eingehalten worden. Das euphorisch als „Rettung des Regenwaldes“ angekündigte System SIVAM (die vollständige Überwachung des Amazonasbeckens auf der Basis von Radarstationen und Satelliten) ist Wirklichkeit geworden, wird aber zu allem Möglichen genutzt, nur nicht zur Verhinderung der Regenwaldvernichtung und zur Verfolgung der Täter. Auf SIVAM wird u.a. noch in einer der nächsten Folgen der Brasilien-Serie "Jenseits von Fussball und Samba" eingegangen.

Geht das Abholzen und Abbrennen im beschleunigten Rhytmus der letzten Jahre weiter (und man muß eher befürchten, daß sich der Rhytmus noch steigert), wird der Regenwald im Amazonasgebiet binnen dreißig bis vierzig Jahren auf eine Anzahl unzusammenhängender Wälder reduziert sein, deren (positiver) Einfluß auf das Klima gering sein wird.

Die jetzige Klimagenesung durch die Urwälder des Amazonasbeckens wird von allen Wissenschaftlern als ausschlaggebend für das gesamte Klimageschehen im Bereich des atlantischen Ozeans und der Karibik und darüber hinaus angesehen. Der Regenwald verdunstet riesige Mengen Wasser pro Tag und nimmt die dafür benötigte hohe Energiemenge aus dem Wetterablauf heraus. Der Einfluß, den das Ausbleiben oder wesentliche Verringern dieses Effekts auf das Klima der Region und darüber hinaus haben würde, ist im Einzelnen umstritten unter den Forschern, aber alle sind sich einig, daß diese Auswirkungen katastrophal sein würden.

Brasilien: Soja-Pflanzungen auf Regenwald-Gelände

Die Szenarien schließen unter anderem folgendes ein:

- Vervielfachung der Zahl der schweren und superschweren Hurrikans, die sich auf die Karibik, Mittelamerika, Mexiko und die Vereinigten Staaten zu bewegen würden

- Extreme Intensivierung und Perpetuierung des Effektes „El Ninho“, was eine dramatische Erhöhung der Umwetter an den Pazifikküsten des amerikanischen Kontinents hervorrufen würde.

- Beeinflussen oder sogar Umlenken des beständigen Südostwindes, der vom Südatlantik in die Karibik bläst und damit Wasser in den Golf von Mexiko drückt, was den Golfstrom, die stärkste Meereströmung auf der Erde, auslöst. Ein Ausbleiben des Golfstromes würde wesentliche Teile Europas in sibirische Kälte stürzen und nach heutigen Begriffen unbewohnbar machen.

- Ausdehnung der Hurrikan-Vorkommen auf den Südatlantk. Diese würden dann die Küsten Brasiliens, Uruguays und Argentiniens heimsuchen.

- Ausbreiten von Steppen und Wüsten in Südamerika

Ebenso hätte eine wesentliche Verringerung der Regenwälder im Amazonasbecken Auswirkungen im Sinne einer Beschleunigung der Erderwärmung, weil die Bäume ja Kohlenstoff speichern, das als Kohlendioxid, dem Treibhausgas, freigesetzt würde. Eine weitere Erderwärmung würde die oben genannten Klimaveränderungen, also vor allem das häufigere Auftreten und die Intensivierung katastrophaler Stürme und Unwetter, noch beschleunigen.

Regenwald-Abholzung Brasilien

Wer die jetzt noch vorhandenen majestätische Grösse des Regenwaldgebietes am Amazonas einmal ‚erleben’ will und aus irgendwelchen Gründen vorhat, nach Brasilien oder Argentinien zu fliegen, der sollte einmal statt des direkten Fluges einen über Miami oder Orlando nehmen und dann einen Tagflug von Miami/Orlando nach São Paulo/Rio de Janeiro. Diese Strecke ist von vielen Luftfahrtgesellschaften intensiv beflogen mit insgesamt 12 täglichen Flügen, davon mindestens ein Tagflug und einer Anzahl von Flügen, die alle zwei Tage oder wöchentlich gehen.

Auf diesem Flug, man fliegt in südöstlicher Richtung – Südamerika liegt ja deutlich weiter östlich als Nordamerika - erreicht man den südamerikanischen Kontinent etwa auf der Höhe von Caracas, der Hauptstadt Venezuelas. Kurz danach fliegt man über das Orinokobecken, wo ebenfalls in riesigem Umfang Regenwald zerstört wird. Nach der darauffolgenden Bergkette ist man bereits über (fast) unberührtem Regenwald, der zum Amazonasbecken gehört und nun hat man 4 und einhalb Stunden Flug über Regenwald vor sich. Erst wenn man 4 einhalb Stunden später den Fluß Araguaia mit der Grenze der brasilianischen Bundestaaten Mato Grosso und Goiás überfliegt, weicht der Regenwald anderen Landschaften, weil man hier ins Gebiet der zentralen brasilianischen Hochebene kommt.

