Freitag, 5. September 2008

Frau Palin und der "Kinderschänder"

Sie repräsentiert die Rechtsaussen-Fundamental-Christen

Von Karl Weiss

Die in dieser Woche bestätigte Kandidatin der republikanischen Partei für die Vizepräsidentschaft, Sarah Palin, Repräsentantin der fundamentalistisch-extremistischen Christen in den USA, wurde plötzlich blind auf einem Auge, als ein offensichtlicher Fall von „Kinder-Schänden“ in der eigenen Familie geschah.

Bristol Palin und Levi Johnston
Hier sieht man das "glückliche" junge Paar, Bristol Palin und Levi Johnston, gepudert und geschminkt auf der Tribüne des Bundesparteitags der Republikaner, wo man die "gute" alte Regel "jetzt muss er sie heiraten" auch noch vor dem Millionenpublikum ausbreitet. Wieviele solcher Ehen halten, ist bekannt. Man sehe sich nur das Milchgesicht an, das in anderen Bundestaaten bereits im Gefängnis schmoren würde.

Palins siebzehnjährige Tochter Bristol ist im fünften Monat schwanger. Der Vater ist ein 18-jähriger, der sie bald heiraten will, mit Namen Levi Johnston. Soweit wäre dies eine banale Story, nicht des Erwähnens wert. Überall auf der Welt tun junge Leute, meist mit wenig Kenntnissen der Sexualität, miteinander Dinge, welche die Erwachsenen ihnen nicht in dieser Weise raten würden. Schließlich liegt das Niveau von Sexualhormonen im Körper in diesem Alter von 14 bis 18 Jahren besonders hoch und so ist die Zahl derer Legion, die Sex haben, ohne sich vor AIDS und Schwangerschaft zu schützen

So sagte denn auch der Kandidat der gegnerischen Partei, Obama, man solle diesen Fakt nicht einmal erwähnen. Tatsächlich wäre dies schlicht und einfach Privatsache jener Familie und niemand hätte da dreinzureden. Wäre, wenn.....

Wenn da nicht ein anderer Fakt wäre: Frau Palin ist erklärtermaßen die Kandidatin, die den Republikanern die Stimmen der fundamentalistischen Christen zutreiben soll, denn sie ist selbst eine dieser christlichen Extremisten. Und eben diese Christen mit dem Schaum vor dem Mund haben bereits in einer großen Zahl von Staaten der USA Gesetze durchgesetzt oder eingebracht, die aus moralischen Gründen ihre Ansichten zum Sex in jungen Jahren in massive Strafbewehrungen umsetzen.

Dabei spielt es keine Rolle, ob die Gouverneurin von Alaska mit jeder der absurden Meinungen jener Evangelikalen persönlich übereinstimmt oder solche Gesetze auch schon im eigenen Staat durch die Legislative gebracht hat oder nicht. Sie ist in ihrer Eigenschaft als Vize-Präsidentschaftskandidatin der Exponent des „Pit-Bull-Flügels“ der wild gewordenen Ultra-Rechts-Christen in den USA – kein Wunder, wenn sie sich selbst als Pit Bull bezeichnet.

So ist es denn auch charakteristisch, wie sie auf dem Parteitag der Republikaner auftrat: Nach der Rede wurden alle Kinder auf die Bühne geholt, einschliesslich der schwangeren Tochter und des Schwiegersohns in spe. Sie versucht damit, den Sex des Jung-Hengstes mit ihrer minderjährigen Tochter in einen positiven Fakt umzudrehen. Das könnte man ihr auch zugestehen, denn das machen fast alle Familien, die mit diesen Ereignissen konfrontiert werden: Es ist nun einmal geschehen, sehen wir nach vorne: Eine Hochzeit, eine neue Familie und viel Glück. Könnte, wenn...

Ja, wenn sie nicht die Repräsentantin der Absurditäten der rechten Extrem-Christen wäre.

Was sind die wesentlichen Inhalte der neuen Gesetze, die da aus dieser Ecke des rechten evangelischen Sekten-Spektrums in mehr und mehr Bundesstaaten bezüglich des Sex von jungen Leuten durchgesetzt werden (Der Begriff Sekten trifft nur aufgrund der ungewöhnlichen (vorsichtig ausgedrückt) Ansichten zu, nicht im Blick auf die Zahl der Adepten, die ist vielmehr Legion.)?

