Willkommen in Deflation-Country!
Von Karl Weiss
Die Grosshandelspreise in Deutschland im Vergleich Juli 2008/Juli 2009 sind um 9% gesunken. Das ist kein zufälliger Ausschlag mehr. Das ist bereits der Beginn der Deflation. Damit hat sich die von verschiedenen Fachleuten vorhergesagte Entwicklung bewahrheitet. Es handelt sich um einen Ablauf der Krise genau in gleichen Rhythmus wie bei der „Großen Depression“, die 1928/1929 begann und bis praktisch zum Ausbruch des 2. Weltkrieges 1939 dauerte.
Diese Graphik stellt einen Vergleich an zwischen Grosshandelspreisen in bedeutenden Ländern von 1929 bis 1937 (Grosse Depression) - blasse Kurven - und deren Entwicklung in Deutschland von Juli 2008 bis Juli 2009 - stark rote Kurve
Wenn man generelle Aussagen zur Preisentwicklung haben will, verwendet man die Grosshandelspreise, weil die Einzelhandelspreise extremen zufälligen Schwankungen unterworfen sind und nur nach mehreren Monaten halbwegs zuverlässig gemittelt werden können.
Dass es am Anfang einer Krise eine kurze Periode zurückgehender Preise gibt (1 – 2%), ist nichts Neues, aber das gibt sich schnell wieder, wenn die Talsohle erreicht wird und der Ausstieg aus der Krise in Sicht ist. Davon grundsätzlich unterschiedlich ist eine Deflation, die von deutlicheren Preisrückgängen und von längerer Dauer gekennzeichnet ist.
Und Deflation ist ein Teufelskreis. Hat sich einmal die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Preise sinken, werden Anschaffungen zurückgestellt, um niedrigere Preise abzuwarten, was wiederum zu verminderter Auslastung der Produzenten und der Notwendigkeit weiterer Preissenkungen führt. Deshalb konnten Sie diese Zahl von -9% auch noch in keiner Zeitung lesen und in keiner Tagesschau hören. Alle haben Angst, ja Horror, vor der Deflation.
Hat sich eine Deflation erst einmal etabliert, verstärkt sie sich zunächst selbst, bis man auf einem bestimmten Minimum angekommen ist. Von dort aus kann es zunächst einmal nicht weiter nach unten gehen, weil die Produzenten und Distributoren bei noch niedrigeren Preisen drauflegen würden und dann natürlich lieber den Laden dicht machen als mit Verkauf Geld zu verlieren. Dieser Punkt dürfte jetzt mit -9% schon in etwa erreicht sein.
Nun kann man aber natürlich Teile der Produktion schließen, einige von mehreren Fabriken dichtmachen, viele Mitarbeiter entlassen usw. und damit die Kapazität verringern und damit auch die Kosten. Wird die verringerte Kapazität dann gut ausgelastet, kann man wieder mit Gewinn verkaufen – aber dann gibt es auch wieder Spielraum für Deflation.
In dieser Abwärtsspirale hat das Deutschland der Dreißiger Jahre in der „Großen Depression“ 48 Monate (4 Jahre) nach Beginn der Krise ein Grosshandelspreisniveau von etwa 70% des Ausgangspreisniveaus erreicht, also ein Minus von 30% im Preisniveau innerhalb von 4 Jahren, was pro Jahr etwa 7,5% Preis-Verringerung bedeutete.
Erst danach konnten sich die Preise wieder erholen, erreichten aber bis zum 2. Weltkrieg noch nicht wieder das Niveau von 1929.
Wer also eventuell meint, sinkende Preise sind doch gut, da kann man ja mehr mit seinem Geld kaufen, hat die Deflations-Falle noch nicht durchschaut: Kaum einer wird noch das Gleiche verdienen wie vorher, sehr Viele werden arbeitslos.
Wäre das nur eine deutsche Tendenz, würde das keine großen Auswirkungen auf die Weltwirtschaftskrise haben, aber inzwischen steht bereits fest: Auch die USA sind bereits in die Deflation eingetreten. Damit ist klar: Die nächste Phase der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise wird von der Deflation bestimmt sein und das wird sich über Monate, voraussichtlich aber über Jahre hinziehen.
Hier kan man - ganz am Ende der Graphik - den steilen Abfall der Geldmenge im Umlauf in den USA sehen
Die riesigen Mengen an Geld, die überall in die Hand genommen wurden, um Banken zu retten und die Konjunktur anzuheizen, sollten eigentlich gerade diese Deflation verhindern, aber wie man sieht, hat das nicht geklappt. Warum nicht?
Joachim Jahnke, der frühere stellvertretende Chef der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London, sagt dazu in seinem Portal www.jjahnke.net folgendes, mit Bezug auf die USA:
„Der wichtigste Grund ist, daß - wie in Deutschland - die Liquidität bei den maroden Banken zu deren eigener Sanierung hängenbleibt. Das Volumen an Bankkrediten und kommerziellen Wertpapieren ist in den letzten Monaten mit Rekordraten gefallen (...). Bisher mußten in diesem Jahr schon 52 Banken geschlossen werden, viele andere sind in der Intensivstation. Die Schattenbanken sind noch schlechter dran. Mehr als 300 Hypothekenbanken sind untergegangen. Die beiden größten Fannie Mae und Freddie Mac sind unter staatlicher Insolvenzverwaltung. Zwangsversteigerungen und Nichtbedienung von Hypotheken steigen, was die Banken und ihre Hypothekenableger zu weiterem Rückzug vom Kreditmarkt zwingt. So ... [haben] extreme Verschuldung und fallende Hauswerte die besten Anstrengungen der Fed zunichte gemacht.
Hinzu kommen andere Faktoren wie die steigende Arbeitslosigkeit mit nachlassender Zahl der Arbeitsstunden (...). Das gilt übrigens auch für Deutschland, wo die Arbeitsstunden seit Mitte vergangenen Jahres im Zeichen von Kurzarbeit und wachsender Arbeitslosigkeit eine stark fallende Tendenz zeigen; im April lag die Zahl der Arbeitsstunden schon um mehr als 9 % unter dem Vorjahr.“
Obwohl also Summen von Hunderten von Milliarden in die Banken gepumpt wurde, was insgesamt bereits einige Billionen Dollar bzw. Euro ausmacht, geht davon kaum etwas in die Wirtschaft als Finanzierung, geschweige denn an Privatpersonen, die sich in solcher Situation hüten, sich zusätzlich zu verschulden, denn wer kann heute mit Sicherheit sagen, er ist morgen noch nicht arbeitslos.
So sehr sich (nicht nur in den USA) die von den Banken gehaltene Geldmenge erhöht hat, so sehr hat sich aber auch die Geldmenge in Umlauf verringert. In den USA zeigt diese Statistik (Umlaufende Geldmenge minus vom Publikum gehaltene Geldmenge) einen Abfall von mehr als 8 Billionen US-Dollar im Jahr 2008 auf weniger als 1 Billion US-Dollar im Jahr 2009.
So kommt Joachim Jahnke denn auch zum Schluss: „Wie sind noch längst nicht aus der globalen Krise.“
Veröffentlicht am 16. Juli 2009 in der Berliner Umschau