Zählt man den Orinoko mit, ist man sogar 5 Stunden über Regenwald geflogen (Fünf Stunden, das ist etwa die Zeit eines Fluges von der äußersten südwestlichen Ecke Portugals zum hohen Norden des Ural, also diagonal durch ganz Europa). Von oben wird einem klar, warum manche dies die „Grüne Hölle“ genannt haben. Man sieht nur grün und gewundene Flußläufe dazwischen, kein Haus, kein Dorf, kein Nichts – und das für 5 Stunden Flug! Würde man genau aufpassen und z.B. den Moment abpassen, wann man über den eigentlichen Amazonasstrom fliegt, könnte man schon Ansiedlungen erkennen, aber wer kann schon 4 einhalb bis 5 Stunden intensiv beobachten.

Dieses beeindruckende Erlebnis könnte einen fast zur Annahme bringen, eine so gewaltige Masse Wald könne man nicht so schnell niederbringen, aber das ist ein Irrtum. So massiv er hier auch auftritt, der Regenwald ist ein extrem empfindliches Gebilde.

Der Hauptgrund ist, daß die Humusschicht extrem dünn ist. Während ein Wald in den „gemäßigten Zonen“ der Erde, wie in Deutschland, eine meterdicke Humusschicht erzeugt (das ist vor allem verrottendes organisches Material), hat ein tropischer Regenwald lediglich eine Humusschicht von mehr oder weniger 10 Zentimetern.

Die Ursache ist, alles verrottet hier bedeutend schneller. Die höheren Temperaturen und die hohe Luftfeuchtigkeit führen alles, was von den Pflanzen herunterfällt (über die Aktion von Mikrolebewesen) innerhalb kürzester Zeit in Feinhumus über, der dann sofort wieder anderen Pflanzen als Nahrungsquelle dienen kann und dient. Im deutschen Wald dagegen kann man das ganze Jahr über die Blätter vom vergangenen Herbst liegen sehen. Im Frühling kann man an vielen Stellen noch deutlich die zwei Schichten der Blätter vom Vorjahr und vom Jahr davor unterscheiden und die vor eineinhalb Jahren abgefallenen Blätter als Einzelstücke identifizieren. D.h. das Verhältnis zwischen lebender organischer Masse und toter organischer Masse ist im tropischen Regenwald fast ganz auf der Seite „lebend“, im deutschen Wald weitgehend auf der Seite „tot“.

Sind unter den zehn Zentimetern nur Sand oder Felsen, müssen sich die Bäume zur Seite hin abstützen, also ein Wurzelwerk fast ausschliesslich nach den Seiten entwickeln (einige der Bäume können auch Wurzeln in Sand bohren, die dann zum Abstützen dienen, aber dazu braucht man eben Sandboden). Viele der wirklich hohen Urwaldriesen bilden einen sternförmigen Stamm aus, der ihnen eine bessere Abstützung ermöglicht. Andere lassen Wurzeln auch aus den Ästen nach unten wachsen, um damit zusätzliche Stützen zu haben. Trotzdem, sie sind bei weitem nicht so standfest wie ein Baum mit Pfahlwurzel in Deutschland, der sich zehn oder zwanzig Meter in den Boden bohrt.

Öffnet man im Regenwald eine Schneise, wird der Wind viele der umliegenden Bäume fällen. Zwar kann der Regenwald in einem jahrelangen Prozess solche Schneisen zuerst mit kleinen Pflanzen, dann Büschen und schliesslich kleineren und letztendlich größeren Bäumen wieder auffüllen, aber das klappt eben auch nur, wenn man die Schneise ganz sich selbst überläßt. Eine Schneise, in der bereits Erosion begonnen hat, kann kaum noch geschlossen werden.

Ist ein Stück Land einmal abgebrannt worden, ist Ackerbau getrieben worden oder hat man Gras und Kräuter für die Rinder wachsen lassen, ist die Humusschicht verschwunden und es kann sich kein neuer Regenwald mehr bilden. Die häufigen Regenfälle erodieren dann dieses Stück, was zum Niedergang auch des umliegenden Regenwaldes führt. Die Erosion breitet sich dann selbständig aus. Es braucht gar nicht mehr abgeholzt und abgebrannt werden.