In allen diesen Bundestaaten wird die Definition „Kind“ auf alle bis zum 18. Lebensjahr ausgeweitet. Gleichzeitig werden „sexuelle Handlungen“ (in einigen Staaten nur „Penetration“ oder „Penetration in der Vagina“) mit diesen „Kindern“, also allen jungen Leuten bis 18, als „Kindsmisshandlung“, als angebliches „Kinderschänden“, eingestuft und entsprechend mit hohen Strafen belegt

Das klassische Beispiel dafür ist der seit vielen Jahren von Republikanern der christlich-extremistischen Spezies beherrschte Staat Georgia und die Verurteilung eines jungen Mannes, der mit seiner jungen Freundin (beide unter 18) Sex gemacht hat. Einzelheiten dazu in diesem Artikel: „Sex?? Gefängnis!!“. Der inzwischen bereits erwachsene Genarlow Wilson sitzt bereits seit mehr als zwei Jahren im Gefängnis und ist zu 10 Jahren verurteilt. Auch eine Aufhebung der Strafe hat bisher noch nicht zur Freilassung geführt. Siehe hierzu auch: „Sex unter 18? 10 Jahre Gefängnis!“

Hätte Frau Palin in ihrem Staat Alaska bereits entsprechende Gesetze durchgebracht, dann wäre der junge Levi nicht auf der Bühne eines Parteitags bejubelt worden, sondern sässe in einer Gefängniszelle und könnte ihre Tochter nicht heiraten (jedenfalls nicht, wenn die Mutter gewählt werden will), geschweige denn sich um das Kind kümmern, das da erwartet wird.

Frau Palin als Repräsentantin eben genau dieser Fraktion von Evangelikalen, die für solche Gesetze verantwortlich sind, „bemerkt“ plötzlich nicht mehr, dass hier etwas geschah, was man in ihren Kreisen als Verbrechen charakterisiert, nämlich „Kindsmissbrauch“ an ihrer Tochter, die ja noch keine 18 Jahre alt war, d.h. bis heute noch nicht ist. Ihr sonst so wacher christlicher Sündendetektor war irgendwie abgeschaltet, als es um das Verhältnis ihrer eigenen Tochter ging. Der junge „Kinderschänder“ ist plötzlich kein Verbrecher mehr, sondern ein willkommenes Mitglied der Familie? Das ist ein wenig dick aufgetragene Heuchelei, oder?

Obwohl diese Tatsachen in den USA ja allseits bekannt sind, bringt keine Sendeanstalt, keine Zeitung, kein Magazin diese Frage auf. Man will sich nicht mit den Millionen von „wiedergeborenen Christen“ anlegen noch mit der katholischen Kirche in den USA, die solche Gesetze in der Regel unterstützt. So absurd auch die haarsträubenden Gesetze sind, die da durchgebracht werden, es gibt keine öffentliche und sachliche Kritik.

Der Parteitagsauftritt von Frau Palin ist also nichts als Heuchelei. Die von ihr repräsentierte Bewegung in den USA zum Abschaffen aller Gesetze, die von der Aufklärung beeinflusst sind und zum Einführen von Gottesstaat-Gesetzen, besonders im Zusammenhang mit sexuellen Aktivitäten, ist ja so stark, dass sie es sogar geschafft hat, eine Unterorganisation der UN, die sich mit Kinder-Missbrauch beschäftigt, zum Verfassen von generelle Richtlinien genau im Sinne der Super-Moral-Christen zu bringen (auch ein Lehrstück über die UN als reines Sprachrohr der US-Regierung).

Diese Richtlinie wurde bereits von der EU aufgegriffen und hat zu einer EU-Richtlinie geführt, die von allen EU-Staaten verlangt, ebenfalls die Kernpunkte dieser Doppel-Moral einzuführen. In Italien ist ein entsprechendes Gesetz bereits Wirklichkeit. Fast wäre ein entsprechender Gesetzentwurf auch in Deutschland durchgegangen, in dem ebenfalls die Definition von „Kind“ für Alle bis 18 vorgesehen war. Siehe hierzu auch „Dossier Verschärfung Sexualstrafrecht, 1“, „Dossier Verschärfung Sexualstrafrecht, 2“ und „Hurra, sie haben es gestoppt“

Es ist also hier nicht die Rede von ein paar Spinnern, die in irgendwelchen abgelegenen und fast bevölkerungsfreien US-Bundesstaaten absurde Gesetze durchbringen, sondern um eine der mächtigsten politischen Strömungen in den Vereinigten Staaten und um angewandte Gesetze in extrem bevölkerungsreichen Bundestaaten wie Georgia und Michigan. Siehe zu Michigan auch diesen Artikel: „USA: Absurditäten des religiösen Extremismus“

Es handelt sich um eine UN-Richtlinie und um eine bindende EU-Richtlinie und in Italien auch bereits um eine Gesetz. Zweifellos hat Bush Junior als Präsident entscheidend mit zu diesen „Erfolgen“ der fanatisch-extremistischen Christen weltweit beigetragen, der ja selbst ein solcher „wiedergeborener“ Evangelikale ist.