Um dort neuen Regenwald entstehen zu lassen, muß man zunächst Humus aufbringen und dann typische Bäume und Sträucher des Regenwaldes pflanzen, ein extrem umständlicher, teurer und langwieriger Prozess. Bis auf einem so zurückgewonnenen Waldgebiet wieder die richtigen Urwaldriesen wachsen können, die schon mal bis zu 70 Meter hoch werden, dauert es leicht 100 und mehr Jahre.

Die andere wesentliche Frage im Zusammenhang mit dem Verschwinden bzw. Verringern des Regenwaldes ist die der Bio-Diversität, des Artenreichtums. Dabei handelt es sich nicht um den natürlichen Prozeß, daß einige Spezies verschwinden und neue entstehen, sondern daß das Verschwinden, die Ausrottung, einseitig beschleunigt wird und die Natur mit dem Formen neuer Spezies nicht mehr nachkommt, also die Gesamtzahl der Spezies – sowie ihrer Unterarten – sich verringert. Bis zu einem bestimmten Punkt hat das wenig Auswirkungen auf die Bewohnbarkeit des Planeten durch Menschen – ab diesem Punkt aber verschlechtern sich dramatisch die menschlichen Lebensbedingungen bis hin zur drohenden Ausrottung der Menschheit, weil der Mensch in Symbiose mit Tieren und Pflanzen lebt. Verschwinden grosse Teile von ihnen, kann auch der Mensch nicht mehr überleben.

Das Amzonasgebiet ist der Hort der größten Zahl von Spezies auf der Erde. An der Oberfläche leben ca. 2 Millionen verschiedener Spezies.

Was die Tiere betrifft, schätzt man, daß bisher erst etwa 30% davon bekannt sind. Über 95% der Spezies im Amazonasgebiet sind Wirbellose, also Insekten, Spinnentiere, Krebse, Krabbentiere, Garnelen, Schmetterlinge, Ameisen, Flöhe, Asseln, Quallen, Skorpione, Würmer, Seesterne, Einzeller wie Bakterien und Amöben und noch Hunderte von anderen Klassen, die nur da zu sein scheinen, um Biologiestudenten zur Verzweiflung zu bringen.

Die höheren Pflanzen machen in etwa 90 000 Spezies aus. Allein an Baumarten kommen pro Hektar Amazonaswald zwischen 40 und 300 verschiedene vor.

Diese ganze Bio-Diversität ist heute massiv bedroht. Selbst wenn heute das Abbrennen und Abholzen der Wälder deutlich eingeschränkt würden, ginge die Ausrottung von Arten noch lange ungehemmt weiter. Die menschlichen Aktivitäten haben nämlich bereits schwer umzukehrende Prozesse in Gang gesetzt, obwohl das Amazonasgebiet nur gering besiedelt ist.

Am verheerendsten wirkt sich das Quecksilber aus. In großen Teilen des Amazonasgebiets wird Gold aus den Sanden gewonnen mit dem Verfahren der Extraktion durch Quecksilber. Dieses Gold-Gewinnen wird industriemässig und zehntausendfach betrieben und die dabei verwendeten Quecksilbermengen gehen zu 100% in die Flüsse über. Dort reichern sie sich in den Sanden an und werden nach und nach in Form wasserlöslicher Salze an das Flußwasser abgegeben. Viele Gewässer im Amzonasgebiet enthalten heute bereits deutliche Mengen von Quecksilber. Besonders empfindliche Arten werden dadurch bereits ausgerottet. Das rottet dann wiederum Arten aus, die von jenen gelebt haben und danach solche, die von den anderen gelebt haben usw., d.h. es sind immer ganze Nahrungsketten betroffen. Andere Tiere und Pflanzen werden zwar vom Quecksilber nicht getötet, nehmen es aber in ihre Struktur auf. Wen sie dann wieder anderen als Nahrung dienen, werden diese dann mit Quecksilber angereichert und eventuell ausgerottet. Selbst wenn heute sofort mit der Quecksilber-Gold-Methode aufgehört würde, fänden sich noch über Jahrzehnte Quecksilberkonzentrationen in vielen Teilflüssen, Pflanzen und Tieren.

Der zweite verheerende Einfluß auf den Artenreichtum wird durch die häufigen menschlichen Invasionen in vorher unberührte Gebiete verursacht. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Goldsucher und um Drogenhändler.

Der Goldreichtum der Flußsande im Amazonasgebiet muß ja irgendwo herkommen, also forscht man in höher liegenden Gebieten nach Goldvorkommen. Es wird geschätzt, daß mindestens 10 000 Gruppen von Goldsuchern im Amazonasgebiet unterwegs sind. Von Zeit zu Zeit treffen sie auf einige der Indios, die noch übriggeblieben sind und die gewaltsamen Auseinandersetzungen füllen die Schlagzeilen brasilianischer Zeitungen. Im Prinzip braucht man zum Goldsuchen zwar eine Lizenz und auch der Zugang zu unberührten Gebieten ist von Erlaubnissen abhängig, der zu Indio-Reservaten sogar völlig verboten, aber wo kein Kläger, da auch kein Richter. Diese Gruppen sind in der Regel von reichen Brasilianern und Ausländern mit guten Beziehungen zu Regierungsstellen angeheuert und ausgerüstet worden, die dafür sorgen, daß sie unbehelligt bleiben.

Außerdem ist das Amazonasgebiet einer der größten Drogenumschlagplätze der Erde. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Kokain aus den benachbarten Ländern Peru und Kolumbien, Kokain, der Party-Droge, die auf keiner Party der Wohlhabenden in USA und Europa fehlen darf. Das hauptsächliche Ziel der Transporte sind die USA und bestimmte Umschlagpunkte in Mittelamerika, an denen auf Schiffe nach Europa umgeladen wird. Der Transport wird wesentlich mit Kleinflugzeugen durchgeführt. Zuerst wird das Kokain zu einem der Flußarme geschafft, die in den Amazonas münden. Von dort geht es mit Booten zu Schneisen, die man in den Urwald schlägt und wo man Zwischenlagerplätze und eine Rollbahn für Kleinflugzeuge anlegt. Mit diesen Flugzeugen wird die Droge dann zu neuen Umschlagplätzen in Mexiko, Nicaragua, Honduras, Costa Rica oder Panama geflogen, von wo aus man direkt in die USA fliegt oder sie wird zu improvisierten Landebahnen an Stränden in Mittelamerika geflogen, wo auf Boote und dann auf Schiffe umgeladen wird, die nach Europa gehen.

Dies alles läuft unter Oberaufsicht und heftiger Anteilnahme der CIA ab, wie der heldenhafte Reporter Garry Webb aufdeckte, der dafür sterben mußte. Ein großer Teil der Drogengelder geht an die CIA, die dafür sorgt, daß alles reibungslos läuft und viele seiner sonstigen Aktivitäten damit finanziert, wie Attentate auf Staatsoberhäupter, Terroranschlage, Produktion von Bin-Laden-Videos, Ausbildung von arabischen Selbstmord-Jet-Piloten und andere. Damit ist auch klar, daß niemand, weder die brasilianische Regierung noch die US-Amerikanische irgend etwas dagegen unternehmen wird.

Diese häufigen menschlichen Einfälle in vorher unberührte Urwaldgebiete vertreiben eine Anzahl von scheuen Tieren, teilweise dauerhaft. Damit verschieben sich wiederum ökologische Gleichgewichte und Arten sterben.

Wenn wir noch lange brauchen, um diesem kapitalistischen System den Garaus zu machen, wird es schon sehr spät sein. Jedes Jahr zählt. In nicht allzu ferner Zukunft sind die Prozesse unumkehrbar.


Heute also der sechste Teil der Brasilien-Reihe von Elmar Getto, hier leicht redigiert vom Autor. Er erschien ursprünglich in 'Rbi-aktuell' am 18. Januar 2005.

Hier die Links zu allen Teilen der Reihe „Brasilien jenseits von Fussball und Samba“

- Teil 1: „Wie der Amazonas zu seinem Namen kam“

- Teil 2: ‚Menschenfresser-Country’

- Teil 3: „Ausgerottete Künstler“

- Teil 4: Niemeyer ist 100 – ‚Auf dem Höhepunkt des Schaffens’

- Teil 5: Brasilien und Gold

- Teil 6: Die Landschaften Brasiliens – Der Amazonas-Regenwald

- Teil 7: Brasilien und der Strom

- Teil 8: Die Landschaften Brasiliens – Mata Atlântica

- Teil 9: Santos Dumont und der erste Motorflug

- Teil 10: SIVAM – Big Brother in Amazonien

- Teil 11: Sprit aus nachwachsenden Rohstoffen

- Teil 12: Regenwaldvernichtung und Trockenheit im Amazonasgebiet

- Teil 13: Wie unsere Zukunft in der beginnenden kapitalistischen Barbarei aussähe – „Ich habe kein Leben“

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