Dabei kommt erschwerend hinzu: Wer in den USA einmal wegen irgendeinem Sexualvergehen verurteilt wurde, ist zeitlebens auf den Listen der „Sexual Offenders“, die es sowohl in vielen Staaten gibt als auch als Bundesregister. Aus diesen Listen kann jeder entnehmen, wie die Betroffenen heissen, wo sie wohnen und meistens ist auch ein Fahndungsfoto dabei. Auch Telefonnummern werden in einigen der Register angegeben. Um sich dem nicht entziehen zu können, müssen sich die „Sexual Offenders“ zeitlenens regelmässig melden und die jeweils aktuelle Wohnung angeben. Sie dürfen nicht in der Nähe von Plätzen wohnen, wo Kinder sind, wie Schulen, Kindergärten, Kinderspielpläte usw.

Dabei haben viele dieser „Sexual Offenders“ nichts anderes gemacht als Doktorspiele als Kinder, als Sex unter 18, als fremd zu gehen oder mit einer Frau aggressiv zu flirten. In Kürze werden auch, je nach Bundestaat, viele Homosexuelle unter ihnen sein. Im Moment versuchen die Fundamental-Christen in vielen Bundestaaten, den homosexuellen Geschlechtsverkehr wieder strafbar zu machen.

Um dieser Überwachung zu entgehen, flüchten viele der Registrierten und versuchen woanders und unter anderem Namen ein neues Leben aufzubauen. Die Lokal-Zeitungen und Lokal-Sender in den USA haben es sich zum Sport gemacht, solche versteckten „Sexual Offenders“ aufzuspüren und zu denunzieren.

Im Kern ist dies alles ein Angriff auf den einzigen Fortschritt, den der Kapitalismus wirklich gebracht hat: Die Werte der Aufklärung. Ihnen gegenüber wollen die Christen von Rechtsaussen ein generelles „Roll-Back“ durchsetzen, also weltweit alle Inhalte, Werte und Gesetze, die solche Werte der Aufklärung widerspiegeln, ersetzen durch solche, welche die heuchlerische Sexual-Moral der verklemmten extremistischen Christen ausdrücken. Dazu gehört die Strafbarkeit von Ehebruch, die Wiedereinführung der Strafbarkeit von Homosexualität, die völlige Verbot der Abtreibung, auch bei Lebensgefahr für die Mutter, auch bei Vergewaltigung, auch bei schweren Schäden der Leibesfrucht, das generelle Verbot jeglicher Nacktheit , das Verbot von Anal- und Oral-Sex, die Einstufung von Bildern oder Texten, der jemanden „aufreizen“ könnten, als verbotenes Porno usw usw.

Dabei unterhält man ausserdem geschlossene Anstalten, in denen jungen Männern und Frauen der Homosexualismus durch Folter ausgetrieben werden soll und andere für Kinder (Menschen bis 14), die bei irgendwelchen sexuellen Aktivitäten erwischt wurden

Interessant ist: Man wagt es nicht, diese Offensive mit Argumenten, offen und für alle sichtbar zu führen. Man versteckt sich hinter Organisationen wie der UN und der EU, man stellt sich als brave Familien-Personen dar – so wie Palin -, verschweigt aber, wie viele im Gefängnis sitzen wegen absurder Gesetze, für die man verantwortlich ist. Man weiss offenbar, würden diese Fragen offen diskutiert, würde die Absurdität jener Ansichten für alle sichtbar demaskiert. Also wird Versteck gespielt.

Auch in Deutschland hat keines der großen Medien diese Fragen angesichts der Kandidatur von Frau Palin aufgegriffen.

Wir werden uns also selbst darum kümmern müssen, dass unsere Kinder nicht demnächst als „Kinderschänder“ oder „Kinderporno-Produzenten“ angeklagt werden, wenn sie frühzeitig Sex machen oder ein paar Nacktfotos austauschen. Frau Palin, die den „Schänder“ ihrer Tochter mit offenen Armen in der Familie begrüsst, wäre dann sicherlich eine der Verantwortlichen.


Veröffentlicht am 5. September 2008 in der Berliner Umschau

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